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Die permanente Krise: Der Aufstieg der Finanzoligarchie und das Versagen der Demokratie
Die permanente Krise: Der Aufstieg der Finanzoligarchie und das Versagen der Demokratie
Die permanente Krise: Der Aufstieg der Finanzoligarchie und das Versagen der Demokratie
eBook179 Seiten2 Stunden

Die permanente Krise: Der Aufstieg der Finanzoligarchie und das Versagen der Demokratie

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Über dieses E-Book

Die Finanzkrise ist nicht ausgestanden - sie hat sich auf Dauer als Krise der Werte eingerichtet.
Der Titel dieses Buches überrascht vielleicht. Von einer ständigen Krise zu sprechen, während in den Medien
sehr häufig vom Wiederaufleben des Wirtschaftswachstums die Rede ist, scheint paradox. Dass dieses Wirtschaftswachstum vor allem auf einer Explosion der weltweiten Schulden basiert und deswegen künstlich ist,
wird nicht erwähnt. Kursanstiege an den Börsen werden durch die Zentralbanken erzeugt, die ­astronomische
Summen in den Finanzsektor einschießen, sowie durch die riesigen Aktienrückkäufe von großen Unternehmen. Der Finanzsektor koppelt sich zunehmend nicht nur von der Realwirtschaft ab, sondern dominiert auch die Volkswirtschaft und die Gesellschaft. Eine zentrale Rolle spielen in diesem Prozess die Großbanken und spekula­tiven Fonds.
Marc Chesney zeigt Auswege, die weder auf deregulierten Märkten noch auf einem Staat, der die Wirtschaft kon­trolliert und lenkt und die Individuen überwacht, basieren. Seine Lösungen setzen auf ­aktive Bürgerinnen und Bürger, die ihr Schicksal selber in die Hand nehmen.
SpracheDeutsch
HerausgeberVersus Verlag
Erscheinungsdatum1. Apr. 2019
ISBN9783039097616
Die permanente Krise: Der Aufstieg der Finanzoligarchie und das Versagen der Demokratie

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    Buchvorschau

    Die permanente Krise - Marc Chesney

    Einleitung

    Der Untergang der Zivilisation unter dem Vorwand ihrer Rettung

    Am Abend des 1. August 1914, einem Samstag, bereiten sich französische wie deutsche Familien auf eine schmerzliche Trennung vor. Soeben wurde die allgemeine Mobilmachung durch Aushänge angeordnet. Lange läuten die Glocken in den Städten und Dörfern. Sie verkünden die gefürchtete Nachricht des Kriegsausbruchs und werfen bereits die Schatten künftiger Ängste und Leiden voraus. Der erste Tag der Mobilmachung wird Sonntag, der 2. August, sein. Schon am frühen Morgen wird der Gare de l’Est in Paris voller Soldaten in Begleitung ihrer Familien sein. Das gleiche Bild bietet sich am Anhalter Bahnhof in Berlin. Unter dem Vorwand der Rettung der Zivilisation werden die Soldaten zu Vollstreckern und Opfern ihres Untergangs.

    Am Freitag, dem 1. August 2014, also hundert Jahre später, bereiten sich viele französische und deutsche Familien auf ihren Urlaub vor. Am nächsten Tag werden der Gare de Lyon in Paris und der Berliner Hauptbahnhof mit TGVs und ICEs vollkommen überlaufen sein. In Frankreich wird die Autobahn nach Süden wie gewöhnlich verstopft sein. Diesmal zieht es die Menschenmengen gen Süden zu den Stränden, und nicht mehr an die Ostfront die einen und an die Westfront die anderen, wie vor einem Jahrhundert. An die Stelle des Albtraums vom langen Weltkrieg tritt der Traum von Sonne und Meer. Es geht nicht mehr um das Wohl der Zivilisation, sondern eher prosaisch um eine wohltuende Auszeit, während die finanzielle und ökonomische Lage weiterhin instabil bleibt. In der Sommersaison dominiert in Europa nunmehr das Tourismusbusiness; das lenkt die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von den wirtschaftlichen Ungleichgewichten ab, welche das Finanzkasino schafft, und es baut vorübergehend die Spannungen ab, die damit einhergehen. Die Massengräber des Ersten Weltkriegs verschwinden aus dem kollektiven Gedächtnis, die Erosion ist am Werk.

    Das monumentale Gemälde im Pariser Gare de l’Est erinnert uns an die Tragödien des Ersten Weltkriegs. Ist es vergleichbar mit den Wandmalereien in der Höhle von Lascaux – Spuren einer fernen Vergangenheit, deren Einfluss sich bereits in grauer Vorzeit verliert?

    Die Höhle von Lascaux, die sich im französischen Departement Dordogne befindet, ist eine der bedeutendsten Fundstätten prähistorischer Höhlenmalerei.

    Kapitel 1

    Gestern und heute

    Ein Jahrhundert ist es nun schon her, seitdem die europäische Jugend auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs geopfert wurde. Hundert Jahre, das scheint eine lange Zeit zu sein – obwohl es sich eigentlich nur um wenige Generationen handelt.

    Die Gesellschaft von 1914 ist der heutigen sehr ähnlich mit ihren Universitäten, Bibliotheken, Opernhäusern, Theatern und ihrer Literatur, mit ihren Parlamenten, ihren Gerichten und nicht zuletzt mit ihren Großunternehmen und Banken. Der Westen konnte sich damals seiner wirtschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen sowie demokratischen Errungenschaften durchaus rühmen.

    Natürlich war dies lange bevor es das Internet gab, doch das Radio war bereits erfunden und die Printmedien waren schon weit entwickelt, vermutlich vielseitiger und weniger kontrolliert als heute. Kommerzielle Flüge existierten noch nicht, aber man war dank Zügen und Autos bereits sehr mobil. Es war eine gebildete und zivilisierte Gesellschaft, in der zwei Länder in ihrer Blütezeit, Frankreich und Deutschland, beide christlich geprägt und mit den gleichen Grundprinzipien, einen verheerenden Krieg unter Einsatz der Massenvernichtungswaffen jener Zeit begannen. Die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand, dem Thronfolger Österreich-Ungarns, am 28. Juni 1914 in Sarajewo war der Funke, der Europa in Brand setzte und es in ein Räderwerk der Zerstörung stürzte, in dem eine ganze Generation geopfert wurde. Nicht nur materiell, sondern auch moralisch wurde die Zivilisation zugrunde gerichtet, und das zu ihrem angeblichen Wohl. Eine großangelegte Manipulation riss die Massen in die Barbarei, alles unter dem Vorwand der Rettung der Demokratie oder der Nation. Dies bezeugt insbesondere eines der wichtigsten Werke jener Zeit, Die Thibaults, in dem der Autor Roger Martin du Gard seinen Helden sagen lässt:

    «Nie zuvor ist die Menschheit so tief erniedrigt, ihre Intelligenz so rücksichtslos unterdrückt worden!»¹

    Ebenso aufschlussreich für diesen Niedergang der Menschheit ist folgendes Zitat aus dem Roman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque. Der Protagonist seines Romans, ein deutscher Soldat, erzählt:

    «Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie Händler und Notwendigkeiten wie Schlächter. […] Wir sind fürchterlich gleichgültig. […] Wir sind roh und traurig und oberflächlich – ich glaube, wir sind verloren.»²

    Verloren waren sie in ihren Schützengräben – in einem grauenvollen und sinnlosen Kampf. Sind wir es heute nicht auch? Gleichgültigkeit, Verrohung, Tristesse und Oberflächlichkeit können ebenfalls die heute lebenden Generationen charakterisieren, besonders die Söldner des Finanzkrieges.

    Der Trader, Söldner des 21. Jahrhunderts

    Der nachfolgende SMS-Dialog zwischen zwei dieser jungen Söldner unserer Zeit ist in dieser Hinsicht lehrreich:

    – hallo

    – hallo

    – wir sind tot

    – David von CS hat wegen der skew trades angerufen

    – Ich sage dir, die werden uns fertig machen […], heute Abend hast du minimum 600m

    Was kann wohl diese sowohl kriegerische als auch fast schon derbe Sprache zwischen zwei vorgeblich gebildeten Personen bedeuten? Wird hier auf den Tod angespielt? Wessen Tod? Steht 600m für 600 Mordopfer? Nein, es geht um den finanziellen Tod. Die 600m stehen für 600 Millionen Dollar Verlust, der aber im vorliegenden Fall letztendlich circa 6 Milliarden betragen wird. Und sind skew trades Massenvernichtungswaffen? Diese Finanzwetten mit komplexen Derivaten ähneln solchen Waffen tatsächlich nur allzu oft.

    Im Handelsraum der Londoner Bank J. P. Morgan erkennen der Händler Bruno Iksil – wegen des gewaltigen Ausmaßes seiner Finanzspekulationen auch «Wal von London» genannt – und sein Assistent Julien Grout am 23. März 2012, dass ihre gigantischen Finanzwetten dieser Bank Verluste einbringen. Ihr SMS-Austausch drückt ihre Verzweiflung aus. 2011 hatte Iksil noch erfolgreich auf den Konkurs mehrerer amerikanischer Unternehmen gewettet. Diese Wetten sollen J. P. Morgan Gewinne in Höhe von 400 Millionen Dollar beschert haben, davon Boni von 32 Millionen Dollar für Iksil und zwei seiner Vorgesetzten.

    Der Fall Tourre ist ein weiteres Indiz für die Geisteshaltung, die im Milieu der Investmentbanken vorherrscht. Als Absolvent der École Centrale und der Stanford University wurde Fabrice Tourre im Alter von zweiundzwanzig Jahren von der Bank Goldman Sachs eingestellt. Einige seiner E-Mails verwendete die US-Finanzaufsicht SEC im Verfahren gegen die Geschäftsbank, der sie unzulässige Bereicherung auf Kosten der von ihnen getäuschten Kunden vorwarf: Goldman Sachs hatte Kunden zum Kauf von Schuldverschreibungen verleitet, die mit besonders zweifelhaften Hypothekardarlehen besichert waren, während die Bank selbst auf den Verfall derselben Titel spekulierte. Hier ein Beispiel seiner Prosa:

    «Immer mehr Leverage-Effekt im System. Das ganze Gebäude kann jeden Moment zusammenbrechen. […] Wenn ich daran denke, dass ich dieses Produkt mitentworfen habe […], ein Ding, das du erfindest und dir dabei sagst: Und wenn wir ein Ding erfinden, das zu nichts taugt, das bloß ein Konzept und völlig theoretisch ist und dessen Wert keiner einschätzen kann, dann schmerzt es, es mitten im Flug explodieren zu sehen. Es ist ein bisschen wie mit Frankenstein, der sich gegen seinen Erfinder wendet.»³

    Die E-Mail eines anderen jungen Bankers bestätigt diese Geisteshaltung. Ihr Autor ist Jérôme Kerviel, der Wertpapierhändler, welcher der französischen Großbank Société Générale 2007 einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro beschert haben soll. Er wurde inzwischen von der französischen Justiz verurteilt, während sein Arbeitgeber im Großen und Ganzen verschont blieb, obwohl er auch mitverantwortlich für die Ausbreitung dieser Kasino-Wirtschaft und der entsprechenden Mentalität war. Ich zitiere:

    «Den idealen Modus operandi in einem Handelsraum kann man in einem Satz zusammenfassen: Man muss wissen, wie man das größte Risiko eingeht, um der Bank die größtmöglichen Gewinne zu bescheren. Angesichts dieser Regel wiegen die elementarsten Vorsichtsgrundsätze nicht schwer. Bei der großen Geldorgie werden die Trader genauso behandelt wie jede x-beliebige Prostituierte: Eine kurze Anerkennung, dass der Tagesumsatz in Ordnung war.»

    Abschließend macht ein Artikel von Sam Polk, der als Trader für einen spekulativen Fonds tätig war, eine weitere Dimension des Problems deutlich: Für ihn wie für viele seiner Kollegen wird Geld zur Droge. Hier ein Auszug:

    «Während meines letzten Jahres an der Wall Street betrug mein Bonus 3,6 Millionen Dollar und ich war wütend, weil das nicht genug war. Ich war 30 Jahre alt, hatte keine Kinder, keine Schulden abzuzahlen, kein philanthropisches Ziel vor Augen. Ich wollte mehr Geld und zwar aus dem gleichen Grund, wie ein Alkoholiker noch ein Glas braucht. Ich war süchtig.»

    Und er fügt an anderer Stelle hinzu:

    «Nicht nur, dass ich nicht dabei half, Lösungen für die Probleme der Welt zu finden, ich profitierte auch noch davon.»

    Beim Lesen dieser E-Mails und Selbstzeugnisse kristallisieren sich weitere Merkmale der heutigen Gesellschaft heraus. Innerhalb der Finanzsphäre, dem Nervenzentrum der Wirtschaft, überwiegen Käuflichkeit, das Fehlen anderer als finanzieller Werte und ein moralisches Vakuum. Der pure Zynismus desillusionierter, geldsüchtiger junger Leute, die ihre Abschlüsse an den renommiertesten Universitäten erst seit Kurzem in der Tasche haben, wird nicht nur geduldet, sondern von ihren Arbeitgebern stillschweigend gefördert. Hinzu kommt, dass diese Hochschulen sich häufig damit brüsten, die brillanten Köpfe auszubilden, die das Zeug dazu haben, in den Handelsräumen der größten internationalen Banken zu agieren. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen und der Integrität ihrer Absolventen ist für sie nicht wirklich relevant. Dank der massenhaften Einstellung von Wertpapierhändlern, das heißt zu häufig von skrupellosen Söldnern, können sich Großbanken aktiv am gegenwärtigen Finanzkrieg beteiligen, in dem die Wetten der Kasino-Wirtschaft⁶ zu Massenvernichtungswaffen werden,⁷ welche Staaten und Unternehmen erschüttern. Die Menschen, die unter den Folgen dieses Zynismus leiden, sind viele, und ein Großteil der heutigen Generation ist hilflos angesichts einer anscheinend ausweglosen Lage, die geradewegs in die Hoffnungslosigkeit führt.

    Ein Krieg ohne Grenzen

    Heute wird die europäische Jugend nicht mehr massenhaft in Schützengräben oder auf Schlachtfeldern getötet. Stirbt heute jemand vor der Zeit, dann bei einem Verkehrsunfall oder durch Selbstmord.⁸ Und doch wird unsere Jugend in einen Krieg anderer Art hineingezogen, in den Finanzkrieg, und sie spürt die Folgen am meisten. Die Jugendlichen leiden unter Depressionen⁹, Alkoholabhängigkeit¹⁰ und Übergewicht – das sind allesamt Begleiterscheinungen der Not und Verzweiflung. Wovor fürchten sie sich? Vor der Zukunft und vor Gefahren wie Arbeitslosigkeit und Unsicherheit, die durch die finanzielle Instabilität bedingt sind. Die heutige junge Generation wird durch die Medien abgestumpft, die zumeist Belangloses als wichtig darstellen und wichtige Themen, wenn überhaupt, in belangloser Form abhandeln. Da den Jungen die Einsichten fehlen, um zu erkennen, worum es wirklich geht, erscheint ihnen die Zukunft allzu oft düster und somit beunruhigend. Eine massive Unterbeschäftigung¹¹ hat sich in unserer Gesellschaft eingenistet, und die Folgen sind immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse sowie die Ausgrenzung von ganzen Teilen der Bevölkerung. In der Praxis bedeutet dies, Schwierigkeiten zu haben, sich ein Leben aufzubauen und eine Perspektive zu haben. Tatsächlich ist das erneute Wachstum nicht in der Lage, die Wirtschaft zu stabilisieren und massiv nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen.

    Insgesamt hat die Finanzkrise weltweit mehr als 30 Millionen zusätzliche Arbeitslose¹² hervorgebracht, diejenigen nicht eingerechnet, die in den offiziellen Statistiken nicht auftauchen. Diese Tendenz ist umso akzentuierter, als die Erhöhung der Arbeitsproduktivität im aktuellen Kontext des begrenzten Wachstums zu häufig dazu führt, die Unterbeschäftigung zu steigern, anstatt mehr Freizeit zu

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