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Der Kolumbianer: Die unglaubliche Geschichte des Eduardo Ortega da Silva
Der Kolumbianer: Die unglaubliche Geschichte des Eduardo Ortega da Silva
Der Kolumbianer: Die unglaubliche Geschichte des Eduardo Ortega da Silva
eBook355 Seiten4 Stunden

Der Kolumbianer: Die unglaubliche Geschichte des Eduardo Ortega da Silva

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Über dieses E-Book

Eduardo Ortega da Silva, 'Der Kolumbianer', ein erfolgreicher Geschäftsmann aus Bogotá und dort auch mit staatlichen Aufgaben befasst, wird durch einen persönlichen Schicksalsschlag aus seinem gewohnten Leben geworfen. Die Ereignisse zwingen ihn zu Entscheidungen, die ihn mit Teilen der kolumbianischen politischen Klasse in Konflikt bringen. Von diesen gejagt, flieht er nach Deutschland und Österreich, beantragt und erhält Asyl und baut eine neue Existenz auf. Nach erfolgreichen Jahren ergeben sich für ihn aus wirtschaftlichen Ursachen neue Schwierigkeiten. Ortega wird zur Zielperson eines deutschen Landeskriminalamtes und im Rahmen einer großangelegten Aktion dazu gebracht, sich in Verhandlungen mit kolumbianischen Drogendealern und der kalabrischen N'Drangheta einzulassen. Obwohl er erst durch die Machenschaften des LKA zum Täter - zum Opfer - wird, verurteilt ein Landgericht ihn zu neun Jahren Gefängnis. Seine Vergangenheit holt ihn sogar während der Haft ein und Ortega und seine Familie können nur durch ganz besondere Maßnahmen geschützt werden, die ihr Leben völlig verändern und sie vor schwerwiegende neue Herausforderungen stellen. Florian Sommer, ein Freund seit der Zeit, als alles begann, berichtet als zeitweilig direkt Beteiligter bis in die Gegenwart hinein über dieses außergewöhnliche, an überraschenden und spektakulären Ereignissen und Wendungen reiche Leben, für das zu großen Teilen ein Sprichwort aus Kolumbien seine Gültigkeit hat, auch für Eduardo Ortega da Silva, der es gelegentlich selbst erwähnte:

"Nadie es perfecto, pero quien quiere ser nadie" (Niemand ist perfekt, aber wer möchte schon niemand sein)
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum30. Nov. 2021
ISBN9783740797591
Der Kolumbianer: Die unglaubliche Geschichte des Eduardo Ortega da Silva
Autor

Hans Jürgen Domnick

Hans Jürgen Domnick, geboren 1938 in Königsberg/Ostpreußen, heute wohnhaft im norddeutschen Stade, war über fünfzig Jahre in seinem Beruf als Außenhandelskaufmann auch Weltreisender und teilnehmender Beobachter. Begleiter waren Erlebnisse, Erfahrungen und Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen. Nachdem er aus seinem Leben bereits in einer Autobiografie - One For The Road - berichtet und in den Romanen -Hamburgensie - und - Der Kolumbianer -, einige davon aufgeschrieben und veröffentlicht hat, folgt nun eine Sammlung von Short Stories, in denen sich Erlebtes und Erfahrenes in anderer Form wiederfindet. Es ist ein vielleicht ungewöhnliches Mosaik von Erzählungen, die Gedanken und Möglichkeiten aus dem Leben aufgreifen und die er hier seinen geneigten Lesern zu eigener Überlegung und Lesefreude anbietet. Hans Jürgen Domnick sagt von sich selbst - Ich musste immer weiter und nicht alles war Gold, was dabei an weiten Wegen glänzte - und auch davon findet sich einiges in den vorliegenden Geschichten wieder.

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    Buchvorschau

    Der Kolumbianer - Hans Jürgen Domnick

    Kapitel 1 - Der Brief

    Ich traute meinen Augen nicht! Nein – das konnte unmöglich wahr sein, aber dennoch, es war so – vor meinen Augen, auf meinem Schreibtisch lag ein Brief, den mir soeben unser Bürobote gebracht hatte. Es war ein Brief von meinem fast vergessenen Freund Eduardo Ortega da Silva, ein völlig überraschendes ‚Hier bin ich‘ nach einer Zeit jahrelangen Schweigens, in der ich von ihm keine Nachricht, nicht ein Lebenszeichen erhalten hatte, Eduardo war irgendwann einfach verschwunden und ich hatte aufgehört, über ihn und die Gründe für seine plötzliche Abwesenheit nachzugrübeln und darüber, was ihm geschehen war. Das war mir alles andere als leicht gefallen nach dem, was geschehen war. Doch als meine anfänglichen Nachforschungen ohne Ergebnis geblieben waren und mir auch keine Erklärungen mehr einfielen, geschah im Laufe der Zeit, was wohl geschehen musste, ich dachte immer seltener an ihn und irgendwann verschwanden meine Gedanken an Eduardo ganz.

    Doch nun war es der Brief, der sofort nach dem Lesen meine Erinnerungen zurück rief, der Erlebtes aus der Vergangenheit wieder auferstehen ließ, ein Brief, der dann zum Anfang einer Geschichte wurde, die sich zusammen mit allem, was sich vorher ereignet hatte und dem, was dann folgte, was ich herausfinden konnte, letztlich über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg abspielte, von der Zeit, als ich Eduardo kennenlernte und wir Freunde wurden, bis hin zu Ereignissen in der unmittelbaren Gegenwart. Und es ist ohne Zweifel eine ganz außergewöhnliche Geschichte, die sich mir nach und nach im Laufe umfangreicher Suche eröffnete und sie erscheint mir, wie es sich zusammenfügt, geradezu unglaublich, vielleicht auch, weil ich mich selbst eingeschlossen finde, am Anfang, als alles begann und immer wieder im Laufe der vergehenden Zeit.

    Ich möchte daher versuchen, eine Geschichte zu erzählen, so, wie ich sie in Teilen erlebt und miterlebt habe und wie ich sie rekonstruieren kann aus Informationen, die mir aus vielen Quellen und zum Ende hin auch aus persönlichen Gesprächen zugänglich waren. Eduardo ist sicher damit einverstanden.

    Mein Name ist Florian Sommer. Zu der Zeit, als mich der Brief erreichte, war ich für ein bedeutendes und auf allen Kontinenten tätiges Unternehmen für internationalen Handel in der Cannon Street im Bankenviertel Londons tätig.

    Meine Ausbildung hatte ich in Deutschland erhalten und abgeschlossen und konnte dort auch die ersten praktischen Erfahrungen in verschiedenen Bereichen des weltweiten Handels machen. In der großen Stadt lernte ich auch meine spätere Frau kennen, wir heirateten bald, vielleicht ja zu schnell, denn schon wenige Jahre später ließen wir uns scheiden, gemeinsame Kinder gab es nicht und seitdem lebte ich für mich alleine, jedenfalls ohne eine feste Bindung. Einige Jahre später ergab sich die Möglichkeit, als Vertreter der Firma in Asien zu arbeiten und ich nahm das Angebot dankend an, zumal ich schon immer den Wunsch hatte, andere Länder, andere Menschen und Kulturen kennenzulernen. Diesen Wunsch, ja, diesen Traum hatte ich wohl schon, als ich mich während der Schulzeit auf dem Gymnasium einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein dafür entschied, die neusprachliche Richtung einzuschlagen und, neben dem üblichen Latein und Englisch, auch das Spanische und Französische zu studieren. Vielleicht setzte mein ‚Fernweh‘ auch bereits viel früher ein, als es bei uns zu Hause das erste neue Radio gab. Es war ein Gerät der Marke ‚Nordmende‘, mit sechs Lautsprechern und dem ‚magischen Auge‘, dazu die Skala mit den vielen fremden Sendern und Ortsnamen – Bari, Wien, Belgrad, Hilversum, Monte Ceneri und mehr – und ich lauschte auf Mittel-, Lang- und Kurzwelle den teilweise unbekannten Sprachen. Ich denke jedenfalls, dass meine Neigung und später meine erworbenen Sprachkenntnisse neben dem ansonsten recht ‚übersichtlichen‘ Reifezeugnis ausschlaggebend dafür waren, einen Ausbildungsplatz bei einer renommierten Hamburger Handelsfirma zu erhalten, da war man ansonsten nämlich ziemlich wählerisch bei der Auswahl der ‚Lehrlinge‘.

    Nach zwei mehrjährigen Verträgen in Asien über insgesamt sechs Jahre kehrte ich nach Deutschland zurück, wechselte jedoch bald danach meinen Arbeitgeber und nahm neue Aufgaben in einem Unternehmen in Zürich in der Schweiz an, wo ich zunächst weiterhin in Zusammenarbeit mit und als Verantwortlicher für dessen Niederlassung in Singapur für das Asiengeschäft zuständig war, im Laufe der Zeit jedoch auch mit Südamerika zu tun hatte. Ich blieb dieser Firma über viele Jahre verbunden, auch als sie mit einer bedeutenden Gruppe und einem ähnlich ausgerichteten, jedoch erheblich größeren Portfolio mit Sitz in London fusionierte und ich für eine leitende Position in die Londoner Zentrale berufen wurde.

    Doch zurück zu dem Brief, den ich plötzlich und unerwartet nach dieser so langen Zeit von Eduardo erhielt, ein Brief, der Erklärungen versuchte für Ereignisse, mit denen dieser sich in den vergangenen Jahren konfrontiert sah. Vieles blieb mir dennoch im Dunkeln und ließ mich zunächst einmal erstaunt, mit vielen Fragen und auch einer gewissen Ratlosigkeit zurück. Doch letztlich brauchte ich nicht lange, bis ich mir im Klaren darüber war, dass und in welcher Weise ich auf diesen Brief reagieren, wie ich ihn beantworten wollte – nein –beantworten musste. Aufgegeben war das Schreiben in Deutschland, der Umschlag vermerkte neben dem Namen als Adresse lediglich ein Postfach und einen Ort, anscheinend eine kleinere Stadt in Hessen, sowie, worüber ich natürlich verwundert war, den Namen einer Justizvollzugsanstalt, also eines Gefängnisses. Getrieben von einer Mischung aus Neugier, Spannung und, aufgrund des Inhaltes auch einer gewissen Besorgnis, brachte ich meine Antwort an Eduardo auf den Weg, und es folgten über zwei Wochen gespannten Wartens auf eine Nachricht. Dann jedoch kam mein Brief zurück mit der Bemerkung ‚Zurück an Absender‘. Daraus ergaben sich natürlich neue Fragen und ich fand mich erneut in einem Zustand zwischen Sorge und dem Wunsch, den alten Freund wiederzusehen und mehr von ihm zu erfahren. Es musste doch herauszufinden sein, was es mit dieser ganzen Geschichte auf sich hatte, aber alle weiteren Versuche, ein Anruf bei dieser JVA, deren Telefonnummer ich herausgefunden hatte, und Kontakte zu übergeordneten Stellen brachten mir keine weitere Erkenntnis, denn überall erhielt ich lediglich in etwa gleichlautende Aussagen, nämlich dass man keine Auskünfte irgendwelcher Art geben könne. Meine Neugierde jedoch ließ mir keine Ruhe. Ich begann, in meinen Erinnerungen zu kramen, weitere Nachforschungen anzustellen, mögliche Quellen zu untersuchen und war bis zu einem gewissen Grad auch tatsächlich erfolgreich in meinen Bemühungen. Das bezog sich jedoch in erster Linie auf Ereignisse, die sich vor Jahren und in Eduardos Heimat Kolumbien ereignet hatten und ließ mich mit erheblich mehr und immer wieder neuen Fragen zurück. Was jedoch seit unserem letzten, lange zurückliegenden Zusammensein geschehen war und Einzelheiten über Eduardos bewegendes Schicksal erschlossen sich erst nach einer langen Zeit und ganz am Ende meiner intensiven Suche und das ist eine wahrhaft fantastische Geschichte. Und hier sind sie also, seine Geschichte und er selbst -

    Eduardo Ortega da Silva – ‚Der Kolumbianer‘.

    Kapitel 2 - Eduardo

    Es war im Februar 1984, als mir durch einen unserer Gesellschafter ein Herr aus Kolumbien vorgestellt wurde, Eduardo Ortega da Silva, gebildet, angenehm, fließend, neben dem Spanischen, englisch und deutsch sprechend, mit sehr engen Verbindungen zum dortigen Handel und der Industrie und ebenso zu staatlichen Behörden. Ortega stammte aus einer angesehenen und anscheinend vermögenden kolumbianischen Familie, teils sogar mit politischen Ambitionen und war leitendes Mitglied in verschiedenen Ausschüssen und Kammern der Regierung, insbesondere auf den Gebieten von Wirtschaft und Finanzen. Er hatte in Europa studiert, war für einige Jahre kolumbianischer Konsul in Zürich in der Schweiz und Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes als Förderer der deutsch-kolumbianischen Wirtschaftsbeziehungen. Er hatte in Bogotá eine eigene Firma gegründet mit Vertretungen verschiedener europäischer Firmen, zum Beispiel Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH in Deutschland und Banken, unter anderem der deutschen Berliner und Frankfurter Bank (BHF). Darüber hinaus besaß Ortega Forstbetriebe und relativ große Waldbestände mit Edelhölzern. Unter Vermittlung der Zürcher Kantonalbank, eine unserer bevorzugten Banken, hatte sich die Verbindung zu unserem Unternehmen ergeben. Wir diskutierten bei diesem ersten Treffen generelle Fragen und Möglichkeiten für Geschäfte in Kolumbien, ein für uns ziemlich neuer Markt, und es gab anscheinend auch recht konkrete Ansätze zum Beispiel für den Import von Papier – in Kolumbien wurden damals Kataloge und Bücher für viele europäische Länder gedruckt und hergestellt – und insbesondere von Sicherheitspapieren für die kolumbianische Münzanstalt. Es folgten weitere Gespräche in den folgenden Tagen und, da eines unserer wichtigen Gebiete das Geschäft mit Papier war, einschließlich dem für Banknotenpapiere, wurde eine Kooperation vereinbart und gleichzeitig ein baldiger Besuch in Kolumbien vorgesehen, um den für uns bisher eher weniger bedeutenden Markt und entsprechende Kunden kennenzulernen. Diesen Besuch sollte ich durchführen, da ich die spanische Sprache beherrschte und Markt und Material in meinen Aufgabenbereich fielen.

    Neben den Verhandlungen in unserem Büro gab es einige gemeinsame Abendessen und weniger formelle Treffen und zwischen uns, Eduardo und mir, entwickelte sich fast spontan eine gegenseitige Sympathie, wir fanden viele gemeinsame Interessen und auch Gesprächsthemen. Eduardo reiste zurück nach Kolumbien, für meinen Besuch wurde der nächste Monat vereinbart und so flog ich Anfang März gespannt und voller Erwartungen nach Bogotá.

    Der geschäftliche Teil meiner Reise, die dank Eduardo ein voller Erfolg wurde, ist an dieser Stelle von geringerer Bedeutung. Ich musste zwar feststellen, dass für eine Reihe von Produktgruppen Importe aus Europa kaum eine Chance gegen Japan hatten, die Japaner dominierten viele Bereiche. Aber zum Beispiel war unser Besuch in der Druckerei der Banco de la República überaus beeindruckend. Dort waren Maschinen von König & Bauer, dem österreichischen, weltweit bedeutendsten Hersteller von Gelddruckmaschinen, installiert und in Operation, geliefert durch die Firma F.J.E. Trading GmbH in Wien und, wie man erwähnte, besonders betreut durch deren Eigentümer, Herrn Lucas Engel, den zuständigen Generalvertreter für Südamerika. Die Firma König & Bauer war mir ein Begriff, nicht jedoch F.J.E. Trading GmbH als deren Vertretung und nach meiner Rückkehr aus Kolumbien, als Eduardo erneut nach Europa kam, nahm ich bald Kontakt auf und wir lernten Lucas Engel kennen.

    In Bogotá verliefen unsere Gespräche mit der staatlichen Münze positiv und wir konnten noch während meines Besuches tatsächlich konkrete Verhandlungen über die Lieferung von Sicherheitspapieren beginnen, was ganz sicher an Eduardo selbst und seinen Verbindungen lag. Außerdem ließen sich erste Gespräche über den Export von Kohle vielversprechend an.

    Es waren eindeutig geschäftliche Interessen, die Eduardo und mich zusammenführten, die entsprechend und über einen langen Zeitraum hinweg auch immer wieder ihren Platz bei unseren Treffen, Gesprächen und gemeinsamen Verhandlungen einnahmen. Aber dennoch, für die Geschichte Eduardos, um die es geht, waren diese und weitere geschäftliche Aspekte von geringerer Bedeutung und daher darf es nicht verwundern, dass andere und in dieser Beziehung wichtigere Ereignisse im Vordergrund stehen, die eher das private Umfeld Eduardos betreffen, ebenso wie unser Verhältnis zueinander, soweit ich, oft mit langen Unterbrechungen, immer wieder von Neuem eingebunden war und viele davon sind, ja, überaus einzigartig und mir daher unvergesslich.

    Schon mit Eduardo durch Bogotá zu gehen, sei es auch nur über die kurze Entfernung zwischen meinem Hotel und dem Büro, sei es auf dem Weg zu einem Restaurant oder einer Bar, es war erstaunlich und mein Eindruck war, dass Eduardo überall bekannt war und gegrüßt wurde. Immer wieder geschah es, dass vorübergehende Menschen Eduardo einen Gruß zuriefen, oft auch gefolgt von kurzen Gesprächen, für die wir dann verweilten und denen ich als erstaunter Teilnehmer folgen durfte.

    Zwischen geschäftlichen Terminen in Bogotá und Besuchen in Cartagena, Medellín und Cali gab es immer Zeit für Unterhaltungen und Eduardo wurde nicht müde, mir so Vieles zu erzählen und zu erklären, im Gegenteil, es machte ihm Freude, zumal er in mir wohl einen interessierten Zuhörer fand. So hatte er für mich zum Beispiel anlässlich eines unserer Besuche bei der ‚Banco de la Republica‘ einen geführten Besuch im ‚Museo del Oro‘ arrangiert, dem berühmten Goldmuseum, das von der Bank schon 1939 eingerichtet wurde und seither betrieben wird. Dort werden, neben anderen historischen Kostbarkeiten, insbesondere aus Gold gearbeitete präkolumbianische Fundstücke ausgestellt und die Sammlung von weit über 30.000 Objekten ist wohl die größte ihrer Art weltweit. Die Räume sind fast alle mit schwarzem Stoff tapeziert und die Mengen von speziell beleuchteten Stücken aus purem glänzenden Gold – ein ganz besonderes ist das ‚Goldfloß von Eldorado‘ – gaben mir den Eindruck, geradezu in Gold zu ‚schwimmen‘, es war mehr als beeindruckend.

    Auf dem Weg zu einer von Eduardo bevorzugten kleinen Bar ‚El Gallo‘ machten wir ab und zu einen Abstecher in den ‚Parque de los Periodistas - Gabriel García Márquez‘, gewidmet den Journalisten allgemein und insbesondere Kolumbiens berühmtestem Dichter Márquez, über den Eduardo nicht ohne Stolz erzählte, ebenso wie über ‚El Libertador‘ Simón Bolívar, den Freiheitskämpfer und Nationalhelden Kolumbiens und anderer südamerikanischer Staaten wie Venezuela, Panama und Ecuador, eines seiner Monumente steht dort im Park. Und Eduardo machte es Freude, den ganzen langen Namen Bolívars aufzusagen, nämlich ‚Simón José Antonio de la Santísima Trinidad Bolívar y Ponte-Andrade y Palacios y Blanco‘.

    Kaum zu glauben war, dass Bogotá vor hundert Jahren nur ein paar Straßen und wenige Tausend Einwohner zählte, die sich allerdings dafür rühmten – auch Eduardo war, denke ich, nicht ganz frei davon – das beste Spanisch der Welt zu sprechen und das Städtchen damals ‚Athen Südamerikas‘ nannten.

    Auf unseren gelegentlichen Reisen nach Cartagena, Medellín oder anderen Städten lernte ich ein wenig von Land und Leuten außerhalb Bogotás kennen und immer hatten wir ausreichend Gelegenheit für interessante Unterhaltungen, ich konnte diese Zeit in Kolumbien und mit Eduardo in der Tat genießen und mein Besuch dehnte sich auf über vierzehn Tage aus. Ich lernte dabei auch, dass Eduardo selbst und, wie er sagte, vielleicht alle Kolumbianer, von Natur aus ziemlich stolze Menschen waren.

    „Ich, meinte er einmal, „bin durchaus stolz auf mein Land, obwohl so vieles besser sein könnte, ich bin stolz auf meinen Vater und das, was er tut, ich bin auch stolz auf das, was ich selbst bisher erreichen konnte. Übrigens muss ich auch gestehen, dass mein Stolz es mir oft nicht leicht macht, Dritten gegenüber zuzugeben, wenn ich Probleme habe, eher versuche ich, alles selber zu schaffen, wobei ich weiß, dass das nicht immer so gut ist. Dass Eduardo sich mir so öffnete, fand ich bemerkenswert.

    In diesen Tagen lernte ich auch Eduardos Familie kennen, seine Ehefrau Carla, die beiden Söhne Adrian und Manuel, noch Kinder im Alter von zehn und sechs Jahren und auch Eduardos Vater, der ein über Kolumbien hinaus weithin bekannter und geschätzter Journalist und ‚anchorman‘ bei dem größten privaten Fernsehsender in Bogotá mit einem regelmäßigen eigenen Programm war. Carla war in München aufgewachsen, das einzige Kind aus der Ehe ihrer deutschen Mutter und ihres spanischen Vaters, der an der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität lehrte und war mit ihren Eltern erst zurück nach Madrid gezogen, nachdem sie ihr Abitur gemacht hatte. Das erklärte, wie Eduardo mir auf meine Frage bestätigte, auch, dass in der Familie neben Spanisch und Englisch ebenfalls die deutsche Sprache gepflegt wurde und auch die Kinder Adrian und Manuel wurden darin unterrichtet. Eduardo und Carla hatten sich in der Schweiz kennengelernt, als beide an der Universität Zürich studierten, Carla einige Semester Jura und Eduardo Wirtschaftswissenschaften. Nach nur zwei Jahren heirateten sie in Madrid und zogen bald darauf nach Bogotá in Eduardos Heimat.

    Bei meinen Treffen mit der Familie Ortega gab es immer reichlich interessante Themen und Aspekte, die Zeit verging mir dabei ein jedes Mal wie im Fluge und sie waren mir Freude und Bereicherung. Die Gespräche und Diskussionen mit Eduardos Vater, Eloy Ortega Lorca, gehörten für mich zu den interessantesten Eindrücken und Einsichten überhaupt, zumal dieser sich als überaus kritischer Beobachter und Kommentator der politischen Szene erwies, ebenso wie von deren vielfältigen Verbindungen zur kolumbianischen Kokainmafia. Die Auswirkungen des illegalen Handels und Konsums mit Drogen und insbesondere mit Kokain aus Kolumbien sorgte seit langem für ständige Berichte und Reportagen in den USA, aber ebenso auch in Deutschland und ganz Europa, daher auch mein besonderes Interesse an dem, was Eloy hierzu zu sagen hatte. Seine Ausführungen bezogen sich in erster Linie natürlich auf die Situation in Kolumbien und waren in der Tat in vieler Hinsicht erstaunlich und ziemlich besorgniserregend, auch wenn, wie man mir versicherte, normale Handelsaktivitäten mit Kolumbien davon kaum betroffen waren.

    Mir selbst aber waren bereits während meines Aufenthaltes beim Lesen der lokalen Presse fast tägliche Berichte über dieses Thema aufgefallen und hier durchaus auch kritische und mehr oder weniger deutliche Hinweise auf Verbindungen zu Teilen der politischen Elite.

    Eloy Ortega Lorca war dabei, wie ich erfuhr, eine detaillierte Dokumentation in drei Teilen vorzubereiten, die er demnächst im Fernsehen präsentieren wollte, wie sie in dieser Form und so offen und kritisch vorher wohl noch nie gesendet wurde. Im Prinzip war die generelle Situation in Kolumbien zu großen Teilen unübersichtlich und nicht ungefährlich. Es gab in Bogotá ‚auf der Straße‘ tagtäglich Überfälle und Räubereien, es gab die ständigen Konflikte mit der Guerilla-Organisation M-19 und der gegen die Regierung gerichteten FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), sowie den verschiedenen Drogen-Kartellen, die mächtigsten waren das Medellín-Kartell und das Cali-Kartell, die unbegrenzte Mittel aus ihrem weltweiten Kokainhandel zur Verfügung hatten und damit Einfluss nehmen konnten auf praktisch alle Bereiche, einschließlich dem der Politik. Und insbesondere auf dieses Thema hatte sich Eloy in seinen geplanten Berichten konzentriert.

    Ich kannte den spanischen Vornamen ‚Eloy‘ von einigen Partnern aus Barcelona und als ich dies an einem unserer gemeinsamen Abende beiläufig erwähnte, erzählte Eloy mir, dass die Familie Ortega vor Generationen tatsächlich aus Katalonien eingewandert war und der Name Eloy – der ‚Erwählte‘, wie er lächelnd erklärte – fast immer dem ältesten Sohn einer Familie gegeben wurde.

    „Auch Eduardo hier führt diesen Namen ‚Eloy‘, aber lediglich als Zweitnamen und er erwähnt oder benutzt ihn selten, ist doch so, Eduardo, oder? Unter unseren Vorfahren gab es Beamte im staatlichen Dienst, aber auch fast regelmäßig Priester, die sich früher auch missionarisch betätigten, in der neueren Zeit hat es einer sogar zum Bischof von Cali gebracht, nun, das ist aber doch schon einige Zeit her,"

    Und etwas nachdenklich fügte Eloy hinzu: „ Unsere Bindung an das ferne, auch zeitlich weit zurückliegende Barcelona meiner Vorfahren ist jedoch niemals ganz abgebrochen, ich habe sogar noch eine Schwester dort, Antonia Martín – unsere ‚Tía Antonia‘, leider sehen wir uns viel zu selten."

    Als sich unser Gespräch wieder der aktuellen Situation zuwandte, ging es um die bevorstehende Präsentation im Fernsehen und anscheinend war das bereits häufiger zwischen Eloy und Eduardo – Vater und Sohn – diskutiert worden und auch, inwiefern die ganze Sache für Eloy gefährlich werden könnte. Drohungen hatte es auch bei ähnlichen Themen bereits in der Vergangenheit gegeben und dies anscheinend von mehreren Seiten, also sowohl von der Drogenszene als auch, mehr oder weniger verdeckt, von politischen Kreisen.

    Eduardo meinte: „Florian, ich habe mit meinem Vater hierüber schon häufig gesprochen, doch so richtig überzeugen kann ich ihn nicht. Und im Übrigen kann ich ja seine Gedanken durchaus nachvollziehen, aber in Sorge bin ich trotzdem."

    Eloy antwortete: „ Also, mit Drohungen kann – ja - muss ich leben. Aber das darf mich keinesfalls davon abhalten, Situationen und Sachverhalte, auch schwierige oder gerade solche, zu untersuchen und publik zu machen. Das ist meine Aufgabe, dazu bin ich da, so wie ich es sehe. Wenn wir also unser Motto ‚Colombia es todo‘ – Kolumbien ist uns alles - ernst nehmen, dann gibt es dazu keine Alternative und wie sonst sollten ‚normale‘ Menschen bestimmte Sachverhalte jemals erfahren. Dass selbst die Guerilla-Organisationen wie FARC oder M-19 mit der Drogenmafia kooperieren und so einen Teil ihrer finanziellen Mittel erwirtschaften, das ist so und lässt sich auch kaum ändern. Dass bei uns jedoch Drogenbarone ihre schier unbegrenzten Mittel einsetzen, um bestimmte Kreise in der Politik, ja, auch in hohen Positionen, zu beeinflussen und diese in die von ihnen gewünschte Richtung zu steuern, das geht einfach nicht. Was meinen Sie, Florian?"

    „Nun, sagte ich, „ich habe durch meinen Besuch und unsere Gespräche Vieles über ein für mich bisher recht unbekanntes Land erfahren dürfen, aber das ist nicht genug, um etwas klar beurteilen zu können. Wenn ich an die Schweiz oder auch an Deutschland denke, dann wäre es leicht, zu sagen ‚klar, darüber muss offen berichtet werden‘, aber hier scheint mir die Situation doch anders zu sein, ja, vielleicht auch gefährlicher, wie ich Ihren Überlegungen entnehmen kann. Ich kann also wenig dazu beitragen.

    „Eduardo, es ist, wie es ist, doch vielleicht kann ich etwas dazu beitragen, dass sich einige Dinge ändern, und das will ich unbedingt versuchen, auch wenn ich gewarnt oder gar bedroht werde, du weißt es doch."

    „Ja, natürlich, es ist in der Tat eine teilweise kritische Lage. In den Abteilungen der Ministerien, mit denen ich zu tun habe, erscheint mir alles seinen geregelten Gang zu gehen und sauber zu sein, obwohl, man weiß ja nie. Doch wenn dir, Vater, etwas Unrechtes geschehen sollte, ich weiß nicht, was ich mit den dafür Verantwortlichen anstellen würde. Ganz sicher würde ich sie so oder so zur Verantwortung ziehen wollen oder gar für Vergeltung sorgen."

    „Lass es gut sein, Eduardo, wir wollen auch nicht spekulieren. Noch bin ich bei den Vorbereitungen und wenn es soweit ist, werden wir sehen."

    Unsere Gespräche an diesem Abend und bei weiteren Gelegenheiten waren für mich, wie gesagt, sehr interessant und aufschlussreich. Meine leichten Zweifel darüber, ob es in geschäftlicher Hinsicht, das erwähnte ich auch gegenüber Eduardo, Probleme bei der Abwicklung von gebuchten Aufträgen geben könnte, wurden von diesem zerstreut, dafür könne er sorgen, es quasi garantieren. Und als ich dann nach diesen Wochen Bogotá verließ, trat ich meine Rückreise mit einem guten Gefühl an und zufrieden darüber, ein wenig mehr über einen neuen Markt, ein neues Land, zu wissen und in Eduardos Familie besonders interessante und liebenswerte Menschen kennengelernt zu haben.

    Im Laufe des Jahres und mit der Auslieferung der ersten Aufträge besuchte ich Kolumbien noch zweimal und wieder war es eine wunderbare Zeit im privaten Bereich mit Eduardo und seiner Familie. Eduardo kam dann im Oktober selbst noch einmal nach Zürich. Zwischendurch blieben wir in regelmäßigem Kontakt über Briefe und Telefonate und so entwickelte sich unsere Verbindung hin zu einer vertrauten Freundschaft.

    Übrigens erfuhr ich auch, dass sich die Sendung von Eloys Fernsehproduktion verschoben hatte und aus bestimmten Gründen nun erst für den Februar 1985 fest eingeplant werden konnte.

    Auch wenn es scheinen mag, dass die Zeit für das Entstehen und Wachsen einer intensiven Beziehung, besonders über die weite Entfernung hin, zwischen Eduardo und mir relativ kurz bemessen war, es geschah trotzdem – genau so war es.

    Kapitel 3 – Zürich

    Manchmal geschehen erstaunliche Dinge im Leben, völlig unerwartete Ereignisse treten ein, die ganz plötzlich total veränderte Situationen schaffen, Situationen wie diese, die zumindest ich, Florian Sommer, nicht einmal in meinen kühnsten Gedanken erwarten konnte, geschweige denn, dass ich mir solche überhaupt vorgestellt hatte, vorstellen konnte, dafür gab es nach Lage der Dinge auch nicht den geringsten Anlass.

    Um die geschäftliche Seite kurz zu erwähnen, die ersten Kontrakte waren ausgeliefert und ordnungsgemäß bezahlt worden und Verhandlungen über Folgegeschäfte befanden sich im Anfangsstadium, jedoch mit sehr positiven Aussichten. Bei der Abwicklung der Aufträge hatten wir bisher keinerlei finanzielle Schwierigkeiten oder Probleme gehabt oder gar Reklamationen und Schäden regeln müssen. Die kommenden Ereignisse waren dann, für uns alle in der Firma ersichtlich, dermaßen überraschend, die Veränderungen so unvorhersehbar, dass es auch für mich persönlich, der ich doch die Verbindung mit Eduardo immer eindeutig positiv dargestellt hatte, seitens der Gesellschafter in der Firma keinerlei Vorwürfe geben konnte oder gar negative Konsequenzen entstanden. Was also geschah, was beendete ganz plötzlich unsere gerade erst begonnenen Geschäfte mit Kolumbien, was unterbrach die regelmäßigen Kontakte zu Eduardo und zu seinem Büro in Bogotá? Was führte zwangsläufig auch die Verbindung zwischen Eduardo und mir erst einmal scheinbar ins Nichts und das praktisch von einem Augenblick auf den anderen?

    Es war recht kalt an 14. Februar 1985, in der Nacht hatten wir Temperaturen von nahezu zehn Grad minus, jetzt am Vormittag war es erträglich bei leichtem Schneefall aus geringer Bewölkung, ein schöner Tag hatte begonnen. Ich saß an meinem Schreibtisch im Büro in der Nähe des Bürkliplatzes, wo die Limmat, Zürichs schöner kleiner Fluss, in den See mündete, mit dem wunderbaren Blick auf den Zürichsee, es war schon ein Arbeitsplatz, wie ich ihn mir angenehmer und schöner kaum vorstellen konnte. Ein Boot der Zürichsee Schiffahrtgesellschaft legte gerade am Bürkliplatz an und entließ seine Fahrgäste aus Thalwil, Rüschlikon oder Rapperswil, andere Schiffe waren in Nähe und Ferne auf dem See zu auszumachen.

    In Erwartung unserer morgendlichen Runde hatte ich einige Post durchgesehen, Briefe unterschrieben und zwei Gespräche mit Singapur geführt und machte mich dann auf den Weg in den vierten Stock. Die heutige Sitzung war recht kurz, es gab neben einigen kurzen mehr allgemeinen Informationen keinerlei Probleme, was ich über ein anhängiges Geschäft mit den Philippinen

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