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Der radioaktive Mann
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eBook224 Seiten3 Stunden

Der radioaktive Mann

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Über dieses E-Book

Anlässlich eines Umzugs des dänischen Außenministeriums hält der Geheimdienst PET eine Sicherheitsprüfung der Mitarbeiter des Ministeriums für erforderlich, da es kurz zuvor zu einem Spionageskandal gekommen war. Kriminalassistent Bojskov wird mit der ebenso delikaten wie heiklen Aufgabe betraut, einen Plan für den Check-up zu erarbeiten. Bei der Überprüfung stellt sich heraus, dass geheimes Aktenmaterial spurlos verschwunden ist. Eine Spionageaffäre bahnt sich an, von der aus Verbindungslinien zunächst nach Westdeutschland und von dort weiter nach Ost-Berlin führen.Die Affäre spitzt sich zu durch die mysteriöse Krankheit und den Tod eines ehemaligen PET-Beamten. Die Ermittlungen führen Geheimdienstchef Trapp Madsen auf eine heiße Spur, die direkt zur Atomversuchsanstalt Risø führt."Der radioaktive Mann" ist sicherlich Søren Jakobsens bisher spannendster Spionagekrimi. Hier erzählt er von den Ereignissen, die in "Die Marmortaube" nur gestreift wurden."...ein Spionageroman, einer der besten, die in Dänemark geschrieben wurden." - AktuellAUTORENPORTRÄTSøren Jakobsen ist seit mehr als 20 Jahren Journalist. 1980 erschien sein erster Kriminalroman, der erste dänische Krimi, der im Geheimdienstmilieu spielt. Jakobsen schreibt "faction". Als Redakteur der grössten dänischen Tageszeitung, des liberalen Boulevardblattes "Extra Bladet" provoziert er mit der Entlarvung der Praktiken des dänischen Nachrichtendienstes ein Skandal. Seitdem beschäftigt er sich mit dem Phänomen der Geheimdienste. 1978 erhielt er für seine Recherchen den Cavling-Preis für Journalistik. "Die Marmortaube" ist sein vierter Kriminalroman.KURZBESCHREIBUNG:Anlässlich eines Umzugs des dänischen Außenministeriums hält der Geheimdienst PET eine Sicherheitsprüfung der Mitarbeiter des Ministeriums für erforderlich. Bei der Überprüfung stellt sich heraus, daß geheimes Aktenmaterial spurlos verschwunden ist. Eine Spionageaffäre bahnt sich an, die sich zuspitzt durch die mysteriöse Krankheit und den Tod eines ehemaligen PET-Beamten. Die Ermittlungen führen Geheimdienstchef Trapp Madsen auf eine heiße Spur, die direkt zur Atomversuchsanstalt Risø führt.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711322765
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    Buchvorschau

    Der radioaktive Mann - Søren Jakobsen

    1

    Die Scheiben des Stadtbusses waren so verschmiert, daß man die Konturen der Häuser durch den Dreck nur ahnen konnte, aber die Route der Linie 3 von Nørrebro zur Musikersiedlung im Südhafen war auch nicht gerade eine Sightseeingtour.

    Obwohl Fahrräder wieder in Mode gekommen waren, hatte Poul Olsen keine Lust, von und zur Arbeit in die Pedale zu treten. Bei seinem Job als Möbelpacker bekam er Bewegung genug. Aber heute schien es ihm ein bißchen zu langsam zu gehen, obwohl die Busfahrerin verdammt gut fuhr, das mußte er ihr lassen.

    Poul Olsen war ungeduldig, denn ausnahmsweise hatte er Birte und den Jungen etwas Interessantes zu erzählen, wenn er nach Hause kam. Er saß im Bus und überlegte, wie er die Neuigkeit verkünden sollte. Sollte er sagen: »Hier kommt der Möbelpacker Olsen von der Mada Transport – der neue Star der Fernsehnachrichten«, oder sollte er den Mund halten, bis sein Bild auf dem Schirm im Wohnzimmer erschien? Die zweite Variante war verlockend, wirkte aber so beabsichtigt. Das lag ihm nicht. Nein, er würde damit am Abendbrottisch herausrücken, er würde ganz aufrichtig sein und sagen, daß er vielleicht in den Nachrichten kam. Es war ja nicht hundertprozentig sicher.

    »Ich weiß nicht, was die damit machen«, hatte der Kameramann gesagt. »Wir versuchen, ein paar Gags aufzunehmen. Machst du mit? Es kann aber auch sein, daß das nie in den Äther geht. Manchmal ist es ziemlich schwer herauszukriegen, was die in der Redaktion haben wollen. Die schmeißen immer irgendwas raus, soviel ist sicher.«

    Der Kameramann vom Fernsehen hatte geredet wie ein Wasserfall, und seine Ausdrucksweise hatte es Poul Olsen nicht gerade einfacher gemacht, ihm zu folgen. Das waren fixe Jungs. Schnell mit den Antworten und gut funktionierenden Wechselstrom in der Birne. Verflucht. Schon der Mozartvej – er mußte doch raus an der nächsten Haltestelle.

    Erst als Poul Olsen die letzten hundert Meter ging, bemerkte er, daß seine Sinne schärfer geworden waren. Als wäre er mit einer neuen und besseren Antenne verbunden. Er war immer damit zufrieden gewesen, im Straussvej zu wohnen. Die Miete war nicht zu hoch, die Häuser hatten kleine Vorgärten, und genau dahinter lagen der Valbypark und die Kleingartenkolonie. Aber an diesem Abend Anfang März kam ihm das ganze Viertel heruntergekommen vor. Die niedrigen Wohnblöcke waren gelblichgrau vom Rauch der Stadt und vom Dreck in der Luft aus den Fabriken im Südhafen.

    »Es hat sein Gutes und sein Schlechtes, wenn man aus dem Alltag herausgerissen wird«, murmelte er vor sich hin, als er durch die Gartenpforte ging.

    »Ich hab gutes Rindfleisch gefunden, im Angebot«, sagte Birte, als Poul in die Küche kam und ihr einen Kuß auf die Backe gab. »Sieht doch gut aus, oder? Normalerweise schrumpelt Fleisch aus dem Angebot ja immer völlig zusammen.«

    »Ich finde, wir sollten uns ein Bier zum Essen genehmigen. Die Kinder können ’ne Limo kriegen. Ich hab was Interessantes zu erzählen, wenn wir was auf die Rippen bekommen haben.« Poul grinste und bekam etwas rötere Backen.

    »Hast du dreizehn Richtige im Lotto oder ’ne Lohnerhöhung gekriegt? Du bist ja ganz aus dem Häuschen.«

    »Nein, reich werden wir wohl nie. Aber beim Film hab ich vielleicht ein bißchen Zukunft.«

    »Was soll das heißen, Poul?«

    »Daß ihr mich heute abend möglicherweise in den Nachrichten seht.«

    »Nun erzähl schon die ganze Geschichte. Laß dir nicht alles einzeln aus der Nase ziehen.«

    »Ja, also, heute haben wir mit dem Umzug vom Außenministerium angefangen. Ich hab vorher nichts davon gewußt, bis heute morgen der Transportchef ein paar von uns erfahreneren Jungs zusammenrief. Vier von uns – darunter ich – wurden zum Polier befördert. ›Verantwortungsvolle Arbeit ist das‹, erklärte der Transportleiter. ›Unsere Firma soll das ganze Inventar und sämtliches Archivmaterial des Außenministeriums von den verschiedenen Büros, die überall in der Stadt verteilt sind, ins neue Gebäude des Ministeriums am Asiatisk Plads bringen. Das Ministerium hat die komplette Planung übernommen. Läuft alles per EDV.‹ Tja, Birte, was sagst du nun? Umzug per EDV!«

    Poul griff sich symbolisch an den Kopf. Na ja, solange Computer noch nicht imstande waren, die Treppen rauf und runter zu rennen, interessierte ihn die Datenverarbeitung eigentlich einen Scheißdreck.

    »Wir wurden also eingewiesen und ermahnt. ›Kein Bier im neuen Ministerium. Ihr habt einen guten und effektiven Eindruck zu hinterlassen. Für die Firma steht viel auf dem Spiel. Wenn alles klappt, könnt ihr mit einer sauberen Zulage in bar rechnen. Natürlich gehört eine Pinkelpause zum normalen Arbeitsrhythmus, das ist klar.‹

    Von drei Adressen muß die Mada Transport umziehen, von der Stormgade 10–12 und der Stormgade 2. Die liegt ganz unten am Frederiksholm Kanal. Abteilung für internationale Wirtschaftsbeziehungen heißt der Laden. Ich hab gehört, das hat was mit der EG und mit Energie zu tun, aber für Möbelpacker ist es jedenfalls kein Energiesparprogramm. In den alten Kästen gibt es nämlich keine Aufzüge, und draußen auf der Straße fahren einem die Busse fast den Arsch ab. Wenn ich mit ’nem Loch in der Hose nach Hause komme, weißt du warum.«

    »Laß die ganzen Nebensächlichkeiten, Poul. Ich bin so neugierig.« Birte begann, sich über seine umständliche Art zu ärgern.

    »Na ja, nachmittags tauchte das Fernsehen auf. ›Habt ihr was dagegen, wenn wir ein bißchen drehen?‹ fragte einer von denen. ›Uns stört das nicht‹, hab ich gesagt, ›wenn ihr die Erlaubnis aus dem Ministerium habt?‹

    ›Immer mit der Ruhe, wir haben ganz oben an der Spitze, beim Direktor persönlich gefragt. Wir schießen hier jetzt ein bißchen, während ihr die Kisten schleppt, und dann würden wir gern einem Wagen nach Christianshavn hinterherfahren und zusehen, wie ihr abladet. Ich denke nicht, daß ihr Ärger mit eurem Boss bekommt, wenn wir aus reinem Zufall den Firmennamen mit auf den Film kriegen.‹ Der Produzent grinste.

    Die folgten uns, und ich wurde gefragt, ob ich nicht das Ministeriumsschild abschrauben könnte. Tja, das konnte ich wohl, denn es stand in der feinen EDV-Liste. ›Ich habe nämlich eine bestimmte Idee‹, sagte der Kameramann.«

    Das graublaue Licht des Bildschirms breitete sich im Wohnzimmer am Straussvej aus, eine von hunderttausend Familien war vor der elektronischen Zeitung versammelt. Es ging um das übliche Gerangel in Christiansborg, düstere Aussichten für die Landwirtschaft und schlechtes Wetter vom Nordatlantik. Endlich erschien die letzte Überschrift: Umzug des Außenministeriums.

    Ja, es war alles klar. Auch im Fernsehen zog das Außenministerium um. Alles lief im Stummfilm-Tempo ab, die Begleitmusik, ein alter Ragtime, paßte prima. Die Kamera zoomte auf das Schild des Ministeriums, das gerade abgeschraubt wurde. Kisten wurden auf die Straße geschleppt und in den großen Möbelwagen der Mada verladen, der zur Feier des Tages im Parkverbot hielt.

    Die tiefe Kameraführung, als der Möbelwagen im dichten Verkehr über die Knippelsbro fuhr, beim zügigen Ausladen vor dem Warenaufzug des neuen Außenministeriums und schließlich beim Transport in die einzelnen Stockwerke, bewirkte, daß die kleine Filmeinspielung, die höchstens ein paar Minuten dauerte, eine ganz besondere Stimmung ausstrahlte. Sie sprang auch auf den Ansager im Studio über.

    »Bei diesem Tempo ist es nur schwer verständlich, daß der Umzug des Außenministeriums volle vierzehn Tage dauern soll«, sagte er, bevor er zum Wetterbericht überleitete.

    »Das war doch ganz lustig«, sagte Birte. »Es ist übrigens lange her, daß was Komisches in den Nachrichten kam. Und du hast dich doch auch nicht bei den Antworten blamiert.« In Wahrheit hatte Poul nicht ein Wort gesagt, aber sein Bild war zu sehen gewesen.

    Auch jetzt war er still, aber bevor die Pause peinlich wurde, klingelte das Telefon. Birte saß am nächsten.

    »Dürfen wir dem Starpaar einen ausgeben? Wir möchten so gern dabeisein, wenn ihr jetzt im ›Billed Bladet‹ und ›Se & Hør¹‹ auftaucht«, zwitscherte Lise.

    »Das mit den leeren Kisten hatte ich vergessen.« Poul hatte seine Stimme wiedergefunden. Der Satz blieb in der Luft hängen. Lise war noch immer am Apparat.

    »Ja, ja, dann kommen wir für ein, zwei Stunden. Nicht länger – wegen der Kinder.« Birte legte auf.

    »Wir gehen noch auf einen Sprung rüber zu Lise und Niels, nicht wahr, Poul?«

    »Ja, ich komme schon«, antwortete Poul, aber in Gedanken war er weder im Strauss- noch im Schubertvej. Er war am Asiatisk Plads und versuchte, sich das Bild in Erinnerung zu rufen, als der Lastwagen am Warenaufzug des neuen Ministeriums hielt. Svend Åge und Peter sollten anfangen, die verschlossenen Kisten abzuladen, die fertig gepackt in der Stormgade gestanden hatten.

    »Da waren ein paar leere Kisten dazwischen«, erzählte Svend Åge hinterher. »So viel Aufwand wäre doch für die Fernsehtypen wirklich nicht nötig gewesen.«

    Poul hatte wie ein großes Fragezeichen ausgesehen. »Was meinst du damit?«

    »Ich meine klipp und klar, daß es Blödsinn ist, wenn wir mit leeren Kisten herumrennen, nur um ein flottes Tempo vorzulegen und ein paar Typen zu imponieren, die sich bei ihrer täglichen Arbeit sicher nicht überanstrengen.«

    »Ich weiß nichts von leeren Kisten«, wehrte Poul ab.

    Doch hinterher hatte er sich schon seine Gedanken gemacht: es war etwas merkwürdig, daß die Leute vom Außenministerium volle und leere Kisten durcheinander gestellt hatten.

    Bei Lise und Niels mußte er die Erlebnisse des Nachmittags in allen Einzelheiten erzählen, und Poul genoß es ein bißchen, im Mittelpunkt zu stehen. Das geschah nun wirklich nicht so oft. Niels zeigte sich allerdings weniger beeindruckt.

    »Du hast ja für den Beitritt in die EG gestimmt. Deshalb ist es auch ganz richtig, daß du einer von denen bist, die sich einen Buckel von all dem politischen Papierscheiß holen müssen«, spottete er.

    »Alles ging so fix, daß wir sogar mit ein paar leeren Kisten gefahren sind.« Obwohl Poul seine Offenheit verfluchte, es war bereits zu spät. Niels hatte sofort einen Spruch auf Lager.

    »Na, das war doch ’n Ding, wenn dieser ostdeutsche Spion das Ministerium um geheime Dokumente erleichtert hätte.« Niels schlug sich vor Lachen auf die Schenkel, fügte aber dann versöhnlich hinzu: »Lise, haben wir nicht noch ein paar Bier? Man wird ganz durstig, wenn man mit solch einem Fernsehhelden zusammensitzt.«

    2

    ›Die Glücklichen mit Aussicht über die Stadt können auf Kopenhagens Skyline blicken, aber die Unglücklichen, die zum Hof hin oder in den geschlossenen Trakten sitzen, müssen das Gefühl eines Gefängnisaufenthaltes bekommen.

    Alles ist gedrängt und gepreßt.‹

    Jens Krog Petersen, der Direktor des Außenministeriums, verbrachte seine Arbeitszeit normalerweise nicht damit, Architekturkritiken zu lesen, aber die Kritik der ›Politiken‹ an dem neuen Außenministerium am Asiatisk Plads war in seine Morgenlektüre geraten. ›Feine Details‹, das war alles, was Henrik Sten Møller von der ›Politiken‹ an Positivem bei dem Rundgang gesehen hatte, zu dem er zusammen mit anderen Journalisten eingeladen gewesen war. Ansonsten kein lobendes Wort. Auch in der ›Berlinske Tidende‹ standen nur kritische Bemerkungen, die durch das Zitat eines unbekannten Mitarbeiters im Ministerium – ›Hier werden wir durchgezählt, danach gehen wir zurück in die Zellen. Es ist grauenvoll.‹ – noch unterstrichen wurden.

    Jens Krog Petersen hatte keinerlei Zweifel, daß gerade die Mitarbeiter, die von Christiansborg hierher gezogen waren, das Bürogebäude am Asiatisk Plads als einen unangemessenen Rückschritt empfanden.

    Die Adresse Christiansborg wurde intern als eine der besten angesehen, denn man saß zusammen mit dem Staatsminister und dem Außenminister unter einem Dach. Aber der Direktor und einige ältere Mitarbeiter hatten allmählich doch das Gefühl, daß die Unannehmlichkeiten das Prestige überwogen.

    Die politischen Krisen, die mit der gleichen unabänderlichen Sicherheit und Häufigkeit zu kommen schienen wie Regenschauer in den Schulferien, brachten es mit sich, daß die ehrwürdigen Gänge des Ministeriums von politischen Unterhändlern und dem ihnen nachfolgenden Schwanz von Journalisten und Photographen besetzt gehalten wurden. Letztere hatten weder diplomatische, geschweige denn gewöhnliche bürgerliche Manieren vorzuweisen – meinte der Direktor. Es war nicht ungewöhnlich, daß die Journalisten auf dem Fußboden herumlagen, wenn sich Konferenzen des Staatsministers bis in die Nacht hinzogen. Damit das Ministerium nicht allzusehr an die ›Strøget‹ an einem warmen Sommertag erinnern sollte, mußten die Beamten gelegentlich das Botschafterzimmer zur Verfügung stellen oder in ihrer eigenen Wachstube Bier ausschenken.

    Nein, dann doch lieber die kleine Distanz, die die Lage am Asiatisk Plads jetzt mit sich brachte, dachte der Direktor. Sie würde größere Arbeitsruhe bringen, und in einigen Monaten wird kaum noch jemand Witze über Gefängnisgänge und Zellen reißen. Was wäre denn die Alternative gewesen? Ein teureres Projekt – hier direkt an der Hafengrenze durchaus verlokkend – hätte ganz einfach wie eine Herausforderung gewirkt, wenn der Staat, die Ämter und die Kommunen an allen Ecken und Enden sparen sollten.

    Die Fernseh- und Zeitungsreportagen über das neue Ministerium liefen der leidigen Affäre um den ostdeutschen Spion, der die Liebe einer weiblichen Aushilfe, einer Studentin, ausgenutzt hatte, völlig den Rang ab. Über die Geschichte war sehr breit in der Presse berichtet worden, aber jetzt war das endgültige Urteil des Obersten Gerichtshofes gefallen, und es gab keine neuen Aspekte mehr. Die Architekturkritiker hatten die größten Überschriften, nicht die Gerichtsreporter.

    Der Direktor wurde durch das Brummen des grauen Tastentelefons in seinen Gedanken unterbrochen. Der Anruf kam vom Staatssekretär Viggo Nielsen im Justizministerium.

    »Eigentlich habe ich darauf gewartet, daß du anrufst und die Verbrechensvorsorge zu einem Studienbesuch einlädst, denn obwohl Brydensholt Richter am Landgericht geworden ist, haben wir doch nicht aufgehört, uns für die Verhältnisse in modernen Gefängnissen zu interessieren.«

    Der Direktor reagierte gemessen: »Hast du nichts anderes zu tun, als einen sehr beschäftigten Kollegen mit perfiden Bemerkungen zu belästigen?«

    »O ja, aber du bist doch wohl durch die Umzieherei nicht so beschäftigt, daß du vergessen hast, deinen Sinn für Humor mitzunehmen? Aber wenn du so streng geschäftlich bist, will ich gleich zur Sache kommen. Kurz und gut, ich meine, wir sollten ein kleines, informelles Gespräch über die Folgewirkungen des Falles Jörg Meyer führen. Bei der Gelegenheit kannst du mich ein bißchen in euren neuen, feinen Büros herumführen.«

    »Wenn du mich zum Wirt bestimmst, möchte ich gern den Sicherheitschef dabei haben, jedenfalls bei dem Teil unseres Treffens, wo es um Jörg Meyer geht.«

    »Laut Protokoll bestimmt der Wirt die Tischordnung, das ist richtig«, antwortete Viggo Nielsen, »aber das Informelle geht ein bißchen flöten, wenn ein Dritter dabei ist, es kann sich um einen noch so vertrauenswürdigen Mitarbeiter handeln. Kann es nicht unter vier Augen bleiben?«

    »Wenn du so darum bittest. Sagen wir Mittwoch um vierzehn Uhr.«

    Was hat er vor? dachte der Direktor und legte den Hörer auf. Der Sicherheitschef des Ministeriums hatte allen Verhandlungen beigewohnt, zuerst im Østre Landsret und dann vor dem Obersten Gerichtshof. Das Ministerium hatte mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet, und Viggo Nielsen hatte keinerlei Andeutungen darüber gemacht, daß der Sicherheitschef lästig gewesen wäre.

    Als eine übliche Beendigung der ganzen Angelegenheit hatte der Sicherheitschef vorgeschlagen, die Sicherheitsvorkehrungen des Außenministeriums zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Auf diese Weise wäre man vorbereitet, wenn der Fall später noch einmal von der Regierung aufgegriffen würde, das Außenministerium könnte dann eine weniger willkommene Initiative erfolgreich abwehren.

    Der Direktor hatte zugestimmt. Der Vorschlag klang vernünftig. Wenn es wirklich etwas zu korrigieren gab, war es das beste, wenn das Ministerium von sich aus die Initiative dazu ergriff. Viggo Nielsen kam wahrscheinlich nur, weil er als Staatssekretär dazu neigte, seine Effektivität unter Beweis zu stellen. Na, bereits morgen würde es sich zeigen, ob Viggo Nielsen Mit- oder Gegenspieler war. Die zweite Möglichkeit schlug sich Krog Petersen sofort aus dem Kopf.

    »Bitte sehr, der Direktor erwartet Sie«, sagte die Sekretärin im Vorzimmer und schenkte dem Staatssekretär Viggo Nielsen ein professionelles Lächeln.

    Der Staatssekretär ist ein kleiner drahtiger Mann. Von seiner einstigen Haarpracht ist nur ein dunkler Kranz geblieben, wodurch sein Kopf größer wirkt, als er eigentlich ist. Aber optischer Betrug oder nicht: Niemand bezweifelt die Begabung des Staatssekretärs, und wenn jemand diesen Fehler machen sollte, ist dies eine der Fehleinschätzungen, die man sehr schnell bedauert.

    »Darf ich dir eine Tasse Kaffee anbieten?« fragte der Direktor zuvorkommend.

    »Ja, das

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