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Gottfried
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eBook157 Seiten2 Stunden

Gottfried

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Über dieses E-Book

Die schützenden Wände seines Elternhauses zurücklassend, muss sich Gottfried im zarten Alter von einundfünfzig Jahren ab sofort allein versorgen. Er, der mächtige Schöpfer und Weltenlenker der Han-Jen, wurde brutal verstoßen und findet sich in der Pension Schönblick wieder. Wütend auf seine Mutter, die seinen Rauswurf offenbar auch noch feiert, beginnt er die Geschichte seines Volkes weiter zu schreiben. Derweil scheint die Welt sich gegen ihn zu verschwören: zwielichtige Gestalten, Busse, Bankräuber und letzten Endes sein eigenes Volk lehnen sich auf, doch Gottfried, unsterblicher Hann, kann nicht aufgehalten werden. Auch nicht von seiner Mutter.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Feb. 2014
ISBN9783847675204
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    Buchvorschau

    Gottfried - Peter Houska

    1

    Niemand, aber auch wirklich niemand hätte je vermutet, dass die hohen, bewachsenen Mauern dieser etwas heruntergekommenen, düsteren Gründerzeitvilla einen Gott beherbergten. Nun ja, was heißt schon Gott? Ein kleiner Gott vielleicht, wenn man darunter den Schöpfer und Lenker einer Phantasiewelt und deren Bevölkerung und Kultur versteht. Aber wie auch immer, dieser Gott lebte nicht allein in dem abweisend wirkenden Haus, sondern bewohnte mit seiner Mutter die diversen großen, hohen Räume, und, was für unseren Gott weit wichtiger war: Die sehr geräumigen Kellergewölbe. In diese Unterwelt jedoch stieg die Gottesmutter äußerst selten hinab, und zu den beiden größten Kellerräumen hatte sie überhaupt keinen Zugang, denn diese hatte er, Gottfried, ganz für sich reserviert, hatte sie mit mächtigen Schlössern verriegelt und verrammelt. Anzumerken wäre noch, dass diese Mutter keinen blassen Schimmer hatte, die Gebärerin eines Weltenlenkers zu sein.

    Heute aber war etwas eingetreten, mit dem dieser seltsame Gott hin und wieder gerechnet, nie aber ernsthaft geglaubt hatte, dass es eintreten würde - sofern ein Gott je an etwas glauben kann: Heute, an seinem einundfünfzigsten Geburtstag hatte ihn seine Mutter vor die Tür gesetzt. SIE hatte endgültig ihren Glauben an ihn aufgegeben, hatte endgültig die Nase voll. Maria Kreeter hatte es mehr als satt, ihr Haus mit ihrem meist unsichtbaren Sohn Gottfried zu teilen, den Rest ihres Lebens mit einem ältlichen Kind zu verbringen, einem hoffnungslosen, verschrobenen, schweigsamen Nichtsnutz.

    Da stand er nun, mit zwei Koffern, rechts und links, die einige seiner kostbarsten Güter enthielten und betrachtete mit einem hochmütigen Lächeln die bröckelnde Fassade des Hauses, das ihm von nun an verschlossen sein sollte.

    Wie hätte eine knappe Beschreibung seines Äußeren durch einen zufälligen Passanten gelautet? Nun, wahrscheinlich wie die, der einzigen Freundin seiner Mutter, die ihn vielleicht zwei bis drei Mal zu Gesicht bekommen hatte: Kurz.

    Alles an Gottfried wirkte kurz, der Hals, der Rumpf, die Arme und Beine. Äußerst kurz wirkten seine Finger, aber niemand hätte die ungeheure Geschicklichkeit vermutet, zu deren sie fähig waren. Merkwürdig war sein Gesicht. Die eigene Mutter hatte es einmal mit einem schlecht geformten Laib Brot verglichen, das der Bäcker nicht für wert befunden hatte, in den Backofen zu schieben. Die spärliche Hauptbehaarung machte den Eindruck, als hätte ein Frisörlehrling achtlos ein paar Strähnen Haare von undefinierbarer Farbe auf den kahlen Schädel geklebt. Außergewöhnlich in diesem teigigen, ohnehin merkwürdigen Gesicht waren die Augen. Eine für sie zutreffende Charakterisierung wäre - tot - gewesen. Aber ein gründlicher Betrachter hätte sie vielleicht mit - völlig nach innen gerichtet - beschrieben. Am lächerlichsten in diesem ohnehin komischen Gesicht war der Mund, wenn man mit Mund eine etwa daumengroße, runde Öffnung oberhalb des schwammigen Kinns bezeichnen will.

    Ja, da stand nun sinnend diese merkwürdige Figur in den fleckigen, ausgewaschenen Blue Jeans und dem altmodischen, hellblauen Sakko und bewegte sich vorerst nicht von den Stufen seines ehemaligen Heims.

    Wie wird so eine exorbitante Erscheinung zu einem Schöpfer, Herr über das Wohl und Wehe einer Welt, eines Volkes, wird man sich fragen? Und tatsächlich hatte auch dieser (oder nur dieser) Gott einen Anfang, ein Erwachen, eine Entwicklung. Ähnlich wie der Homo Sapiens sich aus Hominiden entwickelt hatte, hatte sich aus dem Homo Sapiens Gottfried Kreeter der Schöpfergott HANN entwickelt. Und auch dies war nicht von heute auf morgen geschehen.

    „Mach’, dass du weiterkommst, es gibt noch ein paar Koffer mehr zu transportieren!" tönte die Stimme seiner Mutter hinter der geschlossenen Tür. Nun, ganz so grausam, wie es klingt, war das Ganze nicht. Immerhin hatte ihm Maria Kreeter einen Scheck über 20.000 Euro ausgestellt und ihm fürs erste ein Zimmer in einer anständigen Pension besorgt.

    Gottfried verzog seinen Mund zu einer Art Mona Lisa-Lächeln, fasste die Koffer und setzte sich in Richtung, der von seiner Mutter beschriebenen Bushaltestelle, in Bewegung. Die Koffer waren recht schwer, denn sie waren angefüllt mit Dutzenden von Kladden und Zeichenblöcken verschiedener Größen, und schon nach etwa zehn Metern musste er stehen bleiben, um sie abzusetzen. Es war ein heißer Julitag und Gottfried drohte der Sonne mit der Faust. Als er endlich an der Haltestelle anlangte und der Bus hielt, bekam er es mit der Angst zu tun. Das Fahrzeug war voll besetzt und er hatte schon lange Zeit nicht mehr so viele Menschen so dich gedrängt auf einem Platz gesehen, daher beschloss er, den nächsten Bus abzuwarten.

    2

    Gottfried war mit dem Makel der unehelichen Geburt behaftet, was ihm aber nie zum Nachteil gereichte. Einen Vater hatte er auch nie vermisst. Der Vater fehlt einem doch nur, wenn man weiß, dass es überhaupt einen Vater gibt. Außerdem konnte er sich unmöglich vorstellen, dass seine Mutter Dinge tat, wie dieses Mädchen ihm erzählt hatte, das heimlich zu ihm in den Garten gekommen war. Mir nichts, dir nichts hatte ihm diese frühreife Zwölfjährige (er war damals elf) mit tückischem Lächeln erklärt, wie Kinder „gemacht" werden. Gottfried war abwechselnd blass und rot geworden. Die Göre wollte daraufhin mit ihm Doktor spielen, hatte ihm Ihrs gezeigt, wollte dann auch Seins sehen. Dabei hatte er sich dermaßen dämlich angestellt, dass das Mädchen schrill lachend aus dem Garten geflohen war. Der kleine Gottfried hatte lange verzweifelt herumgestanden. Aus so einem Schlitz sollte er gekommen sein? Vorher sollte ein fremder Mann seinen Pippi in den Schlitz von Mama gesteckt haben, um dann etwas in seine Mama hineinzuspritzen - ekelhaft! Das konnte nie und nimmer sein. Nein, wenn er schon aus seiner Mama gekommen war, dann höchstens durch ihren Bauchnabel. Den hatte er einmal zu Gesicht bekommen und fand ihn schön und aufregend. Außerdem hatte das liebe Jesulein, von dem seine Mutter manchmal sprach, auch keinen echten Vater gehabt. Von da an hielt sich Gottfried, wenn überhaupt, für eine Jungfrauengeburt. Falls sein Vater existierte, dann äußerte sich das höchstens in Form von Schecks, die in unregelmäßigen Abständen mit der Post kamen. Die Unregelmäßigkeit schien aber durch ihre Höhe wieder wettgemacht zu werden, denn bisweilen stieß seine Mutter beim Lesen dieser kleinen Papierdinger entzückte Rufe aus. (Oh, lá lá, oder: Du lieber Himmel, was ist er wieder generös) Das verunglückte Doktorspiel war und blieb für ihn in der Hinsicht übrigens die einzige Begegnung mit dem anderen Geschlecht.

    Maria Kreeter hatte nie mit ihrem kleinen Jungen über den Vater gesprochen. Außerdem war sie am Anfang, wie so viele Mütter, von der Gewissheit besessen, ihr Sohn sei etwas ganz Besonderes, etwas, das man vom gemeinen Volk fernhalten müsse, etwas, dessen Genie man unbedingt fördern müsse. Daher hielt sie ihren kleinen Götti (wie er diesen albernen Kosenamen gehasst hatte) von gleichaltrigen Spielkameraden fern. Auch den Kindergarten hielt Maria Kreeter für eine Institution, in der man seinem Genius nur Schaden zufügen würde. Sie überhäufte ihn mit teuren Bilderbüchern, Kunstbänden, Atlanten, naturwissenschaftlichen Bildwerken. Auf dem Grammophon, ein Gerät von Braun, im Volksmund seinerzeit „Schneewittchensarg genannt, spielte sie ihm jede Menge klassischer Musik vor. Bach, Beethoven, Mozart, Scarlatti, Götti saß brav auf seinem Stuhl, schloss wie seine Mutter beim Hören die Augen und lauschte auf den Schlag seines Herzens. Vor dem Schlafengehen las sie ihm anstelle von Märchen, Gedichte von Goethe, Schiller und Rilke vor. Zu der Zeit fingen Gottfrieds Augen an, sich zu verschleiern, zu verdunkeln, sich ganz nach innen zu richten. Von all den Büchern schien er sich vor allem für die Atlanten und sonst nur für den Globus zu interessieren. Später blätterte er auch oft in Kunstbänden über Michelangelo und Dürer. Während seine Mutter ihn abends mit Gedichten traktierte, blickte er durch ihren sich bewegenden Mund und sah fremde Landschaften mit merkwürdigen Tieren, und alles bewegte sich im sprachlichen Rhythmus ihres Gedichtvortrags. Gottfried versuchte diese Dinge festzuhalten, sie zu manifestieren, so fing er zu zeichnen und zu malen an. Tagsüber blieb sich Gottfried in dem abgeschlossenen Haus die meiste Zeit selbst überlassen. Einmal, es dämmerte bereits, entdeckte er in seinem Zimmer eine Stelle, an der die alte Tapete eingerissen war. Wie er so darauf starrte, nahm dieser Einriss die Form eines stierähnlichen Tieres an. Gottfried griff zu seinen Stiften und zeichnete die Umrisse nach. Erstaunt über das gelungene Werk, malte er es mit Buntstiften aus und sah, dass es gut war. Nun gab es kein Halten mehr, auch das altmodische Blumenmuster der Tapete inspirierte ihn, und als seine Mutter nach Hause kam, bevölkerte eine üppige Fauna und Flora die halbe Wand. Maria Kreeter war über das Werk ihres Sprösslings ganz und gar nicht erbaut. „Narrenhände beschmutzen Bücher, Tisch und Wände, schalt sie und schlug ihm auf die Händchen. Gottfried war entsetzt, sprach drei Tage lang nicht mit seiner Mutter, setzte aber sein Werk unverdrossen fort. Da Maria Kreeter einsah, dass sie mit Wut und Strafe nicht weiterkam, besorgte sie ihm schließlich resigniert Zeichenblöcke. In seinem Wahn hätte Götti am Ende das ganze Haus zugeschmiert, vermutete sie. Zeichnen, malen! Dabei war sie sich doch so sicher, dass in Götti ein naturwissenschaftliches Genie steckte.

    3

    Der nächste Bus kam. Nach Gottfrieds Geschmack war er zwar noch immer zu voll, aber wollte er vor Einbruch der Nacht mit seinem Umzug fertig sein, musste er nun einsteigen. Auf die Idee, ein Taxi zu nehmen, kommt ein Gott wohl nicht so schnell. Er bugsierte sein schweres Gepäck an einen freien Platz in der Mitte des Fahrzeugs und stellte sich schützend davor. Der Bus fuhr mit einem Ruck an und Gottfried landete auf dem Schoß einer älteren Dame, auf dem schon ihr Hündchen saß. Es gab ein fürchterliches Gejaule und einen entsetzten Aufschrei von der Dame. Gottfried hatte keine Ahnung, wie man sich in einer solchen Situation verhalten sollte, so brachte er nuschelnd hervor: „Gott sei Dank ist es kein Kind." Die Dame fing daraufhin fürchterlich zu keifen an, stieß irgendetwas von Tierarztrechnung hervor, dabei hatte sie eine unglaublich feuchte Aussprache, dass ihm übel wurde. Gerade als sie handgreiflich gegen den armen Gottfried vorgehen wollte hielt der Bus, sodass er flüchten konnte.

    Das Unternehmen Umzug ließ sich ja gut an!

    Er war jetzt an einer Haltestelle, die schon recht nahe der Stadtmitte war. Diese Leute, dies Unmasse von Menschen, Gottfried schwitzte noch mehr. Und es kamen immer mehr Leute zu dieser Haltestelle. War das denn die einzige Haltestelle dieser Stadt? Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. In diesem Augenblick versuchte sich ein kleiner Ganove mit einem

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