Geschichten aus der Maxvorstadt
Von Hanns Sedlmayr
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Buchvorschau
Geschichten aus der Maxvorstadt - Hanns Sedlmayr
Vorwort
Dieser Text ist eine Liebeserklärung an die Maxvorstadt und deren weitere Umgebung. Ein Viertel, in dem es prächtige Museen und Bauwerke gibt, viel Natur, der Englische Garten ist nicht weit, vor allem aber dem Leben zugewandte Menschen. Einige arbeiten hart, manche arbeiten gar nicht. Langweiler sind selten, schöne Mädchen häufig.
Föhn
Föhn macht mich depressiv. Gleichzeitig bin ich seltsam aufgekratzt. Keine gute Zeit für mich.
Es herrscht Föhn in der Maxvorstadt. Es ist Anfang November. Als wir, gegen 21 Uhr, unseren Tisch auf dem Gehsteig in einem Restaurant verlassen, um eine Bar aufzusuchen, ist es immer noch so warm, dass wir unsere Jacken über die Schulter geworfen haben. Ein warmer Wind bläst durch die Straßen. Die Gehsteige sind voll mit Menschen. In den Wohnungen ist es nicht auszuhalten. Es herrscht eine aufgekratzte Stimmung. Es wird lauter gesprochen, als sonst üblich.
Der Wind zeigt an, dass der Föhn bald zusammenbrechen wird und regnerische kalte Tage kommen werden.
Mein Begleiter kommt aus London. Er ist ein ungewöhnlich schöner Mann, gerade 25 Jahre alt geworden, groß und breitschultrig, mit einer üppigen blonden Haarmähne und einem blassen, sensiblen, gut proportionierten Gesicht.
Er legt großen Wert darauf, für alle Anlässe immer richtig gekleidet zu sein. Als ich ihn vom Flughafen abhole und ihn in sein Hotel bringe, besteht er darauf, sich vor dem Abendessen umzuziehen. Er ließ mich eine Halbestunde in der Hotellobby warten.
Die Bar, in die wir einkehren, ist fast leer. Nur am Tresen stehen drei Männer. Wir stellen uns dazu und bestellen einen kühlen Weißwein.
Kurze Zeit später betritt eine Frau die Bar. Sie bleibt in der Tür stehen. Sie trägt einen eng anliegenden, hellen Trenchcoat und sehr hohe rote Schuhe.
Sie scheint unter dem Trenchcoat nur sehr wenig anzuhaben. Ein Gürtel zeigt ihre schmale Taille.
Ihre dichten, dunkelbraunen Haare sind streng nach hinten gekämmt und fallen ihr bis weit über die Schultern. Sie hat eine hohe Stirn mit dichten, dunklen Augenbrauen, eine kleine Nase und einen großen roten Mund, der in ihrem blassen Gesicht wie eine Wunde aussieht. Sie ist nicht mehr jung. Ich vermute Ende Dreißig. Alle fünf Männer am Tresen drehen sich um und starren auf die Frau.
Sie ist eine erotische Fata Morgana. Alle Gespräche sind verstummt. Alle fünf Männer recken die Brust heraus und bringen sich in eine vorteilhafte Position.
Ich versuche nicht zu grinsen, sondern einladend zu lächeln.
Die Frau mustert uns alle fünf der Reihe nach. Mir scheint, sie musterte mich am kürzesten.
Als wir alle fünf durch sind, nähert sie sich dem Tresen. Alle fünf suchen neben sich nach einem freien Platz.
Sie geht auf meinen Londoner Besucher zu und bleibt lächelnd vor ihm stehen. Ihr Lächeln ist vorsichtig, aber auch selbstsicher. Sie hat sich vielleicht noch nicht endgültig entschieden.
David, mein Londoner Besucher, tritt zurück und überlässt ihr seinen Platz am Tresen. Er eröffnet das Gespräch mit einem „What may I order for you".
Sie wendet sich meinem Londoner Besucher zu. Ich stehe hinter ihrem Rücken.
Sie spricht ein fließendes Englisch. Die beiden sind bald in ein intensives Gespräch über London vertieft.
Ihre Stimme ist nicht weniger erotisch als ihr Körper. Es ist eine, für eine Frau, dunkle Stimme.
Ich stehe deprimiert daneben.
Als ich vom Pinkeln zurückkomme sind die beiden verschwunden.
Am folgenden Tag, bin ich am Morgen, mit David, zu einer geschäftlichen Besprechung verabredet.
Er kommt am Mittag. Er ist blass, hat wässrige Augen und rote Flecken in seinem Gesicht.
Ich sehe höflich über sein gestriges Abenteuer hinweg und beginne die Besprechung mit einem kurzen Referat über den Sachverhalt, den es zu diskutieren gibt.
David hört nicht zu. Der stattliche Mann sitzt da, wie ein Mensch, dem gerade ein Schmerz zugefügt wurde, der ihn tief in seiner Seele verletzt hat. Seine Augen sind wässrig, es sieht so aus, als ob er jeden Moment in Tränen ausbricht.
Es ist bald klar, dass es keine geschäftliche Besprechung geben wird, vor mir sitzt ein gebrochener Mann.
David arbeitet erst seit ein paar Monaten für die Londoner Firma. Es ist sein erster Job nach dem Studium. Ich verfluchte und beneidete ihn gestern. Wenn ich ohne ihn in die Bar gegangen wäre, hätte ich vielleicht gewonnen.
Ich bin neugierig, was gestern geschehen ist und bitte ihn zu erzählen.
„Sie haben die Frau gesehen", sagt er und machte eine lange Pause. „Sie hat mir ihre Schönheit, ihre Süße und ihre Zärtlichkeit für eine Nacht geschenkt.
Am Morgen hat sie mich weggeschickt. Sie will mich nicht wiedersehen. Ihr Mann kommt Morgen zurück, er war für einige Wochen verreist."
David kann nicht weitersprechen. In seinen Augen stehen Tränen. Seine Hände fahren fahrig über den Tisch.
Nach ein paar Minuten fährt er fort:
„Ich habe nicht gewusst, wie schön es sein kann, mit einer Frau zu schlafen. Sie hat mir eine Lust geschenkt, die ich nicht vergessen kann.
Ich liebe diese Frau, ihre Schönheit und Sinnlichkeit hat sich tief in meine Seele eingebrannt. Ich werde mit keiner anderen Frau mehr schlafen können. Die Vorstellung, dass sie Morgen Nacht mit ihrem Mann schlafen wird, macht mich wahnsinnig. Ich träume davon ihren Mann zu töten",
wieder entsteht eine lange Pause.
„Ich kann nicht in München bleiben. Ich würde Amok laufen. Ich nehme den nächsten Flug nach London."
Er versucht nicht mehr seine Tränen zurückzuhalten. Sein Gesicht zeigt eine geschundene Seele.
Er steht auf, nimmt seinen Mantel und seine Tasche und verlässt mein Büro.
Seine Londoner Firma schickt zwei Tage später einen Kollegen. Der Föhn ist vorbei. Als ich ihn am Flughafen abhole schneit es.
Der Kameramann
Auf dem Heimweg von einer Ausstellung im Brandhorst Museum, die ganz Andy Warhol gewidmet war, setzte ich mich im Café Adria an einen Tisch, an dem schon ein älterer Mann saß. Ich legte eine Information über die Ausstellung auf den Tisch. Mein Nachbar warf einen Blick auf meine Information und sagte: „Ah Du warst bei Andy."
Ich antwortete arrogant: „Kennen Sie Andy."
„Ja antwortete er: „Ich war ein paar Jahre lang sein Kameramann.
Ich schaute mir jetzt meinen Nachbarn genauer an. Er hat eine verwegene Kappe auf, die gut in einen späten Western passen würde und den Eindruck macht, dass er sie auch im Bett nicht abnimmt. Er hat wache helle Augen und ein Gesicht, das viel erlebt hat.
„Erzähle, forderte ich ihn auf. „Das interessiert mich.
„Ich war in New York und wusste nicht so recht was ich machen soll. Ich habe Drogen genommen und landete in der Fabrik von Warhol. Andy brauchte einen Kameramann, nachdem ich gerade da war, wurde ich sein Kameramann.