Die Argonauten: Jagd nach dem Goldenen Vlies (Mit Illustrationen)
Von Gustav Schwab und Apollonios von Rhodos
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Buchvorschau
Die Argonauten - Gustav Schwab
Vorbemerkung des Herausgebers
Die Argonautensage ist eine der ältesten Erzählungen der griechischen Mythologie, und bereits Homer nimmt in seinen Epen Ilias und Odyssee Bezug darauf. Ihren Ursprung hat die Sage im Machtkampf um das griechische Königreich Thessalien: König Pelias will Iason (Jason), den Sohn seines Bruders aus dem Weg räumen, denn er sieht seine Macht durch ihn bedroht. Er verspricht seinem Neffen den Thron, wenn es diesem gelingt, das Goldene Vlies, das sagenhaft wertvolle Fell des Widders Chrysomallos vom Ende der Welt in die Heimat zurückzuholen. Pelias rechnet damit, dass dies eine Reise ohne Wiederkehr sein würde.
Iason fordert die berühmtesten Heroen Griechenlands zur Teilnahme an dem Unternehmen auf, viele davon Vorfahren der Helden, die später in der Ilias und Odyssee zu Hauptfiguren werden. Die Gefährten werden nach ihrem sagenhaft schnellen Schiff, der Argo, die Argonauten genannt. Nach vielen Abenteuern, Prüfungen und Kämpfen gelangen sie nach Kolchis am östlichen Ende des Schwarzen Meers, mit den Ziel, das Goldene Vlies seinem Besitzer, dem König Aietes abzuringen ... Währenddessen fasst Pelias, der die Argonauten auf die Reise geschickt hatte, einen neuen bösen Plan ...
Hintergrund des Mythos ist, dass im goldreichen Kolchis, dem im heutigen Georgien gelegenen Gebiet am Kaukasus, Schaf-Felle verwendet wurden, um Goldstaub aus den Flüssen zu waschen. Die Goldschmiedekunst war in dieser Region bereits in der Antike hoch entwickelt – selbst feinste Gewebe aus Goldfäden konnten dort hergestellt werden. Der Höhepunkt dieser Kultur lag im 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr.
© Redaktion eClassica, 2017
Die Argonauten: Jagd nach dem Goldenen Vlies
Iason und Pelias
Von Aison, dem Sohne des Kretheus, stammte Iason ab. Sein Großvater hatte in einer Bucht des Landes Thessalien die Stadt und das Königreich Iolkos gegründet und dasselbe seinem Sohne Aison hinterlassen. Aber der jüngere Sohn, Pelias, bemächtigte sich des Thrones; Aison starb, und Iason, sein Kind, war zu Chiron dem Zentauren, dem Erzieher vieler großer Helden, geflüchtet worden, wo er in guter Heldenzucht aufwuchs. Als Pelias schon alt war, wurde er durch einen dunkeln Orakelspruch geängstigt, welcher ihn warnte, er solle sich vor dem Einschuhigen hüten. Pelias grübelte vergeblich über dem Sinne dieses Worts, als Iason, der jetzt zwanzig Jahre den Unterricht und die Erziehung des Chiron genossen hatte, sich heimlich aufmachte, nach Iolkos in seine Heimat zu wandern und das Thronrecht seines Geschlechtes gegen Pelias zu behaupten.
Nach Art der alten Helden war er mit zwei Speeren, dem einen zum Werfen, dem andern zum Stoßen, ausgerüstet; er trug ein Reisekleid und darüber die Haut von einem Panther, den er erwürgt hatte; sein unbeschorenes Haar hing lang über die Schultern herab. Unterwegs kam er an einen breiten Fluss, an dem er eine alte Frau stehen sah, die ihn flehentlich bat, ihr über den Strom zu helfen. Es war die Göttermutter Hera, die Feindin des Königes Pelias. Iason erkannte sie in ihrer Verwandlung nicht, er nahm sie mitleidig auf die Arme und watete mit ihr durch den Fluss. Auf diesem Wege blieb ihm der eine Schuh im Schlamme stecken. Dennoch wanderte er weiter und kam zu Iolkos an, als sein Oheim Pelias gerade mitten unter dem Volke auf dem Marktplatze der Stadt dem Meeresgotte Poseidon ein feierliches Opfer brachte. Alles Volk verwunderte sich über seine Schönheit und seinen majestätischen Wuchs. Sie meinten, Apollo oder Ares sei plötzlich in ihre Mitte getreten.
Jetzt fielen auch die Blicke des opfernden Königes auf den Fremdling, und mit Entsetzen bemerkte er, dass nur der eine Fuß desselben beschuhet sei. Als die heilige Handlung vorüber war, trat er dem Ankömmling entgegen und fragte ihn mit verheimlichter Bestürzung nach seinem Namen und seiner Heimat. Iason antwortete mutig, doch sanft: er sei Aisons Sohn, sei in Chirons Höhle erzogen worden und komme jetzt, das Haus seines Vaters zu schauen. Der kluge Pelias empfing ihn auf diese Mitteilung freundlich und ohne seinen Schrecken merken zu lassen. Er ließ ihn überall im Palaste herumführen, und Iason weidete seine Augen mit Sehnsucht an dieser ersten Wohnstätte seiner Jugend. Fünf Tage lang feierte er hierauf das Wiedersehen mit seinen Vettern und Verwandten in fröhlichen Festen.
Am sechsten Tage verließen sie die Zelte, die für die Gäste aufgeschlagen waren, und traten miteinander vor den König Pelias. Sanft und bescheiden sprach Iason zu seinem Oheim: »Du weißt, o König, dass ich der Sohn des rechtmäßigen Königes bin und alles, was du besitzest, mein Eigentum ist. Dennoch lasse ich dir die Schaf- und Rinderherden und alles Feld, das du meinen Eltern entrissen hast; ich verlange nichts von dir zurück als den Königzepter und den Thron, auf welchem einst mein Vater saß.«
Pelias war in seinem Geiste schnell besonnen. Er erwiderte freundlich: »Ich bin willig, deine Forderung zu erfüllen, dafür sollst aber auch du mir eine Bitte gewähren und eine Tat für mich ausrichten, die deiner Jugend wohl ansteht und deren mein Greisenalter nicht mehr fähig ist. Denn mir erscheint seit lange in nächtlichen Träumen der Schatten des Phrixos und verlangt von mir, ich solle seine Seele zufrieden stellen, nach Kolchis zum Könige Aietes reisen und von da seine Gebeine und das Vlies des goldenen Widders zurückholen. Den Ruhm dieser Unternehmung habe ich dir zugedacht. Wenn du mit der herrlichen Beute zurückkehrst, sollst du Reich und Zepter in Besitz nehmen.«
Pelias schickt Iason auf die Reise
Anlass und Beginn des Argonautenzuges
Mit dem Goldenen Vliese aber verhielt es sich so: Phrixos, ein Sohn des böotischen Königs Athamas, hatte viel von der Nebengattin seines Vaters, seiner bösen Stiefmutter Ino, zu dulden. Um ihn vor ihren Nachstellungen zu bewahren, raubte ihn, mit Hilfe seiner Schwester Helle, die eigene Mutter Nephele. Sie setzte die Kinder auf einen geflügelten Widder, dessen Vlies oder Fell von gediegenem Golde war und welchen sie von dem Gotte Hermes zum Geschenk erhalten hatte. Auf diesem Wundertiere ritten Bruder und Schwester durch die Luft über Land und Meere hin.
Phrixos und Helle
Unterwegs wurde das Mägdlein von Schwindel überwältigt. Sie fiel in die Tiefe und fand ihren Tod in dem Meere, das von ihr den Namen Helles Meer oder Hellespontos erhielt. Phrixos kam glücklich in das Land der Kolchier an der Küste des Schwarzen Meeres. Hier wurde er von dem Könige Aietes gastfreundlich aufgenommen, der ihm eine seiner Töchter zur Gattin gab. Den Widder opferte Phrixos dem Zeus, dem Beförderer der Flucht; sein Vlies gab er dem Könige Aietes zum Geschenk. Dieser weihte dasselbe dem Ares und befestigte es mit Nägeln im einem Haine, der diesem Gott geheiligt war. Zur Bewachung des Goldenen Vlieses bestellte Aietes einen ungeheuren Drachen; denn ein Schicksalsspruch hatte sein Leben vom Besitze dieses Widderfelles abhängig