Meditation und buddhistische Ethik: Gelnhäuser buddhistische Vorträge
Von Horst Gunkel
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Über dieses E-Book
Die Vorträge in diesem Buch sind in einer modernen und erfrischenden, teilweise auch humorvollen Art geschrieben. Sie wurden zwischen 2010 und 2021 vom Autor bei der Buddhistischen Gemeinschaft Gelnhausen (Meditation am Obermarkt) gehalten.
Fachbegriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.
Horst Gunkel
Horst Gunkel, Jahrgang 1951, arbeitete 40 Jahre als Lehrer an einem beruflichen Schulzentrum. Er engagierte sich in zahlreichen Vereinen und Bürgerinitiativen zum Schutz des Lebens in all seinen Formen. Von 1981 bis 1995 war er in zahlreichen Gremien und zwei Regionalparlamenten aktiv. Von 1987 bis 2000 leitete er außerdem das ÖkoBüro Hanau. Anfang der 90er Jahre begegnete er dem Buddhismus und erkannte schnell, dass ein Engagement hierin (noch) wichtiger sei als sein bisheriges politisches Wirken. Er legte alle politischen Ämter nieder und setzte sich im Netzwerk Engagierter Buddhisten für ökologische, pazifistische und soziale Projekte ein. 1996 kam er zur Buddhistische Gemeinschaft Triratna (damals: Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens), für die er zunächst in Frankfurt/M. eine Meditationsgruppe aufbaute, dann die Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen. Hier begann er Geschichten aus dem Palikanon nachzuerzählen. Einige davon fanden Eingang in dieses Buch.
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Buchvorschau
Meditation und buddhistische Ethik - Horst Gunkel
Das Buch
Der Dreifache Pfad, den der Buddha lehrte, besteht aus (1) sīla - Ethik, (2) samādhi - Meditation und (3) prajñā - Weisheit. Dieses Buch informiert über die ersten beiden Themen, über buddhistische Ethik und Meditation. Weisheit kann - im Gegensatz zu Wissen - nicht über Bücher erlernt werden; Weisheit muss diejenige Person, die den buddhistischen Pfad beschreitet, selbst entwickeln - auf der Basis von Ethik und Meditation.
Die Vorträge in diesem Buch sind in einer modernen und erfrischenden, teilweise auch humorvollen Sprache geschrieben. Sie wurden zwischen 2011 und 2021 vom Autor bei der Buddhistischen Gemeinschaft Gelnhausen (Meditation am Obermarkt) gehalten.
Kursiv und fett gedruckte Begriffe sind in einem Glossar am Ende des Buches erklärt.
Der Autor
Horst Gunkel, Jahrgang 1951, arbeitete 40 Jahre als Lehrer an einem beruflichen Schulzentrum. Er engagierte sich in zahlreichen Vereinen und Bürgerinitiativen zum Schutz des Lebens in all seinen Formen. Von 1981 bis 1995 war er in zahlreichen Gremien und zwei Regionalparlamenten aktiv. Von 1987 bis 2000 leitete er außerdem das ÖkoBüro Hanau. Anfang der 90er Jahre begegnete er dem Buddhismus und erkannte schnell, dass ein Engagement hierin (noch) wichtiger sei als sein bisheriges politisches Wirken. Er legte alle politischen Ämter nieder und setzte sich im Netzwerk Engagierter Buddhisten für ökologische, pazifistische und soziale Projekte ein. 1996 kam er zur Buddhistischen Gemeinschaft Triratna, für die er zunächst in Frankfurt/M. eine Meditationsgruppe aufbaute, dann die Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen. Hier begann er Vorträge über buddhistische Themen zu halten. Einige davon fanden Eingang in dieses Buch.
Weitere Vorträge von Horst Gunkel finden sich unter
http://www.gelnhausen-meditation.de
Inhaltsverzeichnis
Vorträge über Ethik
Ethik - warum diese Vortragsreihe?
Vom Nutzen der Ethik
Habe ich aufgehört, Leben zu nehmen?
Mit Taten liebevoller Güte
Das Nehmen von Nichtgegebenem
Mit Großzügigkeit geben
Stress beenden
Richtig reich werden!
...und nichts als die Wahrheit
Vom Ende einer Karriere
Hellwache Achtsamkeit
Vorträge über Meditation
Was ist Meditation?
Atem-Achtsamkeit
Die Fünf Hindernisse
Körperachtsamkeit - Der zweite Anker
Der blaue Himmel
Die Quelle aller Hindernisse
Freude und Begeisterung stimulieren
Die poetische Meditationsanalyse des Buddha
Zwei Strategien: Erwägen und Verbieten
Anfängergeist
Zwei Arten von Meditation
Meditation im Gehen
Flexibilität in der Meditation
Betrachtung der vedanā und anderer khandhas
Die erhabenen Geisteszustände
Das sanfte Surfen in den jhānas
Anhang
Zwei grundlegende Meditationstechniken
Die Atembetrachtung
Die metta bhavana
Begriffserklärungen
Wo finden sich weitere Vorträge?
Bilder und Tabellen
Fünf ethische Schritte
Der Spiralpfad (upanisā-Kette)
Die fünf ethischen Vorsätze (pañcasīla)
Das Bedingte Entstehen (paticcasamuppada)
Der Edle Achtfältige Pfad (Rad der Lehre)
Die fünf Hemmungen (Hindernisse)
Das Reiz-Reaktions-Schema
Die Vertiefungsfaktoren der jhānas
Die jhānas als Prozess
Ethik - warum dazu eine
Vortragsreihe?
Ethik - Das Gute leben - Teil I
Ich habe in den letzten Monaten hier bei Meditation am Obermarkt in Gelnhausen über berühmte buddhistische Meister oder Meisterinnen gesprochen. Das hatte augenscheinlich mit Buddhismus zu tun. Davor habe ich eine Vortragsreihe über Meditation gehalten. Das kann man bei „Meditation am Obermarkt" schließlich auch erwarten.
Aber über Ethik??? Noch schlimmer wird es, wenn man Synonyme für Ethik verwendet: Tugend, Moral, Sittlichkeit. Das klingt alles irgendwie abturnend, absolut mega-out. Und dennoch biete ich diese Vortragsreihe an. Ich weiß, sie wird kein Blockbuster werden, sie wird nicht dazu führen, dass wir größere Räume für unsere Veranstaltungen benötigen. Sie kann aber zu etwas sehr viel Wichtigerem führen. Sie kann dazu beitragen, dass wir alle - ihr und ich auch - uns verändern, uns entwickeln, evolvieren, auf dem Pfad voranschreiten.
Wir alle, jede und jeder von uns, ist ein sich beständig verändernder Prozess. Meistens haben wir auf die Ursachen dieser Veränderungen keinen Einfluss. Aber wir können Bedingungen schaffen, die eine Veränderung in eine gewünschte Richtung bewirken, hin zu mehr Bewusstheit, zu mehr Ausgeglichenheit, zu Liebe, zu Großzügigkeit, zu Weisheit.
Es besteht also die Möglichkeit, diesen Prozess, der jede einzelne Person unter uns ist, bewusst zu steuern. Dieses bewusste Steuern des eigenen Prozesses nennt man „den Pfad gehen".
Wie ihr wisst, war ich gerade auf Pilgerwanderung Richtung Bodh Gaya. Manche Leute haben mich gefragt: „Zu Fuß? Biste bekloppt? Warum fliegst du denn nicht?"
Wer so fragt, hat nicht wirklich verstanden, worum es geht. Es geht darum, den Pfad bewusst, selbstgesteuert und aus eigener Kraft zu gehen. Der Pilgerpfad ist dabei nur eine äußere Metapher für einen inneren Prozess. Diesen Prozess gilt es zu gestalten, und zwar mit Körper, Rede und Geist. Nichts anderes machen wir, wenn wir Ethik einüben. Wir bemühen uns darum, mit Körper, Rede und Geist wegzukommen von selbstsüchtigem Denken, Reden und Handeln, wegzukommen von hasserfülltem Denken, Reden und Handeln, wegzukommen von verblendetem Denken, Reden und Handeln, und stattdessen immer mehr zu einem Denken, Reden und Handeln zu kommen, das von Liebe, von Großzügigkeit und von Weisheit geprägt. Ist. Das bedeutet „den Pfad gehen".
Der Buddha hat den Pfad auf verschiedene Weise erläutert. Ein Bild ist das der progressiven Kettenglieder (upanisās), das hier im Meditationsraum am Obermarkt an der Wand neben dem Schrein aufgezeichnet ist. In zwölf Stufen geht der Pfad von dukkha (Unvollkommenheit, leidvolle Erfahrungen) bis hin zum höchsten Ziel Nirwana (Vollkommenheit, Erkenntnis der eigenen Befreiung).
Ein anderes Modell, das der Buddha wesentlich häufiger verwendet hat, ist das des Edlen Achtfältigen Pfades, das durch das Rad der Lehre an der anderen Wand unseres Meditationsraumes symbolisiert wird. Hier werden gewissermaßen acht Baustellen benannt, an denen wir arbeiten müssen, um uns zu entwickeln. Über beide Modelle, das der progressiven Kettenglieder und das des Edlen Achtfältigen Pfades, habe ich in der Vergangenheit hier bereits Vortragsreihen gehalten.
In seinen letzten Lebensjahren hat der Buddha allerdings, wenn er nicht zu Mönchen und Nonnen, sondern zu Laien sprach, immer ein anderes Modell gelehrt, den Dreifachen Pfad. Das ist natürlich gegenüber dem zwölfstufigen und dem achtfältigen Modell eine vereinfachte - man könnte auch sagen: eine didaktische reduzierte - Variante. Aber der Buddha hätte sie nicht am Ende seines Lebens in den Mittelpunkt seiner Lehrreden gestellt, wenn er nicht davon überzeugt wäre, dass sie das für Laien - also für Nicht-Berufs-Buddhisten - angemessene Modell wäre.
Der Dreifache Pfad besteht aus Ethik - Meditation - Weisheit. In dieser Reihenfolge. Ethik als Basis, Meditation darauf aufbauend und Weisheit als das Ziel, das auf der Basis von Ethik und Meditation erreicht werden kann. Und Weisheit schließt hier auch vollkommene Weisheit, Erleuchtung, Buddhaschaft, Nirwana ein.
Mitunter spricht man auch vom Pfad der regelmäßigen und dem Pfad der unregelmäßigen Schritte. Was ist das?
Nun, wenn wir von dem, wofür Meditation am Obermarkt steht, für Meditation und Buddhismus, ein gewisses Interesse haben, wenn sich jemand entschließt, hierher zu kommen, dann sind es gewöhnlich die besonders attraktiven Eigenschaften, die anziehend wirken - was nur natürlich ist. Es kommt öfter vor, dass hier Leute auftauchen, die sagen, dass sie vom Buddha oder vom Buddhismus sehr beeindruckt sind, von dieser Weisheit, dieser tiefen Ruhe und vollkommenen Gelassenheit. Das sind offensichtlich Leute, die vom Dreifachen Pfad am stärksten durch Weisheit angezogen werden.
Am häufigsten allerdings kommen Leute her, die sagen, sie interessieren sich für Meditation, weil sie mehr Ruhe und Klarheit brauchen, weil sie gestresst sind, weil sie zu sich selbst kommen wollen. Diese Leute finden offensichtlich Meditation am interessantesten vom Dreifachen Pfad. Aber es ist mir noch nie passiert, in den mehr als zehn Jahren, in denen ich Buddhismus und Meditation unterrichte, dass jemand hier auftauchte und sagte: „Horst, ich möchte mich sittlich vervollkommnen." Noch kein einziges Mal!
Im Laufe der Zeit jedoch - wenn man so lange dabei bleibt - erkennt man, dass alle drei Elemente nötig sind, Ethik, Meditation und Weisheit. Allerdings ist in der Hitliste unserer Interessen Meditation gewöhnlich eindeutig an erster Stelle, der Dharma, die Lehre des Buddha an zweiter. Wenn wir das tun, gehen wir den Pfad der unregelmäßigen Schritte. Triebgesteuert, wie wir als unvollkommene Menschen - fest verwurzelt in unserer animalischen Natur - nun einmal sind, wollen wir uns die Rosinen aus dem Kuchen picken.
Wenn wir jedoch allmählich reifer werden, dann erkennen wir, dass dieses sprunghafte Hüpfen auf alles, was uns interessant erscheint - vielleicht doch lieber Yoga, oder transzendentale Meditation, Tai Chi wäre vielleicht auch nicht schlecht? Zen - und die Kunst des Bogenschießens! - dass dieses sprunghafte Herumhüpfen uns nicht wirklich weiterbringt. Und dann sind wir reif für den Übergang vom Pfad der unregelmäßigen zum Pfad der regelmäßigen Schritte. Dann sind wir reif für den Dreifachen Pfad, dann sind wir reif genug, die Bedeutung der Basis, der Ethik, für das Gehen des Pfades, für die bewusste, selbstgesteuerte Evolution zu erkennen. Und der Dreifache Pfad hat eine klare Reihenfolge: 1. Ethik, 2. Meditation, 3. Weisheit.
Das heißt nun nicht, dass ihr ab sofort nicht mehr meditieren sollt, weil ihr ja noch keine absoluten Tugendbolde seid. Das heißt auch nicht, dass ihr euch während meiner Vorträge die Ohren zuhalten sollt, damit um Himmels Willen kein Element von Weisheit zu früh in euer Gehirn dringt. Meditieren will ich euch ebenso wenig ausreden, wie Einsicht zu entwickeln. Aber was der Buddha mit dem Pfad der regelmäßigen Schritte meint, ist, dass eure, dass unsere Hauptbaustelle eindeutig der Bereich von Ethik ist.
Meditation scheint vielleicht attraktiver zu sein. Aber wie häufig nehmen wir denn die Gelegenheit wahr zu meditieren? Wenn ihr hier jede Woche herkommt, ist das eine Stunde Meditation pro Woche, jetzt nehmen wir noch an, dass ihr an den anderen sechs Wochentagen durchschnittlich zwanzig Minuten meditiert - ich wette bei den meisten ist es weniger - dann kommen wir auf insgesamt drei Stunden Meditation von 168 Wochenstunden, also knapp zwei Prozent. Angenommen, ihr besucht noch regelmäßigen einen meiner Kurse und lest außerdem wöchentlich durchschnittlich eine Stunde ein Dharmabuch, dann kämen nochmal wöchentlich 2,5 Stunden für den Bereich „Weisheit" hinzu, also rund anderthalb Prozent.
Aber für den Bereich „Ethik", oder wie es die Römer und Griechen in der Antike nannten, für „das Gute Leben", habt ihr 168 Stunden Zeit, das könnt ihr immer üben. Wirklich 24 Stunden am Tag, denn wenn ihr Ethik mehr und mehr in den Mittelpunkt eures Denkens, Redens und Handelns stellt, dann werdet ihr auch im Schlaf, in euren Träumen, vom guten Leben, vom ethischen Denken und Handeln durchdrungen sein.
Daher ist es so wichtig, vom Pfad der unregelmäßigen zum Pfad der regelmäßigen Schritte überzugehen. Daher sagt der Buddha, Ethik ist die Basis, auf der tiefe Meditation und Einsicht aufgebaut werden und reifen können. Und wenn ihr vielleicht bislang eure Meditationen ziemlich unbefriedigend fandet, so liegt das möglicherweise daran, dass das Fundament, der ethische Unterbau, noch etwas auf tönernen Füßen stand.
Diese Vortragsreihe über Ethik soll dem dienen, dass wir verschiedene Aspekte unseres Denkens, Redens und Handelns näher betrachten, die wir vielleicht so noch nie betrachtet haben. Hierzu werde ich versuchen, Denkanstöße zu geben.
Und - ganz wichtig - in der anschließenden Diskussion sollen wir die Möglichkeit haben, das Gehörte zu vertiefen. Unsere eigenen Erfahrungen, Bedenken, Widerstände und vielleicht auch Erfolge auszutauschen und voneinander zu lernen.
Denn es gibt im Buddhismus neben dem Dreifachen Pfad noch etwas, das man den buddhistischen Dreiklang des Lernens, des sich Entwickelns nennen kann, und der heißt: Hören - Reflektieren - Meditieren.
Zum Hören ist mein Vortrag da. Zum gemeinsamen Reflektieren habt ihr die Möglichkeit in dem anschließenden Gedankenaustausch. Noch vertiefender wird das, wenn ihr in der folgenden Woche euch die Zeit nehmt, noch einmal über das von mir und im Gedankenaustausch Gehörte alleine zu reflektieren und in eurem Handeln umzusetzen. Und wenn ihr dann in Meditation sitzt und einfach nur die Vergegenwärtigungen des Atems oder die metta bhāvanā übt, dann wird das Gehörte und Reflektierte allmählich den Prozess, der ihr seid, durchdringen. So entsteht Weisheit.
Das nennt man den Dreifachen Pfad aus Ethik, Meditation und Weisheit. Das ist der Pfad, der mittelfristig zu Glück und langfristig zu Nirwana führt.
Diese Abbildung gehört zum nachfolgenden Vortrag. Da die Punkte Teil einer Aufwärtsentwicklung sind, erfolgt die Nummerierung von unten nach oben.
Vom Nutzen der Ethik
Ethik - Das Gute leben - Teil II
Vielleicht erscheint der Titel dieses Vortrags „Vom Nutzen der Ethik merkwürdig. Es stellt sich doch die Frage: „Darf man, soll man ethisch aus Nutzenserwägungen handeln?
Und die Antwort darauf ist aus meiner Sicht ganz klar: „Ja!" Wenn nicht, wäre Ethik ja völlig nutzlos.
Wohlgemerkt, der Titel des Vortrags ist nicht: „Wie Ethik einem selbst nutzt", denn dann würde man den Einen, das eigene Ich, vor die anderen stellen. Es ist viel mehr so wie in der metta bhāvanā: Wenn wir metta für alle Wesen einüben, dann ist das tendenziell gut für alle Wesen. Es ist gut für mich, denn ich bin dann liebevoller, es ist gut für die anderen, denn ich begegne ihnen liebevoller. Ethik zu üben ist auch gut für die Summe aller Wesen, für diesen Planeten und für die Evolution, verstanden als Evolution zu mehr Vollkommenheit, also für die spirituelle Evolution.
Nicht umsonst ist Ethik das erste Pfadglied des Dreifachen Pfades, den der Buddha lehrt, des Pfades aus Ethik - Meditation - Weisheit. Darüber habe ich letzte Woche gesprochen. Und auch auf dem Spiralpfad (Bild S. 54), auf dem Pfad der positiven, sich gegenseitig verstärkenden Schritte, den ich hier an der Wand dargestellt habe, wird die Ethik beschrieben, wenn wir den chinesischen buddhistischen Kanon zugrunde legen.
Der Pfad des sich spirituell entwickelnden Menschen beginnt mit dukkha, Einsicht in die Unvollkommenheit alles Bestehenden, also des weltlichen Lebens. Und mit saddha, Vertrauen darin, dass es etwas Besseres gibt, nämlich den Pfad der spirituellen Evolution, den Pfad der vollständigen Emanzipation des Menschen aus dem Tierreich, hin zur nächsten Evolutionsstufe, zur Buddhaschaft.
Und auf diesem Wege kommen fünf Schritte - ich habe sie auf dem Bild an der Wand unseres Meditationsraumes mit den Ziffern 14.1 bis 14.5 dargestellt (Bild S. 12), die von der Ethik und dem Nutzen der Ethik handeln. Und der Nutzen der Ethik besteht einerseits darin, dass wir dadurch anderen Gutes tun, daher heißt meine Vortragsreihe „Das Gute leben" und auch darin, dass wir auf diesem Pfad weiterkommen, nämlich zu den Punkten, die da heißen: Freude (pāmojja), Begeisterung (pīti), Glückseligkeit (sukha), sowie wirkliche - nämlich ganz tiefe - Meditation (samadhi) und Sehen, wie die Dinge sind (yathabhuta nana dassana).
Sehen wir also diese fünf Schritte (14.1 bis 14.5) an, die den Pfad der Ethik im Dreifachen Pfad erläutern.
14.1 heißt „yoniso manasikāra". Manasikāra ist eines von fünf Elementen, die immer dann stattfinden, wenn wir etwas wahrnehmen. Wenn wir durch die Straßen gehen, gibt es jede Menge optischer Eindrücke, manche schaffen es in unser Bewusstsein, andere nicht. Ich habe zum Beispiel festgestellt, wenn ich früher mit meiner Freundin durch Frankfurt gegangen bin, hat die ganz andere Dinge gesehen als ich. Kleidungsstücke im Schaufenster zum Beispiel. Ich hatte nicht einmal festgestellt, dass da Kleidungsstücke im Schaufenster waren. Ehrlich gesagt, ich hatte glaube ich nicht einmal festgestellt, dass da Läden waren. Und dann wollte sie in den Laden hineingehen, „um nur mal zu schauen". Hinterher hatte sie dann etwas gekauft, obwohl sie wirklich keinen Mangel an Kleidung hatte. Umgekehrt hat sie sich bei mir immer mokiert, dass ich an keinem Restaurant vorbeigehen konnte, ohne in die ausgehängte Speisekarte zu sehen. Sie hatte nicht einmal festgestellt, dass dort ein Restaurant war, geschweige denn ein Aushang.
Offensichtlich sprang unser Geist auf etwas an - meiner auf etwas anderes als ihrer - auf etwas, das von uns beiden visuell gesehen, der jeweils andere aber nicht wirklich bemerkt hatte. Das nennt man manasikāra. Und das war bei jedem von uns durch eine unterschiedliche Art von Verlangen geprägt, bei ihr nach schöner Kleidung, die sie objektiv nicht brauchte, bei mir von Verfressenheit. Daher übersetzt der buddhistische Autor Guenther „manasikāra" recht zutreffend mit „egoistisches Beanspruchen". Das ist allerdings nichts besonders Ethisches, weil es egoistische (hier: gierbedingte) Beweggründe hat.
Anders wenn vor manasikāra das Adjektiv „yoniso" steht. Dann sprechen wir von „weisem Erwägen. Erwägen ist dann weise, wenn es nicht aus selbstsüchtigen Motiven geschieht. Interessant ist, dass das Wort „yoniso
von „yoni" = Gebärmutter abgeleitet ist. Es bedeutet damit wörtlich „aus dem Ursprung heraus oder „zum Ursprung hin
, in übertragenem Sinne dann „gründlich, weise, wohlerwogen, angemessen. Es geht also bei diesem weisen Erwägen um die Art des Erwägens, die wir evolutionsgeschichtlich ursprünglich hatten, bevor wir unser Ich entdeckten und damit die Türe für Egoismus öffneten. Nicht dass diese Entdeckung des „Ich
falsch gewesen wäre, nein, denn nur dadurch war auf einer gewissen Stufe Entwicklung möglich, auf einer höheren Stufe wird dieser Egoismus jedoch zum Problem. Wenn wir uns spirituell weiterentwickeln wollen, müssen wir uns von ihm lösen.
Das tun Menschen in allen wahrhaft spirituellen Traditionen, es ist eine Anbindung an die ursprünglichen Kräfte - daher yoniso - die bereits vor und jenseits des Egoismus wirkten. Unser Wort „Religion" hat übrigens eine ganz ähnliche Bedeutung. Es kommt nicht aus der buddhistischen, sondern aus der abendländischen Tradition, sprachgeschichtlich leitet das Wort sich vom lateinischen "religio" her, was Rückbindung
bedeutet. Es bezieht sich also auf den Umstand, dass wir eine Verbindung zu etwas Ursprünglichem aufgegeben haben und es nun unsere Aufgabe ist, uns wieder aufs Neue damit zu verbinden.
Der erste Schritt auf dem Weg zur Ethik ist also, Dinge zu erwägen, ohne sie aus dem Blickwinkel des Egoismus, des Eigeninteresses, des Verwertungsaspektes für mich selber, zu betrachten. Und das gilt insbesondere hinsichtlich unserer Beziehungen zu anderen Wesen. Kant nennt das in seiner Metaphysik der Sitten, andere „Menschen nicht als Mittel, sondern als Zwecke zu sehen. Wir sollen andere Wesen nicht instrumentell betrachten, im Sinne von der Überlegung: „Was nutzen sie mir?
Sondern jedes Wesen hat vielmehr ein eigenes Existenzrecht, ein ethisches Recht auf Leben und Streben nach Glück.
Wenn wir diese Grundhaltung rudimentär in uns haben und bestrebt sind, diese Haltung weiter zu entwickeln, dann