Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Chef oder der Weg des Chirurgen: Humoristische Hommage an eine Koryphäe in Weiss
Der Chef oder der Weg des Chirurgen: Humoristische Hommage an eine Koryphäe in Weiss
Der Chef oder der Weg des Chirurgen: Humoristische Hommage an eine Koryphäe in Weiss
eBook130 Seiten1 Stunde

Der Chef oder der Weg des Chirurgen: Humoristische Hommage an eine Koryphäe in Weiss

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Wie hat früher die Ausbildung junger Ärzte zum Chirurgen ausgesehen? Die Zeit liegt nur ein halbes Menschenleben zurück und doch blicken wir auf eine ganz andere, längst vergangene Welt. Das vorliegende Buch erzählt in humorvoller Form unterschiedliche, sich real so begebene Episoden aus dieser Zeit und ist gleichzeitig eine Hommage an einen unvergesslichen Chefarzt alter Schule. Es kann kurzweiliger Unterhaltung dienen oder auch i.S. eines medizinhistorischen Buches vertiefte Einblicke in eine frühere Zeit bieten. Und vielleicht mag es helfen, die Seele eines Chirurgen, einer Chirurgin besser zu verstehen.
SpracheDeutsch
HerausgeberMünster Verlag
Erscheinungsdatum23. Okt. 2020
ISBN9783907301227
Der Chef oder der Weg des Chirurgen: Humoristische Hommage an eine Koryphäe in Weiss

Ähnlich wie Der Chef oder der Weg des Chirurgen

Ähnliche E-Books

Biografien – Medizin für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Chef oder der Weg des Chirurgen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Chef oder der Weg des Chirurgen - Jürg Kessel

    VIII

    I

    «Konrad, was machst du?» Die Stimme des Chefarztes verhiess nichts Gutes. Mehr noch: Sie klang bedrohlich, man konnte die Spannung fast körperlich spüren. Es war kurz nach dem Nachmittagsrapport. Konrad stand im Korridor am Rollwagen mit den Krankengeschichten seiner Patienten und war gerade dabei, die am Rapport beschlossenen diagnostischen Abklärungsschritte schriftlich zu verordnen.

    «Ich wollte gerade die Magen-Darm-Passage anmelden.» Die Verunsicherung in Konrads Stimme war mehr als deutlich.

    «Konrrraad! Bist nicht mehr Student, du musst Menschen helfen, nicht Technologie machen», herrschte ihn der Chef an.

    «Aber ich wollte doch nur das ausführen, was Sie angeordnet haben …».

    Eine gereizte Standpauke folgte auf der Stelle. Der Chef drehte sich um und stampfte davon. Konrad wusste nicht, dass man sich nicht rechtfertigt, dass man sich nie rechtfertigt. Er verstand nicht, dass diese Art von Donnerwetter nichts damit zu tun hatte, was er tat oder nicht tat, dass alles, was man machte, prinzipiell falsch war. Zumindest im ersten Jahr. Didaktisch sozusagen. Er stand völlig schockiert da. Nicht nur hat er nichts Falsches gemacht. Er führte ja genau das aus, was ihm sein Chef gerade vorhin angetragen hatte. Konrad war erst seit einigen Wochen auf einer der chirurgischen Abteilungen des städtischen Krankenhauses als Assistenzarzt zuständig. Nicht, dass er, was die praktische ärztliche Erfahrung anbelangt, gar keine Ahnung gehabt hätte. Vor seiner neuen Zuständigkeit auf der Bettenstation war er bereits länger auf der chirurgischen Notfallstation des Spitals eingesetzt. Der Chef war einfach der möglicherweise doch irrigen Meinung, frisch nach dem Staatsexamen würde man im Notfall noch am wenigsten Schaden anrichten und so kamen alle Anfänger zuerst dorthin. Dahinter verbarg sich auch die an sich verständliche Ansicht, sich nicht allzu sehr mit Greenhorns herumschlagen zu müssen. Das hatte wiederum für die Assistenzärzte der Notfallstation den Vorteil, dass man dem Chef nur selten begegnet ist, trug dann dafür auf der Abteilung den Nachteil in sich, dass man mangels eigener Erfahrung auf Reaktionen, wie die gerade erlebte, kaum gefasst war.

    Wenn man nicht völlig auf den Kopf gefallen war, konnte man sich auf der Notfallstation das Wesentlichste innert zwei Wochen aneignen. Diagnosen gab es damals eigentlich nur zwei, zumindest, was die Beine und Arme betraf. Einerseits: «Gebrochen»: Dann hat man den Patienten entsprechend gelagert, ihn mit Schmerzmitteln versorgt und vertröstet, dass irgendeinmal der Oberarzt kommen und das Weitere festlegen würde. Der Oberarzt war aber normalerweise am Operieren und so wurde es regelmässig Nachmittag, bis man fortfahren konnte. Andererseits: «Nicht gebrochen»: In diesem Falle hiess es: «Euceta (eine entzündungslindernde Salbe), elastische Binde, ad HA», falls der Patient einen Hausarzt hatte, oder «ad casam» (nach Hause), falls nicht. Bänder, insbesondere Kreuzbänder am Knie, schien es nicht zu geben. Bauch, das war schon etwas differenzierter. Eine Röntgenaufnahme «Abdomen leer» stand an, ob vielleicht ein Flüssigkeitsspiegel in den geblähten Darmschlingen zu sehen sein könnte, dann lag nämlich ein Verdacht auf einen «Ileus» (Darmverschluss) vor. Oder gar Luft in der freien Bauchhöhle, dann hatte man es mit einer Darmperforation oder einer offenen Bauchverletzung zu tun und das war kein Spass. Die klinische Untersuchung war selbstverständlich wichtig. Neben der eingehenden Befragung eigentlich das Wichtigste. Man musste dabei aber wissen, wonach man sucht. Eine Blinddarmentzündung war ebenfalls eine heikle Sache. Man drückte an einer bestimmten Stelle zwischen der «Spina iliaca anterior superior», dem oberen Darmbeinstachel, und dem Bauchnabel am sogenannten McBurney-Punkt und wenn der Patient aufschrie oder zumindest lauthals reklamierte, dann war es wahrscheinlich doch eine Appendizitis. Eine «-itis» war stets eine Entzündung, sonst wäre es eine «-ose», wie beispielsweise eine «Arthrose» oder eine «Neurose». Eine «Gürtelrose» war wiederum etwas ganz Anderes, nämlich ein sogenannter Herpes Zoster, dessen Behandlung mühsam und aufwändig war, was aber deswegen nicht zwangsläufig mit dem Begriff «Zaster» in Verbindung stehen musste. Bei der Appendizitis drückte man also die Finger in die Bauchdecke am rechten Unterbauch, liess dazwischen immer wieder los und wenn’s wehtat, dem Patienten wohlverstanden, rief man nach dem Oberarzt. Selbstverständlich wusste man: Wenn der eine Oberarzt kommt, dann wird immer operiert, beim Anderen dagegen eher nicht. So wusste man jeweils im Voraus, was geschehen wird.

    Einer der erfahrenen Oberärzte war üblicherweise nicht zu erreichen. Aber nur, wenn er Dienst hatte. Dann versteckte er sich nämlich, die Zeitung lesend, auf der Chroniker-Abteilung G 2. Einmal hat ihn jemand dort aufgespürt. Seither fand man ihn, wenn er Dienst hatte, längere Zeit überhaupt nicht mehr. Hatte er aber dienstfrei, dann stand er meist, hinter einer Säule versteckt, im Notfall und harrte der kommenden Dinge. Kam derjenige Oberarzt des Weges, der immer einen Grund zum Operieren fand, wartete er, bis jener wieder weg war, schlich sich behände zum Patienten, drückte behutsam auf die Bauchdecke, brummte: «Das ist keine Appendizitis» und entfernte sich leise wieder. Nach der vorgenommenen Operation fragte er jeweils den Assistenten, ob denn die Appendix auch entzündet gewesen wäre und freute sich dann schelmisch, wenn nicht. Das mit der richtigen Diagnose war aber noch etwas kniffliger. Fand man bei der Operation nämlich einen «blanden», also einen gesunden und keinesfalls entzündeten Wurmfortsatz vor, dann platzierte ihn der Operateur nach entsprechender Freipräparation noch im Bauch auf seine linke Handfläche, legte die rechte darüber und rieb die Appendix unter sanftem Druck durch rasches Hin-und-Her-Bewegen der Hände. Wenn man danach die Appendix herausschnitt und sie anschliessend rasch in die Pathologie spedierte, diagnostizierte der wohlmeinend unwissende Pathologe stets eine akute Entzündung.

    Der besagte Oberarzt tauchte auch immer wieder unvermittelt irgendwo auf und fragte die nichtsahnenden Anwesenden, wie der Schwiegervater von Moses hiess. Selbstverständlich wusste niemand die Antwort. Darauf setzte der Oberarzt eine besorgt-traurige Miene auf und sagte: «Jethro, denn es heisst: Mose aber hütete die Schafe seines Schwiegervaters Jethro». Fast jeder Assistent, der damals dort beschäftigt war, weiss immer noch, und wenn’s nur das ist, wie der Schwiegervater von Moses mit Namen hiess. Manchmal sagte er auch ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem Geschehen um ihn herum: «Man sollte den Hund nicht zum Jagen tragen – hessisches Sprichwort.» Aber eigenartigerweise passte der Satz doch irgendwie fast immer. Und mit diesem Oberarzt, der trotz des potentiell verwirrenden ersten Eindrucks ein guter Diagnostiker und ein feinfühliger Mensch war, hatte Leo Konrad, so hiess der Assistenzarzt mit seinem vollen Namen, mehrere prägende Erlebnisse.

    Unwissende Leute glauben, dass angehende Chirurgen auf irgendeine Art ausgebildet werden. Dies ist eine Vorstellung, die erstaunlich wenig mit der Realität zu tun hat. Es gibt durchaus andere Länder, in denen für die Chirurgen eine standardisierte stufenweise Weiterbildung vorgesehen ist, aber hier war es, zumindest damals, wie geschildert. Man bekam die Operation jeweils dreimal gezeigt, d.h. man bekam sie von demjenigen, der sie bereits ausführen durfte, assistiert. Das war’s. Danach musste man es alleine können. Auch nachts. Auch wenn’s ganz schwierig war. Dies auch mit einem Assistenten, der einem gar nicht helfen konnte. Und bei drei dargebotenen Assistenzen konnte man sich noch glücklich schätzen. Sonst lief es gelegentlich auch gemäss: «See one, do one, teach one». Die englische Form verrät, dass es auch in anderen Ländern so gehandhabt wurde. Konrad tat stets, was man ihm sagte. Sein grösstes Plus war, dass er zeichnen konnte, wodurch der Chef für längere Zeit der Last, für seine Vorträge und Buchbeiträge einen geeigneten Illustrator suchen zu müssen, enthoben war. Dies weckte mitunter auch den Neid seiner Kollegen, was sich in Bemerkungen wie: «Du hast die Stelle nur bekommen, weil du zeichnen kannst» äusserte. Diese erste unheilschwangere Begegnung mit seinem Chef belehrte Konrad, dass es primär besser ist, den Mund zu halten. «Der Assistent hält Mund und Haken», lautete eine bekannte alte Chirurgenweisheit.

    An einem späten Abend, an sich war es eher ruhig, ging plötzlich die Tür der Notfallstation auf. Hinein traten zwei Typen mit Lederjacken, die einen dritten Mann zwischen sich halb trugen, halb schleiften. Der Verletzte, der wie gekreuzigt zwischen den beiden hing, war anfangs zwanzig, bleich, hatte offensichtlich Schmerzen. Es sah aus wie in einem der unzähligen Western der 60er Jahre. Die Befragung ergab einen gehabten heftigen, rasch eskalierenden Streit mit einem resultierenden Messerstich in der Bauchgegend des Opfers. Konrad war allein, nur die im Notfall zuständige Pflegefachfrau, damals hiess sie noch «Notfallschwester», war zugegen. Es war gegen Mitternacht. Der Patient wurde überwacht, bekam eine Infusion, labormässig bestand kein nennenswerter Blutverlust. Am Bauch, ungefähr auf Höhe der Gallenblase, hatte er einen längsverlaufenden, nicht blutenden Schnitt von etwa 1,5 cm Länge.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1