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TITANROT: Nomaden im All
TITANROT: Nomaden im All
TITANROT: Nomaden im All
eBook409 Seiten5 Stunden

TITANROT: Nomaden im All

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Über dieses E-Book

Auf einem Asteroiden betreibt das größte Firmenkonglomerat des Sol-Systems ein Geheimlabor. Kapitän Glenn und die Mannschaft der "Sonnenwind" sollen dort einen Wissenschaftler entführen. Das Lösegeld soll den Allnomaden das für die Atemluft benötigte Kleingeld in die Kassen spülen. Doch was nach einem normalen Auftrag klingt, entpuppt sich als Totalausfall und zwingt Glenn, sich auf Verbündete einzulassen, denen ehrenhafte Nomaden wie er normalerweise aus dem Weg fliegen. Und bald muss er erkennen, dass im System noch ganz andere Überraschungen lauern, von denen kein Mensch etwas weiß.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum31. Okt. 2021
ISBN9783957658388
TITANROT: Nomaden im All

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    Buchvorschau

    TITANROT - S. C. Menzel

    S. C. Menzel:

    Titanrot – Nomaden im All

    AndroSF 145

    S. C. Menzel

    TITANROT – NOMADEN IM ALL

    AndroSF 145

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © dieser Ausgabe: Oktober 2021

    p.machinery Michael Haitel

    Titelbild: S. C. Menzel

    Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

    Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

    Herstellung: global:epropaganda

    Verlag: p.machinery Michael Haitel

    Norderweg 31, 25887 Winnert

    www.pmachinery.de

    für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

    ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 259 1

    ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 838 8

    Für Georg

    Diebstahl

    Forschungsstation im Sednagürtel

    Die Eislandschaft des Asteroiden glitzerte im Licht der fernen Sol. Das Zentralgestirn stand hier in den Außenbezirken des Systems nur noch als gleißender Punkt am schwarzen Himmel. Ein Stern unter vielen. Wenn auch ein besonders heller. Seine Helligkeit reichte trotzdem aus, die Schatten der Felsformationen scharf umrissen in den Staub zu zeichnen. Oder unvorsichtige Raumnomaden zu blenden.

    »Sollen die Träumer mich holen«, fluchte Glenn. Dank des kurzen Blicks in Richtung Sonne tanzten rote Flecken vor seinen Augen. Er hob die Hand, um sie sich zu reiben, und ließ sie wieder sinken. Die lagen unantastbar hinter dem Visier seines Raumanzugs verborgen. Genau wie seine juckende Nase.

    Tian, sein Bordmechaniker, tippte ihm von hinten auf die Schulter und deutete in die Schatten unter vier Felsen. Die Formation ragte aus dem Geröllfeld heraus wie die Finger eines vergrabenen Riesen. Tians Hände formten das Zeichen für Tür. So nah an der Forschungsstation wagten sie nicht, sich über den Helmfunk zu unterhalten.

    Tatsächlich entdeckte Glenn viereckige Umrisse unter einem der Felsvorsprünge. Tian hatte den Eingang zum Geheimlabor des Lehrsinn-Bode-Konglomerats gefunden, das sich nach den Informationen ihres Auftraggebers hier versteckte.

    Der große Mechaniker zog einen Elektroschocker aus seinem Rucksack. Die Waffe wirkte in seinen Händen wie ein Kinderspielzeug. Nicht, dass das Ding ihnen bei Problemen wirklich helfen konnte. Die Wahrscheinlichkeit, diese Einrichtung im Falle einer Entdeckung je wieder zu verlassen, lag etwa so hoch wie die, einen Allspaziergang ohne Anzug zu überleben.

    Glenn holte tief Luft. Die Atemgeräusche im Innern seines Helms durchbrachen als einzige die Ruhe des Universums.

    Dann stieß er sich ab und schwebte einige Meter weiter. Er landete in den Schatten direkt vor der Tür. Von seiner Landung aufgewirbelter Staub tanzte um ihn herum und sank wie in Zeitlupe zurück zu Boden. Sein Magen drehte sich um, als er sich wieder aufrichtete. Nach den Monaten in der Schwerelosigkeit seines Raumschiffes missfiel seinem Gehirn sogar die Andeutung einer Schwerkraft. Selbst die Sterne über ihm schienen zu wanken.

    Das flaue Gefühl im Magen brachte kalte Schweißausbrüche mit sich. Sich in den Helm zu übergeben gehörte zum Letzten, was er jetzt brauchte. Er schluckte einen gefühlten Liter kalten Speichel runter. Die Tür vor ihm glänzte dunkel im Sonnenlicht. Der Anblick stellte seine Nackenhaare auf. Verborgen in den Eingeweiden dieses Asteroiden hatte Lehrsinn-Bode einen so abgelegenen Außenposten errichtet, dass sie dessen Existenz nicht einmal verleugnen mussten. Diese Einrichtung existierte für den Rest der Menschheit nicht. Und er kam hierher. Freiwillig. Um die Konglos zu bestehlen. Grandiose Idee.

    Neben ihm landete Tian und starrte die Tür angestrengt an. Glaubte er, Willenskraft reiche aus, um hindurchzusehen und zu erkennen, welche Überraschungen auf der anderen Seite lauerten?

    In der Ecke seines Visiers leuchtete die Bordzeit der Sonnenwind. Viertel nach drei. Fünfzehn Minuten zu spät. Er klopfte mit seinem Handrücken gegen die Tür und trat dann einen Schritt zurück. Einen Atemzug lang geschah nichts. Tian hob die Hand mit dem Elektroschocker wieder an.

    Die Tür glitt auf und offenbarte eine Luftschleuse, die ihm nach der Helligkeit auf der Asteroidenoberfläche dunkel vorkam. Er erkannte nur wenig von den Metallwänden und dem dunklen Boden. Hinter einem Fenster in der gegenüberliegenden Schleusenwand stand ein moppeliger Mann mit schwarzen Locken und winkte sie heran. Doktor Kroll, der Wissenschaftler, dessen Entführung aus dem Labor ihren Sauerstoff bezahlen sollte. Wieso trug der keinen Raumanzug? Wollte er in seinem schicken Hemd aus der Luftschleuse spazieren? Das wäre ein kurzes Vergnügen in Freiheit.

    Glenn tauschte einen Blick mit Tian. Grandios. Jetzt durften sie das Kindermädchen für einen Konglo spielen, der sein Leben auf Gesteinsbrocken abgesessen hatte. Felsenkleber nannten die Nomaden Leute, die ihre Zeit auf Planeten, Raumstationen, Asteroiden oder sonstigen Steinklumpen fristeten. Und Glenn hatte noch keinen getroffen, der im All zu etwas zu gebrauchen war.

    Er betrat die Schleuse mit klopfendem Herz. Kalte Schauer liefen ihm über den Nacken. Das Sonnenlicht warf seinen Schatten auf ein kupferfarbenes Nilpferd mit aufgerissenem Rachen an der Wand, das Firmenlogo von Lehrsinn-Bode. In die Höhle des Konglomerats hinabzusteigen hatte nicht in der Auftragsbeschreibung gestanden. Der Felsenkleber hätte draußen abmarschbereit auf sie warten sollen. Aber offensichtlich mussten sie zuerst mit dem Mann sprechen, bevor sie hier wegkamen. Die Tür hinter ihnen glitt wieder zu und sperrte das Licht der Außenwelt aus.

    Mit einem Zischen strömte die Luft des Habitats in die Schleuse. Das erste Geräusch seit Stunden, das nicht seinen eigenen Körperfunktionen entstammte. Es schmerzte nach der Stille im All in seinen Ohren. Seine Schritte schepperten dank der Astronautenstiefel so laut, dass wahrscheinlich die gesamte Einrichtung über seine Anwesenheit Bescheid wusste. Der Lärm dieser Welt überrollte ihn und sein Atem klang leise und unbedeutend.

    »Ziehen Sie Ihren Anzug an, Doktor Kroll«, sagte er noch, bevor der Wissenschaftler die Glastür auf der anderen Seite der Luftschleuse öffnete. Glenn machte sich nicht die Mühe, den Helm abzunehmen. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Je länger sie brauchten, desto größer wurde die Gefahr der Entdeckung. »Jede Minute zählt.«

    »Ich habe keinen Raumanzug«, erklärte der Wissenschaftler und öffnete die Tür mit seinem Dienstausweis, den er vor einen Scanner hielt.

    Glenns Augen gewöhnten sich allmählich an das schummrige Licht. Leuchtende Anzeigen in den Wänden und eine große Tür, die tiefer ins Habitat führte, schälten sich aus dem Dunkel.

    »Wie genau stellen Sie sich das denn vor?«, fragte er. »Wollen Sie Asteroidenstaub atmen?«

    »Ich bin nicht ins Lager gekommen«, verteidigte der Mann sich. »Es wird von Sicherheitsmännern bewacht. Ich dachte, vielleicht könnten Sie … Ich meine, Sie sind doch …«

    »Anscheinend sind wir umsonst gekommen«, sagte Glenn. »Die Abmachung lautete, Sie hier an der Schleuse abzuholen. Wir wandern nicht noch tiefer in Lehrsinn-Bodes Höhle und brechen in irgendein Lager ein. Wir kehren auf der Stelle zur Sonnenwind zurück.«

    »Wollen Sie das Geld für meine Freiheit nicht?«, fragte der Mann und riss die Augen auf. Alle Gesichtsfarbe wich aus seinen Wangen. »Ich gebe Ihnen alles, was ich habe. Eine Million zusätzlich zu den zweien, die Sie von meinem Bruder auf Amarok bekommen.«

    »Drei Millionen Kuben?«, fragte Glenn und nahm seinen Helm ab. Der saure Geruch seines seit drei Tagen ungewaschenen Körpers biss ihm in die Nase. Als hätte sein Riechorgan erst dank des Vergleichs mit der frischen Luft des Forschungshabitats gemerkt, wie sehr er stank.

    Tian sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Bist du verrückt geworden, Käpt’n? Du musst echt mal deine Prioritäten aussortieren. Die Sicherheitsmänner sind vermutlich schon auf dem Weg. Wir müssen gehen. Bevor sie merken, dass unsere Anwesenheit hier kein Sensorfehler ist. Und bevor unser Zeitplan durcheinandergerät. Die Sonnenwind ist bereits im Anflug. Wir müssen zur vereinbarten Zeit am Treffpunkt sein. Ich sitze lieber ohne Kuben auf unserem Mädchen, als mit Kuben in einer Konglozelle.«

    »Die Sicherheitsmänner bemerken uns nicht«, krächzte Kroll. Er sah sich um, als erwarte er, seine Worte könnten besagte Sicherheitsmänner direkt hinter ihm aus der Luft materialisieren. »Ich habe ein Wartungsprogramm gestartet. Falschmeldungen gehören zum Testverfahren. Die Überwachungssysteme sind beschäftigt und die Bewohner sind fast alle in den Freizeitmodulen und genießen den frühen Feierabend. Wir haben eine ganze Stunde Zeit.«

    Er pausierte, um die Uhrzeit in einer Anzeige neben der Tür abzulesen. »Jetzt sind es nur noch fünfundvierzig Minuten. Ihr seid zu spät.«

    »Wir wären nicht zu spät, wenn wir eine bessere Beschreibung oder ein Bild vom Eingang gehabt hätten«, sagte Tian und zog ebenfalls den Helm ab. Seine Glatze mit den grünen Tätowierungen glänzte vor Schweiß. Er betrachtete Kroll wie einen Wurm, den er im Trinkwassertank gefunden hatte. »Wir haben zugesagt, Sie auf der Asteroidenoberfläche abzuholen und nach Amarok zu bringen. Mehr nicht. Wir werden weder Schiff noch Mannschaft für eine Million zusätzlicher Kuben riskieren. Wir sollten gehen, Käpt’n.«

    »Wir können uns ja mal anhören, was er zu sagen hat.« Glenn kratzte sich mit seiner freien Hand die Nase und seufzte erleichtert. Eine Million zusätzlicher Kuben reichte aus, um nicht nur der Sonnenwind, sondern auch dem Dingi eine Generalüberholung zu verpassen. Und wenn sie jetzt ohne Kroll abdampften, fehlte ihnen sogar das Geld, um im nächsten Hafen die Luftfilter austauschen zu lassen.

    »Ihr versteht nicht, worum es hier geht«, stammelte der Wissenschaftler. Tian nahm seinen Helm hoch, um ihn aufzusetzen. Doch Kroll klammerte sich an den Arm des Mechanikers. »Ihr müsst mich mitnehmen.«

    Mit lautem Scheppern knallte der Helm auf den Boden.

    »Lass los, Konglo.« Tian versuchte, den Mann von sich abzuschütteln.

    »Nein«, rief Kroll. Etwas blitzte in seiner Hand und ein Reißgeräusch hallte durch den Vorraum.

    »Bist du lebensmüde?«

    Tians Faust traf den Wissenschaftler am Kopf. Der Mann hing immer noch am Arm des Mechanikers. Auch wenn Blut aus seiner Nase auf den silbrigen Anzug sprudelte. Er schielte und wieder riss etwas hörbar auf. Tian holte aus, um den Wissenschaftler von seinem Arm abzuschlagen. Sein Anzug klaffte an zwei Stellen weit auseinander. Normalerweise begann der Reparaturmechanismus sofort, um den Luftverlust zu begrenzen. Doch die Löcher vergrößerten sich mit jeder Bewegung des Mechanikers. Der sich erstaunlich schwer damit tat, den Wissenschaftler von seinem Arm zu pflücken.

    »Dein Anzug ist kaputt«, rief Glenn. »Die Autoreparatur ist hin.«

    Tian sah ungläubig auf seinen Ärmel. Der Wissenschaftler nutzte die Gelegenheit und hüpfte einige Meter zurück, in Sicherheit vor dem riesigen Mechaniker. Das dunkel schimmernde Messer hielt der immer noch fest umklammert.

    »Jetzt müsst ihr ins Lager gehen. Sonst kommt ihr nicht mehr weg«, sagte Kroll mit blutigem Grinsen und schiefer Nase. Er hielt sein Messer hoch. »Molekularschneide mit elektromagnetischem Impulsgeber. Der Anzug ist hin.«

    Tians Nasenflügel bebten vor Wut. »Bist du lebensmüde, Konglo?«

    Glenn sprang zwischen die beiden, damit der Mechaniker den Wissenschaftler nicht einfach ins Jenseits prügelte.

    »Aus dem Weg«, sagte Tian. »Der Drecksack hat meinen Anzug zerstört.«

    »Du kannst dich rächen, wenn wir den Kerl verschnürt und an Bord verstaut haben.« Glenn starrte Kroll wütend an. »Jetzt besorgen wir erst einmal zwei funktionierende Raumanzüge.«

    »Verschnürt?«, fragte der Wissenschaftler und der Triumph wurde aus seinem Gesicht gewischt.

    »Du glaubst doch nicht, dass ich dich nach der Aktion auf meinem Schiff frei rumscharwenzeln lasse?« Glenn lächelte. »Ich bin sicher, Tian wird sich einiges einfallen lassen, wie er es dir heimzahlen kann. Ihr beide habt auf dem Weg nach Amarok genügend Zeit zum beschnuppern.«

    »Ihr könnt mir nix tun«, sagte der Wissenschaftler. »Ihr dürft nicht.«

    »Wir dürfen auf meinem Schiff, was ich erlaube«, sagte Glenn. »Wenn dir das nicht passt, kannst du hierbleiben.«

    Ob er es damit übertrieb, dem Kerl ein wenig Respekt beizubringen? Aber sie konnten sich keine weiteren bösen Überraschungen erlauben, wenn er die Sonnenwind wiedersehen wollte.

    »Aye, Käpt’n.« Tian streckte seinen Rücken durch. »Dem werd ich beibringen, noch mal die Raumanzüge ehrenhafter Nomaden anzufassen.«

    Glenn setzte seinen Helm wieder auf. »Du sagst, wir haben noch eine Dreiviertelstunde? Lasst uns keine Zeit mehr vertrödeln. Führ uns zum Lager. Du gehst vor.«

    »Ich? Ich dachte, ich kann hier warten.« Der Mann blickte auf Tians Miene, schluckte seine Widerworte und nickte.

    Anscheinend funktionierte das Alarmsystem tatsächlich nicht. Denn Kroll führte sie ohne Probleme mithilfe seiner Dienstmarke durch etliche Türen und Flure, bis sie tief im Innern der Station vor einer letzten Tür hielten. Auch Menschen hatten sie keine getroffen.

    »Dahinter liegt der Flur zum Lager«, sagte der Wissenschaftler. »Da stehen zwei Sicherheitsmänner. Ich habe versucht, deren Drohnen abzuschalten, aber ich kann nicht garantieren, dass das funktioniert hat.«

    »Drohnen?« Glenn seufzte und zückte seine Waffe. Das wurde ja immer besser.

    »Damit werde ich fertig, Käpt’n.« Tian zog ein schwarzes Kästchen aus seinem Rucksack und hielt es ins Licht.

    »Beschreibe uns genau, wo die Wachen und Drohnen stehen«, forderte Glenn vom Wissenschaftler. »Und lass nichts aus. Dich erschieß ich zuerst, falls deine Angaben nicht stimmen.«

    Der Flur hinter der Tür strahlte reinweiß. Glenn schirmte seine Augen mit der linken Hand ab, während er mit rechts zielte. Eine Frau mit schwarzem Pferdeschwanz stand auf einer Seite des Flurs. Auf der anderen hielt ein bulliger Mann mit krausem Haar Wache. Drohnen auf Rädern warteten neben ihnen. Glenn tauschte einen Blick mit den Wachleuten und ihren mechanischen Helfern. Alarm heulte auf.

    Tian warf sein schwarzes Kästchen nach den Blechdosen. Die wandten sich um und feuerten. Ein Lichtblitz explodierte. Der Raum erstrahlte in gleißendem Weiß. Glenn kniff die Augen zusammen und duckte sich zur Seite. Etwas schlug gegen seinen Oberschenkel. Er hörte die Rufe der Konglos und das Schrillen einer Sirene wie durch einen Schleier. Die Wachmänner gingen unter Tians Beschuss zu Boden und blieben neben ihren Drohnen liegen.

    Schatten schluckten Glenns Sichtfeld von den Rändern her.

    »Soll der Träumer sie holen«, fluchte Tian und packte Glenn an der Schulter, bevor er umfallen konnte. Aber der Schwächeanfall dauerte nur einen Augenblick. Die Welt tauchte wieder auf und er stand, durch Tian gestützt, vor einer der Türen im Flur. Doktor Kroll zeigte einem weiteren Scanner seinen Dienstausweis und verschaffte ihnen Einlass. Die Alarmsirenen schrillten noch immer.

    »Scheint, als bräuchten wir drei Anzüge«, erklärte Tian und ging durch die Tür, die sich gerade öffnete. Er hatte seinen Arm um Glenns Schultern gelegt und schliff ihn geradezu in den Raum. Es fiel ihm trotzdem schwer, sich aufrecht zu halten. Wieso funktionierten seine Füße nicht richtig? Er sah runter. Ein roter Fleck breitete sich an seinem Bein aus. Blut rann den Stoff entlang und tropfte auf den Boden. »Die haben mich getroffen.«

    »Aye«, brummte Tian. »Drecksäcke.«

    Im Lager stapelten sich Kisten in langen Regalreihen bis zur Decke.

    »Hol die verdammten Anzüge raus. Wir müssen hier weg«, befahl Tian dem Wissenschaftler.

    »Gleich«, rief Kroll und huschte zu einem Regal mit kleinen Glasbehältern. Er nahm drei davon.

    »Nicht gleich«, sagte Tian. »Jetzt, du Träumer.«

    »Die Anzüge sind im zweiten Gang in der dritten Kiste von links. Mittlere Reihe«, rief der Wissenschaftler, während er weitere Gläser hervorholte.

    Tian knurrte wütend und legte Glenn neben der Tür ab, bevor er die Anzüge suchte.

    Glenn betastete den roten Fleck an seinem Bein. Nasskalte Flüssigkeit klebte an seinen Handschuhen. Er spürte keinen Schmerz. Eigentlich spürte er gar nichts, als sei er in Watte gepackt. Die ganze Welt wirkte dunkler, leiser und ruhiger. Obwohl das Jaulen der Sirenen nur von einer lärmenden Durchsage unterbrochen wurde. Ihm fiel es schwer, die Worte zu verstehen. Schock. Er stand unter Schock.

    Der Wissenschaftler kam zurück und stellte fünf Gläser neben ihn. Alle waren mindestens zur Hälfte mit Dreck gefüllt. Glenn blinzelte das Etikett des ihm am nächsten stehenden Glases an: ›Grubenaushub. Chuquicamata Mine. Fundort: Atacama-Wüste; Erde. Historische Datierung: ca. zwanzigstes Jahrhundert‹.

    Dreck von der Erde? Wer zum Allwal machte sich die Mühe, Dreck von der Erde nicht nur ins All, sondern weit hinaus in die Außenbereiche des Sonnensystems zu befördern und dann in Gläsern auf einem Asteroiden einzulagern? Das ergab überhaupt keinen Sinn.

    Er las das nächste Etikett: ›Vulkangestein. Fundort: Neapel; Erde. Historische Datierung: ca. erstes Jahrhundert‹.

    Vielleicht funktionierte sein Gehirn aufgrund des Blutverlustes nicht mehr richtig. Er kniff die Augen zusammen und entzifferte die Beschriftung einer der kleinen Kisten in der Ecke.

    ›Wrackteile, Außenhülle einer Raumstation. Fundort: Trümmerfeld Adlivun 34B; historische Datierung: keine.‹

    Die lagerten hier anscheinend nicht nur Dreck von der Erde, sondern auch Metallschrott aus Trümmerfeldern ein. Wieso gab Lehrsinn-Bode Geld für so was aus? Ihm fiel keinerlei gewinnbringende Unternehmung ein, die auf diesen Zutaten fußte.

    Er wechselte einen Blick mit Tian, der beladen mit Raumanzügen und vom Arm baumelnden Helmen zurückkam. Der Mechaniker wirkte im Angesicht der Gläser voll Müll und Schmutz genauso verwirrt.

    »Was soll das werden, wenn’s fertig ist?«, fragte Tian. Anscheinend war er so verdattert, dass er vergaß, wütend zu sein.

    »Die müssen mit«, sagte der Wissenschaftler und kam mit einem weiteren Glas voller Scherben an.

    Die Sirenen hörten für einen Moment auf, zu blöken. Kurz darauf meldete sich eine Frauenstimme. »Achtung – wichtige Durchsage der Stationssicherheit. Die gesamte Station inklusive aller Labors und Habitate wird mit sofortiger Wirkung abgeriegelt. Bitte warten Sie an Ihrem Platz, bis die Station wieder freigegeben wird. Bei dringenden Notfällen melden Sie sich bitte bei Ihrem Vorsteher. Es wurden Eindringlinge in der Station festgestellt. Bitte melden Sie unbefugte Personen Ihrem Vorsteher. Sicherheitsmannschaft 3 bitte zur Schleuse 1A. Eine unidentifizierte Raumfähre wurde etwa dreihundert Meter östlich der Schleuse 1A entdeckt.«

    Dreihundert Meter östlich? Glenn fröstelte und Magensäure stieg in seinem Rachen auf. »Unser Dingi!«

    »Was ist ein Dingi?«, fragte der Wissenschaftler.

    »Unser Beiboot. Damit sind wir von der Sonnenwind hergeflogen«, erklärte Glenn.

    »Wir müssen los«, rief Tian und begann Glenn in die Hosen eines Raumanzugs zu helfen. Er zog den neuen Anzug über den alten an. »Sofort.«

    »Das bringt nichts.« Kroll sammelte hastig die Gläser ein. »Die sind vor uns an der Schleuse. Und die Ausgänge sind auch alle verriegelt. Mein Ausweis wird uns nicht mehr helfen. Vermutlich stehen die bereits vor der Tür.«

    »Ich dachte, wir haben noch eine halbe Stunde Zeit«, sagte Glenn. Vor der Tür wurden Stimmen laut. Er drehte den Kopf zum Eingang. Die Bewegung brachte die Welt kurz ins Wanken. »Der Sicherheitsdienst schießt uns hier gleich zusammen.«

    »Zum Allwal mit denen.« Tian sprang in einen blitzsauberen Kongloanzug und half Glenn, seinen Helm anzulegen. »Wir sprengen uns hier raus, Käpt’n.«

    Die Schritte der Sicherheitsleute kamen vor der Tür zum Halten. Glenn versuchte, aufzustehen. Doch sein Bein gehorchte nicht. Tian reichte ihm eine helfende Hand.

    »In welcher Richtung liegt der Hangar?«, fragte Glenn den Wissenschaftler. Kroll versuchte, mit dem Kinn eines der Gläser so zu fixieren, dass es ihm nicht runterfiel.

    »In welcher Richtung liegt der Hangar?«, wiederholte Glenn seine Frage mit Nachdruck und nahm ihm das überzählige Glas ab, bevor es wirklich fiel.

    »Etwa hundert Meter da hinten.« Der Wissenschaftler deutete mit dem jetzt freien Kinn zu einer Seite des Lagerraums. »Aber wir kommen nicht an ihnen vorbei in den Flur. Sie sind hier. Sie werden uns finden. Ich muss hier raus.«

    »Was liegt zwischen dem Lager und dem Hangar?« Er steckte das Glas in seinen Rucksack.

    »Die Gewächshäuser.«

    »Gut. Da gehen wir durch«, entschied Glenn. »Tian, ich glaube nicht, dass ich schnell laufen kann.«

    »Ich glaube nicht, dass du noch wach bist, wenn wir am Hangar sind«, erklärte Tian und rannte mit Glenn im Arm zur anderen Tür. Mit jedem Schritt legte er mehrere Meter zurück. Vorbei an weiteren Gläsern voller Dreck. Der Wissenschaftler hielt seine eigenen an die Brust gepresst wie kleine Kinder. Hinter ihnen öffnete sich die Tür zum Lager. Die Stimmen der Wachmänner und das Surren der Drohnen drangen zu ihnen herüber.

    Tian heftete eine kleine Sprengladung an die Rückwand des Lagers und zündete sie. Ein kurzes Aufblitzen blendete Glenn und öffnete einen Durchgang, durch den die feuchte Hitze der Gewächshäuser strömte. Sein Visier beschlug und dimmte das Licht der Kunstsonnen, das durch das Loch fiel. Dahinter wuchsen hydroponische Kulturen auf sechs Etagen. Hellgrüne Blätter ragten aus schwarzen Gefäßen, die in langen Reihen standen.

    Tian hielt nicht an, um die Umgebung zu bestaunen. Er zog Glenn im Laufschritt vorbei. Mit seinem Blut floh auch die Wärme aus Glenns Körper. Sein Bein verweigerte den Gehorsam.

    Hinter ihnen erklangen das Trampeln von Magnetstiefeln und aufgeregtes Rufen. Die Sicherheit hatte das Loch in der Wand gefunden. Er sah sich nicht um. Seine Füße schliffen nutzlos über den Boden.

    »Sie haben uns gleich«, rief der Wissenschaftler. Die Gläser mit Dreck und Scherben hielt er fest umklammert. Glenn starrte ihn verständnislos an. Wieso ließ der den Dreck nicht fallen?

    »Allerdings«, sagte Tian und nahm Glenn auf den Arm, um schneller fortzukommen. Dank der geringen Schwerkraft stellte das den Mechaniker vor keinerlei Probleme. »Ist das der Ausgang zum Hangar?«

    Etwa zwanzig Meter vor ihnen öffnete sich eine Tür.

    »Rauchbombe rechte Tasche!«, rief Tian. Glenn langte in die Rucksacktasche und erfühlte das runde Metallbehältnis. Er warf es in die Truppe aus Wachmännern, die in das Gewächshaus drängten. Dichte Rauchschwaden umhüllten alles und jeden im Umkreis von zwanzig Metern. Die Wachmänner, die keine Anzüge trugen, husteten und keuchten. Irgendwo fielen Körper dumpf auf den Metallboden.

    Der Schatten einer Drohne tauchte aus den Rauchschwaden im Raum auf und Glenn fischte ohne Aufforderung den Störsender aus Tians Rucksack. Er startete ihn, bevor er ihn auf den Boden fallen ließ, um der Metallbüchse keine Gelegenheit zu geben, das Gerät zu zerstören. Hoffentlich waren das die letzten Schrotthaufen, die sie ausschalten mussten.

    Die Drohne fiel mit lautem Scheppern zu Boden. Das Licht flackerte. Irgendwo im Rauch raschelte es. Jemand stand auf.

    Kalter Speichel sammelte sich in Glenns Mund. Das lag nicht an der ungewohnten Schwerkraft. Es fühlte sich an, als ströme Eiswasser statt Blut durch seinen Körper. Der Blutverlust drohte, ihn außer Gefecht zu setzen.

    »Wir haben euer Dingi gefunden«, rief jemand aus dem verrauchten Gewächshaus. »Ihr kommt hier nicht mehr weg. Ergebt euch.«

    Für wie dumm hielten diese Konglos sie? Die ließen niemanden aus einer Geheimanlage spazieren, nur weil man sich ergab. Tian warf eine Sprengladung hinter sich auf den Boden und flüchtete in den Rauch. Der Wissenschaftler rannte neben ihnen. Die Gläser klinkten durch die Bewegung aneinander.

    »Zündung«, raunte Tian und Glenn spürte, wie er runtergedrückt wurde. Irgendwo hinter ihnen donnerte es. Er hörte das Scheppern der Wandteile, die zu Boden krachten.

    »Weiter, weiter!«, rief der Wissenschaftler. »Da hinten ist ein Shuttle, das zur Evakuierung im Notfall gedacht ist.«

    Der Rauch vernebelte Glenns Sicht und allein der Anblick ließ seinen Hals kratzen. Sie hielten vor einem Shuttle an und Kroll fummelte an einem der Paneele neben der Transportklappe rum. Die Gläser presste er mithilfe seines Oberkörpers gegen die Bordwand.

    »Ich komm nicht rein! Ich komm nicht rein!«, rief der Wissenschaftler.

    »Sind eure Anzüge in Ordnung?«, fragte Tian.

    »Ja«, antworteten Glenn und Kroll gleichzeitig.

    »Dann sprengen wir uns rein. Wir brauchen keine Atmosphäre in der Raumfähre. Ein Guckloch in der Außenwand kann uns egal sein.«

    Geschenk

    Raumhafen im Orbit des Zwergplaneten Pana

    Chan stand im Aussichtsmodul der Raumstation über Pana. Der Ort erinnerte ihn an ein Fischglas. Mit dem Unterschied, dass die Glasbewohner die Außenwelt durch den durchsichtigen Boden beobachteten und nicht umgekehrt. Die Rotation der Station ließ den Planeten unter seinen Füßen aufgehen wie einen Mond.

    Es sah zugegeben hübsch aus. Eiswüsten glitzerten im Licht der Habitatkuppeln und schwarze Gebirge ragten aus dem Schnee wie Zähne aus dem Schlund einer Muräne. Beinahe fünfzehn Milliarden Menschen lebten auf dem Planeten und den ihn umgebenden Orbitalstationen. Fünfzig große Raumstationen und unzählige kleinere umtanzten den Zwergplaneten. Die Naturreservate in den Orbitalringen boten eine Artenvielfalt, die im ganzen Sednagürtel ihresgleichen suchte. Mehrere Lichtsekunden dicht besiedelten Raums gehörten zum Kerngebiet der Verwaltung Panas. Das hätte Pana im Solschwarm des inneren Sonnensystems zu einem Außenposten unter vielen gemacht. Hier draußen im Sednagürtel jedoch, wo die Sonne dank der Verdunkelung durch den Habitatschwarm beinahe unsichtbar zwischen den funkelnden Sternen glomm, stellte Pana ein Zentrum menschlichen Treibens dar. Ein kulturelles Leuchtfeuer, das Nomaden und Felsenkleber anzog wie Honig die Fliegen.

    Die Raumhäfen spuckten so viele Raumschiffe, Shuttles und Frachtmodule aus, dass es aussah, als fächerten sie ein aus Metallperlen geknüpftes Netz über dem gesamten Gebiet auf. Chan erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal so viele Dinge gesehen hatte. Aus seinem Labor auf dem Kolonieschiff Rhea sah er meist nur die Schwärze des Alls.

    Die Rhea befand sich ebenfalls unter den Objekten, die den Planeten umkreisten. Ihre silbrige Hülle reflektierte die Lichter der Zivilisation und neben dem Planeten wirkte sie wie ein winziges, dunkelsilbernes Ei mit Fensterreihen, die leuchtende Streifen über ihre ganze Länge zeichneten. Frachter und Dingis trugen unablässig Waren und Menschen in ihren weit geöffneten Rachen. Ein endlos scheinender Strom an Rohstoffen, die weit weg vom Trubel des Sonnensystems eine Kolonie aufbauen sollten. Das Schiff würde rappelvoll sein, wenn er zurückkehrte. Pana war der letzte Raumhafen, den die Rhea je anlaufen würde. Nach eintausend Jahren Raumfahrt wagte die Menschheit endlich den Sprung in ein anderes Sternensystem.

    Chan suchte in dem nur vom Widerschein Panas beleuchteten Aussichtsraum nach Hinweisen, welcher der Anwesenden seine Verabredung sein könnte. Der fremde Helfer, der angeboten hatte, sein Lebenswerk zu vollenden, versteckte sich wohl kaum in der kreischenden Kinderschar, die gerade die Aussichtsplattform stürmte. Auf kurzen Beinchen stoben sie, zum Leidwesen ihrer Erzieher und Chans, quiekend und schnatternd in alle Richtungen auseinander. Die Kleinen ließen sich auf den Boden plumpsen, drückten ihre Nasen an den durchsichtigen Paneelen platt und schrien vergnügt auf, als eine der anderen Raumstationen sich ins Panorama unter ihren Füßen schob.

    Jemand zupfte von hinten an Chans Mantel. Er fuhr herum. Bereit, dem Balg eine Standpauke zu halten, die ihren Namen verdient hatte. Vor ihm stand eine rot glänzende Drohne auf Rädern. Ein rundes Köpfchen saß auf ihrem Rücken und an einem dünnen Greifärmchen baumelten Ohrstöpsel.

    Er seufzte vor Enttäuschung. Kein Mensch würde zu dem Treffen kommen. Dann betrachtete er den Kurier zweifelnd. Informationen dieses Stellenwertes vertraute man keiner Technik an. Den einzig sicheren Ort für solche Schätze trug der Mensch im Kopf spazieren. Jedes Kind wusste das. Eigentlich.

    Mit schweißnassen Fingern nahm er die Stöpsel und steckte sie in die Ohren. Sie fühlten sich kalt an und viel zu groß. Zumindest brachten sie das Geschrei der Kinder zum Verstummen. Chan atmete auf.

    »Verzeihung«, sagte eine Stimme aus dem Lautsprecher der Drohne. Der fremde Freund klang erstaunlich jung. Hatte ein Jungspund ein Problem gelöst, mit dem er sich seit Jahrzehnten herumschlug? Oder zumindest jemand, der genug Eitelkeit besaß, um sich als jung auszugeben. Ein bitterer Geschmack belegte seine Zunge.

    Besaß der Fremde überhaupt den Anstand, die eigene Stimme zu nutzen? Immerhin stand er einer Drohne gegenüber. Ziemlich unhöflich.

    »Es ist mir leider nicht möglich, Ihnen physisch Gesellschaft zu leisten«, erklärte die Stimme. »Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel?«

    »Natürlich nicht.« Sein Nacken kribbelte. Wie immer, wenn er jemanden belog.

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