Kleine-Welt-Geschichten: Die Evangelischen in Borgentreich
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Die Evangelischen in Borgentreich
Die Anfänge waren klein und bescheiden. Von ursprünglich wenigen Familien wuchs die evangelische Gemeinde in Borgentreich auf inzwischen über 1200 Mitglieder. Ihre Erlebnisse sind persönliche Geschichten aus einer kleinen Welt, eingebettet in die große Weltgeschichte. Mit anschaulichen Anekdoten und historischen Fakten schlägt Pfarrer Kai-Uwe Schroeter einen weiten Bogen von den Anfängen der Christianisierung bis zur Gegenwart. Dabei fehlen der Humor und die Leichtigkeit ebenso wenig wie der Ernst und das Schwere. Wer aus der Geschichte lernt, der wird sie in Zukunft besser machen.
Kai-Uwe Schroeter
Kai-Uwe Schroeter ist Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Er ist verheiratet mit Bettina und hat zwei erwachsene Söhne, Sven und Nils. Nach dem Studium der Theologie in Tübingen und Münster, trat er seine erste Pfarrstelle an. Er ist Autor verschieder Bücher über Nahtoderfahrungen, Quantenphysik und Ökumene. Zur Zeit ist er Pfarrer in Dortmund. In diesem Buch schildert er die Eindrücke seines Dienstes im Altkreis Warburg aus seinem Wohnort Borgentreich, dem er sehr verbunden ist. Predigten und Vorträge von Kai-Uwe Schroeter sind im Internet unter www.onlinepredigten.de abrufbar.
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Buchvorschau
Kleine-Welt-Geschichten - Kai-Uwe Schroeter
1. Die Christianisierung
So klein die Anfänge der Protestanten in Borgentreich auch waren, sie beginnen nicht erst mit der Reformation. Bekanntlich sind Protestanten auch nur Christen, deshalb blicken wir auf die Christianisierung des Landes. Von Borgentreich reden wir natürlich auch schon, bevor es den Ort Borgentreich gab. Denn schließlich gab es noch nie einen weißen Fleck auf Gottes schöner Welt und Landkarte. Dazu gehen wir in das 8. Jahrhundert n.Chr. zu Karl dem Großen und den alten Sachsen. Nanu, wird der geschichtsvergessene Zeitgenosse sich wundern, was haben denn die Ostdeutschen mit Ostwestfalen zu tun? Doch wer im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, weiß natürlich, dass es nicht um die heutigen Sachsen geht. Die müssten eigentlich Neusachsen heißen oder so ähnlich. Hier geht es um die Altsachsen. Die lebten im achten nachchristlichen Jahrhundert im heutigen Westfalen. Was hat sie dorthin gebracht? In den Geschichtsbüchern lesen wir, dass sie aus dem Norden Europas kamen. Dort ist es bekanntlich finster, vom Sonnenlicht her betrachtet. Und wer will schon im Dunkeln wohnen? Also brachen die Sachsen aus der Finsternis auf und zogen in den sonnigen Süden. Und wo ist es sonniger als in Borgentreich? Zwar gab es ja, wie gesagt, den Ort noch nicht, aber wir denken ja global und meinen die Landschaft, wenn wir von Borgentreich reden. Da liegt die Weser natürlich nicht weit entfernt, relativ gesehen. Und relativ liegt vieles in der Nähe von Borgentreich.
Karl d. Große lässt die Sachsen 782 n. Chr. in der Weser taufen. Unbekannt 1890
Doch so sonnig die Gegend um Borgentreich auch ist, weiter im Süden wird es bekanntlich immer noch sonniger. Das wussten auch die Franken, die vorher hier lebten, und zogen einfach weiter gen Süden. Sie hinterließen den nachfolgenden Altsachsen das Land, aber auch ihr geistiges Erbe. Und das war das Christentum, denn die Franken waren ja bekanntlich früher christianisiert. So schlagen wir den Bogen noch einmal zurück in das Jahr 496 n.Chr., als der Großkönig Chlodwig in der Kathedrale von Reims getauft wurde. Diese großartige Kathedrale gehört zwar nicht mehr direkt zum Borgentreicher Land, sondern liegt in Frankreich, aber als Meilenstein in der Geschichte des Christentums gehört sie gewissermaßen auch zur Vorgeschichte von Borgentreich.
Bei der Taufe von Chlodwig wird jedenfalls offenbar, wie sehr sich das Christentum von seinen Anfängen von Jesus Christus entfernt hatte. Für mich persönlich bedeutet mein christlicher Glaube immer, dass ich mich für den Frieden einsetze. So reihte ich mich voller Überzeugung in die Menschenkette für den Frieden auf dem Dortmunder Kirchentag ein. Und wenn ich die Quellen studiere, besteht kein Zweifel daran: Jesus lehnte Gewalt ab und setzte sich für den Frieden ein!
Das hatte Chlodwig offenbar anders verstanden. Er stand vor einer Entscheidungsschlacht im Rheinland gegen die Alemannen, jenem dritten großen westgermanischen Stamm neben den Franken und den Sachsen. Chlodwig gelobte, sich taufen zu lassen, wenn er die Schlacht gewinnen würde. Nach dem Sieg löste er das Gelöbnis ein, und die Franken taten es ihm gleich, dazu verpflichtet durch die germanische Gefolgschaftstreue. Man kann sich heute in die Stimmung, die damals herrschte durch Wagners Tristen und Isolde hineinversetzen, wo Marke singt: Sieh ihn dort, den treu'sten aller Treuen… Treue bedeutete damals: Alle wurden Christen, aus Treue zu ihrem König Chlodwig.
Man hat sich ja daran gewöhnt, geschichtliche Ereignisse nicht zu kommentieren, sondern hinzunehmen. Und trotzdem wage ich die Behauptung, dass Chlodwig das Christentum grob missverstanden hat. Es gibt nur ein Entweder-Oder: Entweder ist Christus ein Kriegsgott – oder wir reihen uns in die Menschenkette für den Frieden ein. Gibt es da noch etwas aufzuarbeiten? In welchem Geschichtsbuch ist zu lesen, dass die Christianisierung komplett an der Gesinnung Jesu vorbeiging?
Historisch ist es ein Faktum, dass Chlodwigs eigene Taufe und die Gefolgschaftstreue seiner Franken das Land christlich machten. Diese treuen Christen errichteten später in den Jahren 772-775 auch Kirchen im Land, so auf der Eresburg in Obermarsberg. Jetzt sind wir wieder ganz in der Nähe von Borgentreich, denn hier verlief damals auch die Grenze zwischen dem Frankenreich und den Sachsen, etwa auf der heutigen Grenze Westfalens zum Landesteil Nordrhein und zu Hessen. Karl der Große hatte geschworen, die alten Sachsen entweder zu vernichten – oder zu christianisieren. Sicherlich hatten die Franken es bedauert, die sonnige Gegend um Borgentreich überhaupt freigegeben zu haben. Vielleicht wollten sie zurück. Aber auch der heidnische Glaube der feindlichen Sachsen ging Karl dem Großen mächtig auf den Zeiger. Die glaubten an Wodan als dem obersten Gott. Donar war der Gott des Blitzes, Freyda war die Göttin der Fruchtbarkeit … und so weiter und so fort. Alles ein Gräuel für den alten Karl. Dazu kam noch die militärische Gefährlichkeit der alten Sachsen. Ihre Kamikaze-Mentalität machte sie zu unberechenbaren Gegnern. So glaubten ihre Helden fest daran, dass sie durch den ehrenvollen Tod für ihren Stamm und die Familie zur Belohnung direkt in das Walhalla einziehen dürften. Allen voran war durch den Militärführer Widukind ein wirklich streitbarer Gegner erwachsen. Also blieb Karl nur die Alternative, die Sachsen zu vernichten oder zu christianisieren.
Christianisieren kann man auf zweierlei Art. Das Neue Testament kennt nur die friedliche Missionierung – oftmals sogar unter Einsatz des Lebens für die Missionare. Der Apostel Paulus hat niemals Gewalt gegenüber Menschen ausgeübt. Er hat vielmehr Gewalt erleiden müssen, ohne sich jemals gewehrt zu haben. Damit hat Paulus den Geist Jesu überzeugend repräsentiert. Eigentlich hätte man meinen müssen, dass nun Frieden und Gewaltverzicht grundsätzlich für das Christentum gegolten hätten. Immerhin waren die neutestamentlichen Schriften zu keinem Zeitpunkt verschollen gewesen. Man hätte sie nur lesen oder sich übersetzen lassen müssen. Dann hätte man gewusst: Es geht bei der neutestamentlichen Christianisierung immer nur um die freiwillige Annahme des Glaubens aufgrund von innerer Überzeugung. Die Taufe ist das Zeichen der inneren Umkehr und der neu gewonnenen Glaubenseinstellung, die Jesus als den Mittler zu Gott anerkennt.
Im Gegensatz zu diesen klaren Aussagen des Neuen Testaments steht die Zwangstaufe. Taufe und Zwang sind zwei Wörter, die nichts miteinander zu tun haben – und auch im Ursprung des Christentums niemals etwas zu tun haben sollten. Eine erzwungene Taufe ist ein Widerspruch in sich.
Karl zwang die alten Sachsen zu Massentaufen an den Pader- und Lippequellen, noch bevor die Leute den neuen Glauben richtig verstanden hatten. Die Täuflinge mussten das uns heute noch geläufige Taufgelübde ablegen, das durch eine Absage an den Teufel ergänzt wurde: Ich widersage allem Teufelswerk und -wort; Donar und Wodan und Saxnot und all den Unholden, die ihre Genossen sind.
Es macht Karl theologisch nichts aus, dass er aus der Froh -Botschaft des Neuen Testaments eine Droh- Botschaft gemacht und ein Taufverständnis eingeführt hatte, das durch keine Quelle im Neuen Testament gerechtfertigt werden konnte. Das Missverständnis von Christus als einem Kriegsgott, das schon bei Chlodwig angelegt war, setzte sich offenbar fort. Als schließlich Widukind im Jahr 785 n. Chr. getauft wurde, war Karl selbst anwesend. Er wurde sogar Taufpate und machte seinem ausgewachsenen Patenkind wertvolle Geschenke. Widukind hatte keine Probleme damit, den neuen Glauben anzunehmen. Immerhin passte das missverstandene Christentum in sein Weltbild: Der Christengott, vertreten durch Karl mit seinen Franken, hatte sich als der Stärkere erwiesen - das überzeugte auch vom altsächsischen Standpunkt aus.
Das alles gehört weitläufig zur Vorgeschichte Borgentreichs. Schließlich haben Ausgrabungen bei Großeneder gezeigt, dass es bereits 4900 Jahre v.Chr. hier Siedlungen gegeben hat. Eigentlich hätten wir also bei Adam und Eva anfangen müssen. Aber da hätten sich die Historiker darüber streiten müssen, ob Borgentreich außerhalb oder innerhalb des Garten Edens gelegen hätte. Die Befürworter verweisen auf das Liebestal, das sich entlang des Maschbaches erstreckt und im Sommer geradezu paradiesisch anmutet. Bloß die Quellenlage ist leider zu dürftig, um darüber ein abschließendes Urteil zu fällen. Ob die ersten Menschen am Maschbach ihre Liebe zueinander entdeckt haben, oder ob es doch zwischen den Bächen Euphrat und Tigris gewesen ist, ist einzig und allein eine Sache des Glaubens. Immerhin stehen im Liebestal 140 Apfelbäume, die ganze Geschichte mit Adam und Eva hätte sich also hier abspielen können … und kann sich zur Not immer noch abspielen.
2. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen
Im Jahr 1280 wird Borgentreich zum ersten Mal als Borguntriche in den