Alte Irische Mythen und Legenden
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Buchvorschau
Alte Irische Mythen und Legenden - Ronan O Domhnaill
Einleitung
„I cannot tell how the truth may be, I tell the tale as ‘twas told to me."
Walter Scott
Als ich in Irland lebte, bemerkte ich oft, daß sich Irlandreisende für unsere Kultur interessieren. Es gibt bereits mehrere Bücher über irische Legenden in englischer Sprache, die allerdings die Bedeutung der Namen von Helden und Ortschaften verfremden, weil sie nicht genau übertragen wurden. Ihre wahre Bedeutung und Schönheit liegt in der gälischen Sprache. Mit diesem Buch will ich versuchen, dem Leser die gälische Kultur mit ihren Helden und die Sagen, die mit den verschiedensten Ortschaften verknüpft sind, näherzubringen. Bisher haben nur wenige Forscher versucht, die kulturellen Hintergründe der Geschichten zu erklären.
Legenden werden in der Regel als belanglose Märchen abgetan. Sie sind jedoch ein Spiegel der jeweiligen Kultur und des menschlichen Lebens, weil sie von urmenschlichen Empfindungen wie Liebe, Haß oder Freundschaft erzählen. Die Prioritäten mögen sich zwar inzwischen verschoben haben – so spielt die Ehre in der heutigen Gesellschaft keine große Rolle mehr –, die substanzielle Aussage der Legenden jedoch bleibt weiterhin verständlich, da sich im Gefühlsleben der Menschen keine große Wandlung vollzogen hat.
Die Legenden beschreiben das Irland zwischen 600 v. Chr. und 800 n. Chr. In der damaligen Gesellschaft konnten die Worte eines Dichters (File) den Ruf eines Mannes aufbauen oder zerstören, und die Druiden waren die heiligen Männer. Das Land war in fünf Königreiche aufgeteilt, mit einem Hochkönig in Teamhair, dem heutigen Meath. Interessant ist die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Sie schienen großen Einfluß zu haben und galten als starke Persönlichkeiten. Sie griffen aktiv in das Leben der Männer ein, versuchten teilweise es zu ändern oder die Entscheidungen, die die Männer treffen mußten, zu beeinflussen. Sie waren also nahezu gleichberechtigte Lebenspartner, die dem anderen mit Rat und Tat zur Seite standen. Es konnte auch vorkommen, daß die Lebenskrise eines Mannes in einem Frauengespräch geklärt wurde, wie in der Geschichte Die Krankheit von Cú Chulainn und die Eifersucht von Emer. Ein immer wieder auftauchender Frauentyp war die eifersüchtige Intrigantin, aber die besten und berühmtesten Krieger waren oft auch Frauen. Irland war damals ein gefährliches Land, und dafür mußten alle Menschen gewappnet sein.
Auf Grund der bedrohlichen Umwelt suchte man sich durch befestigte Bauten zu schützen. Die Leute lebten in Dúns, Holzhäusern, die von einem Palisadenzaun geschützt wurden. Spuren dieser Häuser und der Erdwälle, auf denen die Zäune standen, sind heute noch zu finden. Üblich waren auch Steinforts. Noch heute kann man den Dún Aonghus, den berühmtesten von ihnen, besichtigen. Wie der Name besagt wurde bei den Steinforts statt Holz Stein verwendet. Die hohen Steinwälle sind noch erhalten.
Neben diesen archäologischen Funden haben sich auch Legenden, die mündlich überliefert und ab dem 6. Jahrhundert n. Chr. erstmals aufgezeichnet wurden, erhalten. Die Legenden und Mythen, die hier vorgestellt werden, sind nicht alle keltischen Ursprungs. Zwar ist es heute üblich, alles aus Irland keltisch zu nennen, doch kamen die Kelten erst um 600 v. Chr. nach Irland, das bereits seit 6000 v. Chr. besiedelt war. Die vorkeltischen Einwohner hinterließen ihre Spuren in Form von Grabhügeln wie in Brú na Boann (Newgrange). Auf diesen gibt es Symbole, deren Bedeutung uns jedoch rätselhaft ist. Leider ist fast nichts über die vorkeltischen Einwohner Irlands bekannt. Wer etwas über das Volk, das vor den Kelten in Irland war, erfahren will, muß auf die Legenden zurückgreifen. Diese wurden bis ins 17. Jahrhundert als historische Tatsachenberichte betrachtet. Als Céitinn ([Ketjin]) sein Buch Foras Feasa ar Éirinn oder die Geschichte Irlands im 17. Jahrhundert schrieb – eine der letzten wichtigen Handschriften Europas –, tat er genau das.
Image - img_02000001.jpgNach Céitinn gab es in Irland niemanden der ‘Rasse von Adam’ vor der Sintflut. Cesair, Tochter von Bith, Sohn von Noah, gehörte zu den ersten Siedlern. Mit ihr kam Partholan und danach eine Gruppe namens Formor, die grausam und gewalttätig war. Anschließend landete Nemed mit seinen Anhängern in Schiffen. Nach einem Sturm am Meer kamen die meisten seiner Leute ums Leben. Nemed lebte einige Zeit in Irland, dann starben er und seine Leute auf rätselhafte Weise. Nach ihm kamen die Firbolg und danach die Tuatha Dé Danann (Volk der Göttin Danu) aus Persien.
Die früheste Schrift, die wir heute kennen, entwickelte sich erst um das 4. Jahrhundert n. Chr. Sie heißt Ogham und besteht aus einer Reihe von Punkten und Strichen. Diese Schrift ist allerdings nur auf Gräbern erhalten. Die Legendenüberlieferung erfolgte zunächst rein mündlich. Die Iren besitzen dennoch die älteste einheimische Literatur Europas. Im 8. Jahrhundert n. Chr. wurden die ersten Texte, die heute noch erhalten sind, aufgezeichnet. Es sind die Legenden, die in gälischer (oder genauer gesagt: in alt- und mittelirischer) Sprache verfaßt wurden. Parallel zur schriftlichen Überlieferung bestand die mündliche weiter.
Einer der wichtigsten Texte dieser Zeit ist das Epos Táin Bó Cuailnge (kurz Táin). Es stammt aus dem 8. Jahrhundert n. Chr., aber der Inhalt war schon vor dieser Zeit entstanden. Es geht um einen Rinderraub und die darauffolgenden Streitereien zwischen den mächtigen Königreichen von Connacht und Ulaidh. Man erfährt von Heldentaten, großer Liebe, Betrug, zerbrochener Freundschaft und Leid. Die Ereignisse dieser Geschichte waren bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. nur teilweise bekannt, und es gibt eine interessante Legende, wie der Táin wiedergefunden worden sein soll. Der Dichter Senchán bat einen seiner Schüler aus seiner Dichterschule, den Táin wiederzufinden. Ein Student namens Emine meldete sich für diese Aufgabe und reiste nach Connacht. Dort fand er den Grabstein von Fergus, einem kühnen Krieger, der für Ulaidh gekämpft hatte, dann auf die Seite von Connacht gewechselt war[1]. Dort wurde er, als er eines Tages beim Baden war, von König Ailill ermordet, weil seine Frau Medhbh ihn begehrte. Emine sagte ein Gedicht an seinem Grabe auf, und Fergus erschien ihm in Nebel gehüllt und trug Emine den ganzen Táin vor. Drei Tage blieb Emine dort, und als er zurückkehrte, kannte er den Táin, und er wurde aufgeschrieben.
Die gälische Sprache ist eine heute noch lebendige Sprache. Die Kelten brachten diese Sprache nach Irland. Sie wurde nach der Legende von Fenius Fearsa aus 72 Weltsprachen entwickelt und war die Hauptsprache der Iren bis 1850. Erst um diese Zeit wurde die Legende ‘entdeckt’, und dank Gelehrter wie Kuno Meyer, Ernst Windisch und Caspar Zeuss wurden manche zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt. Im Gälischen haben die Legenden ihre wahre Bedeutung. Obschon einiges bereits in die englische Sprache übernommen wurde, liegt so manches noch immer versteckt in der gälischen Sprache. Aus Respekt meinen Vorfahren gegenüber habe ich die Titel oft im Neu-Gälischen dazu gesetzt und versucht, die Namen und Ortsnamen in ihrer originalen gälischen Form zu belassen. Sehr häufig verbirgt sich hinter dem Namen einer modernen Ortschaft eine Legende.
‘Es gibt sieben Wege eine Geschichte zu erzählen’ lautet ein altes Sprichwort. Die Geschichten sollten deshalb nicht als direkte Übersetzungen betrachtet werden, sondern als Weitererzählung uralter Geschichten. Dafür habe ich verschiedene Varianten einer Geschichte studiert und auf die Teile, die schwer verständlich oder sehr verwirrend sind, verzichtet. Ich habe auch versucht, sie in mündlichem Stil zu schreiben, denn sie wurden hauptsächlich erzählt.
Wenn man über Legenden spricht, versteht man sie meist als einen Teil der Vergangenheit, aber für die Iren ist die Vergangenheit eng mit der Gegenwart verknüpft, und auch in diesem Jahrhundert reden sie über die alten Helden, als ob sie noch am Leben und gute Bekannte wären. Die Iren haben zu diesen Helden ein sehr persönliches, fast familiäres Verhältnis. Wie stark der Glaube an die Legenden und deren Figuren auch heute noch ist, zeigt die folgende Anekdote:
Im Sommer 1999 wollte ein Ingenieur in der Grafschaft Clare im Südwesten Irlands eine weitere Straße bauen und die grüne Insel noch grauer machen. Ein Baum stand im Weg, aber es war kein normaler Baum, sondern ein Feenbaum. Wenn ihn jemand zerstöre, behauptete Eddie Lenihan, ein seanchaí ([shan ki]) oder Erzähler von alten Volksgeschichten, würde es Unglück, vielleicht Autounfälle, bringen. Das ganze Land lachte darüber, denn ein solcher Aberglauben paßte nicht zum modernen Irland, aber insgeheim hatten die Leute Angst vor dem Baum, und die Straße wurde um ihn herum gebaut.
Trotz Medienzeitalter und Globalisierung ist es immer noch möglich, eine uralte Kultur innerhalb Europas zu spüren. Fahren Sie nach Irland, besuchen Sie die Orte, die ich hier erwähnt habe, und inmitten der grünen Hügel und Felder können Sie sich in andere Zeiten hineinversetzen. Sie werden nicht enttäuscht sein.
Einführung
Hinweise für die Aussprache der gälischen Namen
Genaue Hinweise für die Aussprache kann man nicht geben, denn die gälische Aussprache unterscheidet sich stark von der deutschen. Außerdem gibt es Laute, die im Deutschen nicht existieren. Männliche Namen sind mit einem m, weibliche Namen mit einem f gekennzeichnet. Manche Namen sind längst ausgestorben, andere werden immer noch benützt und sind mit einem Stern* markiert.