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Falsche Pillen
Falsche Pillen
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eBook253 Seiten3 Stunden

Falsche Pillen

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Über dieses E-Book

Ist Fermesio tatsächlich ein ganz normaler Arzneimittelgroßhandel? Das glaubt Lena Gerber schon lange nicht mehr. Als Dennis, der Neffe des Inhabers unter Verdacht gerät, illegale Arzneimittel zu vertreiben, sieht sie ihre Chance, der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei stößt sie auf einen Skandal um verunreinigte und gepanschte Arzneimittel … ein Skandal, der nur die Spitze des Eisbergs ist.
Doch welche Rolle spielt Dennis in diesem Geflecht?
Hin- und hergerissen, zwischen Gefühlen und Verstand muss sie sich entscheiden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum13. Dez. 2017
ISBN9783742760531
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    Buchvorschau

    Falsche Pillen - Sabine Karcher

    Sabine Karcher

    Falsche Pillen

    Roman

    Die Handlung ist frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Sabine Karcher

    c/o

    Papyrus Autoren-Club,

    R.O.M. Logicware GmbH

    Pettenkoferstr. 16-18

    10247 Berlin.

    Umschlaggestaltung: Stefanie Pappon

    http://lidschlag.jimdo.com

    Lektorat und Korrektorat: Jan Schuld

    2016 © Alle Rechte vorbehalten

    ISBN 978-3-7394-0447-9

    1. Kapitel

    Die Krankenakte zog Lenas Blick magisch an. Neugierig rutschte sie auf dem Stuhl bis zur Kante und beugte sich nach vorn. In Großbuchstaben stand der Name ihrer Mutter auf dem braunen Deckblatt.

    Sie drehte sich zur Tür um. Jederzeit konnte jemand hereinkommen. Zehn Minuten saß sie bestimmt schon hier, gefühlt war es eine halbe Stunde.

    Diese Akte lag auch zu verführerisch vor ihr auf dem Schreibtisch. Nur wenige Zentimeter trennten sie noch von ihr.

    Ruckartig wurde die Tür aufgerissen. Lena fuhr herum und fühlte sich ertappt, obwohl sie die Akte nicht einmal berührt hatte.

    Dr. Schröder trat gefolgt von einem Herrn ein. „Das ist Hauptkommissar, stellte er seinen Begleiter vor. „Nehmen Sie doch Platz. Diese Aufforderung galt eindeutig dem Hauptkommissar. Er gab Lena die Hand und setzte sich neben sie. Dr. Schröder ging um den Schreibtisch und nahm ihnen gegenüber Platz.

    Ihre Verfassung mit verwirrt zu beschreiben, wäre untertrieben. Allein schon der Umstand, dass Dr. Schröder sie aufgefordert hatte, herzu kommen, war alles andere als normal. Aber was um alles in der Welt wollte dieser Kommissar? Fragend musterte sie ihn. Doch der wartete wohl auf ein Zeichen von Dr. Schröder. Der wiederum ließ sich Zeit und blätterte in den Papieren, die vor ihm lagen. „Ihre Mutter hatte heute Vormittag einen Herzstillstand und die Leberwerte verschlechtern sich kontinuierlich", sagte er, als würde er aus einer Gebrauchsanweisung für Kühlschränke vorlesen.

    Herzstillstand? Mum! Nein! „Was...?"

    Er hob beschwichtigend die Hand und unterbrach sie. „Wir konnten sie reanimieren. Im Moment ist ihr Zustand stabil. Er legte eine Pause ein, als müsste er die nächsten Worte erst noch zurechtlegen. „Falls Ihre Mutter nicht bald auf die Medikamente anspricht – Sie sollten auf alles vorbereitet sein.

    Sie sollte auf alles vorbereitet sein? Was für eine dämliche Floskel! Nein, das war nicht möglich. Er musste sich irren.

    „Das war aber nicht Grund, weshalb wir Sie hergebeten haben." Er beugte sich nach unten und holte eine Plastiktüte hoch.

    Die Tüte, in der sie vorgestern die Arzneimittel ihrer Mutter hergebracht hatte. Die Ärzte wollten prüfen, ob eine Unverträglichkeit Auslöser ihrer Krankheit war.

    „Wir haben die Arzneimittel Ihrer Mutter überprüft. Er schob ihr die Tüte zu. „Das können Sie wieder mitnehmen.

    Der Polizist griff in seine Jackentasche und zog eine Arzneimittelpackung heraus. Weiße Schrift auf rotem Grund, mit einer Pflanze darauf. War das nicht das Präparat, das sie Mum aus dem Internet besorgt hatte? Er hielt es ihr hin. „Woher hat Ihre Mutter diese Packung?"

    Lena legte die Tüte auf ihren Schoß und krallte ihre Finger hinein. „Wieso? Was ist damit? Ist es verfallen?"

    „Nein. Das Medikament ist gefälscht." Dr. Schröder sah sie dabei an, als hätte sie es gefälscht.

    Mist. Warum ausgerechnet diese Packung? „Wir haben es aus dem Internet. Sie räusperte sich. Ihre Stimme wollte ihr nicht so recht gehorchen, obwohl sie sich keines Verbrechens bewusst war. „Ich glaube, die Firma heißt Pharsand.

    Weil das Zeug so fürchterlich teuer gewesen war, fast achtzig Euro, hatte sie es für ihre Mutter übers Internet besorgt. Dort hatte es gerade mal etwas mehr als die Hälfte gekostet.

    „Haben Sie noch die Quittung?", fragte der Kommissar.

    „Nein." Die hatte sie weggeworfen. Wozu aufheben? Die Kasse übernahm den Betrag sowieso nicht.

    Dr. Schröder stand auf und ging um den Tisch. Für ihn war das Thema damit erledigt. Lena blieb nichts weiter übrig als auch aufzustehen. Die Tüte umklammerte sie mit beiden Händen.

    „Wir werden uns in den nächsten Tagen bei Ihnen melden. Vielleicht finden Sie doch noch die Quittung. Der Kommissar erhob sich ebenfalls und reichte ihr die Hand. „Ihrer Mutter geht es bestimmt bald besser. Er nickte und lächelte aufmunternd.

    „Kann - kann ich zu ihr?" Lenas Stimme war heiser, ihr Hals kratzte.

    „Natürlich. Sie ist im Moment allerdings nicht ansprechbar. Sie liegt auf der Intensivstation. Haben Sie noch Fragen?"

    Klar hatte sie die. Aber Schröders ganze Haltung signalisierte, dass er keine Zeit für Antworten hatte. Beim Rausgehen hörte sie nur noch, wie der Kommissar irgendwas von einer Verbindung zu Fermesio erwähnte.

    Etwas blass hatte ihre Mutter gestern ausgesehen, aber gemeint, das läge an der Krankenhausluft und der miserablen Diät. Und heute lag sie auf der Intensivstation. Waren tatsächlich diese blöden Tabletten schuld?

    Geräte und Monitore standen neben dem Kopfende. Zögernd trat Lena ans Bett ihrer Mutter. Ihre Haut glänzte fahl und das graue Haar klebte platt am Kopf.

    Wie Lena diesen Krankenhausgeruch hasste. Seit Tagen besuchte sie ihre Mutter fast jeden Nachmittag. Sie musste sich fürchterlich zusammenreißen, dass die Besuche nicht im Streit endeten. Warum konnte ihre Mutter es auch nicht lassen, sich in ihr Leben einzumischen? Statt Biologie sollte Lena Medizin studieren und Lenas Job im Fitnesscenter störte sie auch. Okay, das war ein Scheißjob, manchmal jedenfalls. Immerhin hatte sie sich dadurch letzten Sommer mit Nicole die Fahrt nach Florenz leisten können.

    Lena hätte gern etwas gesagt, sich entschuldigt, aber Mum hörte es sowieso nicht. Sanft strich sie über die Hand ihrer Mutter. Sie war dagegen gewesen, die Mittel übers Internet zu kaufen. Warum hatte sie sie nur überredet?

    In der Straßenbahn las Lena die Nachrichten in ihrem Smartphone. Nicole erinnerte sie noch mal an heute Abend. Lena antwortete ihr, dass sie gerade bei ihrer Mutter gewesen war, und es etwas später werden könnte. Dann öffnete sie die Suchmaschine. Über Pharsand mussten doch Infos im Internet zu finden sein. 350 Treffer. Nichts Ungewöhnliches. Ein ganz normaler Internetshop, mit Sitz in den Niederlanden, bei dem man Arzneimittel bestellen konnte. Geschäftsführer war ein José Garcia.

    Dann tippte sie „Arzneimittelfälschungen" ein. Die Suchmaschine fand fast siebzigtausend Einträge.

    Europa ergreift Maßnahmen gegen Arzneimittelfälscher.

    Auch in Europa sind inzwischen Fälschungen festgestellt worden. Angefangen von der perfekten Imitation eines Präparates mit gleichem Wirkstoff und identischer Verpackung, über Präparate mit identischer Verpackung, dem identischen, aber zu niedrig dosiertem Wirkstoff und mangelnder Qualität. Auch Arzneimittel, die keinen Wirkstoff, gesundheitsschädliche oder sogar giftige oder suchterzeugende Stoffe enthalten, sind aufgetaucht.

    Mit dem Handel von gefälschten Arzneimitteln kann mittlerweile mehr Geld verdient werden als im Drogenhandel. Immer häufiger stoßen Ermittler im Zusammenhang mit Arzneimittelfälschungen auf kriminelle Organisationen.

    Sie blätterte weiter. DIE WELT berichtete schon 2002 über den Import des falsch deklarierten Antibiotikums Ciprofloxacin, die WHO von einer Fälschung in Haiti, bei der mindestens 59 Kinder nach der Einnahme eines gefälschten Fiebersafts starben, und in der Schweiz wurden 2002 rund 22.000 gefälschte Viagra-Tabletten gefunden. Selbst das Bundesministerium für Gesundheit warnte auf seiner Internetseite vor Arzneimittelfälschungen.

    Zuletzt versuchte sie es mit Fermesio. Dass es ein Arzneimittelgroßhandel in Frankfurt war, dessen Inhaber Wolfgang Finkel hieß, wusste sie auch ohne Internet, sonst fand sie nichts über diese Firma, mit der sie nie mehr etwas zu tun haben wollte.

    Um ein Haar hätte sie die Haltestelle verpasst.

    Sie begriff das nicht. Wenn das alles so bekannt war, warum unternahm die Polizei nichts dagegen?

    2. Kapitel

    Lena stellte ihr halbleeres Glas auf die Theke und drehte sich zur Tanzfläche. Sie wippte mit ihrem Fuß im Rhythmus der Musik. Mit ihren fünfundzwanzig zählte sie hier schon zur älteren Fraktion. Der Cocktail schmeckte bitter und der Alkohol stieg ihr zu Kopf. Sie starrte ins Glas, als könnte sie darin Antworten auf ihre Fragen finden.

    Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie wandte sich um.

    Nicole.

    Grinsend quetschte sich ihre Freundin neben sie. „Hast wohl jemand anderes erwartet?", brüllte Nicole ihr ins Ohr.

    Lena zwang sich zu einem Lächeln.

    Nicole fächelte sich Luft zu. „Ein Wodkalemon", rief sie über den Tresen. Der Kellner nickte.

    „Keine Lust zum Tanzen?", fragte Nicole.

    „Mir ist nicht danach." Sie betrachtete den Kratzer auf ihrem Fingernagel. Den Abend hatte sie sich anders vorgestellt. Aber die Sache mit ihrer Mutter ging ihr einfach nicht aus dem Kopf.

    „Du sitzt schon die ganze Zeit nur hier herum. Nicole legte den Arm um Lenas Schultern. „Deiner Mutter geht es bestimmt bald besser.

    Lena nickte. Hier war nicht der richtige Ort, darüber zu reden. Sie hatte Nicole nur kurz erzählt, dass es ihrer Mutter schlechter ging. Die Sache mit dem gefälschten Arzneimittel wollte sie ihr in aller Ruhe anvertrauen.

    Der Kellner stellte das Glas vor Nicole. Lena zog die dünne Papierschicht von ihrem Bierdeckel, faltete sie sorgfältig zusammen und schnippte sie über den Tresen. Sie hatte sich für diesen Abend sogar eine neue Bluse gekauft. Fast hundert Euro hatte sie dafür ausgegeben. Hätte sie dafür mal besser Mums Arzneimittel in der Apotheke geholt.

    Nicole hob ihr Glas, prostete Lena zu und trank es zur Hälfte aus. Im Rhythmus der Musik wippte sie vor und zurück, grinste zur Tür, warf ihr Haar nach hinten. Lena musste schmunzeln, folgte ihrem Blick und entdeckte den Grund für Nicoles Verhalten. Dennis. Umringt von einer Schar Weiber. Das typische Alphatier, und das nicht nur, weil er ein blonder Schönling war mit seinem drahtigen Körper und dem Dreitagebart.

    Wie ein Blitz traf sie der Gedanke. Dennis Finkel. Finkel! Ob der mit dem Besitzer von Fermesio verwandt war? Sie wartete, bis er bei der Tanzfläche war, dann stupste sie Nicole an. „Ist das nicht dieser Dennis Finkel?"

    Ihr Blick verriet alles. Dennis war genau der Typ Mann, auf den Nicole abfuhr. Sie kringelte eine Strähne um den Zeigefinger und nickte. „Du müsstest ihn kennen. Geht er nicht in das Fitnesscenter, wo du jobbst?"

    „Kennen ist zu viel gesagt, ich hab ihn ein paar Mal gesehen. Lena ließ ihr Glas kreisen und presste die Lippen zusammen. Der arrogante Schnösel war sich doch viel zu fein, um sich mit ihr abzugeben. Wahrscheinlich hatte er sie noch nicht einmal bemerkt. Aber das gehörte jetzt nicht hierher. „Hat er was mit dem Arzneimittelgroßhandel Fermesio zu tun?

    Freundschaftlich rempelte Nicole sie an und musterte sie dabei verwundert. „Du interessierst dich doch nicht etwa für ihn?"

    „Wie kommst du darauf? Lenas Wangen glühten. „Hör mal. Wie du ihn anstarrst. Und dich nach seiner Familie erkundigst. Nicole runzelte die Stirn und machte das erste Mal an diesem Abend ein ernstes Gesicht.

    „Wieso Familie?"

    „Seinem Onkel gehört Fermesio."

    „Ne, da ... da ist nichts." Lena winkte ab und zwang sich zu lächeln. Zumindest nicht das, was du meinst, ergänzte sie in Gedanken.

    „Dann ist ja gut. Nicole leerte ihr Glas. „Was ist, kommst du? Nicole stand auf.

    „Wohin?"

    Sie deutete auf Dennis. „Den Knaben seh ich mir mal genauer an."

    Lena schüttelte den Kopf. Wenn es nur nicht so verdammt schwer wäre, über den eigenen Schatten zu springen. Ihr Zeigefinger strich am Glasrand entlang.

    Als wäre es das Normalste der Welt, schloss sich Nicole Dennis Clique an. Für sie war es das wohl auch.

    Wie blöd konnte man eigentlich sein? Warum war sie nicht mitgegangen? Auf der Chromfläche der Theke spiegelte sich verzerrt ihr Gesicht. Einfacher hätte es nicht sein können. Neben Nicole wäre sie gar nicht aufgefallen, hätte so ganz nebenbei Dennis’ Bekanntschaft gemacht und könnte ihn bei der Gelegenheit über seinen Onkel aushorchen.

    In einem Zug trank sie ihr Glas leer. Jetzt oder nie. Sie rutschte vom Barhocker, wobei sie gegen den Arm ihres Nachbarn stieß. „He, pass doch auf!", schimpfte er.

    Zu spät. Sein Glas schwappte über und die braune Flüssigkeit landete auf ihrer neuen Bluse.

    „Verdammt!" Sie sah an sich hinunter. Selbst bei diesem schummrigen Licht prangte der Fleck wie ein Orden auf ihrer Brust. Da half auch nichts, daran zu reiben. Sie musste ihn auswaschen.

    Der Weg zur Toilette führte zwangsläufig an der Clique mit Dennis und Nicole vorbei.

    „Lena! Super. Hast du es dir überlegt." Nicole strich eine blonde Strähne hinters Ohr und strahlte sie an.

    Auch Dennis schien sie jetzt wahrzunehmen. Aber statt ihr in die Augen zu sehen, sie zu begrüßen, starrte er nur verächtlich auf den Fleck.

    Und dann dieses Grinsen. Ehe sie etwas sagen konnte, fragte er: „Kennen wir uns nicht vom Fitnesscenter? Putzt du hier jetzt auch?"

    Lenas Gesicht fühlte sich an, als hätte sie hohes Fieber. Diese Überheblichkeit, diese Selbstzufriedenheit, die dieser Lackaffe ausstrahlte, waren nicht zu überbieten. Typen wie der bekamen alles, was sie wollten. Es war kein Klischee, dass Reichtum glücklich und attraktiv machte. Sein dümmliches Grinsen gab ihr den Rest. „Bei der Masse an Scheiße, die du produzierst, wäre das hier dringend nötig", konterte sie und wollte weitergehen.

    „Lena, was soll das?" Nicole hielt sie am Arm fest.

    Sie riss sich los. Was das sollte? Ihr wurde übel, sie ertrug diesen Typen keine Sekunde länger, sie musste weg. Mit großen Schritten steuerte sie auf die Toilettentür zu und zog sie auf. Trotz der lauten Musik hallte das Gelächter in ihren Ohren, bis sie endlich hinter ihr zufiel.

    Das war ja super gelaufen.

    Über das Waschbecken gebeugt, spritzte sie sich Wasser ins Gesicht, immer wieder und wieder. Was war sie für eine dumme Kuh! Wie konnte sie sich nur von diesem Kerl provozieren lassen? Sie hätte einfach lachen sollen.

    Die Schminke lief ihre Wangen hinunter. Ihr Spiegelbild warf ihr eine verbissene Grimasse entgegen, forderte sie auf, sich durchs Haar zu fahren. Sie hatte keinen Kamm dabei, die Finger taten es auch, aber die verhakelten sich in einer Strähne.

    Sie richtete sich auf, befeuchtete ein Papierhandtuch. Der Seifenspender war leer. Statt den Fleck zu entfernen, hinterließ das grüne Papier hässliche Spuren.

    Der Abend war verpfuscht. Jetzt konnte sie auch gehen. Sie holte ihre Jacke und trat ins Freie. Bildete sie es sich ein oder grinsten die beiden Jugendlichen, die vor der Tür rauchten, verächtlich?

    Kühler Wind blies ihr ins Gesicht, es nieselte und in ihren Ohren klingelte es von der lauten Musik. Sie schlang die Jacke fester um sich und ging in Richtung der Unterführung. Den Abend hatte sie sich weiß Gott anders vorgestellt, als mitten in der Nacht allein da unten durchgehen zu müssen, zumal die Lichter ausgefallen waren und es bestimmt nach Pisse stank.

    Sie war noch nicht weit gekommen, da ließ eine vertraute Stimme sie aufhorchen. „Und die sind wirklich in Ordnung?" Im Schein der Straßenlaterne erkannte sie Dennis und Nicole in einer dunklen Hofeinfahrt. Dennis lehnte lässig an einem weißen Sprinter und bot Nicole etwas an.

    Lena wich zurück und ging hinter einer Mülltonne in die Hocke.

    „Klar, die sind aus dem Lager von meinem Onkel. Mit denen bist du absolut gut drauf. Und nebenbei hast du bestimmt sechs Stunden lang keinen Hunger. Für den Preis bekommst du sie sonst nirgends."

    Von seinem Onkel. Super! Da hatte er das Zeug ja vom Richtigen. Genau das hatte sie sich gewünscht. Beweise. Aber doch nicht mit Nicole. Verflucht. Sie hätte sie einweihen sollen.

    „Ich weiß nicht." Nicole zögerte.

    „Du musst nicht, aber glaub mir, da entgeht dir etwas. Meine Kunden sind alle zufrieden."

    Lena ballte ihre Hand zur Faust. Lange hielt sie es in ihrem Versteck nicht mehr aus.

    „Und die Dinger sind wirklich harmlos und machen auch nicht süchtig oder so?"

    „Quatsch! Ich nehme das Zeug auch. Sieh mich an! Aber wenn du mit dir zufrieden bist..."

    Das reichte. Die Lippen fest aufeinander gepresst, sog Lena Luft durch die Nase ein, stand auf, trat aus ihrem Versteck. „Nicole! Spinnst du! Weißt du, was da wirklich drin ist? Der redet doch nur Blech."

    Dennis ließ die Pillen sichtlich nervös in der Jackentasche verschwinden. „Nicht die schon wieder, murmelte er, griff nach Nicoles Handgelenk und zerrte sie wie ein kleines Mädchen hinter sich her. „Dir würden sie jedenfalls nicht schaden.

    „Nicole! Lena packte das andere Handgelenk ihrer Freundin. „Warte! Was, wenn es Ecstasy oder sonst so ein Zeug ist?

    Nicole befreite sich ruckartig von beiden. „Seid ihr jetzt völlig verrückt geworden?"

    Dennis schob Nicole zur Seite und stellte sich breitbeinig vor Lena, die Arme vor der Brust verschränkt. „Nicole ist alt genug. Sie braucht keinen Babysitter. Also verzieh dich."

    Was bildete der sich überhaupt ein? „Aber du weißt, was gut für sie ist, ja? Als ob es dir um Nicole geht. Dich interessiert nur die Kohle!" Sie wich keinen Millimeter.

    „Komm, die hat doch ’nen Knall." Er raunte es Nicole zu, allerdings laut genug, dass es nicht nur für Nicoles Ohren bestimmt sein konnte.

    „Geh vor. Ich komme gleich", sagte Nicole mit einem verliebten Augenaufschlag. Mein Gott, wie sie ihn anhimmelte.

    Er zuckte mit den Schultern, ging aber.

    Nicole legte den Arm um sie. „Lena, was sollte das? Ich dachte, du interessierst dich nicht für ihn."

    Lena starrte ihre Freundin entgeistert an. Glaubte Nicole allen Ernstes, es ging ihr um Dennis? „Nicole, bist du verrückt! Den Kerl will ich nicht mal geschenkt. Weißt du überhaupt, was das für einer ist?" Sie befreite sich aus der Umarmung,

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