Albtraum Traumberuf: Persönlicher Erfahrungsbericht einer Klinikärztin aus der Stationären Medizin
Von Johanna Starks
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Über dieses E-Book
Aus ihrer sehr persönlichen Sicht gibt eine erfahrene Klinikärztin anhand ihres Werdegangs Einblicke in diese Entwicklungen. Stets mit modernstem medizinischem Know-how und dem Herzen bei ihren Patienten kämpft sie aus Überzeugung und Liebe zum Beruf in einem zunehmend albtraumhaften Umfeld. Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit.
Johanna Starks
Zur Autorin Die promovierte Ärztin und Mutter eines Kindes hat ihre berufliche Laufbahn in der Chirurgie begonnen. Später erlangte sie ihren Facharzttitel in der Anästhesie und setzte ihre Ausbildung zur Intensivmedizinerin fort. Viele Jahre war sie zudem regelmäßig als Notärztin im Einsatz. Fast durchgehend arbeitet sie seit Jahrzehnten in verschiedenen Krankenhäusern im Hochakutbereich.
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Buchvorschau
Albtraum Traumberuf - Johanna Starks
Inhalt
Vorwort
Gedanken zu Beginn
Der Start als Pflichtassistentin
Zurück nach Hause und erste Festanstellung
Rotationswechsel mit Folgen
Fachrichtungswechsel
Abschluss der Ausbildung
Erste Facharztstelle
Folgestelle
Wechsel für die Familie
Neubeginn in einem anderen Land
Höhen und Tiefen
Neuer Arbeitsplatz nach 13 Jahren
Einsam im Kollektiv
Der Verrat
Neuer Versuch
Abgründe
Epilog
Glossar
Vorwort
Schon seit mehr als zwei Jahren überlege ich, ob ich dieses Buch schreiben soll, und genauso lange denke ich über den richtigen Zeitpunkt nach. Erst wollte ich warten, bis ich nicht mehr arbeiten muss. Aber inzwischen empfinde ich die äußeren Umstände dieses tollen Berufs als beinahe unerträglich. Nun habe ich Mut gefasst und möchte mich äußern.
Ich bin Ärztin und habe zunächst in der Chirurgie angefangen zu arbeiten. Nach zweieinhalb Jahren wechselte ich dann in die Anästhesie und Intensivmedizin. Begonnen habe ich meinen Weg in der DDR und bin später ins Ausland gegangen. Zunächst verlief mein Berufsleben ohne größere Hindernisse und sah durchaus vielversprechend aus. Im Laufe der Zeit änderten sich jedoch die Bedingungen, nicht immer zum Vorteil. Ich traf auf freundliche und hilfsbereite Kollegen, aber auch auf Intriganten und Egomanen. Familie und Beruf unter einen Hut bringen zu müssen, entwickelte sich häufig zu einem Balanceakt. Freunde und Hobbys zu behalten, war manchmal fast unmöglich. Ich ging gern arbeiten, empfand den Alltag allerdings oftmals als Belastung.
Es handelt sich hier um eine sehr persönliche Sichtweise. Einige mögen das, was ich beschreibe, anders sehen, und das ist mir bewusst. Mein Anliegen ist es, die Probleme eines normalen angestellten Klinikarztes beziehungsweise Klinikärztin zu zeigen. Ich möchte die Veränderungen im Umfeld dieser anspruchsvollen Tätigkeit darstellen und das Augenmerk auf den Menschen dahinter richten. Dabei sollen keine Anschuldigungen gegenüber Personen oder Institutionen erfolgen, weshalb ich niemanden benenne und allgemeine Beschreibungen verwende. Manches wurde auch leicht verfremdet. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Menschen und Lokalitäten sind also zufällig und nicht beabsichtigt. Mir geht es lediglich um die Aufarbeitung aus einem sehr privaten Blickwinkel und um die Auswirkungen der aktuellen Entwicklung.
Zur besseren Verständlichkeit gehe ich auf einige fachspezifische Begriffe und der Allgemeinheit möglicherweise unbekannte Gegebenheiten in einem Glossar am Ende dieses Buchs ein.
Gedanken zu Beginn
Warum darf ich nicht auch Mensch sein? Obwohl oder gerade weil ich Ärztin bin, halte ich diese Frage für wichtig. Selbst in einem hoch spezialisierten Bereich wie dem meinen als Anästhesistin, also Narkoseärztin, betrachte ich es als möglich und notwendig, ein Mensch zu bleiben, allen Umständen zum Trotz. Doch das wird zunehmend schwieriger.
Ich habe viel erlebt, gesehen, getan. Manches war berührend und sehr schön. Anderes war befremdlich. Und dann gab es Dinge, die waren furchtbar. Meistens jedoch hatte ich sehr viel Freude an dem, was ich tat. Es ist der beste Lohn, ein Leben zu erhalten oder gar wiederherzustellen, egal ob durch Reanimation, durch mühsame Intensivtherapie oder die schnelle Reaktion im Notfall oder während einer Operation. Unbezahlbar sind zudem die kleinen Freuden im Alltag, wenn ich von Patienten erkannt und fröhlich begrüßt werde. Gelegentlich haben sich Einzelne sogar im Nachhinein bedankt, was in meinem Fachbereich eher selten vorkommt. Für das eigene Seelenwohl erinnert man sich besser an die guten Erlebnisse und nicht an die hoffnungslosen Fälle, die plötzlichen menschlichen Katastrophen und jene Erkrankungen, bei denen selbst Linderung nur schwer möglich ist. Allerdings sind auch diese belastenden Erinnerungen im Verborgenen immer vorhanden. Jederzeit sind sie klar abrufbar. Sie verweilen dauerhaft im Unterbewusstsein und kommen hin und wieder zum Vorschein.
Nach heutigen Maßstäben habe ich nichts erreicht. Ich habe keine überragende Position inne und trotz eines gewissen Wohlstandes keine Reichtümer angehäuft. Selbstverständlich bin ich unbekannt und selbstverständlich keine Heldin. Irgendwann, schon zu Beginn meiner Tätigkeit in der Medizin, entschied ich mich ganz bewusst für die direkte Arbeit am ganz normalen Patienten. Dafür lernte ich, besuchte Weiterbildungen und verbesserte meine Fertigkeiten. Ich wollte nie überwiegend administrativ tätig sein. Die meiste Zeit am Schreibtisch oder auf Sitzungen zu verbringen, erschien mir wenig verlockend. Deshalb zielte ich auch nicht auf einen Chefposten ab. Wissenschaftlich zu arbeiten, hätte mich durchaus interessiert, allerdings empfinde ich das Sammeln von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften nicht als lohnendes Ziel. In der klinischen Medizin sollte Forschung ebenfalls in erster Linie aus dem Antrieb heraus erfolgen, lohnende Fortschritte für die Patienten zu erzielen, und vor allem sollte man mit dem Herzen dabei sein.
Nach 30 Jahren in meinem Beruf bin ich jetzt ausgelaugt vom ganzen Drumherum, körperlich und seelisch. Dabei wäre ich nur gern auch als Mensch behandelt und respektiert worden. Abstriche an Pausen, Feierabend und Arbeitszeiten sind in diesem Bereich normal und unproblematisch. Inzwischen werden aber Zwänge auferlegt, die ich als unerträglich empfinde. Meinen Beruf liebe ich nach all den Jahren weiterhin. Das Umfeld wird jedoch zunehmend zur Qual. Fachliche Kompetenz ist kein Grund mehr für Respekt. Stattdessen wird das Arbeitsklima schlechter und Meinungen von Mitarbeitern sind unerwünscht.
Wie konnte es so weit kommen? Am besten fange ich ganz von vorne an. Ich wollte schon immer zeichnen. Bereits im Alter von ungefähr vier Jahren habe ich ständig gezeichnet und gemalt. Dabei wurde meterweise Papier verschönt. In der Schule besuchte ich von der zweiten bis zur zwölften Klasse den sogenannten Zeichenzirkel, eine der vielen Arbeitsgemeinschaften, die ausgewählt werden konnten. Einmal erhielt ich sogar einen Preis in einer Bezirksgalerie. Und die Voreignungsprüfung an der Kunsthochschule hatte ich bestanden. Damals wollte ich Grafik studieren. Später dachte ich, ich könnte die künstlerische Tätigkeit als ausgleichendes Hobby behalten. Noch heute zeichne ich gern und so oft es geht, inzwischen fotografiere ich auch.
Ab der zehnten oder gar elften Klasse wollte ich aber plötzlich Medizin studieren. Warum, weiß ich nicht mehr. Es interessierte mich auf einmal, die Menschen und das Fach. Deshalb bewarb ich mich um einen Studienplatz der Humanmedizin. Zur Zeit der Bewerbungen an den Universitäten und Hochschulen fanden in der DDR an den Schulen sogenannte Studienlenkungsgespräche statt. Wir Schüler sollten immer mindestens eine weitere Studienrichtung als Alternative angeben. Da ich keine wusste, schrieb ich keine auf. Als mein Klassenlehrer und der Direktor mich darauf ansprachen und eine solche einforderten, blieb ich hartnäckig, und es lohnte sich.
Gleich bei den ersten Zusagen der Hochschulen war meine für das Medizinstudium dabei. Ich freute mich riesig! Der Klassenlehrer verstand es überhaupt nicht. Er wollte lieber, dass ich Mathematik studiere. Immerhin war mein Abitur nur „sehr gut und nicht wie bei anderen künftigen Medizinstudenten „ausgezeichnet
. Außerdem hatte ich mich bis dahin weder beim Deutschen Roten Kreuz noch in einem Krankenhaus engagiert. Die einzigen „medizinischen Vorkenntnisse" bestanden in zwei stationären Aufenthalten als Patientin: im Vorschulalter wegen Scharlach und als Teenager wegen einer schweren Lungenentzündung. Zudem lebte ich mit meinem schwerbeschädigten Vater zusammen. Er war auf dem Heimweg von der Spätschicht von einem betrunkenen Autofahrer erfasst worden und erlitt schwere Kopfverletzungen. Trotz sofortiger Operation zur Entlastung der Hirnblutung lag er mehrere Wochen im Koma und trug Folgeschäden davon. Auch nachdem er neu sprechen gelernt hatte und wieder gehen konnte, blieb er zu 80 Prozent invalid. Zum Zeitpunkt des Unfalls war ich erst drei Jahre alt. Ich glaube, mein Leben verlief dadurch anders. Außerdem empfand ich aus diesem Grund Alkohol am Steuer nie als Kavaliersdelikt und konnte immer gut mit kopfverletzten Patienten umgehen. Meine Eltern unterstützte ich auch später jederzeit – doch das nur nebenbei. Für den Moment hatte ich den Studienplatz. Darüber war ich einfach nur glücklich. Meine Freundin bekam am gleichen Tag die Zusage für ihr Lehramtsstudium. Wir tanzten auf dem Weg nach Hause. Es war uns egal, wie wir dabei aussahen.
Nach dem Abitur musste als Erstes ein sogenanntes Praktisches Jahr in der Pflege absolviert werden. Jeder musste vor dem Medizinstudium auf einer Station in einem Schwesternkollektiv arbeiten. Die Mädchen hatten ein ganzes Jahr abzuleisten, die Jungen mehrere Monate je nach Dauer der Armeezeit. Man galt dann als an der Universität voreingeschrieben, als vorimmatrikuliert. Ich konnte auf einer chirurgischen Station anfangen.
Am ersten Tag ging es gleich los. Das Pflegepersonal traf sich im Schwesternzimmer, dem Aufenthaltsraum. Dann sagte die Stationsschwester: „Fangen wir an!, und alle standen auf. Ich ebenso. Dabei dachte ich, dass ich schon sehen würde, mit was genau wir anfangen würden, und so war es auch: Bettenmachen und Staubwischen waren die ersten Tätigkeiten. Das lief mit der Chefin sehr zackig und gründlich ab und war für mich eine Art Crashkurs, hart, aber durchaus hilfreich. Davon abgesehen war die Stationsschwester so, wie man sich eine vorstellt: drahtig, zäh und streng. Die Schwesternschülerinnen und ich standen nach jeder getanen Arbeit vor ihrem Schreibtisch und fragten: „Schwester, was kann ich jetzt noch machen?
Trotz ihrer Strenge respektierte und mochte ich sie, da sie gerecht war und selbst tatkräftig zupacken konnte.
Ein Erlebnis in diesem Jahr motivierte mich für meine ganze Laufbahn, stets auch im praktischen Bereich alles, was möglich ist, zu lernen und genau hinzusehen. Eine Pflichtassistentin, Studentin im letzten Jahr, sollte einen venösen Zugang für eine Infusion, also einen Tropf legen. Sie entfernte diesen jedoch und platzierte nur die Nadel, die normalerweise nach der Punktion entfernt wird, wobei die weichere Hülse in der Vene bleibt. Das funktionierte so natürlich nicht, und die arme Patientin musste noch einmal gestochen werden. Die Schwestern lachten und lästerten hinter ihrem Rücken. Mir tat die Patientin leid, und es war mir peinlich. Ich habe keine Ahnung, ob irgendjemand mit der Assistentin gesprochen hat. Schließlich war sie bereits im ärztlichen Dienst und ich nur pflegerische Hilfskraft. Aber ich wollte nicht, dass mir jemals etwas Ähnliches passiert.
Ich will nicht verheimlichen, dass ich ebenfalls hin und wieder ein bisschen tapsig war. So zog ich einmal ein Bett mit einer Patientin auf dem Weg zum Röntgen ein wenig heftig um die Kurve. Meine Begleiterin war mir einfach zu langsam. Ein paarmal