Eine kurze Geschichte des Atheismus: Von der Frühgeschichte bis in die Gegenwart
Von Heinz Boemer
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Buchvorschau
Eine kurze Geschichte des Atheismus - Heinz Boemer
Vorwort
In den Monaten Februar, März und Juni des Jahres 2015 wurde von der Regionalgruppe Stuttgart/Mittlerer Neckar der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) über den Sender Freies Radio für Stuttgart eine dreiteilige Sendung zur Geschichte des Atheismus ausgestrahlt.. Der Autor dieser hier vorgelegten Kurzen Geschichte des Atheismus war seinerzeit für den Text der ausgestrahlten Sendungen verantwortlich. Da der Sender Freies Radio für Stuttgart nur in einem geografisch eng begrenzten Raum zu empfangen ist, entstand die Idee, die damals vorgestellten Inhalte einem breiteren Publikum anzubieten, eben in Form eines Buches. Dieses liegt nun hier vor. Dabei wurde die Gelegenheit genutzt, den Text etwas zu überarbeiten, vor allem aber, die Inhalte um einige Details anzureichern und zeitlich bis in das 21. Jahrhundert auszuweiten, denn jene kleine Sendereihe endete mit der Wende zum 20. Jahrhundert.
Über die Geschichte des Atheismus gibt es nicht allzu viele Werke, hervorzuheben sind hier v. a. zwei Arbeiten: zum einen die schon 1922/23 erschienene vierbändige Geschichte des Atheismus im Abendlande von Fritz Mauthner, zum anderen die 2000 erschienene Geschichte des Atheismus von Georges Minois, einem französischen Historiker. Beide Werke wurden hauptsächlich für die Radiosendungen wie auch das hier vorliegende Bändchen herangezogen. Hinzu kamen einige weitere Quellen, wie aus dem Bücherverzeichnis im Anhang zu ersehen. Auf die Quellen wird jeweils im Text Bezug genommen.
Die Jahrtausende lange Geschichte des Atheismus in einem so schmalen Band wie dem vorliegenden darstellen zu wollen ist natürlich ein kühnes Unternehmen. Allzu vieles musste verkürzt dargestellt werden, vieles musste ganz weggelassen werden. Andererseits wirken die beiden oben genannten sehr umfangreichen Werke von Mauthner und Minois für den nicht speziell Interessierten eher abschreckend. So glaubt der Autor, diese bewusst sehr kurz gehaltene Übersicht über die Geschichte des Atheismus verantworten zu können. Und sollte sich der eine oder andere Leser dadurch angeregt fühlen, mehr zu erfahren über die Freidenkerei und die höchst spannenden Kritiken an der Religion allgemein und das Christentum speziell, so kann er sich ja der angeführten Literatur bedienen. Wenn es gelingen sollte, die Hauptströmungen des (religions-)kritischen Denkens über seine lange Zeit hinweg etwas allgemeiner bekannt zu machen, so wäre das Ziel dieses Bändchens erreicht.
Im Übrigen sei noch angemerkt, dass jene drei Radiosendungen aus dem Jahr 2015 in bebilderter Form auf youtube.de unter der Eingabe „GBS" nachzuhören sind. Diese sehr gelungene Darstellung ist dem Videofilmer Volker Kirsch zu verdanken.
Einleitung
Seit wann es Atheisten geben mag, weiß man nicht. Jedenfalls ist der Atheismus sehr alt, viel älter als das Christentum. Man kann mit der Geschichte der religionskritischen Denkrichtungen dicke Bücher füllen, wie die oben angeführten zwei großen Werke zeigen, zum einen von Fritz Mauthner (1849-1923, Philosoph und Schriftteller) das vierbändige Werk Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, erschienen in den Jahren 1920-1923, zum anderen von Georges Minois Geschichte des Atheismus aus dem Jahre 2000. Ansonsten sind geschichtliche Darstellungen zum Atheismus nur recht verstreut aufzufinden
Ehe wir in die Geschichte des Atheismus einsteigen, sollen noch einige in diesem Zusammenhang verwendete Begriffe erläutert werden.
Atheist: Ein Atheist ist ein Mensch, der nicht an Gott glaubt. An keinen Gott. Dann gibt es noch jene, die sich Agnostiker nennen. Sie können sich vielleicht nicht so recht entscheiden und sagen, sie glaubten weder an die Existenz Gottes noch an seine Nichtexistenz. Denn weder das eine noch das andere sei zu beweisen. Womit sie durchaus Recht haben. Den sogenannten lieben Gott des Christentums lehnen sie jedoch zumeist ab, in dieser Hinsicht haben sie also eine gemeinsame Schnittmenge mit den entschiedenen Atheisten. Dann gibt es jene, die sich Deisten nennen oder auch Freidenker, sie leben in der Vorstellung von einem Gott irgendwie, der zwar das All geschaffen haben mag – er muss also aus naturwissenschaftlicher Sicht den Urknall inszeniert haben - der aber, im Gegensatz beispielsweise zum christlichen Gott, nicht in das Leben der Menschen, ja in das Geschehen im All eingreift. Vom christlichen Standpunkt aus sind sie also in den Umkreis der Ungläubigen zu rechnen, denn den Gott der Deisten anzubeten lohnt nicht, er leistet den Menschen keinerlei Beistand, also kann man auf ihn gut verzichten, ihn zu lobpreisen oder ihm Tempel zu bauen ist sinnlos. Der Deismus findet bis heute weite Verbreitung, oft sind deren Anhänger sich dessen nicht klar bewusst, weil sie sich durchaus als Gottgläubige empfinden, aber an das praktische Eingreifen Gottes in ihr eigenes Leben oder das anderer nicht recht glauben mögen. Recht häufig, von der Antike an, gibt es den sogenannten Pantheismus. Pantheisten pflegen eine Weltanschauung, in der sich Gott oder Götter ganz allgemein in der uns umgebenden Natur verkörpern. Diesen Pantheismus, wie wir noch sehen werden, kann es mit Gott und auch ohne einen solchen geben. Jedenfalls ist in dieser Geistesrichtung ein persönlicher Gott, der ein moralisch gutes Leben belohnt und ein weniger gutes bestraft, nicht vorgesehen. Unter dem Begriff Theismus schließlich werden all jene Anschauungen zusammengefasst, in denen der Glaube an einen Gott oder mehrere Götter grundlegend ist, wie immer auch diese beschaffen sein mögen.
Frühgeschichte
Wie und wann und wo fingen Religion und ihr Gegenpol Atheismus überhaupt an? Diese Anfänge liegen im Dunkel der Geschichte, in prähistorischer Zeit. Zwar versuchen Archäologen immer wieder, urgeschichtliche Monumente wie Stonehenge in England oder Göbeklitepe in der Türkei, um nur zwei Beispiele zu nennen, als religiös motiviert zu deuten, aber eindeutige Überlieferungen religiöser Art sind erst durch Kulturen möglich, die über eine Schrift verfügten und diese so fixieren konnten, dass sie bis in unsere Tage erhalten blieb. Soziologen und Ethnologen wie auch natürlich Philosophen versuchten und versuchen immer noch, in das Dunkel der Vorgeschichte vorzudringen, indem sie beispielsweise noch existierende sog. Naturvölker und ihre Verhaltensweisen studieren. Doch ist dieser Schluss von heute lebenden Naturvölkern auf die Völker der Vorgeschichte eine grundsätzlich fragwürdige Methode. Es wundert daher nicht, dass verschiedene Forscher zu ganz widersprüchlichen Aussagen kommen. Meint der eine, wie z. B. John Lubbock vor über 100 Jahren, der sich mit primitiven Volksstämmen in Australien und Feuerland und auch anderswo beschäftigte und herausfand, wie er meinte, dass es völlig atheistische Völker gebe oder gegeben habe. Er war der Meinung, die frühe Menschheit sei atheistisch gewesen, das heißt, sie habe keine Idee irgendeiner göttlichen Welt gehabt. Andere Forscher des ausgehenden 19. Jahrhunderts widersprachen dem jedoch und glaubten, bei sogenannten primitiven Völkern religiöse Gefühle und gar einen Urmonotheismus gefunden zu haben. Wieder andere fanden bei einigen afrikanischen Völkern, z. B. den Pygmäen und den Bantus, eine Art Deismus, sie glauben an ein höchstes, allmächtiges Wesen, dem häufig kein Kult gewidmet ist, denn dieser Gott sei unerreichbar und kümmere sich nicht um die Menschen. ¹
Aus dem alten Indien gibt es erstmals Dokumente, aus denen hervorgeht, dass es in Indien etwa 2000 Jahre früher als in Griechenland Atheisten gegeben hat. Selbst der Dictionaire théologie catholique räumt dies ein.² Wir halten fest: Schon in uralten Zeiten gab es nicht nur Religion, sondern auch deren Gegenpol, den Atheismus. Vermutlich entstanden beide gleichzeitig.
China bietet dann ein erstes Beispiel für die Vielfalt atheistischer Haltungen. Zu nennen sind da der späte Taoismus ebenso wie der Mystizismus von Laotse und der Buddhismus sowie insbesondere die zentrale Religion des traditionellen Konfuzianismus, der ein wahres Kaleidoskop atheistisch-religiöser Facetten darstellt, wie der Buddhismus eine Art Religion ohne Gott. Auch im antiken Persien ist unter dem Namen Zervanismus eine atheistische Strömung zu finden, mit Zervan als höchstem unpersönlichem Prinzip, einer Spekulation über die unendliche