Was das Sonntagskind erlauscht
Von Else Ury
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Buchvorschau
Was das Sonntagskind erlauscht - Else Ury
Else Ury
Was das Sonntagskind erlauscht
Erzählungen und Märchen für Kinder im Alter von 6-9 Jahren
Saga
Was das Sonntagskind erlauscht
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1905, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726883794
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Das Sonntagskind
Droben in dem schimmernden Feenreiche, da sitzen in einem lichtfunkelnden Saale all' die guten Feen und schauen mit lächelndem Blick auf die Menschen herab. Und jedesmal, wenn ein Sonntagskind auf die Welt kommt, dann schwebt eine von ihnen zur Erde hinunter und legt dem neugeborenen Kindlein ein Feengeschenk in die Wiege. Das Leben des Kindes aber wird durch die Gabe der guten Fee froh und glücklich, und die anderen Menschen sagen dann: »Es ist eben ein Sonntagskind!«
An einem schönen, klaren Sonntag war's, die Glocken läuteten gar feierlich durch das Land, da schlug wieder einmal ein Kindlein zum ersten Male die strahlenden Augen auf. Und in der Nacht schwebte lautlos aus dem Feenreiche eine lichte Feengestalt, das Märchen genannt, zu der Wiege des neugeborenen Mägdleins herab. Sie neigte sich über das schlummernde Sonntagskind und küßte seine Stirn. Dann nahm die liebliche Fee den Märchenschleier, den sie aus glitzernden, bunten Fäden gesponnen, und warf ihn über das schlafende Mägdlein. Das war die Gabe der Märchenfee; mit goldenen Schwingen flog sie wieder in das Feenreich zurück.
Das Sonntagskind aber wuchs heran, und der Märchenschleier wand sich, unsichtbar den Blicken der Menschen, um sein Blondköpfchen. Mit träumerischen Blauaugen blickte das kleine Mädchen durch das zarte Schleiergewebe in die Welt hinein.
Ach, was sah und hörte das Sonntagskind nicht alles durch seinen Märchenschleier; wenn die anderen Kinder im lauten Spiele durch die Gasse tobten, dann lehnte das Sonntagskind abseits unter der großen Linde, und der durch die Blätter streichende Wind säuselte ihr ins Ohr:
»Was leise flüstert der Abendwind,
Das hörst nur du, du Sonntagskind!«
Und er erzählte der lauschenden Kleinen die herrlichsten Märchen; was hatte der Wind, der durch so viele, viele Länder wehte, nicht alles geschaut und erlebt! –
Mittags, wenn die liebe Sonne in das Stübchen flimmerte und Millionen kleiner, goldener Sonnenstäubchen durch die Luft schwirrten, dann griffen wohl auch die anderen Kinder nach den leuchtenden Goldstäubchen; aber nur das Sonntagskind sah durch seinen Märchenschleier, daß das gar keine Stäubchen waren, sondern winzige, goldene Engelchen, die auf den glitzernden Sonnenstrahlen gar lustig auf die Erde herabritten.
Und der Mann im Monde sandte des Abends, wenn das Sonntagskind in seinem Bettchen lag, die silbernen Mond-Elfchen zu ihm herab, die sangen dem kleinen Mädchen die schönsten Märchen ins Ohr.
Von den funkelnden Sternlein tanzten glitzernde Sternschnuppen vom nächtlichen Himmel hernieder, und es tönte leise ins Ohr des Mägdleins:
»Was die Sonne, der Mond und die Sternlein geschaut,
Nur dir, dem Sonntagskind, sei es vertraut!« –
Am heißen Sommertage lag das Sonntagskind an der kühlen Waldquelle und lauschte dem Märchen, das der geschwätzige Quell murmelte, von den Wassernixen, die unten auf dem Grunde im kristallnen Palaste hausen. –
Wenn im Frühling die Störche und Schwalben aus heißen Ländern heimkehrten, dann erzählten sie dem Sonntagskinde, was sie auf der weiten Reise geschaut. Und der Storch klapperte, und die Schwalbe zwitscherte:
»Gar viel haben wir in der Ferne geseh'n,
Du, Sonntagskind, nur kannst uns versteh'n!« –
Im Winter aber, wenn der Schnee in dichten Flocken zur Erde herabwirbelte, und die Kinder unter Lachen und Jauchzen den grimmigen Schneemann bauten, dann preßte das Sonntagskind sein Blondköpfchen gegen die Fensterscheibe, schaute in das lustige Schneetreiben hinaus, und die herniedertanzenden Flocken erzählten dem kleinen Mädchen von dem bläulich funkelnden Eispalast droben in den Wolken, und durch ihren Märchenschleier erblickte es die schimmernde Eiskönigin in ihrem glitzernden Eiszapfengewande. –
Die allerschönsten Märchen aber wußte das flackernde Kaminfeuer der Kleinen zu berichten, – hei! – wie das knisterte und prasselte, und atemlos lauschte das Sonntagskind den Märchen, die das knatternde Holz aus Wald und Heide erzählte. Aus den Flammen zischte es zu dem Mägdlein empor:
»Was ich schaut' in der Heide auf Waldesmoos,
Du Sonntagskind vernimmst es bloß!« –
So wuchs das Sonntagskind heran, und all' die schönen Märchen, die es durch seinen Märchenschleier geschaut und erlauscht, hat es niedergeschrieben, daß sich auch all' die anderen Kinder auf der Welt daran freuen sollen.
»Und für euch Kleinen erzählt jetzt geschwind
Die schönsten Märchen das Sonntagskind!«
Naschkätzchen
»So – Elschen – du sollst auch bei Papas Geburtstagstorte helfen, geschwind, reibe mir die Mandeln auf dem kleinen Reibeisen,« sagte die Mutter lächelnd, der Kleinen eine große Tüte mit süßen Mandeln zuschiebend.
Mit leuchtenden Blicken machte sich Elschen an die Arbeit. Ei, wie schön das ging – lustig sprangen die weißen und braunen Mandelflöckchen in den Napf.
Ob sie wohl schön süß waren? – Elschen machte begehrliche Augen; ach – wenn Muttchen sich doch nur einmal umdrehen wollte! Muttchen aber drehte sich nicht um, ein Ei nach dem anderen schlug sie in die duftende Kuchenmasse und knetete sie mit dem weißen Mehl zusammen.
Elschens eben noch so fröhliches Gesicht wurde mit einem Male ganz brummig; verdrossen rieb sie die Mandelkerne, die lustige Arbeit machte ihr auch kein bißchen Spaß mehr – wenn sie doch nur heimlich eins der hübschen, braunen Kernchen in den Mund spazieren lassen könnte! Aber die liebe Mutter, die ihr doch sicherlich gern eine Mandel geschenkt hätte, darum zu bitten, das fiel dem kleinen Mädchen nicht ein.
»Anna, ist der Backofen auch gut heiß?« fragte die Mutter und wandte sich prüfend dem Herde zu. Schwapp – hatte Elschen eine große Mandel in den Mund geschoben. Doch da – in der Hast kam das Fingerchen zu dicht an das Reibeisen.
»Au« – schrie Elschen und lief bitterlich weinend zur Mutter. Tröstend verband die gute Mutter das blutende Fingerchen; sie sah nicht Elschens verlegenes Gesicht, als sie ihr als Schmerzensgeld zwei wunderschöne, braune Mandeln schenkte. Die Kleine durfte zusehen, wie die großen und die kleinen Rosinen in den Teig gerührt wurden; das sah hübsch aus, fast wie wenn die dunklen Spatzen im Winter auf dem weißen, beschneiten Gärtchen draußen hockten.
Doch als sich die Mutter umwandte, um die Form auszuschmieren, da konnte es sich das naschhafte, kleine Mädchen nicht versagen, ganz geschwind das gesunde Fingerchen in den Teig zu tauchen und eine Rosine herauszufischen.
Die Torte war fix und fertig; eine große »Vierzig«, aus Teig geformt, prangte in der Mitte, denn morgen wurde der liebe Vater ja vierzig Jahre alt. –
Braun und knusprig, über und über mit Zucker bestreut, stand die prächtige Torte neben all den anderen schönen Gaben am nächsten Morgen auf dem Geburtstagstisch; die Mutter war hinausgegangen, um den Vater zur Bescherung hineinzurufen. Mit sehnsüchtigen Augen stand Elschen vor der Torte. Auf dem Boden neben ihr spielte ihr kleines, weißes Kätzchen Mimi, dem sie zu Ehren des Geburtstages ein blaues Seidenschleifchen umgebunden hatte.
Ach, wie herrlich duftete doch die Torte!
Elschens Finger kamen der Vierzig bedenklich nahe – nur ein ganz kleines Stückchen – Vater würde es ja nicht merken! Hei, wie schön das schmeckte! Noch ein ganz klein wenig – wieder näherte sich das Kinderhändchen der Torte – und noch einmal – da war die Vier ganz und gar in Elschens Mund verschwunden; einsam thronte die Null auf der Geburtstagstorte. Entsetzt schaute Elschen auf das zerstörte Backwerk – nein – so ging es nicht, nun mußte die Null auch schon herunter. Da – hörte sie Schritte – o weh, die Eltern kamen – mit zitternden Fingern riß Elschen hastig nun auch noch die Null von dem Kuchen und ließ sie geschwind in die Tasche ihres Kleidchens gleiten.
Sie wagte dem guten Vater, der sein Töchterchen liebevoll in die Arme schloß, kaum in die Augen zu blicken, scheu sah sie zu, wie die Mutter ihn freudestrahlend an den Geburtstagstisch und zu der selbstgebackenen Torte führte.
Aber ach – wie sah dieselbe aus! Die Vierzig fehlte, und ein großes Stück war aus der Mitte herausgerissen. Betrübt schaute die Mutter auf ihr verdorbenes Geschenk. Tränen des Ärgers traten ihr in die Augen, da fiel ihr Blick auf das harmlos auf dem Fußboden herumspielende Kätzchen.
»Das war gewiß wieder Mimi, das naschhafte Kätzchen,« rief sie ärgerlich; denn daß ihr Töchterchen ihr die Freude so gestört haben könnte, das kam der guten Mutter nicht in den Sinn.
Sie griff zu dem Rohrstock – und hui – da sausten die Schläge auf das arme, unschuldige Kätzchen herab. Jämmerlich miaute Mimi – Elschen aber schwieg, sie wagte es nicht, ihre Schuld einzugestehen; doch als das Kätzchen sie gar so vorwurfsvoll anblickte, da begannen Elschens Tränen zu fließen.
»Wie weichherzig das Kind ist,« sagte die Mutter zum Vater, »nun weint sie, daß ich das böse Kätzchen für seine Naschhaftigkeit bestrafe.«
Und Elschen – schwieg weiter, aber die Geburtstagsfreude hatte sie sich gründlich verdorben! – – –
»Komm', mein Kind, du sollst dem kranken Nählieschen ein Gläschen von unseren schönen, eingemachten Kirschen hintragen,« sprach die Mutter eines Tages zu Elschen, »die werden sie ein wenig erquicken. Geschwind, laß dir ein reines, weißes Schürzchen vorbinden und bestelle dem armen Nählieschen einen schönen Gruß.«
Elschen machte sich auf den Weg.
Es war ein prächtiger Sommertag, golden flimmerte die Sonne hernieder; ein linder Wind jagte die weißen Lämmerwölkchen am blauen Himmelszelt lustig vor sich her.
Nählieschen wohnte nicht weit, nur durch den schönen, schattigen Park mußte Elschen gehen, dann kam sie zu den kleinen, armseligen Häusern draußen in der Vorstadt, wo die arme Näherin krank daniederlag.
Elschen ließ sich Zeit, es war herrlich im Park, vorsichtig trug sie ihr Gläschen mit Kirschen vor sich her. Wie die Sonnenstrahlen auf dem Gläschen spielten und glitzerten, wie verlockend die roten Kirschen im Sonnenlicht zu Elschen emporleuchteten!
Das Naschkätzchen konnte nicht widerstehen!
Eine Kirsche nach der anderen wanderte in ihren Mund – wie süß und saftig sie schmeckten – wie erquickend mußte nun erst der schöne Saft von den Kirschen sein!
Kein Mensch ringsherum – nur die Schwäne auf dem Teich machten lange Hälse und schauten dem Naschkätzchen erstaunt zu. Da nahm Elschen das Glas schnell an den Mund – einen großen Schluck – ach – da lief der rote Saft an dem weißen Schürzchen herunter, erschreckt hielt Elschen im Naschen inne.
Was nun?
So durfte sie nicht nach Hause kommen, da merkte die Mutter gleich, daß sie genascht hatte. Elschen wußte sich zu helfen. Flink band sie das Schürzchen ab und warf es in den Teich, lustig schwamm es davon, und argwöhnisch sahen die Schwäne auf das seltsame Ding.
Elschen aber lief weiter zum Nählieschen, und beschämt mußte sie den warmen Dank der armen Kranken für die schönen Kirschen, von denen sie doch die Hälfte fortgenascht hatte, über sich ergehen lassen.
Muttchen merkte nicht, daß Elschen sich heimlich zu Hause ein anderes Schürzchen umband; aber als die alte Waschfrau das nächste Mal die Wäsche brachte, da vermißte die Mutter das weiße Schürzchen.
Hoch und heilig versicherte die Frau, es sei nicht bei der Wäsche gewesen; aber die Mutter, die das Schürzchen nirgends sah, mußte doch glauben, daß die Waschfrau es entwendet habe. Die arme Frau bekam keine Arbeit mehr – und Elschen schwieg wieder dazu. – –
»Ich weiß gar nicht, wo das Schokoladenpulver immer bleibt,« sagte Köchin Anna unwirsch, als sie das Morgengetränk für den Vater kochte.
Elschen wußte es, wo es geblieben war; jeden Morgen, wenn Anna auf den Markt einkaufen ging, stattete Elschen der Schokoladentüte einen längeren Besuch ab.
Auch heute war sie noch vor der Schule heimlich in die Küche hinausgehuscht; vorsichtig, daß die Tür nicht knarrte, öffnete sie den Vorratsschrank.
Heut' lagen gar zwei Schokoladentüten nebeneinander; flink griff Elschen in die eine und stopfte, so viel nur hineingehen wollte, von dem bräunlichen Pulver in den Mund.
Pfui – wie schmeckte das! Elschen würgte und würgte, aber sie hatte den größten Teil schon hinuntergeschluckt. Da fing sie jämmerlich an zu weinen; das war ja gar kein Schokoladenpulver, das war sicherlich Gift!
»Ach – Mutter – liebstes Muttchen – ich muß sterben!« laut schreiend lief sie zu der erschreckten Mutter.
Jammernd und sich vor Angst windend, beichtete sie, daß sie genascht, und die entsetzten Eltern stellten aufatmend fest, daß Elschen an die Tüte mit – Putzpulver geraten war. Trotzdem das Pulver nicht giftig war, sandte man sofort zum Arzt. Wimmernd lag Elschen im Bett.
»Lieber Gott,« betete sie, »laß mich doch nur nicht sterben, ich will ja in meinem ganzen Leben nicht wieder naschen!«
Der Doktor gab Elschen ein Brechpulver, und dann mußte sie im Bett liegen und konnte am nächsten Tage nicht mit auf das schöne Gut zu Großpapa, worauf sie sich doch so gefreut hatte.
Das war ihre gerechte Strafe!
Aber der lieben Mutter beichtete Elschen ganz leise, wer die Vierzig von Vaters Geburtstagstorte fortgenascht hatte, und wohin das weiße Schürzchen verschwunden war.
Da weinte die Mutter bittere Tränen über ihre mißratene, kleine Tochter, und das tat Elschen viel, viel weher als die ärgsten Schläge.
Elschen hat ihr Wort gehalten; in ihrem ganzen Leben hat sie nicht wieder genascht – das Naschkätzchen war gründlich kuriert.
Das Regenbogenprinzesschen
Wo das Meer in wilden Wogen an den sandigen Strand brandet, weit, weit fort, stand eine einsame Fischerhütte.
Dort wohnte ein armer Fischer mit seinem Weibe und seiner kleinen Pflegetochter Edda. Jede Nacht fuhr er mit seinem Kahne ins brausende Meer hinaus und kehrte gegen Morgen mit vollen Netzen wieder heim, darin krabbelten große und kleine Seefische, die trug dann seine liebe Frau zum Verkauf in die Stadt. So lebten sie schlecht und recht.
Die kleine Edda mußte mit ihren zarten Fingerchen die groben Netze ausbessern, barfuß mußte sie an dem nassen Strand dahinlaufen und große Muscheln und bunte Steinchen suchen, die das Meer herangeschwemmt hatte. In den langen Winterabenden klebte sie dieselben auf rote Kästchen und trug sie dann im Sommer, wenn die Badegäste in das nahgelegene Seebad eingekehrt, zum Verkauf.
Ein jeder schaute wohl dem seltsam schönen Kinde mit dem durchsichtigen, weißen Gesichtchen, in dem die veilchenblauen Augen sternengleich strahlten, und dem wehenden, schimmernden Goldhaar verwundert nach; wie kamen die einfachen Fischersleute zu solch einem Töchterchen?
Vor acht Jahren war's, bei der großen Sturmflut, das Meer raste und toste, schaurig brauste und heulte der Wind in den Lüften.
Da legte sich mit einem Male der Sturm, trotz des noch strömenden Regens brach die Sonne golden durch – ein wunderbarer, farbensatter Regenbogen spannte sich über das Meer.
An dem Ufer aber in dem weißen Sande fand die Fischersfrau ein kleines, rosiges Mägdlein von etwa zwei Jahren, das weinte; ein feines, goldenes Kettchen trug es um den Hals – keiner wußte, woher das Kind gekommen. Das war die kleine