Musikgeschichten der Bibel
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Buchvorschau
Musikgeschichten der Bibel - Stephan A. Reinke
Musik im Himmel und auf Erden
Einmal im Jahr werden sie herausgeholt: kleine Engelsfiguren aus Holz, fein geschnitzt, viele von ihnen haben ein Musikinstrument in der Hand. Mit ganzen Engelsorchestern können manche Haushalte aufwarten und nehmen damit die Vorstellung auf, dass zumindest einem Teil der himmlischen Heerscharen vornehmlich musikalische Aufgaben zukommt. In Literatur und Malerei begegnen uns immer wieder musizierende Engel. Dass Engel singen – und zwar schön –, steht außer Frage. Sie verstehen ihr Handwerk. Und ihr Geschmack ist erlesen. Ob sie wirklich – wie der Theologe Karl Barth in Wolfgang Amadeus Mozart meinte – Mozarts Musik bevorzugen? Oder – »eia, eia« (EG 70,5) – lallen sie vielleicht eher? Vielleicht klingt ihre Musik ja auch für jeden anders, gerade so, wie man es braucht?
So weit unsere Vorstellung von himmlischer Musik. Ein Blick in die Bibel zeigt aber noch eine andere Seite. Das wenige, was wir dort über die Musik der Engel konkret erfahren, ist keineswegs nur gefällig. Richtig harmonisch wird der Posaunenschall, mit dem die Engel zum Jüngsten Gericht rufen, wohl nicht sein. Und auch bei Ezechiël stellt sich die himmlische Klangkulisse nicht so dar, wie wir uns musikalischen Wohlklang vorstellen: Sie ist beherrscht vom »Rauschen der Flügel«, das »wie die Brandung des Meeres, wie ein Heerlager, wie die Donnerstimme des allmächtigen Gottes« dröhnt (Ezechiël 1,24). Das muss nicht unbedingt Missklang bedeuten, aber man merkt doch: Engelsmusik ist nicht nur Harfenglissando und Gesäusel.
Entsprechend vielfältig sind die Versuche, Engelsmusik nachzuahmen. So unklar ihre konkrete klangliche Gestalt, so inspirierend ist offenbar die Vorstellung, dass Engel musizieren und wir als Menschen es ihnen darin gleichtun können. Wer Musik auf Erden macht, der orientiert sich vielleicht auch an himmlischen Vorbildern. Eduard Mörike dichtete: »Wer sich die Musik erkiest, / hat ein himmlisch Gut bekommen. / Denn ihr erster Ursprung ist / von dem Himmel selbst genommen, / weil die Engel insgemein / selbsten Musikanten sein.« (Altes Verslein, vertont in Hugo Distlers Mörike-Chorliederbuch)
Das Singen auf Erden als Abbild, Aufnahme und Weiterführung der himmlischen Kantorei ist ein wesentlicher Impuls für jedes kirchenmusikalische Tun. Weit verbreitet ist die Idee einer gemeinsamen himmlischen und irdischen Liturgie: Menschen und Engel musizieren gemeinsam und preisen auf diese Weise ihren Schöpfer – im Himmel und auf Erden.
Heilig, heilig, heilig
Jesajas Vision
Nur wenige haben – vom sprichwörtlichen Sinn einmal abgesehen – bisher Engel singen hören. Einer von ihnen war Jesaja. Wohl während eines Gottesdienstes im Jerusalemer Tempel ereilt ihn eine Vision von Gottes Herrlichkeit. Teil der sich ihm eröffnenden Szenerie ist eine Schar Feuerwesen mit jeweils sechs Flügeln – die sogenannten Serafen, keine Engel im landläufigen Sinn, sondern kaum fassbare Mischwesen, denen offenbar die Aufgabe zukommt, Gottes Größe unaufhörlich zu preisen. Im biblischen Text ist dieser Lobpreis zwar als ein »Rufen« beschrieben, doch wie anders als gesungen kann man sich ihr »Heilig, heilig, heilig« vorstellen?
Beeindruckend jedenfalls wird es gewesen sein. Jesaja hat es nicht mehr losgelassen. Sein ganzes prophetisches Tun ist geprägt von dieser Erfahrung. Und seit dem 5. Jahrhundert stimmen wir in diesen Gesang der Engel ein, wenn wir Abendmahl feiern. Im »Sanctus« des Gottesdienstes berühren sich musikalisch Himmel und Erde. Engelsgesang und Menschengesang werden eins. (Jesaja 6)
Es war in dem Jahr, als König Usija starb. Da sah ich den Herrn; er saß auf einem sehr hohen Thron. Der Saum seines Mantels füllte den ganzen Tempel. Er war umgeben von mächtigen Engeln. Jeder von ihnen hatte sechs Flügel; mit zweien bedeckte er sein Gesicht, mit zweien den Leib, zwei hatte er zum Fliegen.
Die Engel riefen einander zu:
»Heilig, heilig, heilig ist der HERR,
der Herrscher der Welt,
die ganze Erde bezeugt seine Macht!«
Von ihrem Rufen bebten die Fundamente des Tempels und das Haus füllte sich mit Rauch.
Vor Angst schrie ich auf: »Ich bin verloren! Ich bin unwürdig, den HERRN zu preisen, und lebe unter einem Volk, das genauso unwürdig ist. Und ich habe den König gesehen, den Herrscher der Welt!«
Da kam einer der mächtigen Engel zu mir geflogen. Er hatte eine glühende Kohle, die er mit der Zange vom Altar genommen hatte. Damit berührte er meinen Mund und sagte: »Die Glut hat deine Lippen berührt. Jetzt bist du von deiner Schuld befreit, deine Sünde ist dir vergeben.«
Dann hörte ich, wie der Herr sagte: »Wen soll ich senden? Wer ist bereit, unser Bote zu sein?«
Ich antwortete: »Ich bin bereit, sende mich!«
Da sagte er: »Geh und sag zu diesem Volk: ›Hört nur zu, ihr versteht doch nichts; seht hin, so viel ihr wollt, ihr erkennt doch nichts!‹ Rede zu ihnen, damit ihre Herzen verstockt werden, ihre Ohren verschlossen und ihre Augen verklebt, sodass sie mit ihren Augen nicht sehen, mit ihren Ohren nicht hören und mit ihrem Verstand nicht erkennen. Ich will nicht, dass sie zu mir umkehren und geheilt werden.«
»Wie lange soll das dauern, Herr?«, fragte ich.
Der HERR antwortete: »Bis die Städte zerstört sind und die Häuser leer stehen und das ganze Land zur Wüste geworden ist. Ich werde die Menschen fortschaffen und das Land wird leer und verlassen sein. Und ist noch ein Zehntel übrig, so wird es ihnen gehen wie den Trieben, die aus dem Stumpf einer gefällten Eiche oder Terebinthe wachsen: Sie werden abgefressen!«
Der Stumpf aber bleibt und aus dem Stumpf wird neues Leben sprossen zu Gottes Ehre.
Das große Gotteslob
Psalm 148
»Erd und Himmel sollen singen, von dem Herrn der Herrlichkeit«, so heißt es in einem neueren Kirchenlied (EG 499,1).
Gottes Herrlichkeit ruft auf zum Lobpreis. Dieser Gedanke bestimmt auch Psalm 148. Alle Welt soll Gott ein »Halleluja« singen: die himmlischen Mächte ebenso wie die Geschöpfe unten auf der Erde. Durch diesen Gesang werden alle eins: Mensch und Natur, Männer und Frauen, Alt und Jung. Ja sogar vermeintlich destruktive Kräfte werden einbezogen: Ungeheuer im Meer, Blitze, Hagel, Schnee und Stürme.
Lobpreis, wohin man hört! Allumfassend und selbstverständlich und unaufgebbar. Rechter Glaube zeigt sich so auch musikalisch. Alles, was ist, ist zum Singen aufgerufen: Engel, Sonne, Mond, Sterne, Natur, Mensch und Tier. Jeder Einzelne. Immer und immer wieder. (Psalm 148)
H
alleluja – Preist den HERRN!
Preist den HERRN, alle seine Geschöpfe,
preist ihn droben im Himmel!
Lobt ihn, alle seine Engel!
Lobt ihn, ihr himmlischen Mächte!
Lobt ihn, Sonne und Mond!
Lobt ihn, ihr leuchtenden Sterne!
Lobt ihn, ihr Weiten des Himmels
und ihr Gewässer über dem Himmelsgewölbe!
Sie alle sollen den HERRN rühmen,
denn sein Befehl rief sie ins Dasein.
Er stellte sie für immer an ihren Platz
und setzte ihnen eine Ordnung,
die sie niemals übertreten dürfen.
Preist den HERRN, alle seine Geschöpfe,
preist ihn unten auf der Erde!
Lobt ihn, ihr Ozeane,
ihr Ungeheuer im Meer!
Lobt ihn, Blitze, Hagel, Schnee und Wolken,
ihr Stürme, die ihr seinen Befehl ausführt!
Lobt ihn, ihr Berge und Hügel,
ihr Obstbäume und Wälder!
Lobt ihn, wilde und zahme Tiere,
ihr Vögel und alles Gewürm!
Lobt ihn, ihr Könige und alle Völker,
ihr Fürsten und Mächtigen der Erde!
Lobt ihn, ihr Männer und Frauen,
Alte und Junge miteinander!
Sie alle sollen den HERRN rühmen!
Denn sein Name allein ist groß;
der Glanz seiner Hoheit
strahlt über Erde und Himmel.
Sein Volk Israel steht ihm nahe;
durch ihn ist es groß und mächtig geworden.
Darum bleibt es ihm treu und preist ihn!
Preist den HERRN – Halleluja!
Musikalische Gottesbegegnung
Die Einweihung des Tempels
Musik wird in vielen Religionen genutzt als ein Mittel, um spirituelle Erfahrungen zu machen. Wer musiziert, so scheint es, der öffnet sich für Neues, begibt sich heraus aus dem Alltag, erkundet sich und seine Umwelt – und kann auf diesen Erkundungsgängen auch Gott spüren. »Bei einer andächtigen Musik ist allezeit Gott mit seiner Gnadengegenwart« – diese Worte hat Johann Sebastian Bach in seine Bibel notiert. An einer Stelle, wo musikalisch Großes geschieht:
Zur Einweihung des von Salomo errichteten Tempels in Jerusalem wurde ein Gottesdienst gefeiert mit großem Tamtam. Alle Priester, alle Tempelsänger mit ihren Becken, Lauten, Harfen und Trompeten sangen und musizierten gemeinsam. Chaotisch hätte dies werden können, aber: »Es klang wie aus einem Mund«.
Das war sicher beeindruckend – und vielleicht mehr als das. In jedem Fall rührte es die Menschen an, riss sie mit. So wie Musik es auch heute tut. Sie ist mehr als schmückendes Beiwerk, sie ist Glaubensaussage. Mit Inbrunst haben Priester und Leviten gesungen: »Der HERR ist gut zu uns, seine Liebe hört niemals auf!« – Große Worte, die leicht abstrakt bleiben können, durch Musik aber sinnlich erfahrbar werden. Auch heute berichten Menschen von religiösen Erfahrungen in und durch Musik. Sie erreicht den Menschen unmittelbar. Und so haben wohl einst bei der Einweihung des Tempels alle Anwesenden erlebt: Ja, Gott ist wirklich bei uns – jetzt in diesem Augenblick und überhaupt. Musikalisch herbeigezaubert haben sie ihn nicht, aber in ihrem musikalischen Tun spüren sie seine Nähe. Singend und spielend erfahren sie Gott unmittelbar. (2Chronik 5,1–6,2)
Nachdem König Salomo den Tempel und seine Ausstattung vollendet hatte, brachte er die Gaben, die sein Vater David dem HERRN geweiht hatte, herbei. Das Silber und das Gold und alle Geräte kamen in die Schatzkammern des Tempels.
Nun ließ König Salomo die Ältesten Israels nach Jerusalem kommen, die Vertreter aller Stämme und Sippen. Sie sollten die Bundeslade des HERRN von der Davidsstadt auf dem Zionsberg in den Tempel hinaufbringen. Alle Männer Israels kamen deshalb am Laubhüttenfest im siebten Monat zu König Salomo.
Als die Ältesten versammelt waren, hoben die Leviten die Bundeslade auf ihre Schultern und trugen sie zum Tempel hinauf. Mit Hilfe der Priester aus der Nachkommenschaft Levis brachten sie auch das Heilige Zelt und alle seine Geräte