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Champagnerperlen süß-sauer: Mit 15 Rezepten aus der Champagne
Champagnerperlen süß-sauer: Mit 15 Rezepten aus der Champagne
Champagnerperlen süß-sauer: Mit 15 Rezepten aus der Champagne
eBook286 Seiten2 Stunden

Champagnerperlen süß-sauer: Mit 15 Rezepten aus der Champagne

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Über dieses E-Book

Lilly hasst Entscheidungen, und ihre Scheidung war nicht ihre Entscheidung gewesen. Ein Umzug steht an.
Ihr Verlag will einen gastronomischen Wegweiser herausbringen, Schwerpunkt französische Spezialitäten mit einem kulinarischen Wörterbuch. Lilly nimmt den Auftrag an und zieht für ein ganzes Jahr in ihr Ferienhaus - in die Champagne.
Vergnügliche Abenteuer, rund um den Lac du Der-Chantecoq, bestimmen ihr Leben im Eulenhaus. Ihr begegnen ungewöhnliche Nachbarn und ein liebenswerter Tierdoktor. Zwei mysteriöse Todesfälle und ein tobender Sturm bringen ihr Leben gehörig durcheinander. Und da ist auch noch Heudebert. Und wieder muss sie sich entscheiden.
Ein Roman mit Augenzwinkern und viel französischem Flair. Witzig, frech und bunt.
Mit 15 außergewöhnlichen Rezepten aus der Champagne.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum2. März 2021
ISBN9783753485607
Champagnerperlen süß-sauer: Mit 15 Rezepten aus der Champagne
Autor

Linde Richter

Linde Richter bringt als Autorin und Interpretin aus dem politischen Kabarett langjährige Erfahrung im Schreiben ein. Das Spiel mit Worten ist gereift und baut auf die Basis von drei Jahren Sprachstudium und Jobs in Paris und London sowie an der Costa Brava auf. Stationen wie Vier-Sterne Hotels in London, Positionen in einer amerikanischen Fluggesellschaft sowie für ein internationales Unternehmen der Luft- und Raumfahrttechnik ergänzen dies. Die erfolgreiche Integrationsberatung für internationale Klienten ist dabei das Kommunikations-i-Tüpfelchen der Autorin. Heute lebt Linde Richter wenige Kilometer südlich von Frankfurt am Main und hat sich einen Jugendtraum erfüllt. Sie kaufte ein altes Fachwerkhaus in der Champagne, das sie jeden Sommer mit viel Begeisterung als Ferienhaus nutzt. Dort beginnt die Autorin meist ihre neuen Werke zu schreiben.

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    Buchvorschau

    Champagnerperlen süß-sauer - Linde Richter

    Aller Anfang ist schwer …

    Eine kleine Hilfe durch das französische Wortdickicht ist im Glossar 1 ab Seite 253 verfügbar. Worte und Begriffe, die sich in der deutschen Umgangssprache eingebürgert haben, wurden nicht berücksichtigt.

    Als das Buch fertig war und ich alle Rezepte nachgekocht hatte, war meine Waage kaputt. Sie zeigte ein Gewicht, das so nicht stimmen konnte.

    Wer meine Rezepte nachkochen möchte, findet sie im Glossar 2 ab Seite 263. Für die korrekte Gewichtsangabe auf Ihrer Waage übernehme ich keine Haftung.

    Selbstverständlich sind Handlung und Personen frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weder erfunden noch zufällig sind Land, Landstriche, Städte und Ortschaften. Es lohnt sich, dort Urlaub zu machen. Und wenn Sie das Buch zu Ende gelesen haben, wissen Sie auch wo.

    Die Autorin

    Merci

    an meine französischen Freunde, Nachbarn und alle Bewohner meines Dorfes in der Champagne.

    Sie haben mir viele Geschichten erzählt und damit meine Fantasie angeregt.

    Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden.

    Trotzdem ist dieses Buch ein Roman und alle Handlung und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    »Hast Du schon unterschrieben? Sag mir bitte nicht, dass du schon unterschrieben hast.« Katharina packte mich an den Schultern und fixierte mich mit festem Blick.

    Was sollte der Aufstand? In geschäftlichen Dingen unterschreibe ich nie etwas ohne ihren Segen.

    Katharina ist klein, etwas pummelig und hat eine Energie für zwei. Außerdem ist sie die beste Literatur-Agentin der Welt und sorgt dafür, dass ich nicht nur Butter auf meine Brötchen bekomme; sie sorgt auch für den Belag und alle anderen Annehmlichkeiten in meinem Leben.

    Ich überlegte: Heute war Freitag der Dreizehnte, und heute sollte ich einen neuen Mietvertrag unterschreiben. Ich hasse Entscheidungen und suche immer nach einem Opfer, auf das ich die Verantwortung abwälzen kann. Klappt auch meistens. Beruflich habe ich dafür eine Agentin, privat einen Ehemann. Gehabt, sollte ich sagen, denn das mit dem Ehemann konnte ich inzwischen knicken. Seit ein paar Monaten muss ich mich ganz alleine entscheiden, ohne Ehemann, denn meine Scheidung war nicht meine Entscheidung gewesen. Die hatte Andreas ganz alleine entschieden. Nach sieben Ehejahren, genau genommen einen Winter nach dem verflixten siebten Jahr.

    Große Dachwohnung mit kleinem Balkon? Oder kleine Erdgeschosswohnung mit großer Terrasse? Ich sollte noch heute eine Entscheidung treffen und bei einem der Makler den neuen Mietvertrag unterschreiben. Aber bei welchem? Und was Katharina bei dieser Entscheidung zu suchen hatte, entzog sich mir vollends.

    Katharina riss mich aus meinen Gedanken.

    »Ich habe fantastische Neuigkeiten, du brauchst nur noch unterzeichnen. Der Vertrag ist sozusagen in trockenen Tüchern.«

    »Du hast was?«

    Ich funkelte sie empört an und sah mich schon in einer ungeliebten Wohnung sitzen, in die ich aus freien Stücken niemals eingezogen wäre.

    Sie erklärte es mir.

    Ich schnaufte empört: »Wie bitte? Du hast, ohne mich zu fragen, meine Mitarbeit für einen literarischen Schinken über gastronomische Absonderlichkeiten, in Verbindung mit einem Wörterbuch für Küchenanalphabeten zugesagt?«

    »Nun mach aber mal langsam.«

    Katharina erläuterte meinen zukünftigen Broterwerb: der Verlag wolle einen französischen Gourmet-Wegweiser in Verknüpfung mit einem Schlemmer-Wörterbuch herausbringen. Mit Spezialitäten, Raritäten, viel Lokalkolorit und dem dazugehörigen Nachschlagwerk. Nicht diese üblichen Fressgeschichten, sondern ein Buch mit weniger bekannten Liebhabereien aus der französischen Küche, vielleicht auch einigen Absonderlichkeiten. In Anekdoten verpackt, mit fachlichen Ausführungen und einem Feinschmecker-Lexikon im Anhang. Und natürlich bebildert. Um das Bildmaterial würde sich der Verlag kümmern, aber sie würden auch gerne Schnappschüsse von mir professionell aufarbeiten und entsprechend einbinden. Ich sollte mit der Champagne beginnen, weitere Departements würden folgen.

    Mir stand der Kamm, und ich schnaubte aufgebracht: »Ich soll für die ein Wörterbuch schreiben? Wie soll das denn gehen? Ich bin weder geprüfte Dolmetscherin, noch Übersetzerin oder annähernd so was Ähnliches. Gibt’s dafür überhaupt Leser?«

    »Lilly, soweit ich weiß, brauchst du dringend Geld, und es sollte dir schnurzegal sein, ob’s dafür Leser gibt oder nicht. Die wollen Atmosphäre und kein amtliches Siegel für ihr Wörterbuch. Die haben Untersuchungen und Marktanalysen gemacht; es gibt anscheinend nichts Vernünftiges auf diesem Gebiet. Das hast du bei deinen Frankreichaufenthalten auch immer gesagt. Das gastronomische Wörterbuch ist auch nur ein Nebenprodukt, der Schwerpunkt liegt auf deinen literarischen Beiträgen. Und vergiss eins nicht: du kannst dich auf Spesen unbegrenzt durchfuttern; in Restaurants, in Läden, auf Märkten, in Gastro-Manufakturen, sogar Übernachtungen kannst du absetzen. Überall gibt’s Histörchen und Rezepte, und auch immer was zum Probieren. Denk doch mal nach, da ist noch mehr drin. Die haben 101 Departements in Frankreich, plus fünf Übersee-Regionen. Wenn das klappt, hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt. Menschenskind, wach auf! Du könntest vorerst in deinem Ferienhaus in der Champagne leben, bräuchtest keine Miete zahlen und müsstest nicht mal umziehen. Jedenfalls nicht wirklich. Und außerdem – ich habe denen quasi schon zugesagt.«

    Das war Katharina: praktisch, quadratisch, gut. Sie hatte recht.

    Und sie legte noch einen drauf: »Ich regele das mit Andreas. Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Du nimmst nur das mit, woran dein Herz hängt. Den Rest kann er behalten und dich auszahlen. Du packst ein paar Koffer, schmeißt dein Notebook und den Drucker ins Auto und ab geht’s in dein neues Leben.«

    Das klang alles so einfach und so vernünftig. Mein Ex wollte nach meinem Auszug wieder in die eheliche Wohnung zurück. Mit seiner neuen Lebensabschnittgefährtin. Denn die Wohnung lag überaus praktisch, nur ein paar Schritte von seinem Arbeitsplatz entfernt.

    Ich überlegte: Die teure Wohnung konnte ich mir alleine nicht mehr leisten, und auch eine neue, wesentlich kleinere Wohnung würde einen Großteil meiner Einkünfte schlucken. Das Trennungsjahr war eine gesetzliche Vorgabe, die eingehalten werden musste; wie und wo, das war den Gerichten letztendlich egal. Und dass Andreas sich mit den alten Möbeln und den alten Erinnerungen rumschlagen müsste, das hatte was. Da krabbelte plötzlich etwas in mir hoch, das ich nicht kannte, das mir bislang völlig fremd war. Es war wie ein Kribbeln und Kichern in meinem innersten Ich. Ich staunte über mich selbst, das war die reinste Schadenfreude, die sich da plötzlich in mir regte. Sollte er doch an den Möbeln, an dem Nippes und den alten Erinnerungen ersticken!

    Ich holte tief Luft und war plötzlich ohne Ballast. Ich war frei. Und das Beste daran? Katharina hatte für mich die Entscheidung getroffen!

    Ich ertappte mich dabei, wie ich ein Liedchen pfiff. Der Motor brummte gleichmäßig über die A63. Der Himmel war grau, ab und zu blinzelte die Sonne aus dunklen Wolken. Für Ende März war es ungewöhnlich mild und obwohl die Farben noch einen durchsichtigen Regenmantel trugen, stand der Frühling bereits in den Startlöchern.

    In meinem Peugeot befanden sich drei funkelnagelneue Hartschalenkoffer. In knallrot! Diese praktischen Teile hatten integrierte Räder und waren nach Größen sortiert. Dazu hatte ich mir eine farbig passende Reisetasche, in einem fröhlichen Paisleymuster und ebenfalls knallrot, gekauft. Alle Koffer waren bis zum Rand vollgestopft und auf der Hinterbank fest gesichert. Mein Notebook und den Drucker hatte ich rutschfest zwischen eine Küchenkiste und eine Kühlkiste, sorgfältig in eine Übergangsjacke und in einen Poncho eingewickelt, im Kofferraum verstaut.

    Leichtes Gepäck, wenn man in Betracht zog, dass ich mich von Deutschland verabschiedet hatte, um in Frankreich ein neues Leben zu beginnen.

    Neun Kartons mit angeblich unzertrennlichen Dingen waren mit einer Spedition auf dem Weg in mein kleines französisches Dorf.

    Maison Chouette, mein Ferienhaus in der Champagne. Ich war über ein Jahr nicht mehr in meinem Eulenhaus gewesen. Die Trennung hatte alle meine Kräfte aufgebraucht. Zuerst war da die Enttäuschung, danach der Zorn, und auch die nachfolgenden Ängste mussten erst verarbeitet werden. Mit Mitte Vierzig, Freelancer und geschieden, hat man nicht mehr so großartige Aussichten im Leben – dachte ich.

    Meine Hausärztin dachte anders und schickte mich zu einer Therapeutin, die mir erklärte, dass „Anpassungsschwierigkeiten" mein Hauptproblem seien, und dass auch das vorübergehen würde.

    Nachdem wir dies ausdiskutiert hatten, sprachen wir hauptsächlich über den Umbau ihres geerbten Elternhauses, einem Fachwerk-Lehmbau wie mein Eulenhaus. Mit Lehm hatte ich Erfahrung und, wie ich später zugeben musste, der Austausch über Lehmputz, Fachwerkschindeln und Quarkfarben lenkte mich weitgehend von meinem Trennungsschmerz ab. Meine Seelenklempnerin prahlte mit ihrem neu erworbenen Fachwissen vor ihren Handwerkern und rettete damit – ganz nebenbei – mein marodes Seelengerüst vor dem Einsturz.

    Ich atmete tief durch. Adieu, ihr selbst geschmierten Brote, ihr sorgsam entkernten Apfelschnitze. Adieu, ihr Gürkchen, Tomätchen und Radieschen. Und, vor allen Dingen, Adieu, ihr beiden Kaffeekannen, eine mit und eine ohne Milch. Von jetzt an zählte nur noch ich!

    Durch einen kleinen, abseits gelegenen Grenzübergang fuhr ich in meine neue Heimat. Immer weiter nach Südwesten. In den Vorgärten der Dörfer blühten bereits Primeln und Narzissen. Ganze vier Wochen früher als in meiner alten Heimat.

    Ich entdeckte ein gemütliches Bistro, wo ich zum ersten Mal meine geliebten Crevetten mit ganz viel Knoblauchsauce bis zum Abwinken aß. Zwei ganze Portionen nur für mich. Ich brauchte mir keine Gedanken mehr über einen nörgelnden Ehemann machen, der die ganze Fahrt über, die Nase rümpfend, Tiraden über mangelnde Rücksichtnahme und fehlende Achtsamkeit ablassen würde.

    Über zwei Bergzüge fuhr ich über die inzwischen auf 80 km Höchstgeschwindigkeit beschränkten Landstraßen, quer durch die Departements Lothringen, Maas und Mosel, in die Haute Marne. Etwas wehmütig durchfuhr ich die zwölf Orte mit den ungewöhnlichen y-Endungen: Many, Herny, Béchy, Luppy, Buchy, Vigny, Louvigny, Limey, Flirey, Brousey-en-Wouvre, Commercy und Ligny-en-Barrois. Auf unseren gemeinsamen Fahrten hatten Andreas und ich es uns immer zu einem Sport gemacht, die nächsten Dörfer vor den Ortsschildern zu erraten.

    Ich schaute etwas genauer hin, irgendwie kamen mir die verlotterten Ortschaften aufgeräumter, blumengeschmückter, bunter vor als bei meiner letzten Reise. Viele Neubaugebiete waren entstanden, es wurde überall gebaut. In Flirey waren die breiten Rasenstreifen vor den Häusern verschwunden und hatten einem gepflegten Bürgersteig mit Stellplätzen Platz gemacht. Ein neu eröffnetes schmuckes, lachsrosa Hotel stand am Straßenrand. Der Lac de Madine war nicht mehr weit.

    In Gironville-sous-les-Côtes machte ich an einem einsamen, verwilderten Garten, an einen Berghang geschmiegt, einen kurzen Stopp, wo wir auch früher immer eine kurze Rast gemacht hatten. Beine vertreten war angesagt. Der Blick nach unten öffnete sich weit über Wälder, Wiesen und Felder. Dazwischen lagen, wie hingekleckert, ein paar Weiler. Rinder in Weiß, Schwarzbunt, Milchkaffee und Schokolade grasten im saftigen Grün.

    Ich schlenderte durch die vernachlässigten Beete, an wuchernden Sträuchern vorbei, bis zu der verwitterten Gartenhütte. Dort stand einzig noch der Kamin. Das Dach war zusammengebrochen, die Wände nur noch zersplitterte Trümmer mit windschiefen Fensterrahmen. Auch der Türrahmen gähnte mir leer entgegen. Ich blickte wehmütig auf diese Vergänglichkeit, und mir kam unvermittelt der Gedanke, dass ich in Zukunft an solchen erinnerungsschwangeren Zwischenstopps nicht mehr Halt machen sollte.

    Reiß dich zusammen, Lilly!

    Vor der verfallenen Gartenhütte blinkte etwas im Sonnenlicht. Ich bückte mich und hob einen kleinen Dreckklumpen auf. Zwischen Erde und Pflanzenresten versteckte sich ein silberner Anhänger mit dem Buchstaben „L" an einer kurzen Kette mit Clip. Vorsichtig schaute ich mich um. Niemand zu sehen. Ich gebe es zu, ich steckte den Anhänger in die Hosentasche und hatte dabei überhaupt kein schlechtes Gewissen. Der Garten wurde seit Jahren nicht mehr genutzt, der hatte schon lange keinen Besitzer mehr gesehen. Und ich heiße Lilly, also eigentlich Liliane. Bedarf es noch mehr Argumente?

    Übermütig rupfte ich mir für meinen Garten noch ein paar Ableger aus. Pflänzchen, die sich später als wunderschöne Blumenstauden entpuppten und von mir mit viel Liebe gepflegt werden sollten.

    Über einen kleinen Umweg besuchte ich die fabrication des Madeleines in einem verträumten Städtchen namens Commercy. Fast hätte ich den Wegweiser übersehen und donnerte krachend über eine nicht angekündigte Betonschwelle den Hang hinauf, zu einem etwas verwahrlosten Parkplatz. Oben, auf dem Hügel, stand wie fremdgesteuert ein futuristisch anmutender Holzbau. Vor den diagonal abgeschrägten, bodentiefen Glasfenstern saßen bereits einige Gäste auf der Terrasse und nutzten die ersten warmen Sonnenstrahlen.

    Ich parkte, sortierte meine steif gewordenen Beine und ging in das Gebäude.

    Ein warmer Duft umfing mich. Ich schaute mich um. Bunte Schachteln, pralle Tüten, peppige Bonbonnieren und handbemalte Dosen stapelten sich auf deckenhohen Etageren. Zwei Bäcker in gelben Hemden und weißen Schürzen, eine Bäckermütze pfiffig über die Haare gestülpt, wuselten hinter Glasscheiben und schütteten duftendes, muschelförmiges Gebäck von großen Blechen in hölzerne Gefache: Madeleines nature¹, Madeleines mit Schokolade, Madeleines mit alkoholisierten Mirabellen gefüllt, oder miniature. Ich durfte probieren. Das zarte Gebäck zerschmolz auf der Zunge und löste Erinnerungen an Wohlsein und eine fröhliche Kindheit aus. Ich kaufte von jeder Sorte einen Beutel. Das bisschen Butter, Puderzucker und Mehl hatte seinen Preis, die Schokoladigen und die Beschwipsten waren noch teurer.

    Nebenan, im angeschlossenen Café, bestellte ich mir eine heiße Trinkschokolade und eine kleine Auswahl aller angebotenen Sorten. An einem bodentiefen Fenster, mit schönem Blick über das weite Tal, ließ ich mir genüsslich meine feinen Errungenschaften auf der Zunge zergehen.

    Hoppla, da musste mir wohl ein Schmatzer von den Lippen geflohen sein, denn mein Nachbar, ein wohlgerundeter Lothringer, erzählte mir in charmant gebrochenem Deutsch die Geschichte der Madeleines: Im Jahr 1755 weilte der polnische Exilkönig Stanislaus Leszczynski im Sommerschloss des Herzogs von Lothringen in Commercy. Sein Besuch kam überraschend, die Vorräte waren knapp und die Küchenmagd Madeleine Paulmier sehr erfinderisch. Sie entzückte die Adelsgesellschaft mit einem schnell zusammengerührten Gebäck, und zum Dank benannte der Exilkönig diese Leckerei nach ihr.

    Ich hing an seinen Lippen und hörte ihm aufmerksam zu.

    Mein Nachbar empfahl mir, die gekaufte Menge zu verdoppeln, das Gebäck einzufrieren und nach dem Auftauen auf einem Toaster zu rösten. Er warnte mich: die industrialisierte Version aus den Supermärkten koste zwar nur die Hälfte, würde aber dem Produkt aus Commercy nicht annähernd das Wasser reichen. Allein der Preis für diese Köstlichkeit ließ mich seinen Rat nicht befolgen, was ich später tief bereuen sollte.

    Es war Sonntag. Die Bäckereien haben in Frankreich auch sonntags geöffnet, auf den Dörfern aber nur über die Mittagszeit. Für meine Bedürfnisse war ich viel zu spät dran. Ich staunte nicht schlecht, als ich auf meiner Route über die beschaulichen Landstraßen an Parkplätzen oder Dorfplätzen mehrere Baguette-Automaten entdeckte. Das musste neu sein. Ich konnte mich nicht erinnern, so etwas auf meinen früheren Fahrten bemerkt zu haben.

    Ich hatte bei meinem letzten Besuch in meinem Ferienhaus den Kühlschrank ausgeräumt und den Gefrierschrank abgetaut. Alle Vorräte hatte ich nach Deutschland mitgenommen, infolgedessen herrschte in meiner französischen Küche Ebbe. Ich brauchte für den Sonntagabend etwas zu essen, also kramte ich zwei Eurostücke aus meinem Portemonnaie und kaufte zwei Stangen Weißbrot. Es dauerte eine Weile, bis der Apparat meine Brote ausspuckte. Das Gerät war zwar nur ein Automat, aber in der Wartezeit wurden meine beiden Baguettes auf den Punkt genau ausgebacken.

    Schon nach kurzer Zeit begann es im ganzen Auto verführerisch zu duften.

    Ich konnte nicht widerstehen und brach mir ein Stück von dem frisch gebackenen Brot ab. Es blieb nicht dabei. Kurz vor der Kreisstadt stellte ich fest, dass ich auf der Fahrt ein ganzes Weißbrot verspeist hatte.

    Bildete ich mir das nur ein, oder hatte sich die Kreisstadt zu ihrem Vorteil verändert? In der Hauptstraße gab es neue Geschäfte, neue Bistros, und an dem halbrunden Wohnkomplex, mitten in der Innenstadt, waren die Gebäude renoviert; der Platz davor mit jungen Bäumen bepflanzt. An der Uferbefestigung der Marne spazierten die Bürger

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