Sphärenklänge: Geschichten von der Relativistischen Flotte
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Buchvorschau
Sphärenklänge - Angela Steinmüller
MEMORANDA
Die Astronautin
»Kein vernünftiger Mensch steigt in so ein Ding! Das sieht aus wie ein Sarkophag, und wenn du Pech hast, wird es auch dein Sarg. Für die Flotte bist du nichts als ein williges Versuchskaninchen. Noch kannst du absagen. Reiß dir doch die Kanülen einfach heraus und komm mit nach Haus!«
Im Grunde hatte Vildane mit dem Gefühlsausbruch ihrer Schwester gerechnet. Hadassa hatte von Anfang an ihren Traum mißbilligt, sich der Flotte anzuschließen und den »Menschenkreis«, wie Hadassa sagte, »auf immer« zu verlassen. Fünfundfünfzig Jahre, das mußte sie sich eingestehen, war eine wirklich lange Zeit. Sie würde nichts so wiederfinden, wie sie es verlassen hatte. Interstellare Flüge sind Selbstmord, so sah es die Schwester, und wenn schon kein tatsächlicher, so doch Flucht aus dem Leben, »sozialer Selbstmord«.
Vildane stand dicht neben ihrer Schwester vor einem breiten Panoramafenster und beobachtete, wie unten in der Halle die Techniker die Kryo-Kammer noch einmal überprüften. Ihre Kryo-Kammer! Die an sie ganz individuell angepaßte Kryo-Kammer. Seriennummer 8 – eine der ersten. Die helle, weiße Farbe und die abgerundeten Kanten täuschten nicht über den klobigen Charakter des Geräts hinweg. Man lag wenigstens bequem darin … Hadassa hatte recht. Trotz allen Design-Bemühungen erinnerte das Ding fatal an einen Sarkophag.
»Das ist allerbeste Hochtechnologie«, hatte der Leiter des Entwicklungsteams Vildane vor ihrem Anpassungstest stolz erklärt. »Absolut sicher. Tausende von Stunden im Probelauf mit unterschiedlichen Primatenarten. Dabei keine nennenswerten Probleme. Es wird Zeit für den ersten Einsatz.« Er sprach stets wie die Flottenchefs von »Anabiosekammer«. »Kryo« klang ihm – im Gegensatz zu den Technikern – wohl zu frostig.
Ein wenig mulmig war Vildane schon. Der Test hatte alles andere als angenehm begonnen. Man streckte sich nackt aus, spürte all die Schläuche und all die Kontakte, dann wurde einem kalt – und bevor sie das Bewußtsein verloren hatte, war ihr panikartig deutlich geworden, daß jetzt gleich eiskaltes synthetisches Blut in ihre Adern strömen würde.
»Und du denkst, so ein Ding hält zwanzig Jahre und mehr durch? Wie lange hat man diese Särge denn an Menschen ausprobiert?«
Genau an dem Punkt hatte der Leiter des Entwicklungsteams vielleicht etwas zu rasch geantwortet. Offiziell gebe sein Team fünfhundert Jahre Garantie, persönlich aber meine er, solange nur noch ein Restchen Energie da sei, würden »seine Kammern« auch fünftausend Jahre durchhalten. So lange hätten sie natürlich nicht getestet. Ja, immerhin gut zwei Jahre mit Menschen … Sie wisse doch, die Flottenführung dränge. Es ging nicht an, daß Astronauten von den Missionen als Greise zurückkehrten, viele kraftlos, Schatten ihrer selbst, manche zerrüttet, andere regelrecht senil oder gestört oder sonstwie auffällig. Die Flotte wäre ihren Astronauten etwas Besseres schuldig als nur diese einfältigen virtuellen Welten für unterwegs. Anabiose-Schlaf hieß geschenkte Lebenszeit. – In ihren Ohren hatte der Spruch wie Werbung geklungen.
Ihr Test – notwendig zur Überprüfung aller physiologischen Parameter – hatte lediglich einen Tag gedauert. Das Erwachen war ebenso unangenehm gewesen wie das »Sterben auf Zeit«: Schmerzen in allen Organen, ein Durcheinander von schrillen, schreckhaften Empfindungen, dann wogende Wärme … Keiner der angehenden Astronauten-Kollegen hatte ihr gegenüber auch nur ein Wort über diese Tortur verloren; jeder gab sich zäh und willensstark. Einfrieren und Auftauen waren die gefährlichen Phasen. Die Zeit dazwischen spielte keine Rolle. Ein Augenblick, oder nicht einmal das.
»Wenn du zurückkommst«, nahm Hadassa den Gesprächsfaden wieder auf, »nein, falls du zurückkommst, bin ich eine alte Frau.«
Um ein Haar hätte Vildane ihrer Schwester geraten, sich auch eine Kryo-Kammer zu besorgen. Weshalb mußte sie noch sticheln, ihr den Abschied schwer machen?
»Wir haben schon Anfragen von der Erde erhalten«, hatte ihr der Leiter breit grinsend erklärt. »Da oben« gebe es offensichtlich Millionen Menschen, die gern ein paar Jahre oder Jahrzehnte überspringen würden. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Man mußte wohl vermuten, daß es sich zumeist um Erbschaftsangelegenheiten handelte. Entweder wollte jemand die Zeit bis zum Ableben des lieben Anverwandten überbrücken oder man gönnte dem Nachwuchs das Erbe nicht. Nun, seiner Meinung nach durfte man sicher sein, daß irgendeiner der Nabobs, ob nun auf der Erde oder sonstwo im Sonnensystem, »seine« Kammer-Technologie längst abgekupfert hatte. Und wahrscheinlich würden ihre Mitastronauten und sie, Vildane, nicht die einzigen sein, die nun bald im Anabiose-Schlaf lagen. Der ja kein Schlaf war, sondern lediglich ein Aussetzer im Leben.
Hadassa faßte sie am Arm. Sie schwieg, atmete tief ein. »Und dann sind für dich zwar nicht tausend Jahre wie ein Tag, aber doch zehn Jahre wie eine Nacht.«
Jetzt spielt sie auch noch die Religiöse, dachte Vildane. Ahnte ihre Schwester denn nicht, daß sie selbst einer der Gründe war, weshalb sie die Erde verlassen hatte, zur Flotte gegangen war? Aber das sagte man einer Schwester nicht ins Gesicht.
»Schlafen«, zitierte Hadassa, »vielleicht auch träumen. – Fürchtest du denn keine Alpträume?«
Vildane lachte. »Unmöglich. Die neuronale Aktivität …« Es gelang ihr nicht, den Satz zu beenden. Als hätte sich urplötzlich eine Schleuse geöffnet, durchschoß sie eine Sturzflut von schemenhaften Erinnerungen: singende, kreischende Sterne, junge Männer in blauen Gewändern, die auf sie zukamen und auswichen, die Milchstraße als ein Karussell, und wie sie, um Atem ringend, unter Eisbergen hindurchschwamm, und dann war da noch etwas mit einem Gnom …
Nun war sie es, die die Schwester am Arm faßte. »Gehen wir. Ich habe noch viel zu ordnen.«
Was war schlimmer, in letzter Sekunde einen Rückzieher zu machen und sich vor allen zu blamieren – oder womöglich zehn Jahre am Stück zu träumen?
Windschiefe Geraden
Wie aus einem langen und angenehmen Traum tauchte Shanai aus der kristallklaren Welt mathematischer Symbole auf. Kerens Worte klangen ihr schrill in den Ohren: Ferntaster – ein Objekt – Raumschiff – Fremde. Mühsam sammelte sie sich. Es war einfach unmöglich … Keren mußte unter Halluzinationen leiden!
»Der Raum um uns ist leer, Keren, lichtjahreweit nur Vakuum, nichts als Vakuum. Nichts.« Sie richtete sich allmählich auf, ließ die Beine über den Rand der Liege fallen, atmete durch. In der Hand hielt sie den Lichtschreiber, mit dem sie eben noch bunte Symbole an das Deckendisplay gemalt hatte. »Und außerdem störst du mich bei der Arbeit.«
»Aber, ich, ich habe es gesehen, keine drei Lichttage entfernt. Mein Sekretär hat die Daten aufgezeichnet und …« Keren trat zwei Schritte auf sie zu. Er war nachlässig gekleidet, das Hemd hing aus der Hose, und sein schwarzes Haar glänzte fettig in wirren Strähnen.
Sie stöhnte verhalten. Es konnte einfach nicht sein. Das Schiff hätte sie längst alarmiert. – Der dünne Laserpunkt des Lichtschreibers wanderte hinüber zu Keren, traf das fahlblaue Hemd, malte eine in Sekundenbruchteilen verblassende Flut von Zeichen auf den matten Stoff. Dann verweilte der Punkt unterhalb des Kragens, bereit, ihm jede Sekunde ins Gesicht zu springen.
»Da ist nichts, Keren«, meinte sie besänftigend, »nimm dir eine sinnvolle Aufgabe vor, nutze wie ich die Zeit, arbeite oder tauche meinethalben in eine Spiele-Welt …«
Doch der Lichtschreiber strafte ihre ruhigen Worte Lügen. »Spinner« – rasch huschten die Buchstaben über Kerens Hemd – »laß mich, hau ab …«
»Aber Shanai, hör doch!« Ruckartig drehte sich Keren herum, winkte seinen Cyber-Sekretär, ein etwa in Kopfhöhe schwebendes kugelförmiges Assistenzsystem, heran und befahl für das Deckendisplay einen Blick in den leeren Raum. »Stop!« blitzte der Lichtschreiber, ein stummer Aufschrei, den Keren nicht vernahm. Wenn sie, Shanai, etwas nicht mochte, dann das endlose Nichts um sie herum.
Die Hülle des Schiffes schien aufzuklaffen, sie stürzte in die schwarze Leere. Sie riß den Mund auf, war aber unfähig, auch nur den leisesten Schrei auszustoßen. Krampfhaft kniff sie die Lider zusammen und klammerte sich an der Liege fest. Eine eisige Kälte strömte auf sie ein. Aus unendlichen Fernen drang Kerens hallende, kaum verständliche Stimme an ihr Ohr.
»Dies ist ein Radarreflex, kein blauer Zwergstern. Ich hielt das Objekt zuerst für einen Asteroiden, aber die Spektraldaten deuten auf Legierungen hin, die wir nicht kennen …«
»Bitte«, flehte Shanai, »bitte laß.« Sie mußte all ihren Willen zusammennehmen, um nicht in den licht- und wärmelosen Abgrund zu stürzen.
»… fliegt mit 0,27 c, die Bahngerade bildet einen Winkel von 161 Grad mit der unsrigen und – hattest du etwas gesagt?«
Shanai zitterte am ganzen Körper. Das Vakuum saugte ihr das Blut aus den Adern, die Schwärze drang ein, fraß sich durch die Augen ins Gehirn. Erstarrt trudelte ihr Körper zwischen vereinzelten interstellaren Atomen. »Bitte, Licht«, röchelte sie.
Eine Lichtwoge wie von einem explodierenden Stern erreichte sie, hüllte sie wärmend ein, trug sie davon. Mühsam unterdrückte sie das Zittern ihrer Hände, ihrer Stimme. »Bist du sicher, ein Asteroid?«
Keren schob seinen Sekretär unwirsch zur Seite, sein Gesicht drückte Unwillen aus: »Du hörst mir wohl gar nicht mehr zu! Ich habe gesagt, daß dieses Objekt unmöglich natürlichen Ursprungs sein kann. Vulgär ausgedrückt: ein fremdes Raumschiff.«
Shanai erhob sich. Sie war müde und ausgelaugt, und auf ihrer Haut brannte noch immer Weltraumkälte. Keren trat an sie heran. Als seine Hand ihren Arm berührte, zuckte sie zusammen wie von einem elektrischen Schlag getroffen.
»Verstehst du denn nicht? Wach auf, Mädchen! Was für eine Sensation! In der Flottenzentrale wird man kopfstehen! – Wir haben jahrelang studiert, trainiert, sind schon zwei Jahre unterwegs – all das hat sich mit einem Schlag zehn-, nein tausendfach gelohnt!« Die Freude brach aus ihm hervor. Er küßte sie ab. Willenlos wie eine Puppe ließ sie ihn gewähren. So plötzlich, wie ihn die Empfindungen übermannt hatten, so plötzlich verließen sie ihn wieder.
»Der minimale Abstand der Flugbahnen beträgt 1,3 Lichttage. In etwa zwölf Stunden werden die Schiffe die geringste Entfernung voneinander erreicht haben: 2,1 Lichttage. Astronomisch gesehen kaum ein Steinwurf.«
Ein Gefühl der Unwirklichkeit nahm von Shanai Besitz. Sie sah die Kabine, das nun graue Deckendisplay, sie sah Keren und hörte ihn reden. Und sie versuchte sich vorzustellen, daß irgendwo weit draußen in dem endlosen Nichts hinter dünnen Metallwänden Wesen mit Stiel- oder Telleraugen auf das Radarbild eines unerwartet aufgetauchten, fremden Raumschiffs starrten … Seltsamerweise berührte diese ungeheuerliche Vorstellung sie nicht, sie gehörte zum Reich der Tagträume, der Einbildungen, sie paßte nicht in die nüchterne Wirklichkeit des Schiffs, in der sich selbst Keren mit seiner Aufregung, seiner Hektik seltsam unzugehörig und substanzlos ausnahm.
»Ich verständige A-Sarn und A-Mlot. Du holst die anderen aus den Kältesärgen. Alarmwecken. Wir treffen uns in der Zentrale.«
Shanai nickte wortlos.
Jedesmal, wenn Keren die Zentrale betrat, hatte er den Eindruck, als dringe er in ein fremdes Reich ein. Denn hier herrschten A-Sarn und A-Mlot, unermüdlich, kompetent und ausgeglichen, wie man es von ihnen erwartete. Fast reglos überwachten sie den Flug; ihre Instrumente maßen ohne Unterbrechung kosmische Partikelkonzentrationen und die kleinsten Fluktuationen der Felder. Wieso waren sie nur so ruhig? Hatten sie denn nichts bemerkt? Wozu sonst hielten sie Wache? Die kalte Sachlichkeit der Zentrale ernüchterte Keren, mit wenigen Worten setzte er die beiden Androiden ins Bild.
»Das ist ja wunderbar!« Impulsiv sprang A-Sarn auf und wandte sich Keren zu. Sie lachte über ihr ganzes ungleichmäßig gebräuntes und faltenreiches Gesicht. Keren zuckte zusammen. Es störte ihn stets, wenn Androiden einen Gefühlsausbruch simulierten, und er hatte auch nicht vor, sich an diese falsche Menschenähnlichkeit zu gewöhnen.
A-Mlot reagierte korrekt und sprach von einem bedeutsamen Ereignis für die gesamte Menschheit. Keren beobachtete, wie die schmalen, feingliedrigen und haarlosen Finger A-Mlots über die Felder der Konsole glitten: geschwind, reibungslos, ohne Korrektur. Ein Automat, der einem anderen Automaten Befehle gab. Eine direkte Verbindung über Funk oder Kabel wäre millionenfach schneller – hätte aber gegen die Sicherheitsregel »maximale Autonomie« verstoßen. Keren riß sich los.
»Wir müssen handeln«, sagte er, »mit ihnen Kontakt aufnehmen, bremsen, sie treffen, wir müssen …«
Er klatschte in die Hände und ging hinüber zu den Monitoren, die die Kältesärge zeigten. Sein Sekretär folgte ihm in Schulterhöhe. Das schwebende Gerät geriet leicht ins Schlingern, als Keren sich plötzlich umdrehte und zurückschritt. »Was schlagt ihr vor! Wo bleibt eure digitale Weisheit? Wir müssen stoppen …«
A-Mlot schien einer direkten Antwort ausweichen zu wollen. »Keren«, formulierte er eindringlich, »wir werden die logische Entscheidung treffen. Sie aber sollten sich vorerst beruhigen. Ihr Puls ist bereits auf 120 angestiegen, und das ohne körperliche Anstrengung. Entspannen Sie sich.«
»Ich denke nicht daran! Draußen ist ein fremdes Schiff, und ich soll nicht erregt sein? Und weshalb bremsen wir noch nicht? Nur ein paar Stunden, und wir entfernen uns wieder von ihnen! Jede Sekunde ist kostbar, wir müssen nicht erst auf die Tiefschläfer warten, zu viert sind wir entscheidungsberechtigt.«
Voller Unmut über die unerschütterliche Ruhe A-Mlots ballte Keren die rechte Hand zur Faust und grub sie, hinter dem Rücken versteckt, in die linke.
Nur für Automaten verständlich, liefen lange Felder von Zahlen über die Displays. Sie sagten mehr über das fremde Schiff aus, als der Mensch Keren je erfassen würde – und doch beantworteten sie keine einzige seiner Fragen: Was sind sie? Wie sehen sie aus? Wie denken, fühlen, leben sie? Es war ein seltsam erhebendes Gefühl, so unmittelbar vor dem großen Moment zu stehen, als erster das zu erreichen, worauf viele in der Flotte seit Jahrhunderten vergeblich gewartet hatten. Ein fast schon unwirkliches Gefühl …
»Mit Ihrer Zustimmung senden wir Signale gemäß dem Erstkontakt-Protokoll. Mehr ist im Augenblick nicht möglich.«
Keren nickte unwillkürlich. Vage erinnerte er sich, daß die Signale der induktiven Einführung einer Verständigungsbasis dienten. Hinter A-Sarn und A-Mlot schwebten deren Sekretäre heran, Cyber-Wesen, die Cyber-Wesen unterstützten. Ihre Leuchtleisten blinkten rhythmisch.
»Sie sollten wirklich versuchen, sich zu beruhigen, Keren. Sie wollen doch nicht, daß Ihre psychischen Parameter den Zulässigkeitsbereich verlassen. Wenn nicht anders möglich, sollten Sie eine halbe Kapsel eines leichten Sedativums einnehmen.«
A-Sarns Stimme klang weich und mütterlich. Die Drohung, ihn als nicht mehr zurechnungsfähig von der Befehlsgewalt auszuschließen, war in Watte gepackt, aber Keren hatte sie deutlich verstanden. Er nahm auf dem Kommandantensessel Platz und umfaßte mit festem Griff die Armstützen. Wenn es um Sicherheitsfragen ging, scherzten A-Sarn und A-Mlot nie.
Die matte Fläche des Raumschirms blitzte für eine Sekunde auf, füllte sich dann mit Schwärze. Im Hintergrund standen unbeweglich die Lichtpunkte der Sterne. Die Position des irdischen Schiffes wurde durch einen unscheinbaren grünen Punkt wiedergegeben, der eine dünne, ebenfalls grünliche Gerade entlangzog. Eine zweite, hellrote Gerade spannte sich, an den Rändern unsicher vibrierend, durch den Raum. Auf ihr leuchtete der knallrote Punkt des fremden Schiffes. Es wunderte Keren, daß die Fernabtaster die Form des unbekannten Schiffes nicht enthüllten.
Noch ehe Keren fragen konnte, berichtete A-Mlot, daß die Instrumente keine Größenangabe gestatteten. »Nach den eingehenden Meßdaten könnte es ein geometrischer Punkt sein.«
Mit einem saugenden Geräusch öffnete sich die Tür, Shanai trat ein. Ohne ein Wort zu sagen, setzte sie sich. Abgespannt wie nach stundenlangen Fitneßübungen ließ sie die Arme hängen. Ihr Sekretär schwebte lautlos in die Mitte der Zentrale, die anderen drei Sekretäre näherten sich, bildeten mit ihm ein still schwebendes Quadrat: Datenaustausch.
»Ich habe niemanden geweckt.«
Nur das sanfte Summen der Apparate erfüllte die Zentrale. Keren grub die Finger in die Armstützen, er spürte, wie der Ärger in ihm hochkochte. Ihm war, als ob sein heftiger Pulsschlag durch die Zentrale hallte, sich an Wänden und Decke brach. Und A-Sarn und A-Mlot zählten die Schläge, maßen Frequenz und Intensität, da mochte er so viel Ruhe und Besonnenheit zur Schau stellen, wie er wollte. Er unterdrückte den Wunsch, aufzuspringen und Shanai zu schütteln, aber er konnte nicht verhindern, daß Ärger und Zorn in seiner Stimme mitschwangen: »Weshalb?«
»Es hat keinen Zweck.« Shanai hob die Hand, eine Geste der Resignation. »Das Wecken dauert fünf Stunden. Bis dahin müssen wir uns entschieden haben. Aber es gibt nichts zu entscheiden. Wir werden weiterfliegen.«
Keren holte tief Luft, starrte, mit sich kämpfend, in das Raumbild. Gleichmäßig zog der rote Punkt seine Bahn entlang, nichts konnte ihn beirren, verrücken. Nein, kein A-Mlot brauchte es ihm zu erklären, es lag auf der Hand, simpel wie nichts sonst. Ein interstellares Raumschiff bremste man nicht in ein paar Stunden ab, auch keines der neuen Stella-1-Klasse. Es hatte seine kinetische Energie durch monatelange Beschleunigung erhalten. Und wenn sie die Plombe brachen und den Hebel ganz nach vorn schoben, um maximalen Schub zu erhalten, dann verbrauchten sie in wenigen Stunden die Energie für alle geplanten künftigen Manöver. Vielleicht würde das Schiff mit viel Glück die Erde erreichen, aber wenn überhaupt, dann erst in einigen tausend Jahren, einer Spanne, die nicht einmal A-Sarn und A-Mlot überdauerten. Kein Wunder, daß für sie, die nur den Erfolg der Mission und die wohlbehaltene Rückkehr im Auge hatten, eine Abweichung vom Kurs nie zur Debatte stand. Eine Hoffnung allein blieb: daß das fremde Schiff selbst über eine irrsinnige Manövrierfähigkeit verfügte. Wenn die Fremden denn überhaupt Interesse an ihnen hatten.
Als Shanai um Informationen bat, wies Keren wortlos auf die nichtssagenden Instrumente.
»Und Signale?«
»Das fremde Schiff sendet auf drei Frequenzen«, antwortete A-Mlot an Kerens Stelle. Der Android strahlte eine sichere Ruhe und Entschlossenheit aus, die Keren wie ein Hohn vorkam. Ihn ging es ja auch nichts an! »Die Signale konnten bisher nicht entschlüsselt werden. Ihren statistischen Eigenschaften nach lassen sie sich als Zufallsfolge mit praktisch verschwindenden Korrelationen interpretieren.«
»Seit wann empfangt ihr sie?« fuhr Keren ihn an. Wieso hatten die Androiden ihn nicht sofort ins Bild gesetzt? Verschwiegen sie noch mehr? Er trommelte mit den Fingern auf die Armstützen. Es fehlte nicht viel, und er hätte die kurze Formel mit Befehlsgewalt ausgesprochen und die beiden zur Überprüfung geschickt. Aber kein Besatzungsmitglied hatte je zu diesem entscheidenden Mittel gegriffen – man war auf A-Mlot und A-Sarn angewiesen.
Bedächtig wendete sich A-Mlot Keren zu. Die langen, graumelierten Haare reichten ihm bis auf die Schultern. Auf menschliche Weise holte er tief Luft, bevor er sich damit rechtfertigte, daß man zuerst eine physikalische Interpretation als Rauschen habe ausschalten müssen.
»Die Signale sind praktisch redundanzfrei. Keine Wiederholungen. Keine Regelmäßigkeiten. Um sie zu entziffern, würden wir ein faktisch unendlich langes Textstück benötigen. Und auf unsere Botschaft kann man eine Reaktion in frühestens 4,5 Tagen erwarten.«
Shanai starrte den winzigen, verheißungsvollen grünen Punkt im schwarzen Raumbild an. Redundanz, Reaktionszeiten, ja, A-Mlots Worte verliehen dem fremden Schiff die Unwirklichkeit eines abstrakten wissenschaftlichen Objektes – und er vermied bewußt jeden Ausdruck, der denkende, handelnde Personen an Bord voraussetzte. Unhörbar seufzte sie. Vielleicht flogen da wirklich nur Automaten?
Einfühlsam, wie es ihrem Grundprogramm entsprach, ging A-Sarn auf die Erwartungen Shanais ein. »Ich begreife, wie Sie empfinden müssen, Shanai. Das Ziel so nah vor Augen zu haben und nicht zugreifen zu können. Aber die eine Gewißheit kann Ihnen keiner nehmen: daß die Fremden existieren, daß ihr Menschen nicht einzig seid im Universum.«
»Wir haben doch euch Androiden«, brach es bitter aus Keren hervor, »Kommunikationspartner in der Einsamkeit des Kosmos. Wozu brauchen wir noch Außerirdische!«
»Ich bitte dich.« Das Wort »Android«, das Keren, wie es schien, gern nutzte, irritierte Shanai, es löste Unsicherheit und Ängste aus. A-Mlot, das war für sie ein gutmütiger, wenn auch mitunter abweisend wirkender älterer Herr. Ein langgedienter Astronaut, der in jeder Lage einen Ausweg wußte, der sie unter allen Umständen zurück auf die ferne Erde brachte, sie das Grauen vor der unergründlichen Leere vergessen ließ – und eben kein Ding, das hinter der künstlichen alten Haut Nanosysteme, Prozessoren und hochspezifische Fluide verbarg.
»Wir müssen etwas unternehmen, wir müssen handeln!« Kerens Lippen bewegten sich fast tonlos, doch nicht leise genug für das scharfe Gehör der Androiden. »Wir können doch nicht zur Erde zurückkehren«, fügte er etwas lauter hinzu, »und sagen: Ja, wir sind