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Der Gewalt keine Chance: Ein Leitfaden zur Prävention
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eBook281 Seiten3 Stunden

Der Gewalt keine Chance: Ein Leitfaden zur Prävention

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Über dieses E-Book

Kein Mensch muss sich Gewalt gefallen lassen. Sie kann im Vorhinein verhindert werden
oder im Moment abgewehrt. Jeder Mensch hat das Recht auf ein gewaltfreies Leben in unserer
Gesellschaft, in der Familie, in religiösen Gemeinschaften oder am Arbeitsplatz.
Das Buch zeigt auf, wie man prekäre Situationen rasch einschätzen lernt, um auf Bedrohungen
adäquat reagieren zu können. Die Autorin, welche drei Jahrzehnte als Selbstverteidigungstrainerin
sowie in der Gewaltprävention tätig war, zeigt weiterhin, wie man sein eigenes Selbstwertgefühl
aufbaut und Machtmissbrauch jedweder Art vorbeugt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. Jan. 2017
ISBN9783741880735
Der Gewalt keine Chance: Ein Leitfaden zur Prävention

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    Buchvorschau

    Der Gewalt keine Chance - Martina Dr. Schäfer

    Gabriele Schweickhardt Gabriele Schweickhardt 2 2016-09-09T08:18:00Z 2016-09-09T08:18:00Z 96 56130 353623 2946 817 408936 15.00

    Einleitung

    In den letzten Jahren sind einige Bücher darüber erschienen, wie man sich gegen tätliche Angriffe – insbesondere als Frau oder Mädchen gegen sexuelle Gewalt – zur Wehr setzen kann.

    Doch mittlerweile haben nicht mehr nur Frauen Angst, überfallen und vergewaltigt zu werden. Auch Männer, männliche Jugendliche und Jungen zittern vor der zunehmenden Brutalisierung der Gesellschaft; ausländische und behinderte Menschen fürchten die rechtsradikale Straßengewalt. Schon die Kinder in den Schulen leiden unter Schlägereien und Erpressungsversuchen durch ältere Schüler – übrigens auch durch Schülerinnen! – oder Schulhof-Gangs.

    Verstört und ungeheuer hilflos verfolgt man die unglaublichen Angriffe bewaffneter Jugendlicher auf ihre Lehrer und Mitschüler; das Wort «Frontalunterricht» hat mittlerweile eine ganz eigene, makabre Bedeutung gewonnen: Es herrscht «Krieg» – nicht allein an der sexuellen Front, wie es die Frauenbewegung seit den Siebzigerjahren beklagt, sondern ganz allgemein in Klassenzimmern, Supermärkten, Vereinslokalen und Einbahnstraßen.

    Wie der fundamentalistische Terror fehlgeleiteter Fanatiker und die erschütternden Gewalt- und Selbstmordszenarien in abgeschotteten Sektengemeinschaften sind die Morde an den Schulen die Eisbergspitze einer nach und nach immer gewalttätiger werdenden globalen Gesellschaftsstruktur.

    In vielen Abhandlungen seit dem Beginn des Medienzeitalters, als die ersten Fernsehapparate auf stakeligen Beinen neu im Mittelpunkt der Nachkriegswohnzimmer standen, wurde die Verantwortlichkeit der Medien für das Herabsetzen der Hemmschwellen immer und immer wieder beschworen. Seit Internet und Videospiele durch die Kinderzimmer geistern, weist man, zu Recht, auf deren Gefährlichkeit hin. Auch die Erreichbarkeit des einzelnen allein durch die täglichen Nachrichten bewirkt ganz sicherlich eine Art schleichender Veränderung in den unbewussten Einstellungen zu Gewalt und Gewaltanwendung, der sich auch Menschen kaum entziehen können, die keine brutalen Videospiele lieben oder Schlächterfilme anschauen. Es geschieht etwas mit uns, wenn wir aus den Nachrichten über das soundsovielte Selbstmordattentat erfahren; die suggestiven Bilder der anfliegenden Jets am 11. September 2001 bewirken eine Art Gewöhnung – Ästhetisierung der Gewalt sagen manche Intellektuelle, was letztlich eine fatale Beschönigung ist –, die meiner Meinung nach selbst im pazifistischsten Gemüt Hemmschwellen gegenüber der Akzeptanz von Gewalt niederreißen.

    Betrachtete man bis vor etwa zwanzig Jahren Gewalt und Machtmissbrauch durchaus noch als etwas von Menschen Verursachtes, weshalb man davon ausging, dass die Gewalt durch Menschen auch zu verhindern sei, so bekommt die Gewalttätigkeit heutzutage allmählich etwas Unausweichliches. Sie wird zu einer Art Naturereignis, einer Katastrophe, gegen die man eigentlich nichts machen kann, der man hilflos ausgeliefert ist, deren Ursachen man vielleicht sogar erforschen und benennen kann, aber gegen die man letztlich, wie bei einer Sturmflut oder einem Meteoritenabsturz, nichts ausrichten kann.

    In den frühen neunziger Jahren beklagte ich einmal gegen über einer Isländerin die Gewalttätigkeit ihrer deutschen Schwester, die eine sektenartige Gemeinschaft führte, woraufhin ich zur Antwort bekam: «Das ist wie bei einem unserer Vulkanausbrüche – da können wir nichts machen –, das ist einfach so.»

    Dieser Vergleich hat mich seither nicht mehr losgelassen, denn sosehr ich persönlich die Freundschaft dieser Isländerin schätzte, wollte es mir einfach nicht in den Kopf, dass man sich nicht sehr wohl auch gegen die von Menschen gemachte Gewalt zur Wehr setzen könne, dass es Möglichkeiten gibt, die Ursachen für menschliche Gewalttätigkeit herauszufinden und die Gewalttätigkeit einzuschränken.

    Wie aber können sich einzelne Menschen vor Gewalt schützen, ohne selbst – z. B. in Bürgerwehren oder durch private Bewaffnung – am Rad der Gewalt mitzudrehen?

    Lässt sich Gewalt, egal auf welcher Ebene, eventuell schon im Vorfeld erkennen und somit beeinflussen?

    Offensichtlich haben die vielen wissenschaftlichen Untersuchungen wenig dazu beigetragen, das Ausmaß der Gewalttätigkeiten zu senken. Möglicherweise ist ein Grund dafür, dass die Medienapparate von Anfang an zu machtvoll und zu einflussreich waren, als dass sie sich durch die klugen Ergebnisse auch nur annähernd hätten einschränken lassen. Ganz im Gegenteil: Durch die Einführung privater Sender und Anbieter konnten sie sich in wesentlich stärkerem Maße der staatlichen Kontrolle entziehen als zuvor. Die Pressefreiheit ist eine «heilige Kuh» – aber auch heilige Kühe können großen Schaden anrichten, wenn in ihrem Namen Bilder und Inhalte geliefert und verbreitet werden, die zu Mord und Vergewaltigung aufrufen, oder Foren angeboten werden, in denen junge Leute beispielsweise darüber diskutieren, was die Attentäter von Littleton oder Erfurt hätten «besser» machen können!

    Früher verbreiteten die christlichen Kirchen in ihren Bildern, die sie auf die Kirchenwände malen ließen, Aufforderungen zu Gewalt, Totschlag, Diskriminierung oder Märtyrerverherrlichung.

    In einer kleinen Kirche im Schweizer Hochtal der Surselva findet man beispielsweise das Altarbild des heiligen Zeno, der in jener Gegend missionierte, auf dem er – übermächtig im weißen Gewand – eine lange Lanze in den Körper eines dunkelhäutigen, lockenköpfigen Menschen rammt, der sterbend und blutend aus dem Bild dem Betrachter entgegenstürzt. Signalisiert die Dunkelhäutigkeit «Heidentum», so weist der Bocksfuß der Figur darauf hin, dass es sich eigentlich gar nicht um einen Menschen sondern um den Teufel handelt, den man ja bekanntlich straflos erschlagen darf! Generationen haben vor diesem beängstigenden und sehr dynamischen Bild gesessen, gekniet. Während langweiliger Predigten gab es Zeit genug, es in sich aufzunehmen und zu verarbeiten – seelisch offen, wie es bei spirituellen Zuständen üblich ist.

    Die Kirchen nahmen jahrhundertelang jene Position ein, die wohl heute die Medien haben: Man glaubte ihnen. Und jahrhundertelang propagierten diese Kirchen Mord und Totschlag an Andersgläubigen, zettelten Kreuzzüge an, deren Nachwirkungen bis heute das Verhältnis zwischen Orient und Okzident belasten, brachten unzählige Frauen und Männer unter den obskursten Vorwänden auf die Scheiterhaufen, was zumindest die Einstellung gegenüber Frauen und ihrer Sexualität bis heute nachhaltig beeinflusst, und förderten die Verfolgung der europäischen Juden – bis ins 20. Jahrhundert hinein, als der Papst sich schweigend vom Massenmord unter den Nationalsozialisten abwandte.

    Erst seit demokratische Kontrollen erstarkten – meistens mit dem Schlagwort «Trennung von Staat und Kirche» bezeichnet –, begannen sich die Großkirchen zu humanisieren und sukzessive an Macht zu verlieren.

    Doch es gibt religiöse Gemeinschaften oder sogar global agierende Sekten, die sich letztlich sowohl nach innen wie nach außen noch immer so gebärden wie die europäischen Kirchen im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit. Außerdem zeigen Länder, die diese Trennung zwischen Politik und Religiosität nicht vollzogen haben, wie beispielsweise viele moslemische Staaten, ähnliche Erscheinungen wie das christliche Europa vor der Aufklärung. Ob ich nun «den Teufel» in Menschengestalt an die Wand male oder Leute, deren Lebenseinstellung mir nicht in den Kram passt, so nenne, bleibt sich gleich.

    An die Stelle der Kirchen sind heute, vereinfacht gesagt, die Medien gerückt: Sie liefern Bilder und Gefühle, Geschichten und Erklärungsmuster. Es ist ganz sicherlich so, dass diese mächtigen Institutionen einen ähnlichen Aufklärungs- und Domestizierungsprozess zu durchgehen haben, wie ihn weiland die christlichen Großkirchen in Europa durchliefen und wie er für einige andere Großreligionen immer noch dringendst erforderlich ist. Dieses Thema einer politischen und staatlichen Gewaltprävention ist ein besonders umfangreiches und erfordert eine spezielle Behandlung.

    Mein Buch befasst sich mit dem Umgang mit Gewalt auf der zwischenmenschlichen Ebene. Doch ich denke, dass es wohl höchste Zeit ist, auch einmal eine «heilige Kuh» zu schlachten – oder ihr wenigstens ein zähmendes Geschirr anzulegen. Auch echte Kühe lassen sich nur melken, sind also von Nutzen, wenn sie zahm sind und ruhig stehen. Gewaltdarstellungen zu verbieten muss ja nicht gleichzeitig heißen, dass Demokratie und Aufklärung keinen Platz mehr im Journalismus haben können, die Gewalttätigkeiten in den Religionen anzuprangern nicht, grundsätzlich spirituelle Bekenntnisse abzulehnen.

    Was können also einzelne Personen oder auch kleinere Gruppen gegen Gewalt tun?

    Wie lernt man, gewalttätige Strukturen so zeitig zu erkennen, abzubiegen und zu verhindern, dass sie gar nicht mehr «bekämpft» werden müssen? Wenn man wirklich Presse- und andere Freiheiten bewahren will, woher bekommt man die Kriterien, um legitime Grenzen zu ziehen? Woher nehme ich die Selbstgewissheit, um einen Menschen anzubrüllen, wissend, dass er mir tatsächlich etwas antun und nicht nur um Feuer für seine Zigarette bitten wollte? Aus welcher Ecke seines Bewusstseins nahm der mutige Lehrer in Erfurt die Energie, den jugendlichen Mörder zu stoppen?

    Seit etwa dreißig Jahren gibt es die politische und praktische Beschäftigung mit der sexuellen Gewalt an Frauen und Mädchen. Sie war überhaupt das Grundthema, mit dem die sogenannte Neue Frauenbewegung in den Siebzigerjahren startete, als tausende von Frauen auf die Straßen gingen und skandierten: «Wir haben abgetrieben» und somit auf den Zusammenhang zwischen der scheinbar privat gelebten Sexualität und der politischen Machtlosigkeit der Frauen hinwiesen. In ungezählten Aufsätzen und Büchern wurde auf den Zusammenhang zwischen sexueller Ausbeutung und politischer Rechtlosigkeit hingewiesen. «Das Private ist politisch!» war der zentrale Slogan der Frauen-, aber auch teilweise der linken und Alternativbewegungen.

    Die Analyse der sexuellen Gewalt kann eine Art Grundmuster für alle möglichen anderen Arten der Gewaltanwendung liefern. Insbesondere ist sie dann von Nutzen, wenn man sich nicht nur unbedingt mit den Gründen für die Gewaltanwendung in der Psyche des Täters befasst, sondern sich schlicht auf die eigentliche Konfrontationssituation bezieht.

    Ich gehe nicht auf die seelischen oder sonstigen Ursachen von Gewaltanwendung ein und wage den politisch vielleicht höchst unkorrekten Satz, dass diese mich schlichtweg nicht interessieren. Mich interessieren die Opfer und die Frage, wie sie sich schützen können. Der weinenden Frau, die vergewaltigt wurde, gilt meine Sympathie, dem stotternden Mädchen, das von der sexuellen Gewalt an ihrem Körper durch den Stiefvater berichtet. Mich berühren die letzten Telefonate aus den Flug zeugen beim Attentat auf das World Trade Center und die Gefühle der Hinterbliebenen jener farbigen Mitbürger, welche von rechten Skinheads erschlagen wurden. Wenn ich versuchte, mir vorzustellen, wie ein Drittel meiner Kolleginnen und Kollegen mitten im Frieden von einem neunzehnjährigen Kerl abgeknallt würden, müsste ich verstummen. Wenn Sektenopfer in Aussteigegesprächen ihre Gurus und Guras[1] als brüllende, geifernde, schlagende oder sonst wie terrorisierende Menschen beschreiben, interessiert es mich nicht im geringsten, warum der Guru, die Gura so ist, wie er oder sie ist. Es ist für mich auch nicht von Belang, welche möglichen Kindheitstraumata beispielsweise einen Skinhead dazu brachten, seinen farbigen Mitbürger aus der Straßenbahn zu werfen, und ob es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Selbstmordattentätern und globaler Wirtschaftsweise gibt.

    Ich möchte, dass potentielle Opfer eine Chance bekommen, der Gewalt zu entgehen oder sich zu wehren.

    Das Buch soll ein Versuch sein, eine Art Erste-Hilfe-Kasten für Betroffene, eine Anleitung, mit der man lernen kann, gewalttätige Situationen rechtzeitig zu erkennen, ihnen auszuweichen oder sich gegen sie zu wehren.

    Konservative und rechtspopulistische Politiker propagieren einen starken Staat, vermehrte Polizeipräsenz, Kontrollen jeglicher Art usw. – kurz: eine Einschränkung demokratischer Freiheiten und liberaler Errungenschaften moderner Gesellschaften. Schon jetzt sind als Reaktion auf die großen Attentate der letzten Jahre ein vermehrtes Kriegstreiben und ein Anziehen autoritärerer Gesetzgebung zu verspüren. Man kennt das auch aus den Zeiten der Roten-Armee-Fraktion in den Siebzigerjahren, als die Gewalt einer Handvoll Leute genügte, die sogenannten Notstandsgesetze aus der Taufe zu heben.

    Ich bin nicht der Meinung, dass eine restriktive Gesetzgebung allzu viel gegen Gewalt ausrichtet. Sie führt letztlich wieder zu autoritativen Regierungen und unkontrollierbarer Staatsgewalt.

    Niemand wird behaupten, dass es zur Zeit des Nationalsozialismus weniger Gewalt gegeben hätte als heute – außer jenen, die Völkermord und Holocaust nicht als Gewalt erkennen können!

    Um zu vermitteln, wie man Gewaltsituationen rechtzeitig einschätzen kann, werden im ersten Kapitel die Grundmuster einer sexuellen Gewaltsituation dargestellt und jene Verhaltensregeln, Tricks und Abwehrmöglichkeiten beschrieben, mit denen sich eine sexuelle Gewaltattacke rechtzeitig erkennen und eventuell im Vorfeld schon mit Worten verhindern lässt.

    Seit etwa fünfundzwanzig Jahren lernen Frauen, Mädchen und Menschen aus besonders gefährdeten Gruppen wie beispielsweise Körperbehinderte solche Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungsstrategien. Das Konzept mit der längsten Erfahrung wurde vor etwa dreißig Jahren von kanadischen Feministinnen entwickelt und nach Europa gebracht. Sein Name ist Wen-Do, was so viel heißt wie «Weg der Frau». Schon dieser Name impliziert, dass es dabei um mehr geht als nur um ein paar simple Abwehrschläge oder faule Überraschungstricks.

    Anfang der Achtzigerjahre wurde ich in dieser Methode ausgebildet. Seit dieser Zeit haben viele Wen-Do-Lehrerinnen das Konzept unaufhörlich ausgebaut und insbesondere um psychologische und verbale Strategien erweitert.

    Sind Frauen und Mädchen meistens durch die «private» sexuelle Gewalt im Rahmen von Gruppen bedroht, denen sie nicht ausweichen können, weil sie Teil der Stationen eines Lebenslaufs sind – Familie, Schule, Arbeitsplatz usw. –, fürchten beispielsweise behinderte und ausländische Menschen auch jene Gewalt, die ihnen an öffentlichen Orten begegnet: auf der Straße, in Parkhäusern, in öffentlichen Verkehrsmitteln.

    Im zweiten Kapitel werden die Unterschiede und Parallelen zwischen eher privater und eher öffentlicher Gewalt dargestellt, wobei das Hauptaugenmerk auf den Unterschied zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Gruppen/Situationen gelegt wird.

    Im dritten und vierten Kapitel beschreibe ich die Strukturen zweier Gruppen, denen man im Leben nicht notwendigerweise beitreten muss, in denen aber sehr häufig sexuelle und andere Gewalt vorkommt und die selber sehr oft auf die eine oder andere Art Gewalt gegen andere Menschen anwenden: rechtsradikale Gruppen/Parteien und sektenartige, fundamental-religiöse Gemeinschaften. Hier kann es geschehen, dass man verführt wird, oder man gerät aus anderen Gründen – von denen beispielsweise Sehnsucht nach Geborgenheit und Dazugehörigkeit ja eigentlich nicht die schlechtesten sind – in einen solchen Zusammenhang und unterschätzt das Gewaltpotential einer solchen Gruppe anfänglich.

    Da ist dann erst einmal die wichtigste Frage, wie man innerhalb einer solchen Gruppe vermeidet, zum Opfer oder gar zum Mittäter zu werden, eventuell auch Freunden oder Liebsten hilft, und wie man schlussendlich, ohne allzu viel Schaden zu nehmen, dort wieder herauskommt, vielleicht sogar den Mut aufbringt, die Gewalttätigkeiten öffentlich anzuprangern.

    Kapitel fünf behandelt die Vorgehensweisen der selbsternannten und gewaltgierigen Führer derartiger Gruppen und die Strategien, wie man sich gegen ihre Machtanmaßung und Gewalt wehren kann.

    Dieses Buch soll eine Anleitung dazu sein, wo und wie auch immer, Gewalt, sexuelle Ausbeutung, politische Unterdrückung und finanzielle Entrechtung rechtzeitig zu erkennen sowie abwehren zu lernen, im Zweifelsfalle aber auch das manchmal Klügste zu tun, was einem übrig bleibt: abhauen! Denn Flucht kann in vielen Situationen immer noch die beste Verteidigung sein.

    Gabriele Schweickhardt Gabriele Schweickhardt 2 2016-09-09T08:18:00Z 2016-09-09T08:18:00Z 96 56130 353623 2946 817 408936 15.00

    1.    Gewalt hat ein Gesicht

    Sexuelle Gewalt in unvermeidbaren Gruppen – Familie, Schule, Ausbildung, Arbeitsplatz

    Gabriele Schweickhardt Gabriele Schweickhardt 2 2016-09-09T08:18:00Z 2016-09-09T08:18:00Z 96 56130 353623 2946 817 408936 15.00

    1.1  Mein Parfüm und dein Geruch oder: Wie weit reiche ich? Von Raumkapseln, Flügelspannweiten und Duftwolken

    Gewaltbereitschaft kann man erkennen. Natürlich laufen gewaltbereite Menschen nicht mit einem Schild um den Hals herum, das die Aufschrift trägt: «Ich bin ein Schläger!» Doch sie zeigen Verhaltensweisen und haben Angewohnheiten, die auf eine niedrigere Hemmschwelle, andere Menschen zu attackieren, schließen lassen. Sie sprechen eine bestimmte Sprache und leben Gefühle aus, die ihre Freude an der Gewalt, an Macht, am Tyrannisieren Schwächerer oder Abhängiger signalisieren.

    Warum sie sich so verhalten, kann einem im Grunde genommen ganz gleichgültig sein, besonders dann, wenn man selber in eine unangenehme Situation mit ihnen gerät. Da kann eingehendes Hinterfragen sogar hinderlich sein. Es ist der Geistesgegenwart abträglich, wenn man allzu lange darüber nachdenkt, warum der Herr, der doch an der Bushaltestelle anscheinend nur um Feuer bitten wollte, plötzlich nicht mehr loslassen will.

    Über zwei Drittel aller Gewalttaten sind sogenannte Beziehungstaten, das heißt: Täter und Opfer kennen sich. Das trifft insbesondere auf die sexuelle Gewalt zu. Selten springt eine Art wildgewordener Tarzan in einem einsamen Park hinter einem Busch hervor und stürzt sich auf sein Opfer. Auch sonst lauern Täter weniger in der Einsamkeit der Bergwelt oder «im Wald». Das wäre ja auch eigentlich unlogisch, denn wer weiß, wie lange sie dort warten müssten, bis eine Wanderin vorbeikommt!

    Das führt gleich zu einer weiteren Eigenschaft von Gewalt, insbesondere der sexuellen Gewalt: Entgegen landläufigen Auffassungen, die immer noch durch die Medien geistern, geschehen die meisten Sexualstraftaten nicht aufgrund spontan aufgetretener, unbeherrschter Triebe, die sich da plötzlich, beim Anblick eines Kindes, einer Frau, Bahn brachen – vielleicht gar, weil der «arme Täter» seit Wochen keinen sexuellen Kontakt mehr hatte, seine Frau nicht mit ihm schlafen will oder er als Priester im Zölibat lebt.

    Solche Vorstellungen verlagern die Schuld an der sexuellen Attacke erstens auf die Umwelt des Täters, beispielsweise die «böse Gattin», die ihren «ehelichen Pflichten» nicht nachkommt, oder eine altbackene Kirchenregel, welche die Priester oder Mönche unter ihre Knute zwingt; zweitens auf irgendein diffuses Innenleben, das Unbewusste, die Triebe oder Instinkte, die sich nach Art eines Naturereignisses entluden, wofür der Täter eigentlich gar nichts konnte – besonders, wenn er Alkohol getrunken hatte und seine bewussten Kontrollen noch niedriger lagen als sonst vielleicht.

    Beide Erklärungsmuster sind anscheinend aus der seltsamen Angst entstanden, die Täter wirklich beim Namen zu nennen. Die Gruppe der Männer in Gestalt von Ärzten, Richtern, Gutachtern und anderen Fachleuten scheute sich jahrzehntelang, die einfache, aber schreckliche Tatsache zu benennen, dass Männer, geplant und ohne Wenn und Aber, zu Vergewaltigern werden können. Erst die Neue Frauenbewegung hat seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts immer wieder darauf hingewiesen und das ganze Ausmaß der Verschweigerei öffentlich gemacht. Seitdem sind zumindest die männlichen Fachleute, Polizisten, Richter und Gerichtspsychiater usw. bereit, in dieser Sache Klartext zu reden.

    Auch kleinere Gruppen scheuten und scheuen sich bis heute, offen über Gewaltanwendung durch ihre Mitglieder zu sprechen: Die Kirchen waren groß im Verschweigen, als nach und nach die sexuellen Übergriffe einiger ihrer Priester an Kindern zum Vorschein kamen; Lehrer wurden jahrzehntelang einfach von Gemeinde zu Gemeinde strafversetzt, wenn dergleichen publik wurde; Standesorganisationen versuchten, Anklägerinnen mundtot zu machen.

    Ich werde weiter unten noch einige Male auf dieses Phänomen des Abwehrens und Verschweigens zurückkommen, über welches auch viele Menschen ein trauriges Lied singen können, die innerhalb ihrer Familien sexueller Gewalt ausgesetzt waren und sie Jahre später anzuklagen versuchten.

    Doch die Täter sind auf jeden Fall die Schuldigen, denn Anmache, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen sind meistens geplant. Der Täter hat sich sein Opfer, das ihm im Bekannten oder Verwandtenkreis begegnet ist, längst ausgesucht. Er entwickelt eine Strategie, sich der Frau zu nähern oder das Kind in seine Nähe zu holen. Meistens ist er eine vertraute Person, vor dem das potentielle Opfer erst einmal keine Angst hat. Und meistens befindet sich dieses in irgendeiner Art Abhängigkeit vom Täter – emotional, weil er ein Mitglied der Familie ist, finanziell, weil er die Ausbildung bezahlt, leistungsmäßig, weil er ein Lehrer oder anderer Ausbilder ist,

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