Spiel dein Leben: Über die Leichtigkeit des Lebens
Von Nando Stöcklin
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Über dieses E-Book
Er wünschte sich, er hätte mehr Zeit für Barbara gehabt: um gemeinsame Dinge zu planen, um eine Familie zu gründen, um miteinander glücklich zu sein. Aber was sollte er machen? Als Rektor einer Pädagogischen Hochschule war er nun mal stark eingespannt und hatte eine enorme Verantwortung - er bildete die Menschen aus, die Kinder auf deren Leben vorbereiten sollten.
Irritiert und verzweifelt verlässt Stefan den Spieler, nur um kurze Zeit später festzustellen, dass der seltsame Kauz irgendwas in ihm geweckt hatte. Und so tragen ihn seine Füsse immer wieder zu ihm. Nach und nach führt der Spieler ihn an eine andere Sichtweise über das Lernen und Arbeiten heran - eine Sichtweise, die ihn zunächst verstört, dann aber immer mehr in den Bann zieht und letztlich sein Leben komplett auf den Kopf stellt.
Eine befreiende Erzählung - voller Humor und Leichtigkeit - für Menschen, die in das natürliche Spiel ihres Lebens zurückkehren möchten, jenseits von Geld verdienen, Karriere und Konsum.
Nando Stöcklin
Nando Stöcklin (1975) ist Ethnologe, Pädagoge und Spielforscher. Er beschäftigte sich jahrelang mit den Auswirkungen der digitalen Transformation und als Folge mit dem spielerischen Lernen, Arbeiten und Leben. 2017 entschloss er sich, sein Leben an den Prinzipien des Spiels auszurichten. Seine Erkenntnisse fasst er in diesem Buch zusammen.
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Buchvorschau
Spiel dein Leben - Nando Stöcklin
Für Anna, die nicht auf meinen inneren Kompass zugreifen
konnte, nicht spürte, was ich spürte und sich trotzdem auf
die Reise einließ. Nicht ich war mutig, sie war es.
Inhalt
Der Spieler
Das Spiel
Das erste Puzzleteil des spielerischen Lebens
Sinnlose Aufgabe
Stefans Welt steht kopf
Faszinationen
Antriebskräfte
Das eigene Leben
Adieu alte Welt
Der Weg zurück zu sich
Das Spiel beginnt
Angst
Der innere Kompass
Zurück auf Feld eins
Nebel
Die letzte Meile
Wiedersehen
Sendepause
Epilog
Einige Worte zum Schluss
Literaturempfehlung
Der Spieler
»Wir hören nicht auf zu spielen, weil wir alt werden, wir werden alt, weil wir aufhören zu spielen!«
nach G. Stanley Hall (1846-1924), Psychologe
Es fühlte sich einfach falsch an.
Komplett falsch.
In Stefans Kopf drehten sich die Gedanken und kamen nicht zur Ruhe.
Ein klarer Gedanke war nicht dabei, leider. Nur Gedankenbrei. Dichter Nebel, durch den er nicht hindurch sah.
Seine Füße trugen ihn durch Basel in Richtung Münsterplatz, in dessen Mitte das Münster hoch über dem Rhein thronte. Wie in seiner Jugend. Damals pflegte er seinen Kummer auf der »Pfalz«, einer Aussichtsterrasse am Münster, wegzukiffen.
Auf der Pfalz angekommen, setzte er sich auf eine Bank. Er kiffte schon lange nicht mehr. Das passte einfach nicht zu seiner Rolle als Rektor einer Pädagogischen Hochschule.
Auch Bierdosen hatte er nicht dabei. Stattdessen schwammen in seinem Magen andere alkoholische Getränke hin und her, die er vorher in verschiedenen Bars gekippt hatte.
Eine kühle Brise ließ ihn frösteln. Waren die Ereignisse heute Nachmittag wirklich echt gewesen?
Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie sich jemand neben ihn auf die Bank setzte. Es kümmerte ihn nicht.
»Na, einen schlechten Tag erwischt?«, drang eine Männerstimme durch den Nebel in seinen Kopf.
Stefan starrte ins Leere.
Schweigend saß er da.
Schließlich wandte Stefan den Kopf in Richtung seines Banknachbarn.
Der Kopf des Mannes neben ihm war kahl, das Gesicht zerfurcht wie die Rocky Mountains. Er sah uralt aus.
Stefan nickte.
»Das gibts«, erwiderte der Fremde. »Aber egal wie der Tag läuft, er bringt dich in deiner Entwicklung immer ein Stück weiter.«
Stefan antwortete nicht. Er hatte keine Lust auf dieses Psychogelaber. Das löste seine Probleme auch nicht.
Plötzlich stutzte Stefan. Hatte der Alte ihn gerade geduzt? Ältere Menschen waren normalerweise förmlich. War der Mann überhaupt alt? Stefan schüttelte den Kopf, um den Nebel zu vertreiben. Erfolglos.
Erneut wandte er sich seinem Banknachbarn zu.
Der Mann wackelte mit dem Kopf. Die unzähligen Falten in seinem Gesicht zuckten, eine nach der anderen. Als ob die Gesichtsmuskeln miteinander spielen würden. Stefan konnte nicht anders, als gebannt hinzublicken und das Spiel der Muskeln zu beobachten.
Einen solch eigenartigen Kauz hatte er noch nie gesehen.
Der Mann sagte nichts, er saß nur da.
Unverwandt starrte Stefan auf die zuckenden Falten des Alten.
Etwas in Stefan brachte ihn dazu, zu erzählen.
»Meine Partnerin hat mich verlassen. Nach zwölf Jahren.«
Der Kauz blickte ihn verständnisvoll, beinahe liebevoll an.
»Das Schlimmste war, wie sie ging. Barbara tobte nicht.
Sie schrie nicht. Sie war ganz ruhig. Sie reichte mir zum Abschied ihre Hand, wie bei einem Fremden.«
Der Kauz sah ihn interessiert an, während die Furchen in seinem Gesicht um die Wette zuckten. Irgendwie kam er Stefan trotz der vielen Falten gar nicht so alt vor. Seine Augen glitzerten lustig.
»Wir hatten uns nicht gestritten. Wir hatten einfach unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft. Sie wollte unbedingt Kinder. Ich hätte mich auch gefreut, Vater zu werden. Als Rektor einer Hochschule bin ich aber stark eingespannt. Barbara meinte, solange ich keine Zeit für eine Familie hätte, wäre die Zeit nicht reif für Kinder.« Stefan seufzte. »Dieser Meinung war sie schon vor fünf Jahren gewesen. Ich habe es nicht geschafft, mehr Freizeit zu erübrigen, mein Terminkalender war einfach zu vollgepackt. So meinte sie heute, sie gebe es auf. Ich würde nie Zeit haben für eine Familie.«
»Zeit füreinander ist wichtig.« Zum ersten Mal ergriff der seltsame Kauz das Wort.
Stefan blickte zu Boden. »Ich weiß«, brummte er, »aber, wie soll ich das als Rektor schaffen?«
»Fühlst du dich glücklich?«
»Sehe ich etwa glücklich aus?«, antwortete Stefan bissig.
Der Kauz wog den Kopf hin und her, als ob er angestrengt überlegen würde. »Also ich würde meinen, nicht wirklich. Bist du freiwillig Rektor?«
Stefan sah seinen Banknachbarn verdutzt an. »Natürlich! Weshalb fragen Sie?«
»Mir scheint, dass dich deine Tätigkeit nicht glücklich macht.«
»Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Ich fühle mich elend, weil Barbara mich verlassen hat.«
Stefan spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Hatte dieser Mann denn kein Mitgefühl? Er, Stefan, war gerade von seiner langjährigen Partnerin verlassen worden! Und dieser Fremde nörgelte an der Jobsituation herum. Genau wie Barbara!
Ein leiser Verdacht bahnte sich einen Weg durch den Nebel in seinem Kopf. Was war, wenn beide recht hatten? Sofort schob Stefan den Verdacht zur Seite. Blödsinn! Rektor einer Pädagogischen Hochschule zu sein, war ein respektabler Job. Er hatte ihn sich mit viel Fleiß erarbeitet und liebte ihn! Und es war eine überaus sinnvolle Tätigkeit, schließlich war er für die Ausbildung von Lehrpersonen verantwortlich, die wiederum die Kinder auf deren Leben vorbereiteten. An diesem Job war nichts auszusetzen. Dieser Job konnte nicht unglücklich machen!
»Du hast gesagt, deine Partnerin hat dich verlassen, weil du wegen deines Jobs keine Zeit für eine Familie hast«, hörte Stefan die Stimme des seltsamen Kauzes neben sich.
»Ja schon«, brummte Stefan.
»Deshalb kam mir der Gedanke, der Grund dafür, dass du unglücklich bist, ist vielleicht dein Beruf als Rektor.«
»Das greift viel zu kurz. Das ist alles viel komplizierter, als Sie es darstellen. Wer sind Sie überhaupt, dass Sie über mein Leben urteilen?«
»Du kannst mich den ›Spieler‹ nennen.«
»Den Spieler?«
»Ja.«
»Wieso duzen Sie mich eigentlich?«
»Weil ich spiele.«
»Hören Sie auf damit! Ich fühle mich elend und Sie haben nichts Besseres zu tun, als irgendwelche komischen Spielchen mit mir zu spielen.«
Der Spieler kicherte. »Dafür bin ich glücklich. Spielen macht glücklich.«
Stefan war hin- und hergerissen. Weshalb hatte er sich diesem komischen Kauz überhaupt anvertraut? Er zögerte. Ein Teil von ihm wollte nach Hause gehen und dieses sinnlose Gespräch beenden.
Da war aber diese Angst. Die Angst vor der leeren Wohnung. Die Angst vor dem Alleinsein. Besser er blieb hier.
Er könnte aufstehen und sich woanders hinsetzen.
Aber so nervig dieser seltsame Kauz war, so fasziniert war Stefan auch von ihm. Wieder begannen seine Gedanken zu kreisen.
Nach einer Weile meinte er: »Dann müsste ich also spielen, um glücklich zu sein?«
Der Spieler klatschte fröhlich in die Hände. »Jawollja! Spielen ist Nahrung für die Seele.«
Stefan schüttelte entnervt den Kopf. Das Gespräch führte nirgendwohin.
Sein Nachbar meinte arglos: »Gerne kann ich dir zeigen, wie du spielen kannst.«
Das war zu viel für Stefan.
»Jetzt hören Sie auf mit diesem Unsinn«, brauste er auf. »Meinen Sie etwa, ich könne nicht spielen? Jedes Kind kann spielen!«
»Ja, das stimmt«, entgegnete der Spieler heiter. »Kinder schon, aber die wenigsten Erwachsenen. Wenn du der Meinung bist, dass du spielen kannst, dann ist das prima. Dann spiele und werde glücklich. Das ist es, was ich dir wünsche: ein gutes Spiel. Viel Glück dabei!«
Der komische Kauz stand auf und schritt fast tänzelnd zur Steintreppe, die hinunter zum Rhein führte.
Stefan war noch immer aufgebracht, ja fast wutentbrannt schaute er dem Spieler nach. Er stutzte.
Die Bewegungen des seltsamen Kauzes waren nicht die eines alten Mannes. Eher die eines Kindes.
Das Spiel
»Das Leben ist ein Ponyhof. Lerne einfach endlich zu reiten.«
Stefan Hiene (*1975), Aufwachmediziner
»Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«
Friedrich Schiller (1759-1805), Arzt, Dichter, Philosoph und Historiker
Drei Wochen später trieb es Stefan Herzog wieder zur Pfalz hinauf.
Es waren drei miserable Wochen gewesen. Die erste Zeit ohne Barbara. Ganz allein.
Es hatte so gut wie keine Minute gegeben, in der er nicht an sie gedacht hatte. War er zu Hause, starrte er mit düsterem Blick auf die Eingangstür, in der Hoffnung, Barbara würde hereinkommen.
Zum Glück war er selten zu Hause. Er hatte sich in seine Arbeit vergraben. Das fiel ihm nicht schwer. Schwer fiel es ihm aber, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Seiner Rektoratsassistentin war es zu verdanken, dass er keine Termine verpasst hatte. Dabei war er sonst die Zuverlässigkeit in Person.
Auch während Sitzungen schweiften seine Gedanken immer wieder ab. Einmal hatten ihn sämtliche Anwesende erwartungsvoll angestarrt. Sie hatten den Eindruck gemacht, als würden sie von ihm als Sitzungsleiter eine Reaktion erwarten. Er hatte jedoch keine Ahnung gehabt, um was es gegangen war. Seine Gedanken waren weit weg gewesen.
Wieder half ihm seine Assistentin. Sie schrieb während der Sitzung das Protokoll und fragte ihn, ob sie das Besprochene so und so zusammenfassen könne. Das rettete ihn aus dieser Situation und brachte ihn zurück ins Geschehen. Er war ihr unendlich dankbar.
Nein, es waren wirklich keine guten Wochen gewesen. Das allabendliche Glas Wein, eine inzwischen eingeschlichene Gewohnheit, änderte auch nichts daran. Zudem war es nicht immer bei dem einen Glas geblieben, wie er eingestehen musste. Was sonst sollte er zu Hause tun?
Aber jetzt war er nüchtern.
Stefan wusste selbst nicht, weshalb er erneut die Pfalz aufsuchte.
Die Begegnung mit dem kauzigen Spieler hallte in ihm nach. Manchmal war sich Stefan nicht sicher, ob sie wirklich stattgefunden hatte. Oder hatte er so viel intus gehabt, dass er sich alles nur eingebildet hatte?
Stefan wollte auf Nummer sicher gehen und war deshalb dieses Mal absolut nüchtern.
Vielleicht wusste er doch, was ihn hintrieb.
Da war eine Frage, die an ihm nagte.
Mitten in einer Sitzung hatte ihm ein Gedanke das Blut ins Gesicht gejagt: Was, wenn der seltsame Kauz gar nicht so harmlos war, wie er getan hatte? Vielleicht gar ein fieser Boulevard-Journalist auf der Jagd nach der nächsten Story? Immerhin gehörte er, Stefan, als Hochschul-Rektor, der gut in der Stadt verankert war, zur lokalen Prominenz. Hatte er diesem wildfremden Menschen wirklich seine privaten Probleme anvertraut? Alles Quatsch! Wenn dem so gewesen wäre, wäre die Story längst publiziert, schalt ihn sein Verstand. Ein flaues Gefühl in der Magengegend blieb trotzdem.
Was versprach er sich von seinem Gang auf die Pfalz? Gewissheit, dass er keine Angst haben musste?
Das ist doch absurd, hämmerte eine Stimme in seinem Kopf. Selbst wenn der komische Kauz wirklich existierte, die Wahrscheinlichkeit war minimal, dass er gerade jetzt auf der Pfalz auftauchen würde.
Stefan trat oben angekommen an