Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen
Von Clemens Brentano
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Buchvorschau
Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen - Clemens Brentano
Clemens Brentano
Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen
Saga
Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1847, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726762563
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Fanferlieschen
Es war einmal ein König, der hiess Jerum, und sein Land hiess Skandalia, und er regierte in der Stadt Besserdich. Dieser Jerum war gar nicht viel wert, er quälte seine armen Untertanen bis aufs Blut, so dass sie jahraus, jahrein schrien: ,,O Jerum, o Jerum, sieh auf Skandalia und bessere dich!" Er wirtschaftete aber immer drauflos und war ganz das Gegenteil seines verstorbenen Vaters, dessen Sterbetag die Bürger von Besserdich jährlich mit grosser Traurigkeit feierten. Vor diesem Tage ritt der böse Jerum immer mit seinem ganzen Hofstaat nach einem fernen Jagdschloss Munkelwust, um nicht die Liebe seiner Untertanen zu seinem seligen Vater zu sehen. Als er nun einstens mit unanständigem Hörnergeblase und Peitschengeknall am Tag vor dem Trauerfest der Stadt hinauszog, sah er nah an dem Tore vor einem kleinen Hause eine alte Frau ihre Ziege kämmen. Da nahm er seinen Bogen und legte einen Pfeil auf und verwundete der alten Frau die Ziege. Die Alte ergrimmte sehr und schrie ihm nach:
O Jerum, o Jerum,
Meine Ziege geschossen!
O Jerum, o Jerum,
Dir selbst zum Possen!
Sie ist ein armes Waiselein,
Wird Königin im Lande sein.
Jerum bekümmerte sich nicht um das Geschrei der Alten und sprengte im Galopp zur Stadt hinaus. Die Alte hiess Fanferlieschen und war eine ausserordentlich kluge Hexe; bei dem verstorbenen Vater des König Jerum hatte sie sehr viel gegolten; sie hatte damals grosse Macht in Händen und dem Lande viel Gutes getan. Wenn der alte König einen Minister oder General oder Gelehrten haben wollte, so ging er nur zu Fanferlieschen, die damals sehr schön war, und sprach nur:
Fanferlieschen
Hat schöne Füsschen,
Nicht zu lang, nicht zu kurz,
Schüttle mir aus deinem Schurz
Einen guten Staatsminister! —
„Herr, da ist er!"
sprach sie dann und schüttelte ihn aus der Schürze. So hatte sie dem König viele geschickte Leute verschafft. Aber als der Jerum an die Regierung kam, wurde Fanferlieschen vertrieben, ja er liess ihr ein grosses Loch von seinen Jagdhunden in die Schürze reissen und misshandelte sie auf alle Weise. Da zog Fanferlieschen in ein kleines Haus in der Vorstadt und mästete Vieh und Geflügel, und man wunderte sich über gar nichts, als dass sie niemals einen Ochsen oder Esel oder ein Pferd oder einen Puthahn oder sonst etwas verkaufte. Aber oft hörte man sie in der Nacht, wenn alles ganz still war, sehr ernsthafte Staatsgespräche mit ihrem Vieh halten, und lautete es nicht anders, als wenn die grössten Professoren bei ihr versammelt wären, so dass es ordentlich in der ganzen Stadt ein Sprichwort war, wenn einer von den Hofleuten des König Jerum einen übeln oder dummen Streich machte, zu sagen: „Dieses Rindvieh hat nicht bei dem Fanferlieschen studiert."
Als ihr der Jerum nun die Ziege verwundet hatte, geriet Fanferlieschen in den höchsten Zorn gegen ihn und entschloss sich, Rache an dem König zu nehmen. Sie legte die geliebte Ziege in ein schönes Bett und verband ihr die Wunde mit Kräutern und Wein. In der Stadt machte man schon alle Anstalten, das Andenken des verstorbenen guten Königs Laudamus zu feiern. Alle Häuser waren mit schwarzem Tuch behängt, auf allen Türmen und Rauchfängen wehten schwarze Fahnen. Alle Glocken, die geläutet wurden, hatten schwarze Flöre an den Schwengeln. Alle Bürger zogen schwarze Wäsche und Kleider an, alle Perückenmacher puderten schwarz, alle Schimmel waren Rappen, man ass nichts als Schwarzwildpret und Schwarzwurzeln und Schwarzsauer. In solcher entsetzlichen Schwärze waren bereits alle Einwohner in der grossen Kirche der heiligen Nigritia um das Grab des Königs Laudamus versammelt, auf welchem viele tausend schwarze Fackeln brannten, und warteten nur noch auf das Fräulein Fanferlieschen, um ihre Trauergesänge anzufangen. Denn Fanferlieschen pflegte alle Jahre dieses Trauerfest mit einem grossen Leichenzuge zu verherrlichen. Sie kam immer an der Spitze ihres sämtlichen schwarzen Horn- und Federviehs durch die Stadt in die Kirche gezogen, und es war den guten Bürgern nichts so rührend, als alle die schwarzen Pferde, Esel, Stiere, Kühe, Böcke, Ziegen, Schafe, Schweine, Hunde, Katzen, Puthahnen, Pfauen, Haushähne, Hühner, Schwanen, Gänse und Enten usw. die bittersten Tränen vergiessen zu sehen. Ein grosser Teil in der Mitte der Kirche war für sie und ihren Zug freigelassen; die Bürger harrten. Da kam der Kirchendiener und zeigte an, dass der Zug der Fanferlieschen sich nähere; die Tore wurden aufgetan, und man sah Fanferlieschen in schwarzem Samt gekleidet mit einer Krone von schwarzen Brillanten neben einer schwarzen Portechaise hergehen, die von zwei schwarzen Eseln getragen wurde. Vor ihr her ging ein schwarzer Pudel auf den Hinterbeinen, der trug Fanferlieschens Schürze, welche dem Lande so viel Gutes getan und von den Jagdhunden des Jerums zerrissen worden war, an einer Stange als Trauerfahne, und hinter der Trauerportechaise folgten viele schwarze Böcke und Ziegen mit Trauerflören und Zitronen auf den Hörnern. Dann kam alles übrige schwarze Horn- und Wollen- und Federvieh, alle mit Zypressenzweigen und