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Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl: Roman
Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl: Roman
Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl: Roman
eBook265 Seiten3 Stunden

Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl: Roman

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Über dieses E-Book

Jürgen Neffe gehört zu den bekanntesten Autoren und Journalisten Deutschlands, seine Biographien großer Jahrhundertgestalten (Albert Einstein, Charles Darwin, Karl Marx) waren sämtlich Bestseller. Sein autobiographischer Roman "Das Ding" beruht auf wahren Begegnungen und Begebenheiten während seiner Zeit als SPIEGEL-Korrespondent in New York und ist zugleich das Porträt einer zerrissenen Stadt und Nation.

Die Hauptfiguren in Neffes temporeicher Erzählung könnten unterschiedlicher kaum sein. Da ist der gerissene, steinreiche Immobilienmogul Donald Trump, heute Präsident der Vereinigten Staaten, damals selbsternannter "König von New York", der der weltberühmten Skyline Manhattans immer größere und prächtigere Wolkenkratzer hinzufügt, um sein Ego aufzumöbeln. Seine Partys in luxuriösem Ambiente, zu denen die schillernden und halbseidenen Celebrities der Stadt nur so strömen, sind legendär, die Schönheit seiner weiblichen Angestellten ist es ebenfalls. Doch was treibt den Mann mit der blonden Tolle an? Wie wurde aus dem Tycoon der Erste Mann der wichtigsten Wirtschaftsmacht in der westlichen Hemisphäre? Jürgen Neffe hat Donald Trump in seiner New Yorker Zeit mehrfach getroffen und liefert eine brillante Analyse seiner Persönlichkeit.

Und da ist Charlie DeLeo, Sohn italienischer Einwanderer, der Tag für Tag nach Liberty Island übersetzt, um sich um das Wahrzeichen der Stadt, die Freiheitsstatue, zu kümmern. Er ist der "Keeper of the Flame", der Hüter der Flamme. Ihm ist zu verdanken, dass das Licht, das für Millionen Einwanderer zum Symbol für Freiheit und eine bessere Zukunft in der neuen Welt wurde, nie verlischt. Seine Mission erfüllt Charlies bescheidenes Leben mit Glanz und Sinn, die kupfergrüne Lady wird zur Liebe seines Lebens.

Beide Männer nehmen für sich in Anspruch, den amerikanischen Traum mit Leben zu erfüllen, doch wer ist der wahre Patriot? Und was hat es mit "dem Ding" auf sich, das der Erzähler aus Trumps Räumlichkeiten gestohlen haben will? Dafür interessieren sich auch die BeamtInnen der U.S. Customs and Border Protection, die den Ex-Korrespondenten bei der Einreise in das Land der Fake News festnehmen und stundenlang verhören. Hat er etwas gegen den Präsidenten in der Hand? American Paranoia trifft auf German Angst.

Die dritte Hauptfigur des Buches ist der Erzähler selbst, sein Aufwachsen mit einem strengen Vater, seine frühe Begeisterung für die Literatur und für die USA. Sie waren das Land seiner Sehnsucht, ein Land, das Freiheit und Emanzipation von den engen Verhältnissen im Nachkriegsdeutschland versprach. So führt ihn sein Weg schließlich in die Stadt, die niemals schläft.

Jürgen Neffe hat ein kluges und mitreißendes Buch über die Stadt der Gegensätze geschrieben – und über das Ringen von Wahrheit und Lüge. Seine Erzählung zwischen Fakt und Fiktion verdichtet sich zur Analyse eines Landes, das uns noch immer fasziniert, und das sich doch in einer tiefen Krise befindet.
SpracheDeutsch
HerausgeberEuropa Verlag
Erscheinungsdatum28. Aug. 2020
ISBN9783958903418
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    Buchvorschau

    Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl - Jürgen Neffe

    1 GESTRANDET

    Meine letzte Reise nach Amerika gleicht einem Albtraum nach fiebrig durchwachter Nacht. Er will nicht enden, bevor ich mir über meine Vergehen nicht Rechenschaft abgelegt habe. Alles, was ich darüber zu sagen habe, werde ich wahrheitsgemäß zu Papier bringen. Ich greife hierfür auf Notizen zurück, die ich während meiner Gefangenschaft in feiner Bleistiftschrift zwischen den Zeilen eines Buches gemacht habe.

    Die Überschrift – »Fake Life« – habe ich erst korrigiert, als ich wieder frei war. So jedenfalls will es mein Gedächtnis. Nun steht dort stattdessen, was Brenda mir bei meiner Entlassung nachgerufen hat: »You German Psycho!«

    Ich bedauere selbst, wie unser beider Geschichte zu Ende gegangen ist. Die Verantwortung für ihren Teil trägt allein sie. Oder anders gesagt: das System, dem sie zu Diensten steht. Mir bleibt nur die Hoffnung, sie möge das Folgende einmal zu Gesicht bekommen und mich dann besser verstehen.

    Ich sitze im New Yorker Kennedy-Airport fest. Hinter mir liegen neun Stunden Atlantiküberquerung und weitere fünf im Berliner Flughafen, weil sich unser Start verspätet hat. Im Flugzeug saß neben mir ein Mann in meinem Alter. Nicht freundlich, nicht unfreundlich, sondern einfach nur vorhanden. Während des Fluges sagte er kein einziges Wort. Hin und wieder starrte er auf den Monitor, der unsere Reiseposition anzeigte. Zwischendrin bettete er seinen Kopf auf dem Klapptisch vor sich und fiel in leichten Schlaf. War er weggedämmert, warf er sich von der einen auf die andere Seite.

    Damit hätte ich leben können. Doch der Mann stank unsäglich nach Unterarmschweiß. Mit jeder Bewegung schickte er seinen atemraubenden Geruch auf die Reise. Mir wurde übel. Ich musste mich aus dem Stutzen über mir stoßweise mit frischem Wind versorgen. Als ich es nicht mehr aushielt, bat ich ihn aufzustehen. Mit Stift und Buch begab ich mich in den Heckbereich.

    Die Flugbegleiter zeigten sich nachsichtig. Sie überließen mir sogar einen Notsitz. Eine von ihnen erkundigte sich nach meinem Lesestoff. Ich zeigte ihr das Buch und fasste kurz den Inhalt der »Deutschstunde« von Siegfried Lenz zusammen: Das Malverbot gegen einen Künstler durch die Nazis, seine gnadenlose Durchsetzung seitens des pflichtversessenen Dorfpolizisten, seines alten Freundes, aufgezeichnet von dessen Sohn Siggi als Strafarbeit im Schularrest.

    Etwa zwei Stunden vor der Landung gerieten wir in Turbulenzen. Der Pilot ließ die Anschnallzeichen aufleuchten. Die Flugbegleiterin bat mich, meinen Platz wieder einzunehmen. Ich erklärte ihr, das sei mir kaum möglich, und nannte ihr den Grund. Tatsächlich ging sie los, blieb vor meiner Sitzreihe stehen, schüttelte den Kopf, nickte mir zu und verschwand in der Businessklasse.

    Wenig später kehrte sie zurück und bot mir an, dort für den Rest des Fluges Platz zu nehmen. Somit verdankte ich dem Stinker ein Upgrade mit üppiger Mahlzeit auf weiß gedecktem Tischchen. Während die Touristenklasse im hinteren Pferchbereich im Plastik stocherte, speisten wir vorne mit Besteck aus Edelstahl. Im Andenken an den unerwarteten Luxus ließ ich einen Löffel in meinen Rucksack gleiten.

    Nach der Landung am späten Nachmittag, die vorderen Gäste steigen zuerst aus, versuche ich mit schnellen Schritten die Passkontrolle zu erreichen. In der gewaltigen Halle mit der Schalterbatterie muss ich mir die Sinnlosigkeit meiner Eile eingestehen: Abertausende stehen an. Ich zähle die Reihen im Zickzackparcours. Nach der ersten Kehre berechne ich die Restzeit auf vier Stunden. Am Ende sind es nur drei.

    Fluggäste mit amerikanischen Papieren nutzen eine gesonderte Abfertigung. Sie benötigen kaum mehr als fünf Minuten für die Prozedur. Ich trotte im Tross der EU-Pässe, lausche der Vielfalt der Sprachen unseres schönen alten Kontinents, sehe in erschöpfte Gesichter, ertrage quengelnde und tobende Kinder.

    Irgendwann fühle ich mich wie ein Stück Vieh auf dem Weg zum Schlachter. Das Warten auf den sicheren Tod kann schlimmer sein als der Tod selbst. Zumal mich eine unbestimmte Angst beschleicht. Ich habe sie bereits beim Ausfüllen der Einreiseformulare vor ein paar Wochen verspürt.

    »Gehören Sie einer terroristischen Vereinigung an?« Welcher gestandene Terrorist würde das mit »Ja« beantworten? »Sind Sie Kommunist?« Wäre ich es, würde ich es verschweigen. Aber was, wenn sie es wüssten? Dann hätten sie mich wegen falscher Angaben am Wickel. Und dazu noch der Löffel.

    Der Schlachter erweist sich als Schlachterin, eine afroamerikanische Schönheit, die gerade hinter ihrem Schalter Platz genommen hat. Ein flüchtiger Blick in ihr ebenmäßiges Gesicht lässt sie wie dreißig erscheinen. Die Haut ihrer Hände verrät, dass sie deutlich älter ist.

    »Fingerabdrücke!«, herrscht sie mich an und zeigt gestenreich auf das Gerät zwischen uns. Als hätten Europäer noch nie einen Touchscanner gesehen. »Rechter Daumen!« Sie ist offenbar mit dem Vorsatz zum Dienst erschienen, sich keine Freundlichkeit nachsagen zu lassen. »Noch mal von vorn!«

    Mir ist nicht klar, ob sie sich mehr über die mangelnde Qualität meiner Fingerkuppen oder das widerspenstige Innenleben ihrer Apparatur ärgert. Das Gerät scheint seinen eigenen Messungen zu misstrauen und bricht den Vorgang immer wieder ab.

    Immerhin verstehe ich jetzt, warum es vorher nur im Schneckentempo voranging. Zehn Minuten für zwei Hände. Um auf diese Weise die gesamte Menschheit zu erfassen, bräuchten sie mehr als hunderttausend Jahre. Rechnen beruhigt mich.

    »Nehmen Sie Ihre Mütze ab!« Ich soll mein Gesicht mit kahlem Schädel vor eine Kameralinse halten. Sie spricht mich mit meinem Namen an. Eigentlich dürfte sie ihn noch gar nicht kennen. Mein Pass liegt zugeklappt auf der Schaltertheke.

    Ich reime mir das so zusammen: Sie haben die Passagierlisten und wissen, wer wann mit welchem Flug ankommt. Die Listen gleichen sie mit den Passbildern der Visumsanträge ab. Danach müssen sie nur noch die Gesichtserkennung aktivieren. Schon nach dem Verlassen des Flugzeugs sind mir die vielen Überwachungskameras aufgefallen. Damit haben sie alles beisammen, was sie brauchen. Grenzen machen Menschen gläsern.

    Die schöne Strenge mustert mich eingehend. Zum kurzärmeligen dunkelblauen Uniformhemd mit dem Wappen der U.S. Customs and Border Protection trägt sie hellblaue Latexhandschuhe. Im linken hält sie mein Ausweisdokument, der rechte tippt auf eine Tastatur. Dabei gehen ihre Blicke zwischen mir, dem Papier und dem Bildschirm hin und her.

    »Was ist der Zweck Ihres Besuches?« – »Ich treffe einen alten Freund.« – »Ist das alles?« – »Ich werde sicher auch in Ausstellungen gehen«, gebe ich zu Protokoll, »in Buchhandlungen, meine alte Wirkungsstätte besuchen.« – »Können Sie mir das näher erläutern?« – »Ich habe Ende der Neunzigerjahre in New York gelebt.« – »Nach meinen Informationen waren Sie Korrespondent eines Nachrichtenmagazins und hatten ein Journalistenvisum im Pass. Warum finden wir nichts Entsprechendes in Ihrem aktuellen Dokument?« – »Weil ich meinen Beruf vor fünfzehn Jahren aufgegeben habe.« – »Sie veröffentlichen weiter Texte in deutschen Zeitungen.« – »Hier und da auch in ausländischen.« – »Ihr Artikel über Karl Marx in der Los Angeles Times liegt uns vor.« – »Der geht auf meine Biografie über den Mann zurück.« – »Er bestärkt uns in der Annahme, dass Sie uns den wahren Grund Ihrer Reise noch nicht genannt haben.«

    Ihr »wir« beunruhigt mich. Wenn ich nur wüsste, was »ihr« alles über mich wisst. Ich habe mich für amerikanische Provider möglichst unsichtbar gemacht, von sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten ferngehalten, mich jeglicher Form von Spracherkennung verweigert, der Verlockung von Cloud-Diensten widerstanden, Online-Einkäufe gemieden und die Kameras meiner Geräte blind gemacht. Für meine elektronische Post nutze ich einen deutschen Anbieter und verwende nur unabhängige Browser und Suchmaschinen, um möglichst keine Spuren auf Servern in den USA zu hinterlassen.

    Vielleicht hat mich gerade das bei den Amerikanern verdächtig gemacht. Weil es so aussieht, als hätte ich vor ihnen etwas zu verbergen. Habe ich in gewisser Weise ja auch, wenn ich ehrlich bin. Sieht mir die Uniformierte das an? Oder weiß sie es längst? Wäre sie umgekehrt nur nicht so undurchschaubar.

    Bislang habe ich nicht ein einziges Mal die Unwahrheit gesagt. Aber auch nicht die ganze Wahrheit. War das schon eine Lüge? Oder nur eine Lücke, die sich schließen ließe, falls erforderlich? Vielleicht hätte ich einfach sagen sollen: »Ich liebe diese Stadt wie keine andere. Deshalb zieht es mich von Zeit zu Zeit hierher.« Ist ja irgendwie wahr. Aber wahr genug?

    Ich versuche es auf die persönliche Tour. »Sagen Sie, Brenda.« Ihren Vornamen weiß ich, seit der Kollege in der Nachbarbox sie so begrüßt hat. Die Plakette auf ihrer Brust weist ihren Familiennamen als Lee aus. »Was wollen Sie eigentlich von mir?« – »Das habe ich Ihnen doch gesagt. Wir wollen wissen, was Sie während Ihres Aufenthaltes in den USA vorhaben.«

    Ich kann mich eigentlich gut an solche Situationen anpassen. Jedoch weigere ich mich, Menschen zu gehorchen, die nur meinen Gehorsam erleben wollen. Das gilt besonders für Uniformierte, die ihre Macht aus der Verkleidung ableiten. Sie schaffen es immer wieder, mir Sätze zu entlocken, die ich besser nicht gesagt hätte. Freunde haben mich oft gewarnt, mein Verhalten gegenüber Amtspersonen könne als Arroganz aufgefasst werden.

    Dass aus Ms Lee und mir keine Freunde mehr werden, dürfte uns beiden bald klar sein. Dass die ebenso zarte wie zähe Beamtin mir alles, was ich als älterer weißer Europäer äußere, kritisch auslegen könnte, hätte ich ahnen müssen. Als mir dann der Kragen platzt, ist es zu spät für die Einsicht, auch dieses provozierte Ausrasten könnte zu ihrer Strategie gehören.

    Mein verbaler Kontrollverlust dauert nur wenige Sekunden. Doch in denen sage ich einen Satz, wie ihn nur der Frust diktieren kann: »Ich habe ein Geschenk für Ihren Präsidenten dabei.« – »Sie haben WAS!?« – »Ein Geschenk für Ihren Präsidenten. Das würde ich ihm gern persönlich vorbeibringen.«

    Der Satz ist so fatal wie wahr. Ihre Augen blitzen auf. Ich bilde mir sogar ein, darin ein Gemenge aus Zorn und Frohlocken zu erkennen. Oder auch nur Genugtuung. Weil sie einen fetten Fang an ihrer Angel glaubt. Oder besser: im Griff ihrer Gummihandschuhe, die temporeich tippen.

    Was Dummheiten beim Überschreiten von Grenzen betrifft, muss ich zugeben, Wiederholungstäter zu sein. Als mich vor ein paar Jahren ein Zollbeamter in Heathrow fragte, ob sich in meinem Gepäck Lebensmittel oder Waffen befänden, sagte ich trocken: »Nichts weiter, nur eine Bombe.« Der Fall ging glimpflich für mich aus. Der Mann bewies britischen Humor und erkundigte sich mit einem Augenzwinkern nach der Natur des Sprengkörpers. Es handele sich, gab ich an, um eine geistige Bombe. Ob ich ihm die einmal zeigen könne, fragte er ausgesucht höflich. Ich öffnete meinen Koffer und zog einen Wälzer hervor. Darwins »Entstehung der Arten«. Da lachte er und ließ mich ziehen.

    Darauf darf ich bei Brenda nicht hoffen. Schon drückt sie einen Telefonhörer an ihren Kopf, schon bittet sie einen Bob, zu ihr zu kommen, schon lerne ich Bob kennen, ihren Vorgesetzten, schon fordert mich Bob auf, ihm zu folgen. Auf den ersten Blick ein netter Herr in Uniform, etwa mein Alter.

    Er lässt mich im Glauben, es gehe um eine reine Formsache. Tatsächlich will er nur vor den Wartenden im Einreisesaal kein Aufsehen erregen und drängt mich in die Katakomben jenseits der öffentlichen Wahrnehmung. Kaum haben wir den Funktionsraum zur Leibesvisitation erreicht, zieht er andere Saiten auf. Er nimmt mir den Rucksack mit Laptop und Tablet ab, verlangt mein Mobiltelefon sowie den übrigen Inhalt meiner Jacken- und Hosentaschen.

    Bob – sein Namensschild kennt ihn als Mr Delaney – weist mich auf mein Recht hin, über die Amtsleitung ein Telefonat nach »außen« zu führen. Er rät mir aber davon ab, meine Familie oder Freunde anzurufen. Die könnten mir ohnehin nicht helfen. Stattdessen empfiehlt er eine Anwältin, die sich auf »Fälle wie meinen« spezialisiert habe. Sie habe am Ende noch jeden hier »rasch und reibungslos rausgeholt …« – er legt eine Pause ein – »… der sich nichts hat zuschulden kommen lassen«.

    Ihre Nummer ist in seinem Dienstapparat eingespeichert. Nach kurzem Läuten vernehme ich eine weibliche Stimme, die sich nach meinem Anliegen erkundigt. Ich überlege kurz, wie sich meine Lage auf Englisch beschreiben ließe. »I am stuck«, sage ich dann mit stummem Fragezeichen. – »Ich verstehe«, gibt sie zurück. »Aber das höre ich von allen, die sich hier melden. Könnten Sie mir Ihren Fall ein wenig genauer schildern?« – »Dazu müsste ich weiter ausholen.« – »Kein Problem.«

    Sie klingt fast erleichtert. »Ich stelle Sie zu unserem Aufzeichnungsdienst durch und lasse mir das Protokoll später vorlegen. Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Ich höre ein zartes Schnalzen, dann macht es mehrfach klick und einmal piep, schließlich schnarrt eine Automatenstimme in mein Ohr: »Please start your recording now.« Augenblicklich lege ich auf.

    Mr Delaney sage ich, nur einen Anrufbeantworter erreicht zu haben. Er lässt es mir durchgehen, obwohl er den tatsächlichen Hergang mit Sicherheit kennt. Ich sehe es an seinem Schmunzeln. Immerhin glaubt er jetzt zu wissen, woran er bei mir ist.

    Er führt mich zu einem Warteraum. Geistesgegenwärtig bitte ich ihn um mein Buch und den Druckbleistift zwischen den Seiten. Mit demonstrativer Großmut willigt er ein.

    2 DIE FLIEGE

    Das Buch, zwischen dessen Zeilen ich meine Gedanken notiere, gibt mir Halt. Jedes Mal, wenn ich die »Deutschstunde« aufschlage, um meinen Bericht fortzusetzen, wandern meine Blicke aufs Gedruckte. In seinem Strafaufsatz »Über die Freuden der Pflicht« sagt Siggi, der Ich-Erzähler im Arrest: »Ich verhielt mich, wie ich im Kino andere sich hatte verhalten sehen in ähnlicher Lage: willig, ruhig und resigniert; das machte sie zufrieden.« Daran will ich mich halten.

    Den Warteraum teile ich mir mit bis zu vierzig weiteren Gestrandeten. Die Zahl der Männer schwankt je nach Neuzugängen, Abwesenheiten wegen Verhören oder Abgängen nach Klärung eines Falles.

    Die anderen sprechen miteinander in Sprachen, die ich nur schwer zuordnen kann. Zumal sie meist nur flüstern. Hier und da höre ich ein paar Brocken Spanisch, manchmal Arabisch, da kann ich mich aber auch täuschen. Ansonsten Englisch in allen denkbaren Färbungen.

    Mit mir will sich keiner unterhalten. Wenn ich richtigliege, bin ich der einzige Europäer hier. Vermutlich fürchten sie, ich sei ein verkappter Spitzel, der sie aushorchen soll. Tatsächlich fragen die Beamten, wenn wir im Vernehmungszimmer unter uns sind, mich regelmäßig, ob mir etwas Verdächtiges zu Ohren gekommen sei. Was ich ebenso regelmäßig verneinen muss.

    Schon nach den ersten Verhören ist mir klar, kein alltäglicher Fall zu sein. Ich stehe, ohne dass jemand das so offen ausgesprochen hätte, im Verdacht staatsfeindlicher Absichten. Was im Grunde zum Lachen wäre, läge da nicht ein dunkler Fleck auf meiner Biografie.

    Ich habe vor vielen Jahren in den Vereinigten Staaten etwas angestellt, ein Ding gedreht, das mir nun zum Verhängnis werden könnte. An der Tat gibt es keinen Zweifel. Das Corpus Delicti befindet sich in meinem Besitz. Die Umstände sind weniger greifbar. Ich muss sie mir aus den Graubereichen der Erinnerung erst wieder ins Gedächtnis rufen. Meine neuen Freunde von der Grenzbehörde werden mir dabei zweifellos auf die Sprünge helfen.

    Vor meinem inneren Auge tauchen Sicherheitskräfte mit dicken Taschenlampen auf. Lichtkegel durchstreifen das Schattenreich meiner Geheimnisse. Wehrlos muss ich mir ausmalen, wie sie gerade meine konfiszierten Gerätschaften durchforsten. Es dürfte ihnen ein Leichtes gewesen sein, die Tastensperre meines Mobiltelefons mithilfe meines eingescannten Fingerabdrucks zu überwinden, um sich dann über den elektronischen Schlüsselbund Zugriff auf die Festplatte meines Rechners zu verschaffen.

    Mein Leben liegt ausgebreitet vor ihnen. Sie können in aller Ruhe nach Beweismitteln suchen. Ich versuche mir klarzumachen, was ich alles abgespeichert habe. Keine Ahnung, wie viele Fotos, Mails und andere Texte da zusammenkommen. Da ich immer gerne alles beisammenhabe, um auch ohne Netzverbindung darauf zugreifen zu können, dürften es Zehntausende Dokumente sein. Darunter auch mein Tagebuch, seit ich es auf Rechnern führe.

    Jeden Moment fällt mir etwas Neues ein, das nicht für fremde Augen bestimmt ist. Intimes, Kompromittierendes, Missverständliches. Mir ist, als sei ich in eine Klinik geraten, und obwohl mir nichts fehlt, hätte sich die Maschinerie der Checks und Diagnosen in Gang gesetzt, bis sie etwas fänden.

    Denke ich an mein Vergehen, dann wird viel davon abhängen, ob sie es kennen und wissen, wonach sie suchen müssen. Die Nadel im Heuhaufen ließe sich leichter finden. Es sei denn, man verfügt über den geeigneten Magneten. Sie müssen nur die Buchstaben T, R, U, M, P hintereinander in das vorgesehene Feld tippen und die Suche starten. Schon geraten sie, die mich in ihrer Falle wähnen, in die Falle, die ich ihnen gestellt habe. Auch wenn das Unsinn ist: Der Gedanke macht mich frei.

    Den Planern der Räumlichkeit, in der ich festgehalten werde, muss es vor allem um Reizarmut gegangen sein. Die Neonbeleuchtung nimmt den Gesichtern die letzte Farbe. Zum Sitzen stehen vier Holzbänke bereit, zwei an gegenüberliegenden Wänden, zwei andere Rücken an Rücken in der Mitte des Raums. Es gibt einen Abfallkübel für gebrauchte Papiertaschentücher. Er steht unter der Spenderbox an der Wand und ist auch für die weißen Kunststofftrinkbecher zuständig. Wenigstens gluckert der Wasserspender beim Abzapfen lustig.

    In der Tür steht Bob und winkt mich mit dem Zeigefinger heran. Er sieht das Buch auf meinem Schoß und macht einen zufriedenen Eindruck. Bei allem Widerstandsgeist, der mich umtreibt, kann ich ihm die Wirksamkeit seiner Maßnahme nicht absprechen.

    Er führt mich über einen kurzen Gang in ein Vernehmungszimmer. In der Mitte des Raums steht ein Tisch, darauf zwei Mikrofone. Eines fängt die Stimme des Beamten ein, das andere meine. Darüber weißes Deckenlicht, davor auf beiden Seiten je zwei Stühle, darunter unsere Füße, die sich beinahe berühren. Bevor er dazu kommt, eröffne ich das Gespräch: »Sie wollen jetzt sicher wissen, was mich mit dem Präsidenten verbindet.« – »Uns interessiert mehr, was Sie gegen ihn im Schilde führen.« – »Das kann ich Ihnen sagen: nichts.« – »Und was ist mit dem Geschenk, das Sie ihm persönlich vorbeibringen wollten?« – »Sie haben mich nicht einmal gefragt, worum es sich dabei handelt.« – »Weil wir nicht davon ausgehen, von Ihnen eine ehrliche Antwort zu bekommen. Also gut: Was verbindet Sie mit Trump? Wir erwarten von Ihnen präzise Angaben.«

    An einer Wand hängt eine Vierfarbfotografie des Präsidenten, wie man ihn kennt: marineblauer Anzug, weißes Hemd, rote Krawatte, den Blick fest in die Kamera gerichtet, ohne den Hauch eines Zweifels an sich selbst. Der Anblick macht mir die Erinnerung lebendiger. Ich beginne mit meiner Aussage:

    »Wir schreiben das Jahr 1997. Der amerikanische Präsident heißt Clinton, der russische Jelzin, in Peking bereitet ein Greis namens Deng Xiaoping den Aufstieg Chinas zur Weltmacht vor, und in Bonn geht die Kanzlerschaft von Helmut Kohl allmählich auf ihr verdientes Ende zu.«

    »Schön, dass Sie so weit ausholen. Aber wenn Sie so weitermachen, wird das eine abendfüllende Veranstaltung. Kommen Sie bitte zur Sache!« – »Das tue ich gerade. Aber auf meine Weise. Die Ereignisse liegen immerhin fast ein Vierteljahrhundert zurück. Sie wollen es doch präzise.«

    Er schnauft. Ich überhöre es, schließe die Augen und durchforste mein Gedächtnis nach passenden Szenen. Dann teile ich dem Beamten die Bilderfolge mit, die mir gerade durch den Kopf geht. Mit jedem Satz, den ich äußere, zeigt er sich gereizter.

    »Ich sitze mit einem Glas Wein auf dem Balkon meiner Wohnung in Midtown Manhattan. Die Sonne ist soeben versunken, der Himmel über New Jersey hat sich violett eingefärbt. Auf der Eighth Avenue pulsiert der Verkehr im Rhythmus der Ampelphasen. Mit sturer Regelmäßigkeit zerhackt ihr Rot die Lichterkette der Fahrzeuge in überschaubare Pakete. Einige biegen hier ab in meine Straße, sechsundfünfzigste West. Nach kaum mehr als hundert Metern kreuzt sie den Broadway und erreicht dann nach einem weiteren halben Block die Carnegie Hall.«

    »Ich kenne die

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