Kompendium Messtechnik und Sensorik: Ein Grundlagenüberblick für die Praxis
Von Jörg Böttcher
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Über dieses E-Book
Das Buch wendet sich einerseits an im Beruf stehende Ingenieure, Techniker und Naturwissenschaftler, die messtechnische Systeme einsetzen oder dies planen. Andererseits an Studierende und Lehrende in technischen Bachelor- und Masterstudiengängen, die mit diesbezüglichen Fragestellungen in Lehrveranstaltungen oder studentischen Arbeiten (Abschlussarbeiten, Praktika, Studienarbeiten) befasst sind. Gleichermaßen sind diejenigen adressiert, die in weiterführende technische Ausbildungen involviert sind z.B. an Techniker- und Meisterschulen.
Nach einem einführenden Kapitel, indem es u. a. um Messwertangaben, Kalibrierprozesse und metrologische Institutionen geht, beschäftigt es sich mit Kennlinien und Messabweichungen. Auch einige grundsätzliche Tipps, wie man Messabweichungen systematisch korrigieren kann, finden sich hierbei. Nach Betrachtungen, welche Kenngrößen beim Messen von Wechselgrößen relevant sind, wendet es sich praktischen Aspekten beim Messen der elektrischen Basisgrößen Spannung, Strom und Leistung zu. Es folgt eine Darstellung der für die Arbeit mit modernen Oszilloskopen und Spektrumanalysatoren wichtigen Grundprinzipien. Ab hier geht es in der zweiten Hälfte des Buchs um das Messen nichtelektrischer Größen. Es werden zunächst die wichtigsten Verfahren betrachtet, wie Sensorsignale ausgewertet werden, ehe nach Messgrößen gegliedert die Funktionsweise der häufigst eingesetzten Sensortypen besprochen wird. Hierbei wird ein weiter Bogen von geometrischen Größen über kinematische und dynamische Größen bis zu Temperatur, Feuchte und Gaskonzentrationen gespannt, ehe ein Überblick über bildbasierte Sensoren die Ausführungen beschließt.
Jörg Böttcher
Prof. Dr.-Ing. Jörg Böttcher hat eine Professur für Regelungstechnik und Elektrische Messtechnik an der Universität der Bundeswehr München inne. In das Kompendium Simulation und Regelung technischer Prozesse, aus dem dieses E-Book als eigenständiger Teil entnommen wurde, bringt er seine langjährige didaktische Erfahrung wie auch sein Know-how aus einer intensiven industriellen Tätigkeit sowie vielen Jahren angewandter Forschung ein. Aktuell beschäftigt er sich mit der im Kompendium behandelten Thematik in vielen Projekten mit Studierenden und der Industrie sowie in einer einschlägigen Lehrveranstaltung. Parallel zu seiner Professur gründete er ein im Bereich der industriellen Mess- und Kommunikationstechnik aktives Ingenieurunternehmen, das er zehn Jahre lang als Geschäftsführer führte. Zuvor war er mehrere Jahre als Entwicklungsingenieur und Produktmanager in einem Unternehmen der Mess- und Automatisierungstechnik tätig. Professor Böttcher führt im Rahmen seiner Professur laufend industrielle Kooperationsvorhaben bevorzugt mit mittelständischen Unternehmen durch. Hierunter fallen technische Studien wie auch Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Außerdem ist er Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen. Für weitere Informationen sei auf die Website des Autors www.prof-boettcher.de verwiesen.
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Buchvorschau
Kompendium Messtechnik und Sensorik - Jörg Böttcher
Autor:
Professor Dr.-Ing. Jörg Böttcher
Universität der Bundeswehr München
www.prof-boettcher.de
Inhalt
Vorwort
Messen, Prüfen, Kalibrieren und Eichen
Messen elektrischer und nichtelektrischer Größen
Messgröße, Messsignal und Messwert
Frühere Maßsysteme
Das Internationale Einheitensystem
Nicht-SI-Einheiten
Logarithmische Messwertangaben
Prüfen, Kalibrieren und Eichen
Metrologische und normende Institutionen
Kennlinien und Messgenauigkeit
Struktur eines Messsystems
Kennlinien
Messabweichungen
Die Angabe von Messabweichungen in der Praxis
Korrektur systematischer Messabweichungen
Korrektur statistischer Messabweichungen
Fortpflanzung von Messabweichungen
Messen von Wechselgrößen
Sinussignal mit Gleichanteil
Kenngrößen
Ermittlung der Kenngrößen mit analoger Signalverarbeitung
Ermittlung der Kenngrößen mit digitaler Signalverarbeitung
Frequenzgang analoger Komponenten
Spannung, Strom, Leistung und Frequenz
Spannungsmesseingänge
Strommesseingänge
Analog-Digital-Umsetzung
Leistungsmessung in Gleichstromsystemen
Leistungsmessung in Wechselstromsystemen
Leistungsmessung in Drehstromsystemen
Frequenzmessung
Oszilloskop und Spektrumanalysator
Oszilloskop
Triggerung
Betriebsmodi
Kenndaten von Oszilloskopen
Tastköpfe
Spektrumanalysator
Frequenzanalyse über Zwischenfrequenz
Fourier-Reihe periodischer Signale
Spektrum eines Rechtecksignals
Weitere Beispielspektren
Auflösungsbandbreite, Sweep Time und Detektorfunktionen
Kenndaten von Spektrumanalysatoren
Sensoren und Sensorsignalauswertung
Ausführungsformen von Sensoren
Auswertung resistiver Sensoren
Brückenschaltungen für resistive Sensoren
Auswertung kapazitiver und induktiver Sensoren
Brückenschaltungen für kapazitive und induktive Sensoren
Sensoren für Dehnung, Abstand, Füllstand und Winkel
Dehnungsmessstreifen (DMS)
Kapazitive und induktive Abstandssensoren
Magnetischer Abstandssensor
Abstandssensoren mit Ultraschall, Laser und Radar
Füllstandssensoren
Winkelsensoren
Sensoren für Drehzahl, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Position im Raum
Drehzahlsensoren
Geschwindigkeitssensoren
Drehratensensoren
Beschleunigungssensoren
Inertiale Messeinheiten (IMU)
Satellitennavigationssysteme
Sensoren für Kraft, Druck, Drehmoment und Durchfluss
Kraftsensoren
Drucksensoren
Drehmomentsensoren
Durchflusssensoren
Sensoren für Temperatur, Feuchte und Gaskonzentrationen
Temperatursensoren
Pyrometer
Feuchtesensoren
Gassensoren
Bildbasierte Sensoren
Wärmebildsensor
Kenndaten von Wärmebildsensoren
Kameramodul
Kenndaten von Kameramodulen
LIDAR-Sensor
Abkürzungen aus der Messtechnik und Sensorik
Sachwortverzeichnis
Multiple Choice-Test und Fortbildungszertifikat
Vorwort
So gut wie jeder in der Entwicklung, Produktion oder Forschung tätige Ingenieur, Techniker bzw. Naturwissenschaftler muss sich regelmäßig mit dem Messen elektrischer oder nichtelektrischer Größen beschäftigen. Das Kompendium Messtechnik und Sensorik behandelt die dafür relevanten messtechnischen Grundlagen aus anwendungsorientierter Sicht. Es ist für das Selbststudium gedacht. Zusätzlich wird dem/der Leser/-in auf www.messtechnik-und-sensorik.org ein aus Multiple Choice-Fragen bestehender, frei zugänglicher Online-Test angeboten, bei dessen Bestehen er/sie sich ein von mir unterzeichnetes persönliches Fortbildungszertifikat zusenden lassen kann.
Das Kompendium ist als Grundlagenüberblick zwischen rein akademischer Theorie und ausschließlich gerätebezogener Anwendungspraxis angesiedelt. Es möchte auf effiziente Art das notwendige Basis-Know-how vermitteln, um messtechnische Aufgabenstellungen auf einer fundierten Grundlage selbständig anzugehen.
Das Kompendium wendet sich einerseits an im Beruf stehende Ingenieure, Techniker und Naturwissenschaftler, die messtechnische Systeme einsetzen oder dies planen. Andererseits an Studierende und Lehrende in technischen Bachelor- und Masterstudiengängen, die mit diesbezüglichen Fragestellungen in Lehrveranstaltungen oder studentischen Arbeiten (Abschlussarbeiten, Praktika, Studienarbeiten) befasst sind. Gleichermaßen sind diejenigen adressiert, die in weiterführende technische Ausbildungen involviert sind z.B. an Techniker- und Meisterschulen.
In dieser zweiten Auflage wurde das Kapitel über bildbasierte Sensoren erweitert. Darüberhinaus wurden einige Flüchtigkeitsfehler behoben sowie die optische Gestaltung und an einigen Stellen die Formulierung optimiert. Die Nummerierung der Bilder und Formeln startet nun in jedem Kapitel neu.
Der Autor hat eine Professur für Regelungstechnik und Elektrische Messtechnik an der Universität der Bundeswehr München (www.unibw.de/regelungs-und-messtechnik). Mit der in diesem Kompendium behandelten Thematik beschäftigt er sich außer in einer einschlägigen Lehrveranstaltung in vielen Projekten mit Studierenden. Parallel dazu führt er laufend industrielle Kooperationsvorhaben bevorzugt mit mittelständischen Unternehmen durch.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viel Freude bei der Lektüre.
München/Neubiberg, im August 2020
Jörg Böttcher
Messen, Prüfen, Kalibrieren und Eichen
Die Messtechnik beschäftigt sich mit dem Messen von physikalischen, mitunter auch chemischen Größen. Sie dient damit z.B. dem Ingenieur, der Temperaturen und Drücke in einer von ihm entwickelten Brennkammer analysiert. Oder dem Techniker, der auf einem Prüfstand das Abgasverhalten eines Kraftfahrzeugs untersucht. Dem Forscher, der die Schichtdicke eines neuartigen Silizium-Wafers ermittelt. Sowie dem Elektriker, der den Stromverbrauch eines Haushaltsgeräts überprüft. Diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen - allen gemeinsam ist, dass Personen in unterschiedlichen Situationen an der quantitativen Erfassung derartiger Größen interessiert sind.
Noch häufiger findet sich Messtechnik innerhalb automatisierter technischer Systeme. So ist jedes moderne Kraftfahrzeug mit zahlreichen Steuer- und Assistenzgeräten ausgestattet, die auf der Grundlage gemessener Größen wie Geschwindigkeit, Raddrehzahlen, Neigungswinkel, Entfernung zum vorausfahrenden Fahrzeug etc. den Antrieb und die Fahrdynamik regeln. Heutige Waschmaschinensteuerungen messen u. a. Temperatur, Feuchte, Stromverbrauch, Trommeldrehzahl und Trommelunwucht, um einen effizienten und energieschonenden Waschprozess zu erreichen. Und keine CNC-Werkzeugmaschine (CNC: Computerized Numerical Control) jüngerer Bauart kommt ohne Positionsmessstellen aus.
In diesem ersten Kapitel wollen wir uns mit grundlegenden Begriffen der Messtechnik vertraut machen sowie kurz betrachten, welche nationalen und internationalen Institutionen mit ihren Regelwerken für messtechnische Belange zuständig sind.
Messen elektrischer und nichtelektrischer Größen
Messtechnische Lösungen basieren heute fast ausschließlich auf elektronischen Systemen. Ob Messgerät, externes Messmodul für einen PC oder für die messtechnische Funktion zuständiger Teil einer Steuerung - stets werden diese mit aus elektronischen Bauelementen bestehenden Schaltungen aufgebaut. Elektronische Schaltungen können zunächst nur elektrische Größen wie Spannungen und Ströme oder auch elektrische Leistungen, ohmsche Widerstände, Kapazitäten, Induktivitäten etc. messen.
Für das Messen sämtlicher nichtelektrischer Größen - was in der Mehrheit der Anwendungen von Interesse ist - werden in der Messtechnik Sensoren eingesetzt. Ein Sensor wandelt nach einem bestimmten physikalischen (oder chemischen) Funktionsprinzip die nichtelektrische Größe in ein elektrisches Signal um, das mit elektronischen Schaltungen weiterverarbeitet werden kann. Beispiele für über Sensoren erfassbare nichtelektrische Größen sind: Temperatur, Druck, Feuchte, Durchfluss, Weg, Winkel, Kraft, Druck, Beschleunigung, CO-Konzentration, Schalldruck etc.
Wir werden uns in diesem Kompendium sowohl mit dem Messen elektrischer wie auch nichtelektrischer Größen beschäftigen. Wobei wir den Fokus unserer Betrachtungen nicht auf den Entwickler entsprechender Messsysteme legen, sondern mehr auf den Anwender, der diese Messsysteme in technischen Umgebungen einsetzen bzw. in diese integrieren möchte. Wir werden dabei elektronische Schaltungsprinzipien nur insoweit betrachten, als es für ein grundsätzliches Verständnis der jeweiligen Messverfahren und deren Applikation notwendig ist.
Noch eine Bemerkung zu den Fachtermini: „Messtechnik als Oberbegriff beinhaltet an sich das komplette Wissen um das Messen elektrischer und nichtelektrischer Größen. Die „Sensorik
ist ein Teilgebiet davon, das sich speziell um den Aufbau und die Anwendung von Sensoren kümmert. Von einigen Praktikern wird jedoch die „Messtechnik mitunter auf das Messen ausschließlich elektrischer Größen reduziert, oftmals auch nur auf die Arbeit mit typischen Labormessgeräten wie Multimeter, Oszilloskop oder Spektralanalysator. Um beide Fraktionen anzusprechen, spricht der Autor im Titel dieses Kompendiums deshalb von „Messtechnik und Sensorik
.
Messgröße, Messsignal und Messwert
Wie in Bild 1 am einfachen Beispiel einer Temperaturmessung gezeigt, geht es in der Messtechnik stets darum, eine an einem bestimmten Ort herrschende „Messgröße mittels eines geeigneten Aufbaus in einen „Messwert
überzuführen. Der Messwert kann uns wie im Bild durch ein Messgerät direkt angezeigt werden oder er kann nachfolgenden elektronischen Systemen zur Weiterverarbeitung in geeigneter Form zugeführt werden. Direkt mit der Messgröße zusammenhängende elektrische Signale zwischen den beiden Stellen, an denen Messgröße und Messwert anfallen, bezeichnen wir als „Messsignale". Sie tragen die Information über die Messgröße, was auf unterschiedlichste Weise realisiert sein kann z.B. als analoger Spanungs- oder Stromwert, als frequenzmoduliertes Signal, als Digitalwort etc.
Bild 1: Messgröße, Messsignal und Messwert
Tragbare Messgeräte sind vor allem für den Labor- und Wartungseinsatz verbreitet. Im Prüffeld dominieren dagegen eher durch eine PC-Applikation gesteuerte Prüfplätze, bei denen Messwerte in entsprechenden PC-Messkarten oder in mit dem PC über ein Bussystem verbundenen externen Messmodulen generiert werden; über entsprechende Softwaretreiber werden diese dann in die Applikation eingelesen und dort verarbeitet und ggf. auch visualisiert. Werden messtechnische Schaltungen wie eingangs angesprochen innerhalb eines automatisierten technischen Systems eingesetzt, erfolgt die Weiterverarbeitung der Messwerte oftmals in eingebetteten Steuerprogrammen, die auf entsprechenden Prozessoren - in diesem Kontext auch als „Embedded Controller" bezeichnet - ablaufen.
Frühere Maßsysteme
Ein Messwert besteht aus einem Zahlenwert und einer zur Art der Messgröße passenden Einheit. In der Geschichte der Menschheit wurden in vielen Kulturen frühzeitig bereits Maßsysteme entwickelt, um für wichtige Größen des täglichen Lebens eine gemeinsame Basis zu schaffen. Darunter fallen vor allem Längen- und Gewichtsmaße. Für die Länge griff man meist auf typische Längen menschlicher Extremitäten zurück, was zur Festlegung diverser „Ellen führte - in Babylonien z.B. Gudea-Elle (ca. 49,59 cm) und Nippur-Elle (ca. 51,86 cm), in Ägypten königliche Elle (ca. 52,4 cm) und gemeine Elle (ca. 45 cm). Griechen und Römer setzten auf „Fuß
(attischer Fuß ca. 31,04 cm, römischer Fuß ca. 29,617 cm) und „Elle", welche jeweils als das 1,5-fache des jeweiligen Fußes definiert wurde. Für längere Entfernungen wurden Vielfache davon festgelegt - so entspricht eine römische Meile 1.000 Doppelschritten von jeweils fünf römischen Fuß, also etwa 1.480 m.
Gewichtsmaße wurden meist über Füllungen eines in Abmessungen bzw. Volumen festgelegten Hohlgefäßes mit Wasser, Öl, Getreide oder Wein dargestellt. So kannten die früheren Babylonier die „königliche Mine (nach heutigem Verständnis etwa 1.010 g), die, wie wir heute sagen würden, als „Normalmaß
in Tempeln unter der Obhut von Priestern für Vergleichszwecke aufbewahrt wurde. Später ging man auf das „Talent (je nach Variante heute ca. 24, 28 oder 32 kg) über, welches auch die Griechen benutzten. Bei den alten Ägyptern waren das Deben (heute ca. 90,96 g) und das Kedet (ein Zehntel Deben) hierfür gebräuchlich. Im Römischen Reich war die „Libra
eingeführt, die mit (heute) ca. 327,45 g ziemlich genau 36 altägyptischen Kedets entspricht.
Daneben wurden in den meisten Kulturen auch Systeme für die Festlegung der Zeit etabliert - größere Zeiten meist bezogen auf die Sonnenwanderung, kleinere in Form von Wasser- und Sanduhren. Ähnliche frühe Einheitensysteme gab es auch z.B. in Indien und China. Im späteren mittelalterlichen Europa hatte fast jedes Fürstentum sein eigenes System, was Handel und Verkehr massiv erschwerten. Erst mit der zunehmenden Durchdringung der Gesellschaften mit wissenschaftlichen Methoden, der Zunahme auch an weiteren interessierenden Messgrößen sowie letztlich der einsetzenden Industrialisierung wurden übergreifende Einheitensysteme wieder etabliert. Ein Meilenstein war hier die Einführung des metrischen Maßsystems, welches das „Meter" als zentrales Maß und die heute übliche dezimale Abstufung vorsah. Fast alle industrialisierten Staaten führten dieses System im 19. Jahrhundert ein (Großbritannien erst 1995). Am 8. August 1870 trat in Paris zum ersten Mal die Internationale Meterkonvention zusammen, in der diese ihre jeweils nationalen Regelungen zum metrischen Maßsystem harmonisierten. 1960 wurde von dieser schließlich das heute weltweit gebräuchliche Internationale Einheitensystem (Système International d‘Unités, abgekürzt SI) verabschiedet.
Das Internationale Einheitensystem
Das SI basiert auf der Erkenntnis, dass sich alle relevanten Messgrößen über physikalische Gesetze auf einige wenige, genauer gesagt sieben Basisgrößen zurückführen lassen. Zu diesen sieben Basisgrößen sind Basiseinheiten eindeutig definiert. Diese sind:
m (Meter)
kg (Kilogramm)
s (Sekunde)
A (Ampere)
K (Kelvin)
mol (Mol)
cd (Candela)
Bis vor kurzem waren diese Basiseinheiten mit Ausnahme des Kilogramms durch reproduzierbare Experimente eindeutig festgelegt. So war die Sekunde beispielsweise definiert als das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids ¹³³Cs entsprechenden Strahlung. Dies kann im Prinzip jeder Leser nachvollziehen, indem er sich eine mit Caesium betriebene Atomuhr baut. Oder er spart sich den Aufwand und konsultiert eine der unten noch beschriebenen staatlichen Stellen. Ein weiteres Beispiel: Das Meter war spezifiziert als die Länge der Strecke, die Licht im Vakuum während der Dauer von 1/299.792.458 Sekunden durchläuft (wobei eine zusätzliche Referenzierung auf eine andere Basiseinheit erfolgt). Die große Ausnahme stellte das Kilogramm dar: Es wurde in Form des Internationalen Kilogrammprototyps dargestellt. Dies ist ein aus einer Platin-Iridium-Legierung bestehender Würfel, der auch heute noch in einem Tresor des Bureau International des Pods et Mesures (BIPM), einer Einrichtung der Internationalen Meterkonvention, in Sèvres bei Paris seit 1889 (!) aufbewahrt wird.
Seit dem am 20. Mai 2019 abgehaltenen Weltmetrologietag wurden die bisherigen Definitionen der sieben Basiseinheiten ersetzt durch Zurückführung auf sieben Naturkonstanten. Speziell bei den drei Basiseinheiten Meter, Sekunde und Candela hat sich dabei nichts Substanzielles geändert - die zum Nachvollzug notwendigen Experimente blieben gleich, lediglich die sprachliche Formulierung wurde modifiziert. So gilt z.B. die Sekunde nunmehr als dadurch definiert, dass die Frequenz obiger Caesium-Strahlung exakt den Zahlenwert 9.192.631.770 annimmt, wenn man sie in s-1 ausdrückt. Das Meter wird ähnlich oben nun ganz formal über die Lichtgeschwindigkeit c ausgedrückt. Und Candela wird auf das photometrische Strahlungsäquivalent Kcd, ebenfalls eine Naturkonstante, zurückgeführt.
Anders sieht es bei den vier weiteren Basiseinheiten aus: Beispielsweise wird das Kilogramm nun durch Ableitung aus dem Planckschen Wirkungsquantum h als Naturkonstante mit einem Wert von ca. 6,62607015 · 10-34 Js definiert, wobei die Einheit J (Joule), wie unten noch aufgeführt wird, nichts anderes als kgm²/s² ist. Kennt man also die Basiseinheiten m und s sowie die Naturkonstante h, so ist auch kg zweifelsfrei bekannt. h wird dabei in Kooperation der metrologischen Institutionen (siehe unten) in Form aufwendiger Experimente in entsprechender Genauigkeit bestimmt. Analog werden zurückgeführt: A auf die Elementarladung e, K auf die Boltzmann-Konstante kB und mol auf die Avogadro-Konstante NA.
Das SI umfasst im Weiteren eine Aufzählung der von diesen sieben Basiseinheiten über physikalische Gesetzmäßigkeiten (oder auch nur Definitionen) abgeleiteten Einheiten. Einige Beispiele seien aufgezählt:
1 Hz = 1/s
1 N = 1 kgm/s²
1 Pa = 1 N/m² = 1 kg/ms²
1 J = 1 Nm = 1 kgm²/s²
1 W = 1 J/s = 1 kgm²/s³
1 V = 1 W/A = 1 kgm²/s³A
1 H = 1 Vs/A = 1 kgm²/s²A²
1 F = 1 As/V = A²s⁴/kgm²
Das Newton (N) beispielsweise bestimmt sich hierbei über das bekannte gleichnamige Trägheitsgesetz
(Formel 1)
mit F Kraft (in N), m Masse (in kg) und a Beschleunigung (in m/s²).
Das Henry (H) bzw. das Farad (F) ergeben sich aus den Zusammenhängen zwischen Spannung u(t) (V) und Strom i(t) (A) bei Induktivitäten L
(Formel 2)
bzw. bei Kapazitäten C
(Formel 3)
wenn man diese nach L bzw. C auflöst.
Interessant ist auch das „Jonglieren" zwischen verschiedenen physikalischen Teildisziplinen. So zeigen obige Beispiele, dass die Leistung (W) sowohl in mechanischen wie auch elektrische Gesetzmäßigkeiten vorkommt und man deshalb z.B. die elektrische Spannung (V) durch eine Kombination der elektrischen Basiseinheit Ampere (A) mit mechanischen Basiseinheiten definieren kann.
Neben den sieben Basiseinheiten und den abgeleiteten Einheiten definiert das SI noch zwei sog. ergänzende Einheiten: Ein Radiant (rad) ist der ebene Winkel zwischen zwei Radien eines Kreises für den Fall, dass der dadurch bestimmte Kreisbogen genau so groß wie der Radius ist. Da der Umfang eines Kreises bekanntermaßen der mit 2π multiplizierte Radius ist, entspricht eine komplette Drehung einem Winkel von 2π rad. Auf Basiseinheiten zurückgeführt, bedeutet das
1 rad = m/m.
In analoger Weise wird ein Steradiant (sr) als räumlicher Winkel mit der Kugelmitte als Scheitelpunkt definiert, der aus der Kugeloberfläche eine Fläche gleich der eines Quadrats von der Seitenlänge des Kugelradius ausschneidet. Auf die Einheit bezogen heißt dies
1 sr = m²/m².
Zu guter Letzt sind im SI noch Vorsätze definiert, mit denen Vielfache bzw. Teile von