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Raetia: Invidia - Eifersucht und Missgunst
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eBook547 Seiten7 Stunden

Raetia: Invidia - Eifersucht und Missgunst

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Über dieses E-Book

Ein Skandal erschüttert Augusta Vindelicum, die ruhige Hauptstadt der römischen Provinz Raetia. Caecina, die Gattin des ehemaligen Quaestors Publius Tenatius Essimnus, wurde von ihrem Ehemann des Mordversuchs und der Giftmischerei angeklagt. Claudius Paternus Clementianus wird als Sonderbeauftragter mit der Untersuchung des Falls betraut. Schnell kommen ihm Zweifel an der Schuld der Angeklagten. Doch wird es gelingen, Caecina vor einer harten Strafe zu bewahren? Auch in Claudius Privatleben ist Spannung. Einerseits sieht er mit Freude der Verlobung und der Hochzeit mit der Hebamme Alpina entgegen, andererseits kann er den erotischen Reizen der schönen Glycera nicht widerstehen. Zu allem Überfluss scheint auch Alpina Geheimnisse vor ihm zu haben. So verstricken sich die beiden Liebenden in ein feines Gespinst aus Lügen, Eifersucht und Zweifel.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Jan. 2015
ISBN9783738012699
Raetia: Invidia - Eifersucht und Missgunst

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    Buchvorschau

    Raetia - Melissa Jäger

    Ab urbe condita 847, im dreizehnten Regierungsjahr von Kaiser Titus Flavius Domitianus, unter den Konsuln L. Nonius Calpurnius Torquatus Asp

    Monat März, am III. Tag vor den Iden des März

    Das Frühjahr hielt Einzug in der Hauptstadt der römischen Provinz Raetia. Die Wiesen trugen ihr Festtagskleid aus bunten Frühlingsblumen. Sie schienen Proserpina zu begrüßen, die nach dem langen Winterhalbjahr in Plutos Reich auf die Erde zurückkehrte. Die Vögel taten es den Krokussen und Märzenbechern gleich und wetteiferten mit ihrem Gesang um die Aufmerksamkeit der Heimkehrenden.

    Im Haus des Lucius Alpius Virilis blieben die Frühlingsanzeichen unbemerkt. Ilara, die junge Ehefrau des Hausherren grübelte. Ihr Schwiegervater Tiberius war wieder zu seinem Landhaus zurückgekehrt. Nach den Feierlichkeiten zu den Iden des März, die den Beginn des militärischen Jahres markierten, war er einige Tage in Augusta Vindelicum verblieben, um seine Amtsgeschäfte und Besprechungen im Collegium der Seviri Augustales zu verrichten. Solange war er Ilaras Gast gewesen. Jetzt kehrte wieder Ruhe ein im Stadthaus der Alpii. Ilara schätze Tiberius sehr. Ob er mit seiner Frau Tibulla oder alleine kam, er war immer liebenswürdig und zuvorkommend zu ihr. Dass es zwischen ihm und ihr immer wieder zu intimen Zärtlichkeiten kam, war inzwischen auch Ilara nicht mehr peinlich. Sie liebte ihren Schwiegervater und konnte seine Zuneigung zu ihr richtig einschätzen. Ilara wusste, dass Tibulla keinen Verdacht schöpfte. In letzter Zeit kam sie nur noch selten mit, da sie immer häufiger krank war.

    Kurz nach den Saturnalien war ein Brief von ihrem Mann Lucius gekommen. Der Luxuswarenhändler berichtete, heil in Alexandria gelandet zu sein und dort einige, wichtige Geschäftskontakte geknüpft zu haben. Er plante, die Saturnalien in Palmyra zu verbringen und anschließend in die Provinz Asia weiterzureisen. Den Heimweg wollte er über Cyprus und Sicilia nehmen. Bislang verlief alles nach Plan, sodass er hoffte, nach dem Winter mit einem der ersten Schiffe die Heimfahrt antreten zu können. Das bedeutete, dass er im Mai zurückkehren würde.

    Ilara las die Zeilen ohne jede Gefühlsregung. Sie freute sich weder über seine guten Reisebedingungen noch auf die zu erwartende Rückkehr im Mai. Wie sie erschrocken feststellte, fürchtete sie auch keine schlechten Nachrichten. Gänzlich emotionslos las sie die Informationen, die der Brief lieferte. Tiberius freute sich hingegen sehr zu erfahren, dass die Geschäfte seines Sohnes gut vorangingen und erwartete sehnlichst seine Rückkehr. Ilara wollte ihn nicht enttäuschen und mimte die treu sorgende Gattin, auch wenn sie keinen Gedanken an Lucius verschwendete. Viel mehr Sorgen machte ihr, dass ihre Monatsblutung bereits seit einigen Tagen überfällig war. Eine Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt war mehr als ungünstig.

    ***

    Alpina strich sich die rotbraunen Haare aus den Augen. Sie hatten sich aus der Hochsteckfrisur gelöst und kitzelten nun lästig im Gesicht. Die Vierzehnjährige kam müde vom Unterricht nach Hause. Der griechische Grammaticus Eirenaios war unbarmherzig gewesen. Sie hatten wie üblich in Homers Odyssee gelesen und anschließend die Feinheiten der attischen Redekunst und Schriftsprache analysiert, wie sie für die zukünftige Karriere der jungen Männer der gehobenen Gesellschaft als erstrebenswert erachtet wurde. Wer in Politik und Gesellschaft Karriere machen wollte, musste in attischem Griechisch parlieren können. Dass sie als Mädchen gemeinsam mit den Söhnen der Oberschicht am Unterricht des Grammatiklehrers teilnahm, war ungewöhnlich. Doch Alpinas Vater, Centurio der berittenen Statthaltergarde, wünschte sich gebildete Töchter. Er hatte nach seinem Sohn aus erster Ehe auch die Schwestern Ilara und Alpina in die Schola geschickt. Während sich Ilara beim Studium der lateinischen und griechischen Sprache langweilte, ging Alpina darin auf. So kam es, dass der Grammaticus anbot, sie auch nach der Grundschule weiter zu unterrichten. Und darüber hinaus hatte Eirenaios ihr in Einzelstunden Zugang zum Verständnis der Schriften des Hippokrates ermöglicht. Schließlich wollte Alpina in die Fußstapfen ihrer Mutter treten und Obstetrix werden, wie man die Hebammen im römischen Reich nannte.

    Alpina liebte die anstrengenden Lehrstunden und genoss jede davon, umso mehr da sie wusste, dass es bald damit vorbei sein würde. Der Termin für ihre Verlobung war auf den fünfzehnten Tag vor den Kalenden des Iulius festgelegt worden. Die Hochzeit mit dem Ritter Claudius Paternus Clementianus würde am fünften Tag vor den Iden des Septembers, während der Ludi Romani folgen. Eirenaios hatte Alpina bereits zu verstehen gegeben, dass es sich für sie nicht geziemte, als verheiratete Frau noch Unterricht bei ihm zu nehmen. Mit Beginn der Feriae im Sommer würde also ihre Ausbildung enden. Deshalb sog sie förmlich jedes Wort auf, das der Lehrer von sich gab. Leider würde sie keine Gelegenheit mehr haben, mit dem alten Medicus Atticus die Medizingeschichte und die verschiedenen Medizintheorien zu erörtern. Der Grieche war nur kurz nach den Saturnalien ganz plötzlich verstorben.

    Als sie das Atrium betrat war es von einem unbeschreiblichen Stimmengewirr durchdrungen. Es hallte und dröhnte, und Alpina erkannte, dass Dolabella, die Gattin des Duovir mit ihren Dienerinnen sowie Vitula, ihre Nachbarin, anwesend waren. Alle redeten auf eine junge Frau ein, die wild gestikulierend antwortete. Diese junge Frau war Macata, Dienerin vom Caecina, der Gattin des ehemaligen Quaestors Tenatius Essimnus. Die Stimmung war aufgeheizt.

    Dolabella erkannte Alpina, kam auf sie zugelaufen und umarmte sie. „Alpina, Liebes, schön, dass du nun da bist. Stell dir vor, was geschehen ist: Caecina, die Frau des Essimnus ist wegen Mordversuchs verhaftet worden! Männer aus der Garde deines Vaters haben sie abgeführt! Ihr eigener Mann soll sie des Mordversuchs bezichtigt haben! Unglaublich, nicht wahr?"

    Dolabellas Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. Sie sprach so schnell, dass Alpina Mühe hatte, sie zu verstehen. Nun kamen auch Alpinas Mutter Elvas und die Dienerin der Caecina auf sie zu. Das Mädchen grüßte und sah ein wenig unsicher zu ihrer Mutter hin, die nicht weniger hilflos wirkte.

    Dolabella fuhr in unverminderter Geschwindigkeit fort: „Wir dachten, deine Mutter wüsste vielleicht ein wenig mehr über die Sache, da ihr Mann doch der Centurio der Equites Singulares ist, aber Elvas war noch nicht einmal informiert! Dein Vater ist anscheinend in der Therme und anschließend zum Festmahl im Procuratorenpalast. Der Statthalter hat Besuch aus Rom! Hast du schon gehört? Die neuen Statthalter für die beiden germanischen Provinzen sind hier - in Begleitung des hoch angesehenen Fabricius Veiento. Der Kaiser persönlich hat ihn geschickt, um die Verhandlungen mit den Germanenfürsten voranzutreiben. Licinius Sura löst Vestricius Spurinna in Untergermanien ab und Lusianus Proculus den Neratius Priscus in Obergermanien. Auch unser Rufus soll mit ihnen nach Mogontiacum ziehen, um in die Verhandlungen mit den Germanenfürsten einbezogen zu werden. Du kannst dir vorstellen, mit was für einem Tross diese edlen Herren aus Rom über die Alpen gekommen sind. Die meisten ihrer Soldaten und Gefolgsleute haben ein Lager auf der anderen Seite des Likias aufgeschlagen. Nur die Herren und ihre persönlichen Begleiter sind hier im Unterkunftshaus."

    Alpina konnte Dolabellas Informationsflut gar nicht so schnell verarbeiten. Sie war verwirrt. Die Gattin des vormaligen Quaestors war eine der angesehensten Damen von Augusta Vindelicum. Sie hatte ungefähr Elvas Alter. Alpina kannte auch ihre Kinder. Alle waren von Elvas entbunden worden. Cnaeus, der älteste Sohn und Gavia, die Alpinas Freundin und Mitschülerin war, lebten noch. Der jüngste Sohn war bereits kurz nach der Geburt gestorben. Cnaeus nahm Rhetorikunterricht bei Septimus Iulianus, einem angesehenen Advocatus und Redner. Er strebte selbst eine Laufbahn als Advocatus an.

    „Weiß denn niemand genaueres? Und wo ist eigentlich Gavia?", wollte Alpina wissen.

    Die aufgedonnerte Vitula drängte sich an Dolabella vorbei nach vorne. „Essimnus hat Gavia verboten, das Haus zu verlassen! Er möchte nicht, dass sie mit jemandem spricht, bevor die Vorverhandlung stattgefunden hat. Macata kam etwa zur siebten Stunde ganz aufgeregt zu uns gelaufen Du weißt ja, wir wohnen praktisch gegenüber. Sie war ganz und gar aufgelöst und berichtete, dass ein Sonderermittler des Ädils Vindelicus mit einem ganzen Trupp Soldaten gekommen sei und der Hausherrin einen Brief des Ädils, der von Rufus persönlich gegengezeichnet war, ausgehändigt habe. Caecina sei schlagartig blass geworden und habe gestammelt: Das kann er doch nicht machen! Dann habe der Sonderermittler sie festgenommen und in die Principia der Singulares Legati abführen lassen. Der Ermittler und einige seiner Männer haben die Küche, die Vorratskammer und die Privaträume Caecinas durchsucht und einiges an Kräutern und anderen Utensilien eingepackt und mitgenommen. Das sei Beweismaterial, hat er gesagt."

    Alpina schwante Böses. „Wer war der Sonderermittler?", fragte sie vorsichtig.

    „Claudius Paternus Clementianus, der Ritter, der dem Vindelicus als Adiutor zur Seite steht. Sag, Alpina, soll er nicht dein Mann werden?"

    Vitula schien vor Neugier förmlich zu platzen. Alpina nickte nur zaghaft. Sie wusste, dass sie Claudius heute nicht dazu würde befragen können. Er hatte sicher noch einiges in dieser Sache zu tun und den Abend würde er mit Sicherheit beim Festmahl des Statthalters verbringen. Sie wandte sich wieder Vitula zu. „Welche Strafe erwartet Caecina denn, wenn sie wegen Mordversuchs angeklagt werden sollte?"

    Es wurde still im Atrium. Als Dolabella aussprach, was alle bereits ahnten, hallten ihre Worte von den bemalten Wänden wieder: „Der Tod oder mindestens die Verbannung!"

    ***

    Claudius Paternus Clementianus schwirrte der Kopf. Er hatte so viele Aufgaben zu bewältigen. Der Tag war anstrengend und nervenaufreibend gewesen und er war ja noch lange nicht vorbei. Claudius war erst spät in die Therme gekommen. Die meisten Gäste waren bereits gegangen, als er sich müde in eine der warmen Marmorwannen gleiten ließ.

    Als er am Morgen das Officium betreten hatte, war er von Racilius Tremerus, der den Quaestor Essimnus im Amt abgelöst hatte, aufgeregt empfangen worden. Tremerus war ein Mann der Stadtnobilität. Seine Eltern waren von Kaiser Claudius zu römischen Bürgern erklärt worden und hatten unter Vespasianus den Ritterstand verliehen bekommen. Ihren Reichtum verdankte die Familie dem Textilhandel. Tremerus führte das Geschäft seiner Eltern fort. Er importierte feine Stoffe aus dem Süden und exportierte im Gegenzug die immer beliebter werdenden keltischen Kapuzenmäntel, die warm und wasserdicht waren, über die Alpen. Tremerus war etwa fünfzig Jahre alt, seine kläglichen Haarreste umgaben die spiegelnde Glatze wie ein Lorbeerkranz.

    „Ich muss den Ädil Vindelicus sprechen, es ist dringend!", sagte er in forderndem Ton, ohne sich mit den üblichen Höflichkeiten aufzuhalten.

    Claudius hob die Augenbrauen und strich sich über den kurzgeschnittenen Vollbart. „Salve, Quaestor Tremerus! Der Ädil ist noch nicht hier, aber wenn es so dringend ist, werde ich sofort einen Boten zu Euch schicken, wenn er kommt. Er wollte heute Morgen noch einige private Dinge erledigen. Soll ich einen Sklaven zu ihm schicken?"

    „Oh ja, tut das, Clementianus! Es ist eine Ungeheuerlichkeit geschehen, und ich brauche ihn dringend! Das ist eine äußerst delikate Angelegenheit! Er soll umgehend in mein Officium kommen!"

    Claudius nickte und holte einen der kaiserlichen Sklaven, die als Boten Dienst taten. Als er ins Officium zurückkehrte, hatte Tremerus bereits seinen Amtsvorgänger Essimnus dazugeholt. Er trug ein eigenartiges Bündel in der Hand. Claudius begrüßte den ehemaligen Quaestor höflich, und als sein Blick fragend an dem Bündel hängen blieb, legte Essimnus es auf den Schreibtisch des Ädils und knotete es auf. Darin befanden sich eine verkorkte Phiole mit einer gelblichen Flüssigkeit, ein Bleiplättchen, ein zusammengerollter Papyrus und einige Tüten, wie man sie auf dem Markt oder in den Läden der Stadt bekam, wenn man kleinere Mengen Obst, Gemüse oder Kräuter kaufte. Irritiert sah der Ritter auf die Sammlung des Quaestors. Dieser erklärte: „Das sind meine Beweise! Stell dir vor, Clementianus, meine eigene Frau hat versucht, mich zu verhexen und schließlich sogar, mich umzubringen - zu vergiften - um genauer zu sein!" Er sah Claudius in die Augen.

    „Vergiften?" Der Adiutor konnte es kaum fassen. Er besah sich die Utensilien, die Essimnus auf den Tisch gelegt hatte, genauer. Auf dem Bleiplättchen waren in winziger Schrift einige Worte eingekratzt. Claudius musste das Täfelchen ganz nah an seine Augen halten, um die Schrift lesen zu können.

    „Proserpina, die du über die Unterwelt herrscht, bitte ich, dir übergebe ich den Publius Tenatius Essimnus, Sohn des Sextus Tenatius, damit du ihn schnellstens wegführst und bei dir unter den Toten des Schattenreiches behältst."

    Entsetzt sah der Ritter den Quaestor an.

    „Das kann doch nicht wahr sein! Essimnus, wo hast du das gefunden?"

    „Es lag unter meinem Bett. Als ich es fand, bin ich stutzig geworden. Dann habe ich die Kammer meiner Gattin Caecina durchsucht. Dort fand ich eine Kiste mit diesen Kräutern, der Phiole und diesem Papyrus, auf dem eine Giftrezeptur vermerkt ist."

    Er reichte Claudius die Papyrusrolle, die mit einer Schnur verschlossen war.

    10 Unzen vom Horn eines Hirsches, fein zerrieben zu feinem Pulver, vermischt mit einer Unze des wilden Eisenhutes, die du zuvor klein geschnitten hast. Dieser Mischung gibst du nun Blätter, Blüten und Beeren der Myrte bei, die du zuerst in Regenwasser eingeweicht und dann im Schatten getrocknet hast. Verrühre das Ganze mit einem Sud aus Rosenwasser, Palmzweigen, Olivenblättern und Früchten des Olivenbaumes. Davon gib deinem Mann 20 Tage lang dreimal täglich je einen gehäuften Löffel voll, und der Erfolg wird dich überzeugen."

    Claudius war fassungslos. „Ich glaube es nicht! Zwar kenne ich mich nicht so gut aus mit Kräutern und Giftpflanzen, aber Eisenhut, Aconitum, ist eine Giftpflanze, da bin ich mir sicher!"

    Der Quaestor nickte. „Ich weiß nicht, wie viel sie mir davon bereits verabreicht hat, aber ich fühle mich schon seit mehren Wochen nicht gut. Ich bin schwach und leide unter Muskelkrämpfen und Übelkeit. Gestern habe mich heftig übergeben müssen und Schwindelanfälle begleiten mich schon seit geraumer Zeit."

    Claudius sah den Mann mitleidig an.

    „Das hätte ich Caecina niemals zugetraut! Ich dachte wirklich, dass sie dir eine gute Frau wäre. Was ist in den Tüten und in der Phiole?"

    Essimnus hob die Tüten hoch. Sie waren aus gebrauchten Papyrusblättern gefaltet, die vorne und hinten eng beschrieben waren. Er öffnete eine und ließ Claudius hineinsehen. In dieser Tüte waren Olivenblätter. In einer anderen Myrtenblätter, Blüten und Beeren. In den weiteren Vorratstüten fanden sich Stücke eines Hirschhornes, Palmblätter und das Kraut einer Pflanze, die Claudius nicht kannte.

    „Ist das Aconitum?", fragte er Essimnus.

    „Ich nehme es an. Auf den Tüten sind einzelne Buchstaben umkreist. Wenn man diese Buchstaben in der richtigen Reihenfolge zusammensetzt, ergeben sie die Inhaltsstoffe der Rezeptur."

    „Hochinteressant! Claudius hielt die Tüte so, dass er die umkreisten Buchstaben erkennen konnte: „A, C, O, N, I, T, U, M! Eisenhut – kein Zweifel!

    Schließlich hielt Essimnus dem Ritter die Phiole entgegen. Dieser entkorkte sie und hob sie unter seine Nase. Ein schwacher Rosenduft war wahrnehmbar: das Rosenwasser!

    „Hast du Caecina zur Rede gestellt?" Claudius sah den ehemaligen Quaestor neugierig an.

    „Oh ja! Zunächst habe ich diese Beweise sichergestellt und dann habe ich sie damit konfrontiert. Aber sie streitet alles ab! Sie ist sogar so unverschämt zu behaupten, es handle sich um eine Rezeptur „zur Stärkung meiner geschwächten Manneskraft!"

    „Deiner Manneskraft?"

    „Ja! Unverschämtes Weibsstück! Schamloses Geschöpf!"

    „Und wie erklärt sie das Bleiplättchen?"

    Claudius drehte die kleine Tafel zwischen den Fingern. Auch auf der Rückseite waren Ritzungen zu erkennen. Bei genauerem Hinsehen entpuppten diese sich als Buchstaben aus dem griechischen Alphabet. Allerdings ergaben sie keinen Sinn.

    „Sie behauptet, sie wisse nichts davon. Es sei mit Sicherheit nicht von ihr. Sie war sogar so frech, die Dienerschaft zu bezichtigen, mir nach dem Leben zu trachten!"

    Essimnus machte eine kurze Pause, dann schloss er: „Ich hätte das nie gedacht, nach all den Jahren! Wir sind seit fast zwanzig Jahren verheiratet!"

    Als der Ädil Vindelicus eintraf, wiederholte Essimnus seine Klage. Auch Vindelicus konnte kaum glauben, was er hörte und an den zusammengetragenen Beweismitteln sehen konnte. Als die Anklage formuliert und mit Cornelius Gallus ein Ankläger gefunden war, der die Sache des ehemaligen Quaestors vor dem Propraetor vertreten würde, bat der Ädil Essimnus, er möge zu seinen Alltagsgeschäften zurückzukehren, während er und Claudius die Vollmacht des Procurators einholen wollten.

    So geschah es, und nachdem Rufus, empört über die Dreistigkeit von Tenatia Caecina sein Einverständnis für die Aufnahme eines Prozesses gegeben und Claudius zum Curator, also zum Sonderermittler, ernannt hatte, machten sich Vindelicus und sein Adiutor auf den Weg, im Officium der Gerichtsabteilung die Formalitäten zu erledigen. Anschließend liefen sie zur Principia, um die Centurionen der Statthaltergarde mit der Festnahme der Beschuldigten zu beauftragen.

    Ungläubig betrachtete Achilleus das Anklageschreiben und gab es an seinen Kollegen Sirus weiter. Auch dieser schüttelte den Kopf. Sie ließen sich von Vindelicus die ganze Geschichte erklären. Achilleus gab zu bedenken, dass Caecina die Rezeptur und die Kräuter von einer weiteren Person ausgehändigt bekommen haben musste und dass diese Person sich nach dem römischen Recht mindestens ebenso strafbar gemacht hatte wie Essimnus‘ Frau. Schließlich habe diese unbekannte Person Caecina die giftige Rezeptur verraten und wohl auch die Kräuter verkauft. Sirus ergänzte, dass auch der Tatbestand der Hexerei bzw. des Ausübens der Magie wie im Falle des Bleitäfelchens, hart bestraft würde.

    Es war also schon bald die siebte Stunde, als Claudius in Begleitung eines Trupps Gardesoldaten unter Führung des Centurios Sirus vor dem Haus des ehemaligen Quaestors ankam. Als Curator war es an Claudius, die unangenehme Aufgabe auszuführen. Er klopfte und bat die verdatterte Sklavin, die öffnete, ihre Herrin zu holen. Die Präsenz der Soldaten sorgte dafür, dass das junge Mädchen in Windeseile in die Gemächer ihrer Herrin rannte. Währenddessen traten zunächst nur Claudius und Sirus ins Atrium des Hauses ein. Den Soldaten befahl Sirus, noch vor der Tür zu warten.

    Caecina kam aus dem hinteren Teil des Hauses. Sie war klein und ein wenig übergewichtig. Geschickt versteckte sie ihre Körperfülle unter dem fließenden Stoff ihrer teuren Kleidung. Die dunklen Haare hatte sie hoch aufgetürmt und mit Bändern und Zöpfen kunstvoll in Form gebracht. Goldene und silberne Armreifen und Ringe spiegelten ihren hohen gesellschaftlichen Rang. Offensichtlich ahnte sie nicht, was auf sie zukommen würde, denn sie strahlte Ruhe und Würde aus. Sie betrachtete die beiden Männer in ihrem Atrium interessiert bis skeptisch.

    Claudius räusperte sich. Ihm war die Situation sehr unangenehm, und obwohl Sirus der Ältere war, oblag es ihm, die Verhaftung und die Durchsuchung der Privaträume durchzuführen.

    „Tenatia Caecina, ich habe hier ein Schreiben des Ädils Vindelicus, das vom Legatus Augusti pro praetore, Caius Velius Rufus und dem Princeps der Gerichtsabteilung, gegengezeichnet wurde. Es betrifft Euch."

    Damit reichte Claudius der Frau die versiegelte Papyrusrolle. Caecina öffnete das Siegel, ihre Armreifen klimperten dabei leise. Dann las sie das amtliche Schreiben. Ihre Gesichtszüge entgleisten. Die eben noch so gefasste, würdevolle Matrone brach förmlich in sich zusammen. Sie murmelte: „Das kann er doch nicht machen! Tränen traten in ihre Augen. „Nach all den Jahren…

    Claudius wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. Am Liebsten hätte er die Frau getröstet, doch das war angesichts der schweren Anschuldigungen undenkbar. Stattdessen begann er, die Hausherrin aufzuklären.

    „Ich bin von Caius Velius Rufus als Curator in dieser Angelegenheit eingesetzt worden. Das bedeutet, dass ich mit den mir zur Verfügung stehenden Soldaten Eure persönlichen Gemächer und das restliche Haus durchsuchen muss, um Beweismittel sicherzustellen. Der Centurio wird Euch mitnehmen und im Praetorium an den Princeps der Gerichtsabteilung übergeben. Dieser wird Eure Aussage aufnehmen und einen Advocatus für Euch suchen, der Euch vor dem Praetor vertritt. Wenn Ihr ihm einen Vertreter nennen könnt, wird Eure Wahl berücksichtigt werden."

    Caecina hatte ihre Fassung zurückgewonnen. Sie sah Claudius fest an und bat ihn dann, Septimus Iulianus, den Advocatus, zu dessen Schülern ihr Sohn Cnaeus gehörte, zu informieren. Eine Sklavin brachte die Palla ihrer Herrin, dann führte Sirus mit zwei seiner Soldaten die Frau des Essimnus ab.

    Claudius hatte die verbliebenen Soldaten ins Haus gelassen und ihnen befohlen, die Privaträume der Hausherrin, ihrer Dienerschaft und die Wirtschaftsräume des Hauses gründlich zu durchsuchen. Er legte vor allem Wert auf Kräuter, Tränke oder Reste von Tränken, Briefe oder weitere Rezepturen und Bleitäfelchen. Eine Sklavin beauftragte er damit, ihm einen Korb zu bringen, damit er die Beweismittel abtransportieren konnte.

    Die Ausbeute war eher mager. In der Kammer einer Sklavin fand sich ein Bleiplättchen, das offensichtlich als Amulett getragen werden konnte. Es war ein griechischer Vers gegen Herzbeschwerden eingeritzt. Dazu fand sich eine Kiste mit Kräutertütchen und Rezepten. Beim Überfliegen der Rezepturen muteten die Ingredienzien völlig harmlos an, und Claudius vermutete eher medizinische als magische Wirkung hinter den Zusammenstellungen. Natürlich waren auch in den Vorratsräumen im Keller und in der Küche diverse Gefäße mit Kräutern aufgefunden worden, doch etwas Auffälliges war nicht darunter. Ein Kästchen in der Kammer Caecinas enthielt Briefe. Claudius ließ es einpacken. Auch wenn es ihm peinlich war, musste er doch die private Post einer angesehenen Matrone lesen, um sich ein Bild von der Angeklagten machen zu können. Vielleicht brachten sie ja Licht ins Dunkel der Vorwürfe.

    Auf dem Weg in die Therme kam Claudius am Haus des Advocatus Septimus Iulianus vorbei. Selbstverständlich war er bereits informiert worden. Die Nachricht von der Festnahme Caecinas hatte schnell die Runde gemacht. Selbst in der Therme, wo sich er am Nachmittag ein wenig erholen wollte, wurde Claudius sofort mit Fragen zu dem spektakulären Fall bestürmt. Gerüchte und wilde Vermutungen kursierten, und Claudius war überrascht, dass die wispernde Göttin Fama selbst hier von Ohr zu Ohr huschte und die abenteuerlichsten Geschichten verbreitete. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als die Fakten darzulegen und einigen Gerüchten vehement zu widersprechen. Dann verlegte sich Claudius aufs Zuhören, denn was er so an Geschichten über den ehemaligen Quaestor und seine Frau zu hören bekam, war durchaus interessant: Caecina kam aus einer angesehenen Familie. Beide Eltern waren bereits tot, und auch der einzige Bruder war im vergangenen Jahr gestorben. Ihre Ehe mit Essimnus war, wie üblich, von den Eltern arrangiert worden, und da Essimnus schon bald eine Magistratslaufbahn anstrebte, schien das Glück der beiden perfekt. Seit dem Tod des jüngsten Sohnes war Caecina jedoch zunehmend melancholisch geworden. Sie hatte sich zurückgezogen und mehr gegessen, als ihrer Figur gut getan hatte. Essimnus hatte sich wohl einige Male wenig charmant über die Rundungen seiner Frau geäußert. Was Claudius zudem erfuhr, war, dass der ehemalige Quaestor seit etwa einem Jahr ein Verhältnis mit einer der Tänzerinnen aus Rufus‘ Gefolge unterhielt, der er teure Geschenke machte.

    Interessiert lauschte der frisch ernannte Curator den Äußerungen der Männer, die alle Zutaten der Gerüchteküche zu einem dicken Brei vermengten. Und über allem saß lachend Fama in ihrem Palast mit den tausend Öffnungen, durch die Wahres mit Lügen vermengt widerhallte.

    ***

    Das Haus ihres Vaters summte von dem Geschwätz der Frauen als Ilara es betrat. So konnte sie ihre Schwester in der Menge der Besucherinnen zunächst gar nicht ausmachen. Ilara gab ihrer Sklavin Celsa den Mantel und mischte sich unter die aufgeregt diskutierende Menge. Alpina stand nicht weit vom Tablinium ihres Vaters entfernt. Sie war mit Dolabella ins Gespräch vertieft. Als sie Ilara sah, lächelte sie. Dolabella begrüßte die Tochter des Hausherren überschwänglich. Sie war ebenso wie Ilara im Collegium der Göttin Iuno aktiv.

    „Ilara, wie gut, dass du auch da bist! Was sagst du denn dazu? Ist das nicht unglaublich?"

    Ilara würgte Dolabellas Redefluss ab. „Ein abscheuliches Spiel ist das! Der Mistkerl! Wo doch jeder weißt, dass Essimnus dieses kleine Flittchen liebt! Wenn du mich fragst, will er sich nur die Scheidung und die damit verbundene Rückzahlung der Mitgift sparen, der Geizhals!"

    Dolabella sah Ilara entsetzt an. „Das traust du ihm zu? Denkst du wirklich?"

    „Ja, das denke ich! Caecina hat sich doch erst unlängst darüber lustig gemacht, dass ihres Gatten bestes Stück nicht mehr zuverlässig seinen Dienst tut. Dabei hat sie erzählt, dass er sie wohl gerne loswerden würde, um seine Lupa zu heiraten. Die scheint es noch zu schaffen, sein Pilum hart zu machen! Caecina ließ aber auch durchblicken, dass seine finanzielle Situation eine Scheidung wohl kaum zulassen würde. Schließlich war ihre Mitgift nicht unbeträchtlich gewesen, und der Wahlkampf um ein neues Amt ist kostspielig, wie jeder weiß. Allein das Ausrichten der Spiele zu Ehren des Kaisers…"

    Dolabella hielt mit gespieltem Entsetzen die Hand vor den Mund. „Wenn das wahr ist, Ilara, ist das ja schrecklich! Wenn er damit durch kommt, bringt er sie um alles: um ihr Geld, ihre Kinder und wenn es ganz schlimm kommt, sogar noch um ihr Leben!"

    Alpina schüttelte sich bei so viel Niedertracht. Ilara jedoch zuckte nur resignierend mit den Achseln und schob eine Strähne ihres dunklen Haares wieder in die Hochsteckfrisur zurück.

    „Sie wird ihm niemals nachweisen können, dass das ein Komplott ist. Es ist so einfach, Beweise zu fälschen und der eigenen Frau unterzujubeln. Ihr werdet sehen, er wird sie so auf bequeme Weise loswerden!"

    Bevor Dolabella noch irgendetwas erwidern konnte, zog Ilara ihre Schwester mit sich in den hinteren Teil des Hauses. Sie sah sich um, ob sie auch wirklich ungestört waren.

    „Alpina, ich brauche Artemisia und Poleiminze, sofort!"

    Alpina sah ihre ältere Schwester durchdringend an. „Warum? Wozu? Lucius ist nicht da, wieso willst du dann diese Kräuter?"

    Ilara wurde rot. „Das geht dich nichts an! Ich brauche sie, das muss dir reichen! Andernfalls habe ich ein großes Problem! Wie soll ich meinem Mann erklären, dass ich schwanger bin, wenn er nach über einem halben Jahr zurückkehrt?"

    Alpina wurde wütend. „Was? Du gehst fremd? Ilara! Du beschwerst dich, dass Lucius dich nicht liebt und eine andere vorzieht, und dann suchst du dir einen Liebhaber? Das glaube ich einfach nicht!"

    Ilaras Blick schien töten zu wollen. „Nun spiel hier nicht die Tugendhafte! Ich tröste mich eben. Ich bin einsam, Alpina, und sehne mich nach Liebe. Tiberius gibt mir das Gefühl, geliebt zu werden. Er ist liebevoll und zärtlich. Was soll’s? Es bleibt ohnehin in der Familie, oder?"

    Angewidert verzog Alpina den Mund. „Du schläfst noch immer mit deinem Schwiegervater? Ich dachte, das wäre nur ein Ausrutscher gewesen! Außerdem solltest du wissen, wie man eine Schwangerschaft verhindert. Schäme dich!"

    Ilara zuckte die Achseln. „Es ist halt passiert! Hilfst du mir nun oder nicht?"

    „Wie lange ist die Blutung ausgeblieben?" Alpina kehrte zur Sachlichkeit zurück.

    „Erst wenige Tage, aber ich will es nicht darauf ankommen lassen, verstehst du?"

    Alpina nickte. Sie drehte sich um und ging in den Vorratsraum, in dem Elvas ihre Kräuter aufbewahrte. Dann stellte sie Ilara die notwendige Mischung zusammen und packte alles in eine Papyrustüte.

    „Eine Unze davon auf einen Becher kochendes Wasser, aufkochen und ziehen lassen. Drei bis viermal heute einen Becher davon. Eventuell morgen noch ein oder zwei Mal. Spätestens gegen Mittag sollte die Blutung einsetzten. Sie wird schmerzhaft, und dir wird übel sein. Vielleicht sollte ich dir auch noch Minze gegen die Übelkeit geben", dachte Alpina laut nach.

    Doch Ilara nahm ihr die Tüte schnell aus der Hand. „Danke! Das reicht! Besten Dank, Schwesterchen!"

    Sie drückte Alpina flüchtig an sich und rauschte davon.

    ***

    Caius Velius Rufus hatte die Basilika für das Festessen herrichten lassen. Für die illustren Gäste und die wichtigsten Männer der Provinz- und Stadtverwaltung waren Klinen und Stühle vorbereitet worden, der Rest der Festgäste musste mit Klappstühlen vorlieb nehmen oder stehen. Kohlebecken auf Dreifüßen erwärmten den großen Raum nur notdürftig. Ein wahres Heer von Sklaven und Sklavinnen bewirtete die Gäste mit Köstlichkeiten.

    Fabricius Veiento, der diplomatische Gesandte des Kaisers, stand in seiner Senatorentoga auf der Tribüne für die Ehrengäste und richtete das Wort an die versammelte Menge.

    „Liebe Festgäste, liebe Bürger der Provinz Raetia, lieber Caius Velius Rufus! Ich freue mich, auf meinem Weg in die germanischen Provinzen Eure Gastfreundschaft genießen zu dürfen. Ich begleite die neuen Statthalter der beiden germanischen Provinzen, Licinius Sura und Lusianus Proculus, zu ihrem neuen Einsatzort. Wie Ihr vermutlich wisst, ist es nicht überall an den Grenzen des römischen Reiches so ruhig wie hier am raetischen Ufer des Danuvius. Vor bald zwei Jahren hat unser Herr und Gott, Kaiser Domitianus, mit Hilfe unseres verehrten Statthalters, Caius Velius Rufus, die Markomannen, Quaden und Jazygen am Unterlauf des Flusses, den man dort Istros nennt, in einem glorreichen Feldzug besiegt. Doch der Frieden in den Gebieten dort ist brüchig. Das Volk der Daker rüstet auf. König Decebalus wird mit dem ausgehandelten Friedensvertrag keine Ruhe geben, da sind wir uns sicher. Die Provinz Pannonia und das Gebiet der Daker sind Unruheherde, und dazu kommt die nach wie vor unsichere Lage an der Nordgrenze der germanischen Provinzen. Zwar scheint das Volk der Chatten durch den letzten erfolgreichen Feldzug geschwächt zu sein, doch immer wieder müssen wir von Umsturzgerüchten, Allianzen und kleinen Gefechten an der Reichsgrenze hören. Dennoch hoffen wir mit Sunnus, einem romfreundlichen Herrscher auf dem Thron der Bukterer, einen Verbündeten aufbauen zu können. Aus diesem Grund reise ich in die germanischen Provinzen. Velius Rufus wird mich mit einer Delegation begleiten, denn es geht auch um die weiteren Sicherungsmaßnahmen entlang der Limites, die Domitianus weiter ausbauen möchte. Zur besseren und schnelleren Truppenversorgung und Informationsübermittlung, und um die Kontrolle der Grenzen zum freien Germanien besser koordinieren zu können, möchte der Kaiser noch mehr Kastelle und Straßen anlegen lassen. Vor allem in den Agri Decumanes und entlang der neu geschaffenen Verbindung zwischen Mogontiacum und Grinario, die die Provinzen Obergermanien und Raetia verbindet, sollen befestigte Stützpunkte entstehen. Die Verbindungswege sollen ausgebaut werden. Dazu werden wir mit den Statthaltern beider germanischer Provinzen Lösungsstrategien entwickeln. Jede Provinz wird Teile ihrer Truppen für die Baumaßnahmen abkommandieren müssen. Nun aber lasst uns die Becher heben und auf die Gesundheit unseres Herrn und Gottes, Kaiser Domitianus, anstoßen!"

    Die bevorstehende Reise des Statthalters Rufus führte dazu, dass Claudius nur wenig Zeit blieb, um die Untersuchungen im Falle der Gattin des Essimnus zu Ende zu führen. Nur mit taktischem Geschick würde es dem Advocaten Iulianus vielleicht gelingen, die Verhandlung bis zur Rückkehr des Statthalters aufzuschieben. Es war eher anzunehmen, dass Rufus versuchen würde, die Verurteilung der Angeklagten voranzutreiben, um sie bald vom Tisch zu haben. Claudius hasste es, so unter Zeitdruck zu stehen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass der ehemalige Quaestor nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Caecinas Äußerungen bei ihrer Festnahme, und die Gerüchte in der Therme ließen vermuten, dass Essimnus die Verurteilung seiner Gattin zustatten kam.

    Für einen Augeblick versuchte Claudius, die Ereignisse beiseite zu schieben und den guten Wein und die Köstlichkeiten zu genießen, die gereicht wurden. Als schließlich die Tänzerinnen aus Rufus‘ Gefolge auftraten, flüsterte er dem Duovir Victorinus zu:

    „Welche von ihnen ist denn diejenige, die es dem Essimnus so angetan hat? Wisst Ihr das?"

    „Die Kleine mit den dunklen Locken und der Hakennase", sagte Victorinus.

    Claudius fand die Beschreibung mehr als ungenügend, denn von den vier Tänzerinnen waren alle klein und dunkelhaarig, was auch kein Wunder war, schließlich hatte Rufus sie aus Nordafrika mitgebracht. Bei genauerem Hinsehen konnte er jedoch feststellen, dass eines der Mädchen eine ausgeprägte Hakennase besaß. Ein weiterer Blick auf Essimnus verriet ihm, dass er die Richtige herausgefunden hatte. Der ehemalige Quaestor beobachtete jede ihrer eleganten Bewegungen, und auch sie lächelte betont oft in seine Richtung. Die Darbietung wurde ausgiebig beklatscht und nach einem weiteren Gang - Taubenflügel und -schenkel mit einer delikaten Soße aus getrockneten Feigen, Essig und Garum - trat Rufus‘ Theatergruppe auf. Sie gaben eine Kurzversion der Oedipussage zum Besten. Claudius kannte dieses Stück bereits, er hatte es bei einem Fest des Statthalters zum Jahreswechsel gesehen. Glycera, die schöne Geliebte des Statthalters, spielte die Königin Iokaste, Oedipus‘ Mutter und spätere Gattin. Wie immer sah sie umwerfend aus. Das war auch Fabricius Veiento, dem kaiserlichen Legaten nicht entgangen. Er schien sie nicht mehr aus den Augen zu lassen, was dazu führte, dass Rufus‘ Miene sich zu einer eifersüchtigen Fratze verzog, wenn er versuchte, den Legaten anzulächeln.

    Nach der Darbietung bekam Claudius die Gelegenheit, mit Achilleus zu sprechen. Er erzählte dem Centurio von den Gerüchten, die in der Therme die Runde gemacht hatten. Der erfahrene Mann nickte. „Ich kenne die Gerüchte, und da ist sicher was Wahres daran. Aber wenn die Beweislast so erdrückend ist, kann Caecina wohl niemand mehr helfen."

    Claudius bohrte nach. „Hat sie noch etwas gesagt, als du sie zusammen mit Sirus vernommen hast?"

    Achilleus kräuselte die Lippen. „Sie erklärte, dass sie die Kräuter auf Essimnus‘ Wunsch hin bei einer bekannten Kräuterfrau gekauft hätte. Diese habe auch die Dosierungs- und Zubereitungsanleitung verfasst. Caecina sagte, es habe sich um eine Rezeptur gehandelt, die „Pulver zur Kräftigung sexuell geschwächter Männer heißt. Essminus sei schon seit längerem seinen ehelichen Pflichten mehr schlecht als recht nachgekommen. Sowohl die Häufigkeit als auch die Standhaftigkeit seien gemindert gewesen, und Caecina vermutete, dass das nicht nur bei ihr der Fall war, was ihn offenbar bestürzte. Ich bin gespannt, ob sie das vor Gericht wiederholen wird. Caius lächelte spöttisch.

    Claudius amüsierte sich mit ihm. Der Fall begann ihm Spaß zu machen.

    Monat März, am Tag vor den Iden des März, Equirria

    Der Tag war denkbar ungünstig für ein Wagenrennen zu Ehren des Gottes Mars. Es hatte die gesamte Nacht über geregnet, und gegen Morgen ging der Regen sogar in Schneeregen über. Zudem war es empfindlich kalt. Claudius machte wie jeden Morgen Vindelicus seine Aufwartung. Er fand sich zur morgendlichen Salutatio ein und reihte sich in die Menge der wartenden Klienten des angesehenen Mannes ein. Die meisten von ihnen trugen die dicken Kapuzenmäntel, die hier in Raetien so beliebt waren. Claudius‘ helle Toga stach unter den einfachen Kleidern der Klienten förmlich heraus. Geduldig wartete man in der Nässe.

    Das für die römische Armee so wichtige Marsfest bedeutete für Claudius eine Behinderung seiner Arbeit. Wegen des Festessens am Abend zuvor war er noch nicht dazugekommen, die Briefe zu lesen, die bei der Gattin des Essimnus beschlagnahmt worden waren. Außerdem wollte er Elvas und Alpina um eine Identifikation der ihm unbekannten Kräuter bitten und hoffte, beides nach dem Opfer am Marstempel und dem Wagenrennen erledigen zu können. Das Rennen auf dem vor der Toren der Stadt angelegten Rennbahn würde sicher hochinteressant werden, da der Gesandte des Kaisers, Fabricius Veiento in Begleitung eines Reitertrupps der Prätorianer gekommen war, von denen mindestens einer als Wagenlenker für die Ehre des Kaisers antreten würde. Auch die beiden zukünftigen Statthalter der germanischen Provinzen reisten mit einem großen Gefolge, zu dem neben Theaterleuten und Gladiatoren sicher auch Wagenlenker gehörten. Ein solch interessantes Equirria-Fest hatte in Augusta Vindelicum bisher noch nicht stattgefunden, und es würde wohl so schnell auch keine weitere Gelegenheit für ähnliches geben.

    Vindelicus erschien spät. Er wirkte verkatert, was kein Wunder war. Rufus hatte zu Ehren seiner Gäste die erlesensten Weine ausgeschenkt, und die Gäste hatten diesen reichlich zugesprochen. Der Ädil grüßte Claudius und eine handvoll anderer Wartender persönlich, an den Rest ließ er durch seine Dienerschaft Brot verteilen. Wer keinen Sack oder Korb mitgebracht hatte, ging leer aus. Ein alter Mann, dessen zahnloser Mund weit geöffnet lächelte, versuchte den Ädil in ein Gespräch zu verwickeln. Der Alte faselte etwas von Betrügern und Dieben, doch Vindelicus wimmelte ihn ab. Er verwies auf seine Amtszeiten und zog sich dann die Toga über den Kopf, um sich vor dem kalten Schneeregen zu schützen.

    „Komm, Claudius! Wir müssen uns beeilen! Was für ein grässliches Wetter!"

    Gemeinsam steuerten sie den Marstempel an, der zwischen der Principia, dem neuen Procuratorenpalast und dem Forum lag. Sie waren spät dran, die Menschenmenge war schon so dicht, dass selbst eine geachtete Persönlichkeit wie Vindelicus Mühe hatte, zu seinem angestammten Platz in der vordersten Reihe der Magistratsbeamten zu gelangen. Die Auguren hatten längst die Zeichen gedeutet und das schöne Pferd, das für das Opfer an den Kriegsgott ausgesucht und geschmückt worden war, senkte vor dem Opferpriester willig den Kopf. Claudius wusste, dass ein Brotstück in der Hand des Opferdieners für das gute Omen sorgte. Das Opfer wurde vollzogen, das Blut des Tieres den Opferkuchen beigegeben. Einen davon bekam Mars, der Kriegsgott, dem dieser Monat und die Feste zum Beginn der Kampfsaison geweiht waren, einen weiteren erhielt Epona, die einheimische Göttin der Pferde, zu der Claudius ein besonders inniges Verhältnis hatte. Die Erbauung ihres Tempels im Tempelbezirk für die einheimischen Götter war von seinem Vater finanziert worden, und ein Weihealtar, der in seiner Widmung den Namen des Vaters trug, hielt diese Dedikation bis heute fest. Eine Tempeldienerin der Göttin nahm die Opfergabe entgegen und brachte sie zu dem kleinen Umgangstempel über dem Hochufer des Vindo.

    Die Opfergemeinde brach zur Pompa genannten Prozession zu Ehren der Götter auf. Man folgte den Priestern mit den Wagen, auf denen die Statuen des Mars und der Epona zur Rennbahn im Bereich der Flußauen des Likias gebracht wurden. Bereits zum ersten Equirriafest am vor den Kalenden des März hatte dort ein Pferderennen stattgefunden. Damals war das Wetter trocken gewesen, aber jetzt, nach den intensiven Regenfällen, würde der Boden tief und matschig sein. Es war sogar möglich, dass die Niederschläge ein Steigen des Wasserspiegels nach sich ziehen und der Rennplatz überflutet werden würde. Missmutig stapfte Claudius hinter den illustren Gästen und den Magistratsbeamten her.

    Um den Circus hatte man vor einigen Jahren einen Graben gezogen, um den drohenden Überschwemmungen des Flusses Herr zu werden. Den Aushub hatte man dafür verwendet, eine Art Wall für die hufeisenförmige Bahn und die Spina aufzuschütten. Die Wendemarken wurden von hochaufragenden Baumstämmen gebildet. Auf die Spina stellte man

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