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BeOne: BePolar 3
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eBook404 Seiten5 Stunden

BeOne: BePolar 3

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Über dieses E-Book

Wenn du versuchst am Boden zu bleiben, während man dich in den Himmel hebt...
Wenn ein Teufel dich beflügelt und der Engel dein Herz entzweit...
Wenn ein Flügelschlag plötzlich über Leben und Tod entscheidet...
...Dann gleicht dein Leben einem Kaleidoskop und du, Roya, musst Wunder vollbringen, um den Scherbenhaufen in ein Kunstwerk zu verwandeln.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Juli 2020
ISBN9783752906585
BeOne: BePolar 3

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    Buchvorschau

    BeOne - Martha Kindermann

    Prolog

    Meine Füße tun weh. Die Kabelbinder, mit denen die Boliden unsere Hände zusammengebunden haben, schneiden mir tief ins Fleisch und scheuern seit endlosen Minuten an meinen Gelenken. Ich weiß nicht, wie lange wir schon unterwegs sind, aber die Abenddämmerung setzt ein und ein Ziel ist noch nicht in Sicht. Meine Kehle ist so trocken, dass die kühle Luft bei jedem Atemzug schmerzhaft meinen Hals hinunterkriecht. Jeden Moment werden mir die Augen zufallen.

    »Roya, alles gut?« Tam marschiert direkt hinter mir durch die Tunnel und riskiert mit jedem Wort sein Leben für mich.

    »Ruhe da vorn, verstanden?«, fährt uns eine bedrohlich klingende Männerstimme an, »Es interessiert niemanden, was die Damen und Herren Eleven zu sagen haben. Hier habt ihr gefälligst still zu sein!«

    Ein großer Typ mit Glatze und langem Ledermantel zerrt Tam nach hinten und bereitet so jedweder Konversation ein Ende. Auch wenn es mich förmlich zerreißt, ich kann mich nicht nach ihm umsehen. Ich muss die Augen geradeaus richten und die gehorsame Geisel mimen. Andernfalls verspiele ich meine Zukunft. Eine Zukunft, für die ich kämpfen wollte. Für die ich kämpfen werde. Eine Zukunft in Polar, einem friedlichen und gerechten Land, welches für seine Bevölkerung stark und transparent ist, auf deren Bedürfnisse schaut und keinen Bürgerkrieg favorisiert, um der Regierung mehr Macht zu verschaffen.

    »Steh auf, Mädchen! Aber plötzlich!«

    Die Karawane stoppt und der Grund dafür liegt nur wenige Meter vor mir: Tamika. Meine Teamkameradin ist auf Grund ihrer dunklen Hautfarbe in diesen düsteren Gängen kaum auszumachen, aber es ist deutlich erkennbar, dass sie heute keinen Meter mehr laufen wird. Weitere bewaffnete Boliden eilen nach vorn und treten gegen ihren erschlafften Körper. Warum? Warum treten sie auf sie ein? Warum haben sie zwei Speere in unseren Freund Melwin gejagt und warum habe ich mein Nahkampftraining seit der Landung in Middens Regierungspalast so vernachlässigt?

    Ich schreie, so laut ich kann. Ich werfe mich wütend gegen meinen persönlichen Begleiter, um mich an Tamikas Seite zu kämpfen, aber es ist zwecklos. Tam schüttelt den Kopf und signalisiert mir mich zu beruhigen. ›Sie werden ihr nichts tun‹, formen seine Lippen, doch ich kann mich nicht beruhigen. Mein Magen krampft, mein Hals brennt, meine müden Augen füllen sich mit Wasser und ich kann nichts, aber auch gar nichts gegen dieses schreckliche Gefühl tun. Was, wenn ich mich ebenfalls fallen lasse und auch die Jungs eine Erschöpfung vortäuschen, die man ihnen zweifellos abkaufen würde? Ließen sie uns hier unten in der Einsamkeit der östlichen Tunnelsysteme liegen und elendig verrecken?

    »Du und du – herkommen!« Der Glatzkopf zeigt auf Sly und Tam und schubst sie unsanft nach vorn, bis sie vor Tamikas geschundener Gestalt stehenbleiben. »Tragt sie!«

    Das können sie nicht verlangen! Wir Eleven haben zwei Tage nichts mehr gegessen, sind völlig dehydriert und seit dem Start dieses dämlichen Camps ununterbrochen auf den Beinen.

    »Wird’s bald?« Die nackte Angst spricht aus ihren dunkel unterlegten Augen und bringt mich erneut zum Heulen. Tam beugt sich hinunter und nimmt Tamika mit seinen verbliebenen Kräften wie eine Prinzessin auf die Arme.

    »Wir wechseln uns ab«, gibt er Sly und den Boliden zu verstehen und macht die ersten vorsichtigen Gehversuche.

    In diesem Moment bin ich so wahnsinnig, wahnsinnig vernarrt in ihn, dass sich mein Mund zu einem Schmunzeln verzieht und meine Lippen den salzigen Geschmack der Tränenbäche annehmen. Er ist tough, das wusste ich, aber die Selbstlosigkeit, die er gerade an den Tag legt, kannte ich bisher nur von seinem Bruder.

    Und schon schweifen meine Gedanken inmitten der puren Verzweiflung zu Tristan. Wo auch immer er ist, für wen auch immer er kämpft, was ihn auch immer gerade antreibt – ich hoffe, es geht ihm besser als uns und er hat mich noch nicht vergessen. Seit er mit meinem vermeintlichen Bruder Rafael auf der gegnerischen Seite mitmischt und BePolar den Rücken zugewendet hat, habe ich kein Sterbenswörtchen mehr von ihm gehört. Zugegeben, wir Eleven wurden seit Beginn der Initiation von der Außenwelt abgeschottet, um uns ganz auf die Show und unsere politische Weiterentwicklung zu konzentrieren. Wer in wenigen Jahren bereit sein will ein ganzes Land zu führen, darf sich nicht durch Liebeleien ablenken lassen, oder? Wie also hätte Tristan mich kontaktieren sollen, wo er jetzt, aufgrund seiner roten Turnschuhe, auch noch landesweit gesucht wird? Er hat dafür gesorgt, dass unsere einstige Mitstreiterin Taranee untertauchen konnte, nachdem der Rest ihres Teams auf mysteriöse Weise in unzählige Fetzen gerissen wurde und sie verschont blieb. Es bringt mich beinahe um den Verstand, nichts von Tristans Aufenthaltsort zu wissen, obwohl er mich offensichtlich verraten und hintergangen hat, indem er gemeinsame Sache mit diesen fanatischen Undergroundern macht.

    »Weiter!« Eine Eisenstange wird gegen meinen Rücken gedrückt und lässt mich stolpern. Diese Boliden, deren Existenz ich bis vor wenigen Tagen noch für ein Ammenmärchen hielt, halten uns brutal in Schach. Wir sind auf der Suche nach unserem Mentoren Miles hier in Ost auf dem verseuchten Gelände einer alten Schuhfabrik gelandet und diesen wilden Outsidern direkt in die Arme gelaufen. Jetzt wollen sie uns an den Höchstbietenden verkaufen, wer auch immer das sein wird.

    »Wie lange lässt Daloris uns eigentlich noch im Kreis laufen?« Im Kreis laufen? Hab ich den kleinwüchsigen Boliden mit dem Irokesenschnitt richtig verstanden?

    »Klappe, AJ! Die Chefin hat uns einen Auftrag erteilt und wir befolgen ihn, klar soweit?« Der Glatzkopf brüllt dermaßen laut in mein Ohr, dass ich vor Schreck zusammenzucke.

    »Zündest du auch deinen Wagen an, wenn Daloris dafür den ›Auftrag erteilt‹, GAM?« Interessant, Hierarchien gibt es also auch unter den Aussteigern unserer Gesellschaft. Ich nahm an, hier ist Anarchie das vorherrschende Prinzip und jeder lebt nach seinen eigenen Regeln.

    »Sehr witzig, Zwerg!« Oh, gleich brennt die Luft. »Ich bin Soldat. Ich tue, wie mir befohlen. Sie sagte: ›nehmt nicht den direkten Weg‹, also zeigen wir diesen Sternchen jede beschissene Biegung der Tunnel, bis der Rückruf kommt.«

    Ist nicht euer Ernst? Wir laufen seit Stunden Umwege, damit wir die Orientierung verlieren? Wie blöd seid ihr eigentlich? Ich hatte die Peilung bereits verloren, als ihr meinen Freund, direkt vor meinen Augen, in einen Schaschlikspieß verwandelt habt und uns wie Mastkälber auf dem Weg ins Schlachthaus vor euch her triebt.

    »Wenn man vom Teufel spricht!« GAM - Glatzentyp holt eine Art Funkgerät aus seiner Manteltasche und nimmt den eingehenden Anruf entgegen. »Auf in die Wagenstadt, Männer, die Luft ist rein!«

    Die Wagenstadt – auf in ein weiteres Abenteuer. Mögen die Sterne gut für uns stehen.

    Tristan

    Tag 455

    »Das ist so wahnsinnig, wahnsinnig cool, Tristan. Ich wusste, dass der Tag irgendwann kommen würde, an dem ich meine Füße in die Akademie setze. Vielleicht sah der Plan ein wenig anders aus und ich war nicht dabei, mich zu einer erstklassigen Spionin ausbilden zu lassen, aber krass – ich kann es einfach nicht fassen!«

    Fenja starrt in die unendlichen Weiten des weißen, virtuellen Raumes und ich weiß genau, wie sie sich in diesem Moment fühlt. Hier ist man ein winziges Licht in einem großen Ganzen, das sich kaum begreifen lässt. Es duftet nach Mandelbäumen, fahrende Scheiben lassen einen in Sekundenschnelle mehrere Höhenmeter überwinden und man kommt sich unglaublich wichtig vor in diesen schrägen grauen Overalls, die ich früher so verabscheut habe. Heute ist meine Sicht auf die Dinge eine andere. Ich bin kein Notnagel, kein Ersatzzwilling und genau am richtigen Ort, um meine Freundin Roya zu retten. Ich bin ein Sternenwächter und das ist verdammt gut so. Rafael, Mirco Lehmann und der Rest der Einheit haben mich zur Vernunft gebracht. Mein Vater ist hier, genau wie Professor Pfefferhauser, Tima, unser Nahkampftrainer, Dr. Gregorio und sämtliche Ex-Schläfer, die noch auffindbar waren und bereit sind, für ihre Zukunft zu kämpfen.

    Es ist eng im Loft, der verfallenen Fabrik am Rande unserer Hauptstadt Midden, und alles geht noch ein wenig drunter und drüber. Jeden Tag kommen neue Rekruten und unser Tagesablauf wird von Nahrungsbeschaffung, Technikinstandhaltung, Lagebesprechungen und Wachdiensteinteilungen dominiert. Heute beginnt die Ausbildung für die ersten zehn Wächter, da wir mehr Zephos nicht zur Verfügung haben.

    Rafael, Josi, Sus Schwester Trish und Muriels Bruder Lio haben von ihren Missionen alles mitgebracht, was nicht niet- und nagelfest war, und sitzen nun seit Tagen an der Erschaffung einer Akademie2.0. Wie wir nun wissen sind Moreno und Eliska Navrotilova enge Vertraute der Präsidentin und haben von Beginn an das Schläferprogramm manipuliert. Keiner kennt die Ausmaße dieser Infiltration, aber eine Neukonfiguration der Elektroenzephalographen, kurz Zephos, sowie die Bereinigung einiger Module, die die beiden in den Akademiecode eingebracht haben, sollte nun Abhilfe geschafft haben.

    »Okay, Leute!« Rafael und Josi bitten per Handzeichen um Aufmerksamkeit und bringen den aufgeregten Haufen junger Sternenwächter zum Schweigen. Auch sie sind in graue Overalls gehüllt, tragen weiße Sneaker an den Füßen und scheinen mächtig stolz auf die Möglichkeiten, die sie uns heute Nacht erschaffen haben. »Wir beginnen mit einfachen Persönlichkeitstest, um eure Eignung einstufen zu können, und euch den passenden Teams innerhalb der Sternenwacht zuzuteilen.«

    Nee, oder? Tests sind scheiße. Ich dachte, wir machen da weiter, wo Moreno uns hat stehen lassen? Zugegeben, er ist ein Arsch, aber ich glaube, gelernt habe ich so einiges. Was wollen die überhaupt prüfen? Ich bin weder sonderlich sportlich noch politisch auf dem aktuellsten Stand, ich habe keine technischen Kenntnisse und meine Kampfausbildung wurde… na ja, lassen wir das. Fenja greift meine Hand und scheint genau zu wissen, was in meinem verwirrten Kopf abgeht.

    »Die finden eine Aufgabe für dich. Vertrau darauf, Tristan Baliette. Wir sind in den besten Händen.«

    Es hat lange gedauert, bis ich diese Tatsache akzeptiert und Royas Bruder Rafael nicht mehr als Feind, sondern meinen Retter angesehen habe. Fenja hat recht. Wir sind die Guten und vielleicht reicht diese Einstellung schon, um eine Nische zu finden, in der ich mich nützlich machen kann.

    »Hinter euch, an den Terminals«, Terminals? Wo? Hier sind doch gar keine Termi… Ja, okay, wir sind in der Akademie. Hier ist alles möglich. »Wird es in Runde eins um die Fähigkeit gehen, möglichst schnell zu kombinieren – natürlich unter erschwerten Bedingungen. Folgt mir doch bitte.«

    Kombinieren, mmh, sollte machbar sein, aber das Wort ›erschwert‹ – mmh, nicht sonderlich sympatico.

    »Die Simulation, auf die ihr gleich stoßen werdet, ist eine rein neuronale Angelegenheit. Soll heißen: kein Einsatz körperlicher Kräfte vonnöten. Diese Brillen«, er greift sich eines der weißen Exemplare, welches via neongelbem Kabel mit dem Terminal verbunden ist und eher an einen Tauchurlaub erinnert, »führen euch in ein mehrdimensionales Computerspiel, welches sich Tetris nennt, eine Art interaktives Puzzle. Die Regeln sind denkbar einfach: Sortiert die unterschiedlichen Formen mit der Kraft eurer Gedanken so in das bereitgestellte Fenster ein, dass wenige Lücken entstehen. Sobald eine Reihe vollständig ist, wird sie gelöscht und verschafft euch Zeit. Zeit, die ihr braucht, da neue Formen das Glas zu überfüllen versuchen und ihr schnell agieren, kombinieren und sortieren müsst. Ziel ist es, das Überlaufen des Glases zu verhindern.« Klingt doch ganz geil!

    »Wo ist der Haken, Rafael?« Taranee, kannst du nicht einmal deinen Mund halten und einfach tun, was dir gesagt wird? Diese rothaarige Dramaqueen braucht immer ihren Auftritt.

    »Nun, es gibt die Möglichkeit, unpassende Gebilde den Mitstreitern zur Rechten oder Linken in die Gläser zu schieben und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.« Ja, toll. Ein Arsch sein und – ein Arsch sein?

    »Gibt es dafür Extrapunkte?« Dämliche Pute.

    »Nein, Taranee, du wirst sogar schneller und konzentrierter arbeiten müssen, um deinen Gegnern eins auszuwischen.«

    Ihr spitzer Mund verzieht sich zu einem arroganten Lächeln und lässt meine Hand zucken. Wochenlang war ich mit diesem Biest in der Einöde des Lofts eingesperrt und konnte jede Facette ihrer fiesen Gesichtsmimiken studieren. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann hält sie keiner davon ab. Sie ist definitiv Trägerin des berüchtigten Killergens, auch wenn sie es vehement abstreitet die drei Eleven Morrie, Serge und Ronan ihrer eigenen Zirkumpolargruppe Schedir umgebracht zu haben – ich traue dieser Frau einfach alles zu!

    »Setzt bitte die Brillen auf und legt die Hände an die seitlichen Griffe der Terminals.« Jawohl, Rafael. Der Bildschirm beginnt zu leuchten und ein großzahliger schwarzer Countdown zählt von zehn rückwärts. »Drei, Zwei, Eins – Los! Ihr habt zehn Minuten!«

    Okay, Bunt. Sehr bunt. Viele bunte Steine. Sonst nichts. Das Szenario wirkt auf den ersten Blick etwas langweilig. Ein überdimensionaler Glaskasten erhebt sich vor mir und füllt sich in Zeitlupe mit allerhand skurrilen Formen. Zusammengesetzte Quadrate, die an verschiedene Buchstaben erinnern. Da gibt es ein L oder ein T, ein S oder das klassische O. Ich analysiere, konzentriere mich und schaffe es tatsächlich die beweglichen Körper an die lückenhaften Stellen im Glasraum zu schieben. Wow! Ich bin ein Telepath! Und es ist noch dazu super easy.

    Was ist das? Von Rechts werden lilafarbene Steine in das Glas geworfen, die einen Krieg mit meinen eigenen roten Steinen zu beginnen scheinen. Taranee! Lass es sein, Hexe! Cool down, Tristan! Nicht ablenken lassen! Einfach schneller sein. Die falschen Steine lassen sich problemlos mit einbinden, erfordern jedoch ein erhöhtes Maß an Umsichtigkeit.

    Scheiße, ein S – wohin damit? Verdammt, die Pixel werden schneller. Scheitere ich hier an einem Kinderspiel? Ich könnte… Nein, ich bin nicht Taranee! Ich werde nicht falschspielen und ihr meine Ausschussware rüberwerfen.

    »Tristan, hast du ein S übrig?« Fenjas Glas zu meiner Linken weist eine passende Lücke in ihrer türkisen Quadratlandschaft auf. Das ist die Idee! Warum gemein sein, wenn man sich doch gegenseitig helfen kann. Reflexartig lasse ich das rote S in Fenjas Glas wandern und bewahre das Fass vorm Überlaufen. Gutes Gefühl!

    »Das war mega, Fenja!«

    »Danke, sollen wir so weitermachen?«

    »Unbedingt, Schwester. Bei mir kommt grad ein unnützes T.«

    »Her damit.« Check!

    Ich wusste, dass Fenja genial ist und eine wahre Hackerqueen sowieso, aber wir beide zusammen rocken diese Challenge sowas von. Irre!

    »Time out!« Rafaels Stimme holt uns aus der Spielhölle und sorgt für ein allgemeines ›ach nööö‹ in der Schläferrunde. »Danke, das war doch ganz nett für den Anfang.«

    Die Untertreibung des Jahrhunderts. In den letzten zwei Spielminuten hat Team Tris-ja (coole Namenskombi) so viele Quadrate verschlungen, dass Taranee nur neidvoll Feuerspeien konnte.

    »Die Terminals spucken jede Sekunde euren persönlichen Punktestand aus, welchen ihr bis zur nächsten Runde in zwei Tagen als Erinnerung bei euch tragen dürft.« Punktestand? Ich dachte, wir sollten nur überleben?

    Au! Was war das? Mein rechter Unterarm brennt ganz fürchterlich. Ich ziehe die Ärmel des Overalls nach oben und bin sprachlos. 30457 steht da auf meine makellose Haut tätowiert. Mach das weg! Sieht doch voll scheiße aus!

    »Ich verbitte mir diese Art von Körperverletzung. Seid ihr irre geworden?« Taranee dreht völlig frei und auch die übrigen Acht schauen verdutzt auf ihre gezeichneten Extremitäten.

    »Entspannt euch, Leute! Was in der Akademie geschieht, bleibt in der Akademie. Keiner da draußen wird die mickrige Zahlenfolge zu Gesicht bekommen, wenn ihr das nicht wollt.« Er lacht und reibt sich vorfreudig die Hände. »Aber lasst uns keine Zeit verschwenden, es gibt noch viele freie Stellen auf euren unerfahrenen Körpern zu füllen. Bereit für Runde zwei?«

    Aber Hallo! Ich habe mit meiner ehrbaren Teilen-macht-Freude-Methode 7620 Punkte mehr als die Betrügerin Taranee erzielt, auch wenn ich noch nicht sagen kann, wo der Grund dafür liegt. Vielleicht gab es einen Test im Test und Kombination war lediglich eine Teilaufgabe? Egal, ich habe Blut geleckt und will weiterspielen. Schön, die miese Realität für 90 min hinter mir zu lassen und Spaß an der neuen Arbeit zu finden. In Midden werden wir nicht gegen Pixel und Buchstaben kämpfen, so viel ist klar. Wir ziehen gegen Polars Präsidentin, die eine intrigante Bitch ist, ihren skrupellosen Stab von hartherzigen Ministern ohne Courage und die derzeitige Verfassung. Die Armee vernachlässigter Dritter, die als Babys den Armen der Eltern entrissen und zu willenlosen Killermaschinen ausgebildet wurden, habe ich noch gar nicht angeführt. Uff, Spaß sollten wir also in jeder freien Minute genießen!

    Die Wagenstadt

    »Aufstehen! Die Chefin hat jetzt Zeit für euch.«

    Den dreizehn Strichen, die Sly an die Blechwand des Wohnwagens gekratzt hat nach zu urteilen, sind wir seit fast zwei Wochen in den Fängen der Boliden und warten auf diesen Moment. Wir warten, dass Daloris Sanderbrink, die Anführerin der Aussteigerbande, sich zu einem Treffen herablässt.

    Seit wir die Wagenstadt mit verbundenen Augen betreten haben, sitzen wir in diesem Gefängnis mit geschwärzten Fenstern und bemitleiden uns. Wir haben eine Toilette, deren Tür man nicht abschließen kann, eine Küche mit Mikrowelle und Wasserkocher, um Instantpulver in Nahrungsmittel verwandeln zu können, und ein paar Bögen Papier und Stifte. Die Schlafsäcke sind so alt wie Daloris selbst und unsere Rücken grün und blau vom unebenen Boden, auf dem wir jede Nacht schlafen sollen. Tamika und Sly haben versucht, sich auf der eingebauten Eckbank niederzulassen, nachdem ich dankend abgelehnt und mich an Tams Seite zurückgezogen habe. Es ist eng, die Nächte hier unten sind frisch, aber ich habe stets eine warme Hand, die mich hält, wenn ich schweißgebadet aufwache. Eine Hand, die mir jetzt zärtlich über die Wangen streicht, damit ich aufwache und mich auf unseren ersten Freigang vorbereite.

    »In fünf Minuten klopfe ich an die Tür. Wer dann nicht bereit ist, bleibt für weitere zwei Wochen in diesem Wagen, verstanden?«

    »Verstanden, GAM. Danke, sehr nett von dir.« Sly versteht es, sich bei dem bulligen Glatzkopf beliebt zu machen. Er schleimt ihn mit Nettigkeiten zu und prompt erhalten wir mehr Essen oder neues Papier. »Bis gleich, Bruder.«

    Ich muss schmunzeln. Das wird der Bruder gar nicht gerne hören. Er ist Soldat und kein Kumpel, dem man mal eben cool gegen die Schulter boxt.

    Die Tür fällt ins Schloss und Tam zu meiner Rechten prustet los. Hier ist nichts zum Lachen, aber auch gar nichts, doch wir vier haben einen Weg gefunden, uns die endlosen Stunden ertragbar zu machen. Nachdem in den ersten drei Tagen kaum jemand ein Wort sprach und Tamika nur zum Toilettengang ihren zerrissenen Schlafsack mit verheulten Augen verließ, haben wir nun einen gemeinsamen Tagesrhythmus gefunden, der uns am Durchdrehen hindert: Aufstehen. Hafergrütze essen, die uns Sly alltäglich mit frischen Phantasiezutaten verfeinert. Morgensport, für den sich Tam stetig neue Übungen aus den Fingern saugt. Schlachtplanrunde, um einen möglichen Ausbruch vorzubereiten. Mittagessen, wenn man Tütensuppe mit Entenfutter so nennen kann. Dehnungsübungen, die sich Tamika auf die Fahne geschrieben hat. Spielenachmittag, damit wir nicht verblöden. Abendbrot mit – Überraschung – Haferschleim und schlussendlich die Gutenachtgeschichte, mein Part. Danach versucht jeder für sich in den Schlaf zu finden, ohne die anderen wahnsinnig zu machen.

    Klopf, klopf, klopf. Es ist so weit. Wir verlassen die halbwegs sichere Zuflucht unseres vertrauten Blechhotels und wagen uns ins Unbekannte. Die Höhle der Boliden. Wir wissen mittlerweile von GAM, dass Daloris uns am Leben lassen wird und ein Verkauf bereits bevorsteht. Die Typen hier sind grob, brutal, stinken und behandeln uns wie Dreck, aber Angst habe ich keine. Wir belauschen ihre Gespräche, wir bekommen Essen, wir bekommen Kleidung, wir müssen nicht arbeiten und sind nicht gefesselt. Alles wird heute ein Ende nehmen, denn Präsidentin Jünger holt uns hier raus!

    »Wer mag zuerst?« Sly hat eine Hand auf den Türgriff gelegt und schaut uns spannungsvoll entgegen. Die Freiheit rückt in greifbare Nähe und das ist wahnsinnig erfüllend.

    »Ich möchte, wenn es okay ist!« Keine Ahnung, wann ich mich jemals aufgedrängt habe, aber heute blicke ich dem langersehnten Tag so positiv entgegen, dass ich es einfach nicht erwarten kann.

    »Gut, Roya, dann raus mit dir!« Sly legt mir unterstützend die Hand auf die Schulter und ein wohliges Kribbeln durchfährt mich, als ich einen kühlen Luftzug verspüre.

    »Wow!« Ich bin überwältigt. Sofort drängen sich Tamika, Sly und Tam an meine Seite und steigen dicht an dicht mit mir die Treppen des Campers hinab. Wir sind umringt. Umringt von unzähligen Wohnwagen in allen Farben des Regenbogens. Manche haben Tücher als Zelte aufgespannt, andere eine Feuertonne vor ihrem Zuhause aufgebaut. Inmitten der Blechwagensiedlung wurde eine Art Klettergerüst zusammengezimmert, auf welchem ein Dutzend Kinder zu Gange ist, und direkt neben unserem orangefarbenen Wohnmobil stehen drei gescheckte Ziegen und fressen unbeeindruckt aus einem Eimer widerliche Essensreste.

    »Kommt jetzt!« GAM schwingt seine geliebte Eisenstange und führt unseren Zug von ungläubigen Touristen ins Unbekannte.

    »Sind wir unter der Erde?« Tamika greift unsicher meinen Unterarm und haucht mir die Frage ins Ohr.

    »Siehst du den Himmel, Tamika?«

    »Nein, wieso?«

    »Tja, dann.« Mehr kann ich darauf nicht antworten. Weit und breit ist kein Wölkchen zu entdecken und auch die geliebten Sonnenstrahlen, nach denen ich mich so verzehre, sind außer Sichtweite. Über unseren Köpfen erstreckt sich eine Metallkuppel, welche wie eine Patchworkdecke aus Wellblech, Aluminiumträgern und allerhand Schrott zusammengepuzzelt wurde und keinen Ausgang bereithält. Entweder wir sind in einem Bunker, irgendwo im Nirgendwo oder diese Wahnsinnigen haben die Tunnelsysteme in eine unterirdische Stadt verwandelt, um den Drohnen der Regierung zu entkommen. Wie lange sie wohl an diesem Konstrukt gebaut haben?

    »Wie viele Boli…«, Sly räuspert sich künstlich, »Also, wie viele von euch leben denn hier unten?« Mutig, mutig, Junge!

    »Bei unserer letzten Zählung vor einigen Wochen haben sich 421 Männer, 487 Frauen und 76 Kinder gemeldet. Das ist ein Rekord, auf den wir sehr stolz sind.« GAM grinst. In diesem bulligen Kerl steckt irgendwo ein kleiner Junge, der einfach nur geliebt werden will und Sly ist auf dem besten Weg den Schlüssel zu seinem großen Teddybärenherz zu finden.

    »Das könnt ihr auch, GAM. Das könnt ihr!« Dieser Schleimer. Wir vier können ein Schmunzeln einfach nicht verdrücken.

    »Wie bist du hier gelandet?« Tamika nutzt die Gunst der Stunde, um den Draht zu unserem Aufseher zu verfestigen.

    »Hältst du deinen Mund, wenn ich dir die Frage beantwortet habe, junge Dame?« Aha, junge Dame, so kann es gehen. Noch vor wenigen Tagen hab ich mit angesehen, wie seine Kollegen mit ihren dreckigen Stiefeln auf Tamika eingetreten haben, während sie erschöpft und hilflos am Boden lag, und nun sind wir bei junge Dame. Der Typ frisst uns in kürzester Zeit aus der Hand, wenn wir nur schön weiter Interesse heucheln.

    »In Ordnung. Aber nun erzähl, ich bin schon ganz aufgeregt.« Wir laufen im Entenmarsch durch die Wohnwagensiedlung und lauschen GAMs Geschichte:

    »Ich hatte eine Frau – Inka – wir lebten in Ost/34 in einem netten Reihenhaus und hatten einen Sohn. Als er erst ein Jahr alt war, wurde Irma erneut schwanger. Wir hatten es nicht geplant, aber die Geburt verzögerte sich und so erblickten unsere Kinder am 03. Januar eines Polarjahres das Licht der Welt.«

    »Kinder?« Tamika reagiert schnell.

    »Ja. Es waren zwei Mädchen. Centa und Cecille.« Centa, ungewöhnlich seltener Name.

    »Aber dann hattet ihr ja drei? Wie…« GAM schneidet ihr das Wort ab und fährt mit starker Stimme fort.

    »Gar nicht. Centa wurde uns noch in dieser Nacht weggenommen, da sie die Jüngere der beiden war, und von den Behörden verschleppt.« Mir dämmert es und ich bleibe stehen, damit ich nicht über meine eigenen Füße stolpern muss.

    »Du ahnst, was jetzt kommt, oder Roya?« Tam greift mit dem Arm um meine Hüften und zieht mich sanft weiter.

    »Ich war außer mir, verlor die Kontrolle und schlug einen der Beamten krankenhausreif. Daraufhin landete ich im Gefängnis und erhielt ein Besuchsverbot für meine Familie. Inka zerbrach schon bald an diesem Unglück und starb ein Jahr später im Haus ihrer Eltern. Valentin und Cecille wuchsen bei Oma und Opa in NW auf und hatten mich vergessen, als ich vierzehn Jahre später aus dem Knast entlassen wurde.«

    »Das ist ja grausam!«, entfährt es mir.

    »Was hast du erwartet, Prinzessin? Dass wir Boliden, wie ihr so schön sagt, aus Jusx und Tollerei in den Tunneln hausen, weil wir das Sonnenlicht scheiße finden und unter uns sein wollen?« Nein, natürlich nicht, aber seine Geschichte geht mir an die Nieren, auch wenn ich den Namen seiner jüngsten Tochter zu ignorieren versuche.

    »Hast du wieder Kontakt zu deinen Kindern erhalten?« Ich muss es einfach wissen.

    »Ich versuchte es. Immer und immer wieder, doch Inkas Eltern gaben mir die Schuld am Tod ihrer Tochter und erwirkten eine einstweilige Verfügung gegen mich, die mir verbot, mich mehr als 200 Metern meinen Kindern zu nähern. An Valentins Geburtstag legte ich ein Paket vor die großelterliche Tür und wurde verhaftet. Vier weiter Jahre saß ich ab, bis sich mein Leben schlagartig änderte, als…«

    »Gabriel Alexander Moreno, wie lange soll ich noch auf dich und deine Königskinder warten?« Daloris steckt den Kopf aus ihrem hellblauen Wohnwagen und verschränkt genervt die Arme vor der fülligen Brust. »Erzählst du ihnen wieder irgendwelche Märchen aus deiner traurigen Vergangenheit? Schweigen ist Gold – wie oft muss das noch in deinen glattrasierten Schädel hinein?«

    »Wie hat sie dich eben genannt?« Sly spricht aus, was wir Schläfer einfach nicht überhören konnten.«

    »Gabriel Alexander Moreno – kurz GAM. Seid ihr schwer von Begriff, Leute?« Tamika hat gut zugehört, doch die Abkürzung ist es nicht, die uns stutzig macht. Dieser Typ, dieser Ledermanteltyp mit den tätowierten Armen und der bedrohlichen Statur trägt den Namen Moreno und ist der Vater von einem Gewissen Valentin, welcher in NW aufgewachsen ist und eine jüngere Schwester an die Dritten verlor. So viele Zufälle kann es nicht geben. Mir brummt der Kopf. Die Schweißperlen rinnen mir an den Schläfen hinunter und ich bin des Schluckens nicht mehr mächtig. Dieser Typ, GAM, der brutale, doch im Herzen gütige GAM ist Morenos Dad und wahrscheinlich der Vater unserer amtierenden Präsidentin. Jetzt habe ich Angst. Jetzt habe ich eine scheiß Angst, denn wenn er hier auf einem Autofriedhof lebt, während sein eigen Fleisch und Blut das Land zu retten versucht, dann muss irgendetwas gewaltig schief laufen und das werden wir herausfinden müssen.

    Abwracken und Tee trinken

    »Setzt euch, bitte.« Daloris schnappt sich eine Kanne frisch gebrühten Tee und weist uns die Plätze auf ihrer Wohnwageneckbank zu, bevor sie selbst auf dem einzigen Stuhl Platz nimmt und GAM vor die Tür schickt. »Tee?« Wir nicken, ohne auch nur ein Wort in den Mund zu nehmen, und werden bedient.

    »Wie gefällt euch meine Stadt?« Ist das eine ernstgemeinte Frage? Fragt sie uns gerade, wie schön die letzten Tage, eingesperrt in einer Blechbüchse, waren und wie wir nach zehn Minuten Sightseeing die Wohnwagenkolonie beurteilen? Fünf Sterne, oder was?

    »Mich würde brennend interessieren, wo wir uns hier genau befinden? In den Tunneln wäre doch kein Platz für knapp 1000 Menschen und 300 Wohnwagen, oder liege ich da falsch?« Daloris klemmt lachend die Unterlippe zwischen die Zähne und stützt die Ellenbogen auf den Tisch.

    »Wie ist dein Name, Mädchen?«

    »Tamika.«

    »So, Tamika. Glaubst du, ich verrate einem vorlauten Mädchen, welches direkt aus dem Regierungspalast in meine Arme gelaufen ist, das wohl wichtigste Geheimnis meiner Familie?« Tamika schüttelt zaghaft den Kopf und wir anderen halten die Luft an.

    »Ich wollte bloß…«

    »Du wolltest bloß was? Nur weil du genau so dunkel bist wie ich und mit deinen großen Kulleraugen rollst, hältst du dich für sehr clever? Nein. Die Regeln hier mache ich und bis zur Übergabe bleibt ihr in der Wagenstadt, ohne auch nur eine winzige Information von mir zu erhalten.«

    »Übergabe?«, prescht Sly mutig dazwischen.

    »Natürlich. Ich kann euch Großmäuler schließlich nicht ewig durchfüttern.« Klingt gut. Wir kommen hier raus.

    Hoffnungsvoll suche ich Tams Hand unter dem Tisch und drücke sie fest. Bald sind wir hier weg. Adé Haferschleim, adé Morgensport und adé ihr kühlen Nächte an Tams warmer Seite. Was soll das? Werde ich hier sentimental, weil es im Gefängnis besser ist als im goldenen Käfig der Polarjahrinitiation?

    »Und wie genau wird das jetzt ablaufen?« Tam versucht, mit Bedacht die nächsten Schritte aus Oma Sanderbrink herauszukitzeln.

    »Es wird zwei Trupps geben, da die Präsidentin nicht für all unsere Gäste zu bezahlen gedenkt.« Da haben

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