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Der Haken ... hatte einen Haken
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eBook317 Seiten4 Stunden

Der Haken ... hatte einen Haken

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Über dieses E-Book

Eifersucht im Alltag von Eheleuten, so weiß Kommissar Brozio, kann fatale Umstürze heraufbeschwören, besonders, wenn es sich um heimliche Pikanterien wie Callgirls und teure Dessous handelt. Die Lösung komplexer Zusammenhänge um falsch zusammengesetzte Damenunterwäsche und eine tote Frau in einem Einkaufszentrum stellt das Lahrburger Ermittlerteam erneut vor eine knifflige Aufgabe.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Sept. 2015
ISBN9783738039580
Der Haken ... hatte einen Haken

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    Buchvorschau

    Der Haken ... hatte einen Haken - Arne Siegel

    Titel

    Arne Siegel

    Der Haken ... hatte einen Haken

    Roman

    Wissenswertes

    Über das Buch:

    Eifersucht im Alltag von Eheleuten, so weiß Kommissar Brozio, kann fatale Umstürze heraufbeschwören, besonders, wenn es sich um heimliche Pikanterien wie Callgirls und teure Dessous handelt. Die Lösung komplexer Zusammenhänge um falsch zusammengesetzte Damenunterwäsche und eine tote Frau in einem Einkaufszentrum stellt das Lahrburger Ermittlerteam erneut vor eine knifflige Aufgabe.

    Tags: Dessous, Sex, Tablettensucht, Frauen-Rivalität, Psychose, Blendung(Strafe), Mord, Zwillinge, Kuckuckskind, Tauchen

    Der Autor:

    Arne Siegel, geboren 1962 in Dresden, ist Bautechniker, ursprünglich gelernter Zimmerer. Nachdem er sich für zwei Jahrzehnte als Unternehmer betätigt hat, entdeckt er seine Begeisterung für das Schreiben. Der Autor lebt in Berlin, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

    Anmerkung:

     Obwohl alle meine Geschichten der Fantasie entsprungen sind, so basieren sie zum Teil doch auf eigenen Erlebnissen. Insofern sind Ähnlichkeiten mit vorhandenen Personen, Institutionen oder Firmen, die es in der Realität gibt nicht immer zu vermeiden. Dennoch bedeutet es, dass keine derselben, die darin vorkommen, in der Wirklichkeit existieren.

    A. S.

    Besuchen Sie auch meine Webseite unter http://arnesiegel.yooco.de/!

    Prolog

    An einem Nachmittag bei bestem Wetter für Wassersportaktivitäten vermeldet eine 18-jährige Frau namens Yokolele Knies dem Leiter der Boogshaver Tauchsportgruppe Wido Reinnagel den Verlust ihres Froschkostüms. Innerhalb der Reinigungskammer, in der die von Salzrückständen befreiten Anzüge zum Trocknen aushängen, spürt sie dem Set nach, ohne es jedoch darin ausfindig zu machen. Wido, der Leiter der Tauchschule, versteht die Welt nicht mehr. Weder sind Einbruchsspuren am Objekt festzustellen, noch kann einer der Sportler zu Yokoleles Verlust mit einer plausiblen Erklärung aufwarten, wobei man wissen muss, dass theoretisch alle BSTV-Taucher die Kleider von Kameraden an sich nehmen können, was aber wenig Sinn macht, weil es sich bei jedem Set um ein Unikat handelt.

    Am Ende bleibt Reinnagel nichts weiter übrig, als jedes einzelne Mitglied zum Vorkommnis zu befragen, da kein auswärtiger Dieb in Betracht kommt und weil die zu beklagende Summe bis weit in die Vierstelligen geht. Doch bevor er sich nicht ein dezidiertes Bild von der Situation gezeichnet hat, um voreilige Beschuldigungen gegenüber seinen Mitstreitern auszuschließen, macht es wenig Sinn, Polizei und Versicherung über den angezeigten Schaden zu informieren. Ab und zu, so weiß Wido aus Erfahrung, verlassen Tauchfreunde die Reihen des Vereins, deren Anzüge sodann an neue Interessenten veräußert werden müssten. Die Sets verbleiben zumeist im Kreis der Szene und tauchen in anderen Klubs an passenden Rümpfen neuer Besitzer wieder auf. Daher ist es außergewöhnlich, dass eine komplette Montur verschwindet, zumal sie nur von einer bestimmten Person getragen werden kann. Als sich bei der Suche nach dem unterseeischen Gewand bis zum frühen Abend keine erhellende Spur auftut und auch kein Eingeweihter etwas zu dessen möglichem Verbleib sagen kann, sieht Wido Reinnagel sich veranlasst, die Polizei zu verständigen, um den Diebstahl anzuzeigen.

    Eine Viertelstunde später kommt ein Streifenwagen mit Boogshaver Kennzeichen vor dem Eingang des BSTV zum Stillstand. Diesem entsteigen zwei Uniformierte, die sich als Wachtmeister Anders Theilen und Ernst Winfried Kowalewski unter Vorweisung ihrer Dienstpapiere bei den Anwesenden vorstellen. Einer von ihnen zückt Stift und Protokollblock, der andere schaut auf alle Schränke und in sämtliche Ecken. Daraufhin lässt sich Kowalewski - Theilen indessen, mithörend und -schreibend - die Geschichte des verloren geglaubten Taucheranzugs von einer betrübten Yokolele Knies der Reihe nach und in allen Einzelheiten auseinander pflücken. Als das geschehen ist, tauschen die Beamten einen Blick.

    Der Polizist namens Ernst Winfried Kowalewski verdeutlicht Knies und Reinnagel, dass es sich bei der vorhandenen Konstellation, aus seiner Sicht, um eine Beraubung unter eigenen, zumindest involvierten Leuten handeln muss, da anscheinend Schlüssel für die Tat verwendet worden sind. In der Annahme, dass sich Frau Knies' Eigentum möglicherweise im territorialen Umfeld befindet, stellt er klar, dass das Hafenamt zum Sachverhalt verständigt werden sollte. Schließlich sind Teile des Sets mit Gravuren versehen, über welche man den Besitzer im Fall einer Entdeckung namhaft machen kann. Die Beamten signalisieren das Ende ihres Besuchs, indem sie sich an die Mützen tippen. Theilen holt rasch eine Unterschrift unter den Protokollbogen ein, bevor die Streife ihren Weg mit unbekanntem Ziel fortsetzt. Yokolele Knies schaut ihnen betreten nach.

    Fataler Irrtum

    1.

    Sechs Jahre zuvor:

    Auf dem Vereinsplatz der Kleingartenanlage Fraternitas Rosenhag in Rosenhag e.V. steht ein nahezu unbenutztes eingeschossiges Gebäude mit flachem Dach. Im Vergleich zu den Bauwerken in seiner Umgebung nimmt es sich in Form und Farbe beirrend, geradenwegs abstrus aus. Ein auffälliger architektonischer Kontrast gegenüber streng geometrisch gestalteten Gartenparzellen mit ihren würfelförmigen Hütten. Ein Affront gegen kleinkariertes Vereinsgebaren, mag der eine oder andere Promenierende bei dem befremdlichen Anblick meinen, der sich in diesem Moment von der Straße aus bietet. Vor drahtumzäunten Gartenvierecken, die horizontweit üppiges Grün in die geteilte Landschaft malen, wirkt jener Baukörper wie ein aus nackter Erde geschossener, zu umfänglich geratener hölzerner Pilz. Ein Torso, bestehend aus rustikalem, raumhohe Glasfenster umrahmenden Holzgebälk mit einem daran haftenden, die exotische Note unterstreichenden, folkloristisch anmutenden Malereiwerk. Hinter dem, das Areal umspannenden Drahtzaun, unweit der dominierenden Holzrotunde, duckt sich bescheiden das Vereinshaus der Kleingartenanlage Fraternitas Rosenhag in Rosenhag e. V. unter drei alte Moorbirken. Ungeachtet dessen administrativer Bedeutung bleibt das interessantere der beiden Bauwerke, für Anwohner, Vereinsleute und seinen Betreiber, fraglos, der illustre Pavillon selbst. Man kennt diese architektonisch bemerkenswerten Konstruktionen berühmter Architekten in bedeutenden Ballungszentren, zumeist aus Stahl, Holz und Glas, die ausschließlich Zwecken kultureller Darbietung dienen. Jenes Fantasiewerk vor Ort befindet sich allerdings in einem stadtnahen, fast ausschließlich zu gärtnerischen Zwecken genutzten Freizeitgebiet. Es ist Eigentum der privaten Bildungseinrichtung Schule freies Leben Rosenhag, die für dessen Erstellung die Baufläche vom Kleingartenverein gepachtet hat.

    »Ein Hort pädagogischer Projektarbeit im Sinne globaler Völkerverständigung«, klingt es aus den Mündern begeisterter Initiatoren und Förderer. Und um dies auch visuell zu verdeutlichen, hat man über dem Eingang des Rundhauses eine ausladende, bereits von weitem erkennbare Tafel angebracht. Grellweiß prangt darauf ein Schriftzug in pittoresk gewundenen Buchstaben auf rotem Untergrund:

    ›Fraternité Lahrburg-Lukaka‹

    Für Rosenhager Bürger ist das erste Wort der Trinität das Einfachste und in den meisten Köpfen präsent. So ist es doch abgeleitet vom gleichnamigen Kleingartenverein, in dessen Obhut man sich begeben hat. Fraternité, ein Wort, das aus dem Französischen stammt, bedeutet Brüderlichkeit. Für die Fraternitianer ist diese nicht nur Begriff, sondern auch gelebte Praxis. Den Sinn des nächsten Wortes muss man einem Lahrburger nicht extra erklären und die leise Ahnung, dass letzteres afrikanischer Herkunft sein könnte, bestätigt sich schnell, wenn man in dieser Sekunde einen Blick auf das Anwesen richtet, woran ein negroider Mann, bekleidet mit Jeansjacke und rotem Basecap, einer erbaulichen Beschäftigung nachgeht. Bei jener markanten Person handelt es sich um den Austauschlehrer Bokalu Mbosa, geboren in der westafrikanischen Republik Oganga. Herr Mbosa ist 30 Jahre alt, misst über 1,90 Meter an Körperhöhe und besitzt eine kräftige Statur. Seine Haut, die an frischen, in der Hitze flimmernden Bitumenbelag erinnert, absorbiert das Tageslicht wie ein Solarkollektor.

    Seit einigen Monaten unterrichtet der Afrikaner an der Schule freies Leben Rosenhag in der Sekundarstufe 1 die Fächer Französisch und Geografie. Seine eigentliche Bekanntheit in der Stadt beruht insbesondere auf der Tatsache, dass es bei ihm um den belangreichen Mann geht, auf dessen Initiative hin die Idee des europäisch-afrikanischen Schulpavillons in die Realität geführt worden ist. Der Pavillon der Völker! Ein klangvoller Name, den man hier unbewusst mit der Schule freies Leben Rosenhag und dem Kleingartenverein Fraternitas, als selbst ernanntem Impresario des Projekts in Verbindung bringt. Ein Gemeinschaftswerk begeisterter Kinder, Lehrer, Eltern, Kleingärtner und zahlungskräftiger Gönner.

    Unter didaktischer Anleitung von Frau Lunkenheimer und Herrn Mbosa treffen Schüler der Einrichtung erste Vorbereitungen, um an einem der kommenden Wochenenden in den Räumen des Hauses eine erste Schau zu zelebrieren. Ilka Lunkenheimer ist mit ihren 14 Dienstjahren bereits eine erfahrene Lehrkraft im Stoffgebiet Deutsch, Geschichte, Ethik und Religion. Sie hat zwar keine eigenen Kinder, jedoch einen späten Wunsch danach. In der Regel ist die engagierte Pädagogin rasch für ausgefallene schulische Projekte zu begeistern, so auch für Bokalu Mbosas Vorhaben, ein Schauhaus auf dem Fraternitasgelände zu errichten. Was die Arbeit mit Austauschlehrern fremder Nationen angeht, zeigt Frau Lunkenheimer stets fachliches wie auch privates Interesse. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Herrn Mbosa, hat sie sich bereits im Vorfeld seiner Anstellung mit den Mentalitäten seines Volkes vertraut gemacht und ihr Französisch in Abendkursen aufgefrischt. Ergänzend zum regulären Unterricht entwickeln beide Lehrer eine Initiative in Form eines ethnischen Brückenschlages, der in den Kampagnen des Pavillon der Völker seinen geistig-kulturellen Niederschlag findet. Was Skeptikern am Anfang ein müdes Lächeln abringt, wird angesichts der Gegenwart des hochgewachsenen Lehrers aus Oganga, an der Seite der brünetten, durch Tauchsport konditionierten Power-Frau, in Verbindung mit jenem markigen Hort multikultureller Präsentation, zu einem mitreißenden Gedanken, der über die Ortsgrenzen hinaus strahlt. Ilka Lunkenheimer und Bokalu Mbosa haben sich als Startidee einem bilateralen Thema für die kommende Eröffnung gewidmet. Wie sich in gemeinsamen Gesprächen ergeben hat, stellt das Steigenlassen von Papier- respektive Stoffdrachen, kontinentalübergreifend, eine beliebte Art der Freizeitbeschäftigung dar. Insofern wird das Drachensteigen, in jeglicher Form und Ausprägung, Inhalt der nächsten Projekttage sein.

    Lahrburger Schnurpiloten tun es auf ihren stadtnahen Höhenzügen. Völlig analog dazu funktioniert es auf den Hochebenen der Republik Oganga am Ostatlantik. Mit seinen rund 300 Metern Höhe über NN ist das Ogangische Plateau, nahe der gambischen Grenze, für das Drachenfliegen wie geschaffen. Ein windsicheres Gebiet mit viel Sonnenschein und ausgeglichenen Temperaturen lässt die Ogangen das gesamte Jahr über dieser Leidenschaft frönen.

    Ilka Lunkenheimer hat zuweilen von Afrikanern zu lernen, dass deren Drachen in der Regel nicht industriell gefertigt sind. Sie stellen keine Regalware dar, so wie man es hierzulande kennt. Vielmehr repräsentieren sie durch und durch reine Handarbeit. Bereits zu dieser Stunde brennen die Schüler von Herrn Mbosa darauf, einen echt ogangischen Drachen, eigener Hände Geschick, unter Anleitung eines Afrikaners in der Manufaktur des Pavillon der Völker anzufertigen. Und sie wissen auch, dass dieses ausschließlich mit originalgetreuen Materialien, wie zum Beispiel Naturfarbstoffen zu verabfolgen hat. Im Geografieunterricht hat es Bokalu Mbosa ihnen bereits erläutert, dass das Drachensteigen in seiner Heimat, bei allem Vergnügen, was sich damit verbindet, auch eine religiöse Dimension innehat. Diese symbolisiert den Kontakt von den Erdbewohnern mit den Göttern im Himmel. Stürzt ein Drachen ab, oder steigt gar nicht erst auf, bedeutet es für die Menschen ein Fluch. Dieses, den Traditionen verhaftete Denken, wird von den Kindern ehrfürchtig zur Kenntnis genommen und in jeder Hinsicht respektiert.

    Rund 30 Minuten später nähert sich ein edles Fahrzeug der grünen Domäne. Gemessenen Taktes bewegt sich ein, im Sonnenlicht erglänzender Kraftwagen der Marke Mercedes Benz auf das Portal des Pavillons hinzu. Dem mondänen Fortbewegungsmittel entsteigt ein dunkelhaariger Mann mittleren Alters, der dem Fond eine Garnitur abkömmlichen Schulmobiliars entnimmt. Mbosa zeigt sich erfreut. Er begrüßt den Ehemann seiner Kollegin, den Architekten Tilmann Lunkenheimer, auf seine fremdländisch-afrikanische Art. Unter den Blicken des Bautechnikers hantiert er in athletischer Gewandtheit die mittels Ölspray gangbar gemachten Klappgarnituren ins Vestibül. Minuten später, als sie gemeinsam allen messetauglichen Kram im Pavillon verstaut haben, blicken die Männer mit zufriedenen Mienen. Nach feierlichem Abschied per Handschlag gleitet der Mercedes mit dem Architekten durch den Torbogen zurück ins Freie.

    2.

    Etwa eine halbe Stunde später schreitet ein weißhaariger Herr, den Jackenkragen hochgeschlagen und die Ballonmütze in die Stirn gezogen, in Begleitung eines honigfarbenen Hundes am Tor der Kleingartenkolonie den Gehsteig entlang. Sein Blick streift durch die Einfahrt und verfängt sich, wie nicht anders zu erwarten, am exotisch anmutenden, vergleichsweise deplatziert wirkenden, platzmittig erstellten Rundgebäude. Einen Lidschlag darauf sieht er den Afropädagogen durch die Tür treten. Kurt Vanderbilt verlangsamt seinen Schritt, er erhebt die Hand zum Gruß, was Mbosa mit freudigem Winken erwidert. Sein vierbeiniger Begleiter, ein Golden Retriever namens Harro, stemmt sich in sein Geschirr, was Vanderbilt nicht zum Stillstand kommen lässt. Beide Promenierende haben sich das nahe Katzenwäldchen als Ziel erkoren, was Harro auch nachts und bei dichtem Nebel ohne Umschweife finden würde. Auf dem Weg dorthin, schätzt Vanderbilt, dürfte sich ob des Vierbeiners Lust auf Bewegung keine Gelegenheit für eine Stippvisite im Pavillon Fraternité auftun. Auf der Rücktour hingegen, mit einem bedürfnisloseren Leinenfreund im Schlepp, würde sich dafür eher eine Möglichkeit bieten.

    Der Ex-Matrose und Erlebnisschriftsteller Kurt Vanderbilt ist in Lahrburg so etwas wie eine lebende Legende. Seine Werke, in denen es um Fahrten in ferne Länder und die damit verbundenen Abenteuer geht, sind bei Lesefreunden auf dem gesamten Erdball angesagt. Bislang hat der weit gereiste Mann 27 Romane sowie zahlreiche Essays verfasst und erfolgreich veröffentlicht. Sein Eigenheim in Lahrburg Rosenhag, Zedernweg 44, erbaut anno 1921, ist im Vergleich zu anderen Wohnbauten im Umfeld enorm renovierungsbedürftig. Der Autor verwendet aber weder Zeit noch Mühe auf die Pflege von Haus und Garten. Lieber widmet er sich dem Schreiben oder seinem Hund, sehr zum Leidwesen der Nachbarn, deren gut gemeinte Gärtnerei- und Wartungsangebote er beharrlich ausschlägt. So kommt es vor, dass die Villeneigner, Ilka und Tilmann Lunkenheimer, Vanderbilts unterwurzelndes Kraut, seine herein hängenden Äste an der Grenze ihres Territoriums zu beseitigen haben, ohne ihn dafür in gebührende Verantwortung zu nehmen. Irgendwann in vergangener Zeit hat es eine Geschichte gegeben, deren Wahrheitsgehalt bis heute umstritten ist, doch lastet der Verdacht nach wie vor auf dem freundschaftlichen Einvernehmen. Lemminge in Vanderbilts Garten, die dort in ihrem Bau leben und sich dabei ungestört vermehren, haben Schwarzwurzeln aus Lunkenheimers Gemüsebeet geraubt, um sie anschließend in ihren Kavernen zu bevorraten. Das Gerücht erzählt, dass der 61-jährige Witwer beim Graben mit dem Spaten (was eine Ausnahme darstellt) zufälligerweise auf deren Aushöhlungen gestoßen ist. Anschließend hat er die, von den Tunnelbewohnern säuberlich getrennten Wurzelfragmente entnommen, gedünstet und sie mit Kotelett und Salzkartoffeln verzehrt. Man darf annehmen, dass er selbst die Geschichte in Umlauf gebracht hat. Trotz aller Kritik an seinen Lebensgewohnheiten gibt es aber auch erfreuliche Seiten des Miteinanders. Bei Grillfeiern und Kaffeeklatsch auf Lunkenheimers Terrasse ist der Literat stets ein gern gesehener Gast. Kurt ist 36 Jahre lang als Matrose auf Schiffen der Handelslinien zur See gefahren. Seit Beginn dieser Zeit dokumentiert er seine Erlebnisse in einer für ihn unverwechselbaren Prosa. Sowohl beim Überqueren der Ozeane als auch auf Landgängen hat er viel Erzählenswertes erlebt und daher stets eine fesselnde Geschichte für ein abendliches Zechgelage parat. Nach eigenen Schilderungen hat er zweimal im Leben Schiffbruch erlitten und darüber hinaus mindestens 20 Kinder auf dem Globus gezeugt.

    Im Leben mit Anrainern gibt es ein übriges personales Beispiel, hinsichtlich welchem Tilmann und Ilka Lunkenheimer sich glücklich schätzen, auf Mitbewohner setzen zu können, denen man in jeglicher Hinsicht vertrauen kann. Auf der rechts angrenzenden Brachfläche haben sich die Eheleute Eugen und Ariane Hüfner nebst Töchterchen Fanny ein preiswertes Schnellbauhaus erstellen lassen. Nach einem zweiten Kind besteht beider Partner Wunsch, doch kann er aus bestimmten Gründen nicht erfüllt, die Familienplanung nicht eingehalten werden. Ariane Hüfner erklärt den Lunkenheimers, dass aus ihrer Sicht die turbulente Bauphase am Ausbleiben des folgenden Nachkommen Schuld habe, dass man dieses aber zu bessern gedenke. Ilka schenkt jener Darstellung keinen Glauben. Dies sei keine plausible Erklärung für ein Ermangeln an Nachwuchs, da die Baufertigstellung inzwischen über ein Jahr zurück liegt. Sie vermutet daher eine andere Ursache. Tilmann ringt es stets ein süffisantes Lächeln ab, wenn das Gespräch auf die Hüfners kommt. Bei diesen Leuten handele es sich um ein, in der Architektensprache so genanntes Bausparehepaar, was sich nichts aus Gediegenheit mache. Ansonsten seien die Leute aber ganz in Ordnung. Ilka missbilligt Tilmanns despektierliche Art fremden Lebensgemeinschaften gegenüber. Für die dezidierte Art seiner Aufmerksamkeit im speziellen Fall vermutet sie jedoch einen anderen Grund, der mit der hilfsbereiten Anrainerin namens Ariane Hüfner zusammenhängen muss. Diese kontaktfreudige Person scheint aus allen gängigen Klischees herauszufallen. Aus der Meinung von Leuten sich nicht allzu viel machend, reflektiert sie nicht im Geringsten gut gemeinte Botschaften, wenn es um ihre fragwürdigen Aktivitäten beziehungsweise ihr äußeres Erscheinungsbild geht. Möglicherweise imponieren Tilmann ja genau diese Eigenschaften, ohne dass er es jemals zugeben würde. Ilka Lunkenheimer ist sich diesbezüglich nicht sicher, was sie glauben soll. Ariane Hüfner ist ein spindeldürres Wesen mit Wespentaille, gern im 70er-Jahre-Look gekleidet, mit großen Zähnen und zottigem dunkelblondem Haar. Sie sieht meistens ungepflegt und übernächtigt aus, obwohl sie keiner geregelten Arbeit nachgeht. Ab und zu putzt sie in einer Spedition, doch ist sie darüber hinaus zeitlich imstande, kleinere Dienste und Botengänge für die Anwohnerschaft zu erledigen, was sie offensichtlich mit großer Begeisterung tut.

    So ist es denn gekommen, dass Frau Hüfner von den Eheleuten Lunkenheimer die Vollmacht dafür erhält, Päckchen, beziehungsweise Sendungen für das Architekturbüro, vom Postzusteller bis zu deren Abholung, in persönlichen Gewahrsam zu nehmen. Bislang hat sie das auch untadelig erledigt. Die Bezahlung dafür spielt keine Rolle, was die Sache in Ilkas Augen verdächtig erscheinen lässt. Sie weiß, dass Ariane eine Seele von Mensch ist und, aus welchem Grund auch immer, diese Art sozialer Interaktion benötigt wie die Luft zum Atmen. Denn, wo Ariane geht und steht, widmet sie sich mitfühlend, wachen Aug' und Ohres, den zutiefst privaten Angelegenheiten fremder Leute, wofür es eine einfache medizinisch verbriefte Erklärung gibt: Ariane Hüfner leidet unter pathologischer Neugier. Wenn es ihr versagt bleibt, Zusammenhänge über Menschen zu erfahren, um diese in ihr Weltbild einzuformen, verzehrt sie sich derart, dass es ihr körperliche Schmerzen bereitet. Sie krankt an einer Psychose, die den kritischen Blick auf die eigene Person verneint, auf andere hingegen manisch verstärkt.

    »Je nachdem, wohinein sie ihre Nase gerade steckt«, scherzt Kurt Vanderbilt, der ihre unersättliche Wissbegierde zur Genüge kennt. »Gegen Lots Frau müsste Ariane ein Salzbergwerk sein«, charakterisiert er sie gern metaphorisch.

    Eugen Hüfner, ihr, als ausgleichender Widerpart fungierender Ehemann, ist 37-jährig und damit 6 Jahre älter als seine Gemahlin. Er arbeitet als Techniker in einem namhaften Nahrungsmittelkonzern, der die einprägsame Bezeichnung Lahrfood Company AG führt. Hüfner befasst sich mit der Entwicklung einer weitgreifenden Palette von Artikeln der Fastfood-Branche. Nach seiner Vorgabe ist es dem Labor gelungen, einen, dem klassischen Hamburger nachempfundenen Imbisssnack, den legendären LAHRBURGER zu kreieren. Im Gegensatz zu Kurt Vanderbilt hält das Ehepaar Hüfner seinen spärlich bewachsenen Garten auch an dessen Rand frei von störendem Bewuchs. Eine hibbelige Tochter von fünf Jahren namens Fanny sowie zwei Katzen: Fizzi (orange getigert) und Mores (pechschwarz) runden das familiäre Bild ab.

    3.

    Seit dem ersten Tag des Anhabens gibt der Simonette-Stretchband Formbügel BH von Ilka Lunkenheimer Anlass zur Klage. Nach Einschätzung der ihn Tragenden beruht der Mangel in unzureichendem Zusammenhalt der verfestigenden Bestandteile untereinander. Ilka besitzt auch andere BHs, deren Segmente zu einem stabilen Komplex vernäht sind, doch sind diese nicht von Simonette und erreichen damit auch nicht den Komfort des Marktführers. Woran es aber genau liegt, kann die Lehrerin von ihrer Warte aus nicht beurteilen. Sie merkt nur, dass sich das gesamte Gefüge beim Tragen regelmäßig in seine Elemente entzweit. Das heißt, genau genommen lösen sich nur die Häkchen, die aussehen wie Fragezeichen in der Buchstabensuppe, von den Schlaufen, die die Träger mit den Körbchen verbinden. Eine Simonette-Spezialität, die einerseits den Vorteil mit sich bringt, dass man den BH zum Zweck des Waschens in seine Komponenten zerlegen kann. Doch ob es einen wirklichen Nutzen hat, fragt sich die Kennerin zu Recht, die nun weiß, dass man diese Besonderheit mit erheblicher Unzuverlässigkeit bezahlt. An diesem Beispiel wird ihr klar, dass es völlig gleichgültig ist, auf welche Weise eins mit dem anderen verbunden ist, Hauptsache alles bleibt fest miteinander verschlossen.

    So kommt es, dass Ilka Lunkenheimer beginnt sich dafür zu interessieren, warum die Simonette AG sich überhaupt auf eine so gewagte Variante hin versteigt, wo sie doch zur Genüge Anfälligkeiten zeitigt. Andererseits wird ihr klar, dass es hierbei um ein Problem geht, was mehr mit Konstruktivität und Festigkeit denn mit modischer Schöpfung zu tun hat, und dass dieses eigentlich das Metier eines Statikers ist. Ebendiese komplexen, auf ruhenden Lastflüssen basierenden Zusammenhänge, haben Tilmann Lunkenheimer als versierten Konstrukteur auf den Plan gerufen und er hat, seinem beruflichen Stolz geschuldet, die Angelegenheit sachkundig geprüft und einen Kommentar dazu verfasst:

    Die auf den Haken einwirkende Kraft führt aufgrund des unzentrischen Angriffs zu einer Außermittigkeit des Lastflusses. Das daraus resultierende Moment bewirkt ein Drehen des Hakens aus seiner Verbundstelle, hier als Schlaufe bezeichnet, und verhindert somit das angestrebte Kräftegleichgewicht. Im Ergebnis der Betrachtung muss man versuchen, das den Haken bewegende Moment konstruktiv zu verhindern, was nur durch eine Modifizierung der Form desselben zu erreichen ist.

    T. L.

    Bereits früh am Tag kann der Ärger beginnen, wenn es kurz nach dem Ankleiden geschieht. Ungelegenerweise in einem Moment, wo alles zugeknöpft und angeputzt ist und Ilka Lunkenheimer im Aufbruch begriffen. Aber auch wenn es unterwegs passiert, kann es in eine mittlere Katastrophe münden, zum Beispiel, wenn die gestandene Lehrkraft für Deutsch und Geschichte der Sekundarstufe 1 mit ausgehakten Trägern vor ihre Schülermeute tritt. Dem Bausachverständigen und

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