Storytelling für Museen: Herausforderungen und Chancen
Von Andrea Kramper
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Über dieses E-Book
Andrea Kramper beleuchtet anhand von Erkenntnissen aus der Museologie sowie den Kognitions- und Kommunikationswissenschaften die Herausforderungen und das Potenzial des Storytellings und zeigt, wie Museen hiervon profitieren können.
Andrea Kramper
Andrea Kramper (M.A. & MA) ist selbstständige Kommunikationsberaterin und lebt in Bielefeld. Die Ethnologin mit einem Master in Museumsmanagement und Kommunikation verfügt über Praxiserfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland und Großbritannien. Ihr Schwerpunkt liegt im Storytelling für Kulturinstitutionen, u.a. für Ausstellungen und Audioguides.
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Buchvorschau
Storytelling für Museen - Andrea Kramper
1Einleitung
1.1THEMA
Stellen Sie sich vor, Sie sind mit einem Freund verabredet. Der erscheint und hält Ihnen ungefragt einen einstündigen Vortrag voller abstrakter Fachbegriffe. Es geht um Klassizismus und Romantik in der Malerei. Er zählt zahlreiche typische Attribute und Merkmale der Strömungen auf. Worauf Ihr Bekannter mit dem Vortrag hinaus will, ist nicht ersichtlich. Nach einer Stunde, ohne Sie irgendetwas gefragt zu haben – etwa wie es Ihnen geht, was Sie am Thema interessieren könnte oder ob Sie dazu selbst Ideen haben – steht er auf und geht. Wie viel nehmen Sie von dieser Begegnung mit? Und wie sähe Ihr Verhältnis zu diesem Freund auf Dauer aus?
Und stellen Sie sich nun eine ähnliche Situation mit einer guten Freundin vor. Anders als der Bekannte begrüßt sie Sie zu Beginn, fragt wie es geht und beginnt ein Gespräch mit Ihnen. Sie möchte Ihnen gerne etwas zu einem Thema erzählen, das sie gerade beschäftigt und Ihre Meinung dazu hören. Denn sie steht vor der Aufgabe das Gemälde eines unbekannten Malers einer Epoche zuzuordnen. Aber es ist ein ungewöhnlicher Fall. Der Künstler verwendet einerseits antike Figuren mit scharfen Konturen, typische Merkmale des Klassizismus, kombiniert diese aber mit einer unheimlichen, mythischen Spiegelwelt – einem romantischen Motiv. Sie ist fasziniert von dem Bild, weil es scheinbar zwei Epochen gleichzeitig festhält. Abschließend stellt sie Ihnen die Frage, wie Sie damit umgehen würden. Wie sieht Ihre Beziehung zu dieser Freundin langfristig aus? Und von welcher dieser beiden persönlichen Begegnungen werden Sie sich mehr vom Inhalt behalten?
Die Erfahrung kennt jeder: Egal wie spannend das Thema ist, auch die Art und Weise der Vermittlung ist wichtig. Ein schlecht präsentierter Inhalt wirkt im besten Fall langweilig, im schlimmsten Fall anstrengend. Und die Art der Präsentation beeinflusst nicht nur unsere Wahrnehmung des Inhalts, sondern auch die unseres Gegenübers. Sie kann entscheidend sein für das Erfassen von Mitteilungen und deren Sinn, ebenso wie für die Beziehung zwischen Sprecher und Rezipienten. Aus diesem Grund ist die Form von Kommunikationsmaßnahmen auch für eine Organisation von zentraler Bedeutung. Denn ihre Reputation und ihr Image, mitunter ihre finanziellen Ressourcen, sind abhängig von den kommunikativen Beziehungen zu ihren unterschiedlichen Stakeholdern.
Gute Geschichtenerzähler verstehen es, Aufmerksamkeit zu wecken und ihre Zuhörer einzubeziehen. Sie vermitteln Inhalte verständlich und anregend. Das Konzept des Storytellings greift diese Idee des ›Geschichtenerzählens‹ für die PR auf. Es bezeichnet eine Technik, die Erzählstrukturen nutzt, um die Public Relations einer Organisation anschlussfähiger zu gestalten, d.h. es geht im Kern um die Frage, wie sich narrative Elemente einsetzen lassen, um Informationen zu vermitteln und so auch das Beziehungsmanagement einer Institution positiv zu beeinflussen. In den Kommunikationswissenschaften wird der Nutzen von Storytelling seit den 2000ern diskutiert, auch zahlreiche Praxishandbücher setzen sich mit dem Thema auseinander.
Für Museen scheint Storytelling für die Public Relations allerdings noch keine große Rolle zu spielen, zumindest nicht in der Debatte im deutschsprachigen Raum.¹ Dabei sind sie als hybride Institutionen mit vielschichtigen Aufgaben und Zielsetzungen zwar eine spezielle Form von Organisation, aber gerade für Museen ist das kommunikative Beziehungsmanagement zunehmend wichtiger geworden. Auch sie befinden sich in einem Aufmerksamkeitswettbewerb und damit verbunden in einer Konkurrenz um Ressourcen.
Museen, die sich aus einem traditionellen Verständnis heraus auf die Aufgaben des Sammelns, Forschens und Bewahrens fokussieren, legen den Schwerpunkt tendenziell weniger auf die Kommunikation mit einer breiten Öffentlichkeit. Dabei, so meine These, wäre es gerade für Museen fruchtbar, sich stärker mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sie ihre Organisationskommunikation gestalten, etwa mit Hilfe von Storytelling.
Der Ausgangspunkt für dieses Buch war daher die Frage: Inwieweit ist Storytelling als Instrument für die Public-Relations-Arbeit von Museen geeignet? Es ging mir darum, zu beleuchten, welche Herausforderungen und Chancen die Technik bietet und welche Voraussetzungen notwendig sind, um Storytelling effektiv anzuwenden.
1.2MOTIVATION
Das Thema Storytelling interessiert mich, da ich selbst in verschiedenen deutschen Museen in Kommunikationsabteilungen tätig war. Durch meine Arbeit für ein Unternehmen in Großbritannien konnte ich zudem neue Perspektiven auf die Herausforderungen und Chancen der PR sowie einen Einblick in die dortige Museumslandschaft und deren Kommunikationsstrategien gewinnen. Storytelling erschien mir im Vergleich in der deutschen Museums-PR weniger genutzt und zudem in der museumswissenschaftlichen Debatte explizit kaum thematisiert.
1.3FRAGESTELLUNG UND VORGEHEN
Mein Ziel ist es daher, hier mit Hilfe eines interdisziplinären Ansatzes zu beantworten, ob und in welcher Form sich Storytelling als Instrument für die Public Relations von Museen eignet, welche Schwierigkeiten mit seiner Umsetzung verbunden sind und welche Voraussetzung dafür von Seiten der Museen erfüllt werden müssen.
Zur Beantwortung dieser Fragen schien mir eine Analyse und Synthese verschiedener Fach- und Forschungsbereiche sinnvoll, da es sich bei Storytelling um ein relativ junges Thema handelt. Ich kombiniere in diesem Buch daher museumswissenschaftliche Literatur mit Ansätzen aus den Kommunikations-, Literatur- und Kognitionswissenschaften. Dabei ist es nicht mein Ziel, einen erschöpfenden Überblick der Fachliteratur zu bieten. Ich nutze vielmehr Aspekte der unterschiedlichen Disziplinen zur Beantwortung meiner Fragestellung. Zusätzlich stelle ich Storytelling-Beispiele aus der Kommunikationsarbeit von Museen und Kulturinstitutionen vor. Denn sie illustrieren am besten die konkrete Anwendung von Storytelling für Museen. Dabei bin ich mir bewusst, dass zur Beantwortung meiner Fragestellung mitunter komplexe Zusammenhänge vereinfacht dargestellt werden müssen. Zu Gunsten der leichteren Lesbarkeit habe ich mich zudem entschlossen, wenn möglich genderneutrale Pluralformen zu verwenden, Umschreibungen zu nutzen oder, wenn nötig, gendersensibel zu formulieren. War dies nicht machbar, verzichte ich aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen.
1.4GLIEDERUNG
Um zu beantworten, ob Storytelling als PR-Instrument für Museen geeignet ist, gehe ich in drei Schritten vor. Das Buch gliedert sich dementsprechend in drei Teile: Theorie, Praxis und Diskussion. Zunächst beleuchte ich die Ausgangslage und kläre die Definitionen zu Museen, Public Relations und Storytelling. Im Praxisteil verdeutliche ich, welche Elemente Storytelling ausmachen anhand von Beispielen aus Museen und Kulturorganisationen. Abschließend werfe ich im Diskussionsteil einen Blick auf die Herausforderungen, die Storytelling an Museen stellt.
Im theoretischen Teil lege ich die Grundlagen zum Verständnis von Storytelling, Public Relations sowie zu Museumskonzepten und den damit verbundenen Verständnissen von Kommunikation. Dabei kläre ich zunächst, was der Begriff ›Storytelling‹ bezeichnet, woher das Konzept stammt und was es als Kommunikationsmodus für Organisationen attraktiv macht. Anschließend lege ich dar, welches Verständnis von Public Relations diesem Buch zu Grunde liegt. Da es sich bei Museen um Organisationen mit spezifischen Anforderungen und Konventionen handelt, beleuchte ich im Theorieteil zuletzt Definitionen des Museumsbegriffs im Hinblick auf ihre historische Entwicklung und die damit jeweils verbundenen Konzepte von Vermittlung und Kommunikation.
Im zweiten, praxisorientierten Teil stelle ich die Bestandteile von Storytelling vor und zeige seine Anwendungsmöglichkeiten auf. Dabei geht es zunächst um die Rahmenbedingungen des narrativen Kommunikationsmodus sowie seine Kernelemente. Anschließend illustriere ich den Einsatz erzählerischer Techniken anhand von Beispielen aus dem Kulturbereich. Mein Fokus liegt dabei auf der Nutzung von Akteuren und Erzählern für die personale Vermittlung, der Ansprache von Emotionen sowie der Verwendung von Storytelling für Partizipation und Wissensmanagement. Wie ich zeigen werde, kann Storytelling in einfacher oder komplexer Form genutzt werden. Der Grad seiner Komplexität wird jeweils bedingt durch die Anzahl und die Kombination seiner erzählerischen Kernelemente.
Abschließend widme ich mich im dritten Abschnitt dieses Buches der Diskussion der Herausforderungen und Chancen von Storytelling. Vorab werfe ich dabei zur Verortung einen kurzen Blick auf die Rolle der Public Relations in Museen. In Hinblick auf Storytelling geht es mir dann um die Frage: Welche Risiken und Chancen liegen in der narrativen Kommunikation? Um sie zu beantworten, erörtere ich die Vorbehalte, Vor- und Nachteile sowie notwendige Voraussetzungen für die Storytelling-Anwendung in Museen. Mein Fazit fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt eine Antwort darauf, ob und in welcher Form Storytelling sich als Instrument der Organisationskommunikation für Museen eignet. Die Handreichung im Anhang dient einem ersten Einstieg ins Thema. Sie stellt Storytelling in aller Kürze vor und bietet Anregungen für alle, die sich fragen, wann und wie Storytelling sich für Museen lohnt.
1.5METHODIK UND QUELLEN
Die Fragestellung dieses Buches berührt verschiedene Disziplinen, deshalb ist mein Ansatz interdisziplinär. Er wertet Praxishandbücher ebenso aus wie organisationswissenschaftliche PR-Konzepte der Kommunikationswissenschaften sowie Studien der Neurologie und Psychologie oder der Literatur- und Museumswissenschaften. Denn erst ein Rückgriff auf diese unterschiedlichen Fachbereiche ermöglicht einen vertiefenden Blick auf das Thema. Hier folgt ein kurzer Überblick über die von mir verwendete Literatur und Quellen.
Zum Verständnis der Kernelemente und Konzepte von Storytelling dienen Werke der Literaturwissenschaft, insbesondere der Narratologie (vgl. Bal 2009; Fludernik 1996; Nünning 2003; Abrams 2005; Meister 2011). Kognitions- und Neurowissenschaften wiederum geben einen Einblick, inwiefern Storytelling sich möglicherweise besser als andere Kommunikationsmodi eignet, die menschliche Wahrnehmung anzusprechen (vgl. Cromwell und Panksepp 2011; Kahneman 2012). Besonders praxisorientierte Texte zum Thema Storytelling in der PR sind im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren populär, auch auf diese greife ich zurück (vgl. Herbst 2014; Sammer 2014; Noffke 2014; Gosch 2014b; Krüger 2015; Cornelißen 2015). Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Storytelling hingegen bieten Standardwerke der Kommunikationswissenschaften, vor allem Krüger (2015) und Mast (2016, 51-65). Für die Verortung von Storytelling als einem Public-Relations-Instrument sind Veröffentlichungen der Kommunikationswissenschaft ebenfalls hilfreich (vgl. Bentele, Fröhlich und Szyszka 2008; Meckel und Schmid 2008; Mast 2016; Pfannenberg und Zerfaß 2005; Zerfaß 2010). Dabei schließe ich in meine Betrachtung auch kritische Stimmen zum Thema ein (vgl. Früh und Frey 2014).
In der Museumswissenschaft wird der Begriff Storytelling für die PR kaum diskutiert. Aber bereits seit längerem debattiert werden Aspekte dessen, was Storytelling ausmacht: narrative und interpretative Kommunikationsmaßnahmen. Daher habe ich Veröffentlichungen, die die Vorteile narrativer Vermittlung benennen, berücksichtigt, etwa zur Ausstellungskonzeption (vgl. Serell 2015; Schorch 2015; Francis 2015). Serell sowie McLean und O’Neill verwenden sogar explizit den Begriff Storytelling (vgl. Serell 2015, 28; McLean und O’Neill 2007, 222-223). Auch von Seiten der Vermittlung und Pädagogik findet verstärkt eine Auseinandersetzung mit erzählerischen Elementen sowie mit der Wahrnehmung und den Bedürfnissen der Rezipienten in Bezug auf die Kommunikation von Museen statt (vgl. Jimson 2015; Falk und Dierking 2013; Dodd 2009; Mörsch, Sachs und Sieber 2016; Simon 2010; Nettke 2011). Narrative Methoden zur Strukturierung und Interpretation von Inhalten sind somit bereits Thema der museumswissenschaftlichen Debatte, wenn auch weniger für die Museums-PR. Zur Einschätzung der Public Relations in der deutschen Museumslandschaft nützlich sind unterschiedliche ältere aber auch aktuellere Werke (Schuck-Wersig und Wersig 1992; Klein, Bachmayer und Schatz 1981; Köhler 2005; Klein 2011; Mandel 2010). Da die Funktion von Kommunikation in Museen zudem oft eng mit deren Selbstverständnis verknüpft ist, dient mir der Blick auf traditionelle Museumsdefinitionen sowie auf Ansätze der neuen Museologien einem besseren Verständnis der kommunikativen Voraussetzungen unterschiedlicher Museumstypen (vgl. Cameron 1971; Vergo 1989; Van Mensch 1995; Hooper-Greenhill 1992; Macdonald 2010; Baur 2010; Heesen 2012; Kamel und Gerbich 2014).
Die für den Praxisteil gewählten Storytelling-Beispiele illustrieren die Anwendung und den Nutzen der Technik für die Organisationskommunikation von Museen für unterschiedliche Kanäle und Themen. Ich stelle vorrangig Beispiele aus dem anglo-amerikanischen Raum vor (British Museum 2016a, 2016b; Field Museum Chicago 2013, 2014; LACMA 2016; National Museums of Liverpool 2016a; Brooklyn Museum 2016), aber berücksichtige auch Storytelling aus dem deutschsprachigen Kulturbereich (Reiss-Engelhorn-Museen 2016a, 2016d; Sitterwerk 2016b; Flickr 2016).
1 | Es gibt zwar eine wachsende Debatte auch im