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Monster
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eBook308 Seiten4 Stunden

Monster

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Über dieses E-Book

Auf der Nordsee wird die Crew einer Yacht brutal ermordet. Der Kapitän ist der einzige Überlebende und behauptet, dass es ein schreckliches Monster gewesen ist. Kommissar Michael Logat beginnt zu ermitteln und gerät dabei selbst in das Visier des grausamen Killers. Doch als er der Lösung des Falles näher kommt, steht er einem neuen, noch viel größerem Gegner gegenüber, dessen Einfluss bis in die höchsten Regierungskreise reicht. Für ihn beginnt ein Kampf auf Leben und Tod
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Aug. 2017
ISBN9783742777461
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    Buchvorschau

    Monster - Manuel Blötz

    Nordsee, 30 Seemeilen vor Brunsbüttel, 2014

    Seine Augen suchten in der Dunkelheit nach einem festen Punkt. Der Mond hatte sich hinter den dicken Wolken versteckt, so dass kein Licht durch die Panoramafenster in den Salon durchdrang. Nicht einmal die Umrisse der Möbel konnte er ausmachen. Er wusste zwar, wo der Mahagonitisch stand und auch die zwölf italienischen Sovrana Stühle, auf denen er und seine Gäste normalerweise gemeinsam zu Abend aßen, aber er konnte sie nicht sehen. Er kannte die Samphire wie seine Westentasche. Jeder Quadratzentimeter hatte sich in den letzten zehn Jahren, seitdem er die sechzig Meter lange Benetti Yacht gekauft hatte, in sein Gedächtnis gebrannt.

    Er streckte die Arme nach vorne und versuchte, etwas zu ertasten. Carsten brauchte einen Anhaltspunkt. Seine Hände zitterten, als er die Lehne des ersten Stuhles zu fassen bekam. An der Art wie der Stuhl stand, wusste er, wo er sich befand, und bewegte sich jetzt schneller, um den Salon hinter sich zu lassen und die Brücke zu erreichen.

    Er machte einen Schritt nach vorne, doch plötzlich rammte ihn etwas zur Seite, so dass er gegen den Tisch knallte. Carsten wurde auf den Boden geschleudert und die Wucht war so stark, dass er die Orientierung verlor.

    Es war also noch da. Er hatte Schwierigkeiten, die Atmung zu kontrollieren. Der Schmerz des Aufpralls und die Panik legten sich wie zwei unsichtbare Hände um seinen Hals und drückten ihm die Luft ab. Er hatte das Gefühl, als würde er ersticken.

    »Reiß dich zusammen Carsten. Du bist noch immer der Herr deiner Sinne!« Er musste die Worte laut aussprechen, damit er sie glauben konnte, denn es war ganz und gar nicht so, als wenn er die Kontrolle über sich hatte.

    Der größte Teil seiner Erinnerungen aus den letzten Stunden, war wie ausradiert. Es waren nur noch Bruchstücke und nicht einmal in diesem Moment, wo er unter Schmerzen am Boden hockte, konnte er verstehen, was passiert war. Er wurde angegriffen, so viel wusste er. Auch, dass er auf der Flucht vor einem Jäger war. Aber warum?

    Er lauschte in die Dunkelheit. Die gespenstische Stille, die ihn umgab, beruhigte und beunruhigte ihn zugleich. Er war sich sicher, dass es ihn beobachtete und mit ihm spielte. Sitzen zu bleiben, war keine Option, also schwang er sich unter Schmerzen auf die Beine und suchte erneut einen Fixpunkt.

    Ein Flüstern. Er hörte es zwar, verstand es aber nicht. Verwirrt guckte er in alle Richtungen und versuchte, das Geräusch zu lokalisieren, musste aber einsehen, dass es unmöglich war. Das Geflüster kam von überall. Von oben, von links und von rechts, von vorne und auch von hinten. War es nur einer, der ihn jagte, oder waren es mehrere? Die Panik kam zurück und auch seine Brust schnürte sich wieder zu.

    Er machte einen Schritt, hielt jedoch sofort inne. Er konnte nicht glauben, was er sah. Auf dem Boden, genau dort, wo er soeben hintreten wollte, brach plötzlich ein Feuer aus. Er spürte die Hitze und der Geruch nach verbranntem Holz stieg ihm in die Nase. Doch etwas war seltsam. Es brannte. All seine Sinne bestätigten das, aber es gab kein Licht von sich. Dort waren nur die Flamme und der schwarze Hintergrund.

    Er hatte keine Zeit, um zu verstehen, wie das möglich war. Er musste fliehen. Er machte einen Schritt nach rechts und in der Sekunde, als er an den Flammen vorbei ging, stieß er gegen etwas Weiches. Ein quiekender Laut entwich seiner Kehle und er erstarrte in der Bewegung. Vorsichtig, beinahe behutsam, hob der die Hände, um zu fühlen, was sich ihm in den Weg gestellt hatte. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er bemerkte, dass es keine Einbildung war. Der linke Zeigefinger traf zuerst auf das Hindernis. Es stand direkt vor ihm, da gab es nicht den Hauch eines Zweifels. Er sog die Luft ein, als er die Haare fühlte, die seine Finger jetzt berührten und sprang zurück.

    Mit einem ohrenbetäubenden Knall zersprang die Vitrine aus Kristallglas hinter ihm an der Wand. Mit aufgerissenen Augen wartete er auf den unvermeidlichen Aufprall auf dem Boden. Er spürte wie die scharfen Kanten, des zerschmetterten Glases, tiefe Schnitte in seiner Haut hinterließen. Unter ihm breitete sich eine Lache aus einer Mixtur der exklusivsten Whiskeys, Weinbrände, Rums und Wodkas aus.

    Wie hatte es so weit kommen können? Noch vor zwei Tagen hatte er die Samphire aus der Werft in Southampton aus der Inspektion abgeholt. Carsten mochte es nicht, wenn er sein geliebtes Schiff aus der Hand geben musste. Für ihn waren die Leute, die die Wartung durchführten, allesamt Stümper. Schmierige Typen, die nach jedem Besuch behaupteten, dass er gerade noch rechtzeitig gekommen sei, um größere Schäden zu verhindern. Ein guter Kapitän aber kennt sein Boot und weiß am besten, was es braucht.

    Eine Inspektion und der damit verbundene dreitägige Stopp in England kostete ihn immer ein kleines Vermögen, ganz zu schweigen davon, dass er in dieser Zeit keine Gäste befördern konnte. Normalerweise schwimmt die Samphire in den Gewässern, rund um die Kanarischen Inseln und vor Afrika. Sie bringt die Reichen und Schönen vom Kieler Hafen aus über den Nord-Ostsee Kanal, entlang an der europäischen Küste bis nach Gran Canaria, Teneriffa, Fuerteventura und anschließend den afrikanischen Kontinent hinunter bis nach Kapstadt. Die Reise war nicht besonders günstig. Die Yacht hatte sechs Kabinen, von denen eine für die Crew war und die anderen Fünf für die jeweiligen Gäste. Zeitweise waren zehn Reisende und vier Stewarts an Board. Der Preis für eine Fahrt lag pro Person in einem hohen sechsstelligen Bereich, dafür hatten die Passagiere jedoch alles inklusive und genossen den höchsten Luxus. Es ging also weniger um das Ziel, sondern vielmehr um die Reise.

    In den Kreisen der Highsociety kannte man ihn und diese Überfahrten. Die Kunden kamen von überall aus der Welt angereist und jeder, der sich für etwas Besonderes hielt, musste sie mitgemacht haben. Es dauerte teilweise bis zu einem Jahr, um einen Platz auf der Yacht zu bekommen.

    Natürlich erwarteten die Gäste für einen so hohen Preis, dass er ein makelloses Wartungsbuch vorweisen könnte.

    Wenn die Passagiere schliefen, saß er auf der Brücke und genoss die Aussicht über die dunkle See. Er vermied es, zu schlafen solange es ging, denn ansonsten träumte er jede Nacht von dem Vorfall, der sich vor zehn Jahren abgespielt hatte und wachte dann schweißgebadet in seinem Bett auf.

    Da er ohnehin nicht viel Zeit in seiner Kajüte verbrachte, gab es keine Notwendigkeit diese großartig einzurichten.

    Drei mal drei Meter, mehr Platz gab es dort nicht, aber es reichte, um ein Bett aus einem einfachen Holzgestell unterzubringen, dass so aussah, als wenn er es aus einer Jugendherberge gestohlen hätte. Aus einem Bullauge in der Mitte des Raumes konnte er auf die offene See blicken und direkt darunter hatte er einen Sekretär untergebracht, auf dem das Logbuch lag. Es gab weder Fotos noch Bilder von Familienmitgliedern, was daran lag, dass seit dem Kauf der Samphire, niemand mehr mit ihm verwandt war.

    Carsten hatte seine Kajüte direkt neben der Brücke einbauen lassen, so dass er im Notfall sofort vor Ort wäre.

    Seine Exfrau Alisha hatte sich vor sechs Jahren von ihm scheiden lassen und Kinder gab es keine. Carsten war über beide Ohren verliebt und ignorierte die Tatsache, dass eine so junge und wunderschöne Frau sich in einen wie ihn fast unmöglich verlieben würde. Sie war von Anfang an auf sein Geld und eine deutsche Staatsbürgerschaft aus.

    Er hatte sie bei seinem Aufenthalt in Afrika kennengelernt. Einen Tag nachdem das grausame Ereignis passierte, welches ihm seither schlaflose Nächte bereitete. Alisha schaffte es in kürzester Zeit, ihn um ihren Finger zu wickeln, indem sie ihn umwarb und auch im Bett keine Grenzen kannte.

    Da weder sie noch er eine Familie vorweisen konnte oder Freunde, die es Wert gewesen wären, sie einzuladen, feierten die Beiden ihre Hochzeit nur zu zweit.

    Nachdem Alisha es die vorgeschriebenen zwei Jahre mit ihm ausgehalten hatte, schob sie ihm pünktlich zum zweijährigen Hochzeitstag die Scheidungspapiere über den Tisch. Sie machte zuvor nie den Eindruck auf ihn, als wenn sie ihre Gefühle nur vortäuschen würde. Doch an diesem Tag war jegliche Liebe und Zuneigung von ihr gewichen. Sie blickte ihn mit Verachtung an und erst, als er sah, um was es sich handelte, verstand er.

    Den Gewinn, den er mit den Überfahrten verdient hatte, musste er mit ihr teilen, was ihr ein paar Millionen einbrachte. Es störte ihn jedoch nicht, er brauchte kein Geld. Er lebte auf der Samphire und alles, was er zum Leben benötigte, hatte er dort.

    Erst als sie auch an die Yacht wollte, lief Carsten zur Höchstform auf. Es gab eine Schlammschlacht, die er am Ende für sich entscheiden konnte, da er die Benetti weit vor ihrer Ehe gekauft hatte.

    Seine Exfrau kaufte sich von seinem ehemaligen Vermögen ein Haus in Norderstedt. Eine riesige weiße Villa inmitten einer grünen, weitläufigen Landschaft.

    Carsten selbst machte einfach da weiter, wo er einen Tag vor ihrem zweiten Hochzeitstag aufgehört hatte. Er brachte Touristen von Kiel nach Afrika. Carsten ließ es sich nicht anmerken, dass er in Scheidung lebte und wenn einer seiner Gäste fragte, wo Alisha war, behauptete er einfach, sie wäre zu ihrer Familie nach Afrika zurückgegangen. Zum Glück stiegen die Passagiere immer in Kapstadt aus und nahmen dann ein Flugzeug für die Heimreise. Er bot grundsätzlich nur eine Hinfahrt an. Die Strecke nach Kiel zurück, fuhr er ausschließlich mit der Mannschaft.

    Er gab sich stets charmant gegenüber seinen Kunden und diese würden ihn als herzensguten Menschen darstellen. Dennoch war Carsten kein geselliger Mann. Er mochte die Ruhe und fühlte sich wohler, wenn er alleine sein konnte. Er hatte ausgerechnet, dass allein die Hinfahrt seine Kosten deckte und einen ordentlichen Gewinn einbrachte. Die Reise zurück nach Kiel nutzte er, um für sich sein zu können. Seine Crew wusste das und ließ den Kapitän mit seinem Ruder alleine.

    Die Samphire zu kaufen war eine spontane Idee. Er hatte sich damals schnell in sie verliebt, fast noch schneller als in Alisha. Dieses Boot zog ihn magisch an. Es schien ihm seinerzeit wie ein Wink des Schicksals zu sein. Er bekam die Yacht angeboten und kurz zuvor erst die Mittel, um sie sich überhaupt leisten zu können.

    Nie wäre ihm der Gedanke gekommen, dass ein Leben auf See etwas für ihn sein könnte. Er hatte früher einen Doktortitel besessen und war Theoretiker, kein Praxismensch. Die Situation erforderte es jedoch, dass er umdisponieren musste und kaum hatte er den Anker das erste Mal gelichtet, spürte er eine Vertrautheit, wie sie zuvor nie da gewesen war. Er fühlte die Freiheit, verglich sich mit Kapitän Nemo. Der gesamte Ozean der Welt lag ihm zu Füßen, er konnte alles machen, was er wollte. Es gab niemanden mehr, der ihn herumkommandieren würde. Er traf ab jetzt seine Entscheidungen selber.

    Ein einziges Bild hing in seiner Kajüte direkt über dem Bett. Es war ein Ölgemälde von ihm selbst. Ein Künstler namens Jacque DeFleur hatte es einst gemalt, während er Gast an Bord der Samphire war. Carsten mochte den Kerl nicht besonders. Er hatte eigentlich so gut wie keine Vorurteile, aber dieses tuntige, metrosexuelle Verhalten, das er an den Tag legte, machte ihn aggressiv. Jede noch so kleine Welle war für Jacque wie ein perfekter Pinselstrich der Natur. Carsten fürchtete die abendlichen Rundgänge über sein Schiff. Er hatte Angst davor, dass er Jacque eines Tages dabei erwischen würde, wie er onanierender Weise an der Reling stand, weil ihm der Anblick des Mondes, wie er sich auf der Wasseroberfläche spiegelte, erregte. Als sie dann im Hafen von Kapstadt einliefen und sich alle voneinander verabschiedeten, überreichte Jacques ihm das Gemälde. Carsten überkam sofort ein schlechtes Gewissen. Hin und wieder schickten die Passagiere ihm eine Ansichtskarte aus dem Urlaub nach der Überfahrt, die er meist direkt in den Müll warf, aber noch nie bekam er etwas so Persönliches von einem Gast geschenkt.

    Es war eines der wenigen Bilder von ihm, die er mochte. Dieses kantige, wettergegerbte Gesicht, welches ihm die See über die Jahre verpasst hatte. Die weißen Haare und der Vollbart ließen ihn aussehen, wie Käpt´n Iglo, nur mit einer heroischen und respekteinflößenden Aura. Die Präsenz, die das Gemälde ausstrahlte, schüchterte sogar ihn selber ein.

    Die Augen taxierten jeden Betrachter mit einem finsteren Blick, der aus allen Winkeln des Raumes so aussah, als würden sie einen genau beobachten.

    Er verbrachte nie viel Zeit in seiner Kajüte. Die Brücke war sein Wohnzimmer und das verließ er nur dann, wenn es unbedingt nötig war. Nur dort fühlte er sich wohl, denn hier hatte er die Kontrolle über sich und alles andere.

    Doch heute war es anders. Er saß nicht auf dem lederbezogenen Stuhl hinter den riesigen Fensterscheiben, von wo aus er den Bug und die offene See sehen konnte. Er kommandierte nicht seinen Steuermann und auch nicht die restliche Besatzung. Er war nicht mal auf seiner Brücke.

    Er lag in den Scherben der Vitrine, die eben noch mit den teuersten alkoholischen Getränken gefüllt war. Nur sehr langsam kam er wieder zu sich. Er konnte sich an alle Einzelheiten seiner Vergangenheit erinnern. Daran, wie er und Alisha sich zum ersten Mal küssten oder wie er den Rumpf der Samphire mit den Händen berührte, kurz nachdem er sie gekauft hatte. Er besaß ein aldetisches Gedächtnis! Selbst wenn er es wollte, konnte er nichts vergessen. Und dennoch war dort eine Lücke. Jedes noch so kleine Detail brannte sich in seine Erinnerungen ein, als wären es Meilensteine in seiner Geschichte. Nur die letzten vierundzwanzig Stunden fehlten ihm, als wenn sein Gehirn versäumt hätte, sich einzuschalten und die Erlebnisse abzuspeichern.

    Carsten drehte sich auf den Bauch. Er blickte wie durch einen Wasserfall, denn seine Tränen sammelten sich vor der Netzhaut. Die Schmerzen, die die Einschnitte des Glases bei jeder Bewegung hinterließen, waren unerträglich. Seine Arme und Beine fühlten sich schlaff an, so als hätte er einen Marathon gelaufen und dabei die ganze Zeit Gewichte gestemmt.

    Nur mit viel Mühe richtete er sich auf und seine Hände griffen nach dem Mahagonitisch. Das Feuer, das er eben noch sah, war erloschen. Es gab keine Glut. Keinen beißenden Geruch. Nichts, was auf einen Brand hinwies. Spielte sein Gehirn ihm Streiche? Dachte er sich das alles nur aus?

    Sein Blick ging verwirrt zu den Punkten im Raum, an denen er die Türen vermutete. Es war noch immer stockdunkel. Jemand musste den Strom abgeschaltet haben. Aber wer? Und wiese sprang die Notbeleuchtung nicht an? Normalerweise dauerte es nur zwanzig Sekunden. Er irrte jedoch seit mehreren Minuten in der Finsternis herum.

    Carsten tastete sich langsam in Richtung der Treppe vor, die zur Brücke hoch führte. Er wurde wieder panisch und sein Herz klopfte vor Angst so heftig unter der Brust, dass es jeden Moment zu explodieren drohte. Im fiel wieder ein, dass er gejagt wurde.

    Er hörte Schritte. Schwere Schritte. Er spürte, wie es ihn beobachtete.

    Ich kann es hören, es wird mich töten. Er wollte nicht sterben.

    Wieder ein Flüstern. Dann schlug eine große Welle gegen die Samphire und brachte sie fast zum Kentern. Die anderen Gläser und Flaschen rissen aus ihren Halterungen und wurden an die holzvertäfelte Wand geschleudert. Sie zersprangen laut in ihre Einzelteile. Carsten wurde erneut auf die Seite gerissen.

    Als sich das Boot wieder aufrichtete, kam er zurück auf die Beine und verstand die Welt nicht mehr. Noch vor ein paar Sekunden lag die Samphire ruhig in der See und plötzlich waren sie in einen Hurrikane geraten?

    Er spürte einen Windzug, dann einen warmen Hauch in seinem Nacken, so als würde jemand hinter ihm stehen. Er wirbelte herum, doch als seine Hände in die Dunkelheit griffen, war dort nur der leere Raum.

    Wo war es hin? Hatte es ihn mittlerweile umkreist? Lauerte es auf dem Tisch und kostete seine Angst aus? Ich kann es hören. Ich höre, wie es atmet.

    Carsten suchte wieder nach der Treppe. Er lauschte angestrengt, woher das Atemgeräusch kam.

    Flüstern. Und dann war es still. Kein Geräusch, keine Atmung mehr. Nur seine Eigene. Die Samphire lag wieder ruhig in der See. Carsten tastete in seiner Umgebung nach bekannten Gegenständen, um sich erneut zu orientieren. Er griff nach links und nach rechts. Suchte nach dem Tisch, konnte ihn aber nicht finden. Eben war er doch noch da. Wo war er hin? Stattdessen ertasteten seine Finger etwas, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er spürte die Haare und war sich sicher, dass es keine Einbildung war. Es stand jetzt direkt neben ihm.

    Seine Gedanken überschlugen sich, die Augen suchten fieberhaft in der Dunkelheit nach der Treppe, doch er sah nur Schwärze und hatte plötzlich keine Ahnung mehr, wo er war.

    Doch plötzlich sprang die Notbeleuchtung an und tauchte den Raum in ein bedrohliches Rot. Waren tatsächlich nur zwanzig Sekunden vergangen? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Wie konnte das sein? Oder wurde sie manipuliert?

    Carsten war erleichtert, doch als die Umrisse vor ihm anfingen, Formen anzunehmen, verschlug es ihm den Atem. Für einen kurzen Moment stand er auf der Stelle. Unfähig auch nur einen Muskel zu bewegen und versteinert vor Angst. Jetzt war es soweit, die Jagd hatte ein Ende. Es kauerte direkt vor ihm, keinen Meter entfernt und regte sich nicht. Sein Herz sprang ihm fast aus der Brust. Er schloss die Augen und rannte los, in der Hoffnung den Körper vor ihm aus dem Weg zu rammen. Durch das Notlicht wusste er nun, wo die Treppe war und während er darauf zu rannte, prallte er ständig gegen etwas Weiches. Hände griffen nach ihm, versuchten, ihn festzuhalten. Er wandte sich, wich aus. Wie schaffte es dieses Ding, immer wieder ihn zu überholen und sich ihm in den Weg zu stellen?

    »Lass mich los, lass mich in Ruhe!«, brüllte Carsten. Er erreichte den Aufgang und nahm jeweils zwei Stufen auf einmal. Er hielt inne. Die dicke graue Stahltür, die die Brücke vom Rest des Schiffes trennte, war verschlossen. Er hatte sie offen gelassen. Er sperrte sie nicht ab, wenn er keine Gäste beförderte.

    Er griff nach dem großen Hebel und versuchte ihn nach unten zu ziehen, doch sie schien zu klemmen. Wieder Schritte. Dieses mal deutlich lauter. Es gab keinen Zweifel. Es ging auf ihn zu. Panisch mobilisierte er seine letzten Kraftreserven und schaffte es schließlich, den Hebel nach unten zu ziehen. Er sprang durch die Tür und wollte sie gerade zuwerfen, als er einen Schatten sah, der die Treppe hochkam.

    Carsten drehte sich um. Er stand auf der Brücke.

    Sein Blick ging durch den Raum. Er suchte den Schatten, doch er war alleine.

    Wieder ein Flüstern. Carsten schloss die Augen. Er presste die Lider so stark zusammen, wie er nur konnte. Das Alles musste er sich einbilden. Anders konnte er es sich nicht erklären.

    Er atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor er die Augen öffnete.

    Sein Herz setzt einen Schlag aus, als er aus dem Fenster vor sich sah. Der Horizont kippte plötzlich nach oben und er selber drohte nach hinten zu fallen. Instinktiv krallte er sich an dem Kapitänsstuhl fest und wartete auf das Unvermeidliche. Er konnte kurz einen leichten Schimmer sehen, an der Stelle wo der Mond hinter den Wolken lag. Ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Fast so, als hätte jemand die Zeit eingefroren. Dann kippte die Samphire von der Welle und rauschte nach unten. Carsten sah die harte Wasseroberfläche, auf die sein Schiff jetzt zuraste.

    Für Sekunden war er schwerelos und seine Beine hoben ab. Sein Griff wurde vom Stuhl gelöst und als der Bug einschlug, konnte er sich nicht mehr festhalten und wurde auf das Steuerpult geschleudert. Noch nie in seinem Leben hatte er einen solchen Schmerz wie diesen gespürt. Es gab ein lautes Knacken, als die Hebel und Knöpfe seine Rippen brachen und es raubte ihm fast die Sinne. Ihn überkam eine Müdigkeit, so als wenn sein Verstand in die Bewusstlosigkeit abtauchen wollte. Aber er durfte nicht einschlafen. Nicht so lange es ihn noch jagte.

    Das Schiff schoss wieder aus dem Wasser hervor und er wurde auf den Boden vor dem Pult geschleudert. Er knallte dabei mit dem Kopf auf die Halterung des Stuhles und sah für kurze Zeit Sterne. Er spürte, wie aus der Platzwunde an der Stirn warmes Blut über sein Gesicht lief. Er raffte sich trotz starker Schmerzen wieder auf.

    Flüstern. Er blickte aus dem Fenster in Richtung Bug. Die Wellen waren weg. Die Nordsee lag glatt wie ein Teppich vor ihm. Fast so, als wenn es nie einen Sturm gegeben hätte.

    Carsten legte eine Hand an die Stelle, an der seine gebrochenen Rippen schmerzten und humpelte zur Konsole hinüber, an dem das Funkgerät angebracht war.

    Er hörte Schritte und drehte sich zu Tür um, durch die er eben selber die Brücke betreten hatte. Er erschrak, denn da stand es. Blickte ihn direkt an. Carsten machte einen Schritt zurück und stolperte, so dass er auf dem Hintern landete. Er neigte den Kopf zur Seite und sah, dass er nicht mehr weit weg vom Funkgerät war. Er robbte rückwärts zur Konsole und guckte dabei zum Eingang. Es war groß, hatte ein getigertes Fell und dunkle schwarze Augen, die mit einer leuchtenden gelben Iris durchzogen waren. Es sah aus wie ein Tiger, nur dass es nicht auf allen Vieren lief, sondern aufrecht stand. An den Pfoten prangten lange scharfe Krallen und in seinem Maul konnte er die Reißzähne erkennen, an denen der Speichel herablief. Es hatte den Kopf auf die Seite gelegt, so als würde es sich erstmal anschauen, was sein Opfer als Nächstes machen wollte. Ohne dabei die Gefahr zu sehen, dass es ihm entkam.

    Carsten stieß mit dem Rücken gegen die Konsole und griff mit der rechten Hand nach oben, um den Hörer vom Pult zu nehmen. In diesem Moment kam es mit langsamen Schritten auf ihn zu.

    Er drückte den Sprechknopf.

    »SOS! Hilfe! Bitte helfen Sie uns! SOS!«, brüllte er.

    »Hier spricht die Küstenwache. Identifizieren Sie sich und nennen Sie uns ihre Position!«

    »Mein Name ist Käpt´n Carsten Svensson, ich bin auf der

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