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Nancy Cunards Negro
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eBook357 Seiten4 Stunden

Nancy Cunards Negro

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Über dieses E-Book

Die grandiose Neuedition eines legendären Klassikers, der die afroamerikanische Kultur feiert und einmalig vielfältig in die aktuellen Debatten einbettet.
"Die ehrgeizigste Anthologie, die je über Schwarze versucht wurde." New York Times

Fast die gesamte Erstauflage von "Negro", das Standardwerk zu afroamerikanischer und karibischer Kultur aus dem Jahr 1934, fiel im Zweiten Weltkrieg den deutschen Bomben auf London zum Opfer. Herausgegeben von der Milliardärstochter, Feministin und Menschenrechtlerin Nancy Cunard. Die Erinnerung an dieses Buch über die Kunst, Musik und Literatur Afrikas, Afroamerikas und der Karibik war fast schon in Vergessenheit geraten. Einzig eine gekürzte englische Taschenbuchausgabe sowie eine französische Edition hielten sie am Leben.

Der Kulturpublizist, Musik- und Hörspielautor Karl Bruckmaier wagt sich knapp 90 Jahre nach Erscheinen an dieses einzigartige Kompendium mit faszinierenden literarischen und künstlerischen Beiträgen heran: In einer Zeit, in der das Thema Rassismus und dessen Bekämpfung rund um den Erdball wieder ganz oben auf der Agenda der Öffentlichkeit stehen. Der Tod von George Floyd ist der traurige Bezugspunkt der Gegenwart, gleichzeitig ist das Buch ein Statement gegen jegliche Form von Rassismus einst und jetzt.

Karl Bruckmaier wählte etwa 30 relevante Texte aus Nancy Cunards legendärer Zusammenschau aus und macht sie in seiner Übersetzung zusammen mit Isabella Bruckmaier erstmals auf Deutsch zugänglich. Unter anderem mit Beiträgen und Übersetzungen von oder zu Louis Armstrong, Samuel Beckett, William Carlos Williams, George Antheil, W.E.B. DuBois und Langston Hughes. Ein historisches Black-Pride-Dokument, ein Muss für alle, die die kraftvolle Vielfalt der Kunst feiern und ein großartiges Statement für Pluralität. Illustriert mit Bildern des international renommierten Fotografen Olaf Unverzart. Im Oktober 2020 erscheint von Karl Bruckmaier außerdem ein gleichnamiges Hörspiel mit Erstsendung auf Bayern 2.

Nancy Cunard (1896-1965) wurde in England als Tochter einer wohlhabenden und prominenten Schifffahrtsfamilie geboren. Sie war eine extravagante und freimütige Schriftstellerin, Exzentrikerin, Gesellschaftskritikerin sowie Gründerin von The Hours Press.

"Ein posthumer Triumph." Publishers Weekly
SpracheDeutsch
Herausgeberkursbuch.edition
Erscheinungsdatum11. Aug. 2020
ISBN9783961961375
Nancy Cunards Negro

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    Buchvorschau

    Nancy Cunards Negro - kursbuch.edition

    QUELLEN

    Vorwort

    KARL BRUCKMAIER

    Negrokuss

    Alle Vergangenheit ist nur Prolog

    William Shakespeare

    Im Sommer 1919 vertrieben weiße Badegäste einen jungen Schwarzen von einem Badestrand bei Chicago. Sie bewarfen ihn mit Steinen, bis er am Kopf getroffen ins Wasser fiel und ertrank. Polizisten schauten dem Totschlag tatenlos zu. Diese rassistisch motivierte Tat war der Auslöser für die ersten Rassenunruhen in den Vereinigten Staaten von Amerika, die von der schwarzen Bevölkerung ausgegangen sind. Bis zu jenem Sommertag in Illinois kannten die USA nur pogromähnliche Attacken auf Afroamerikaner, Chinesen oder auch Juden. Dazu Kloppereien zwischen Iren und Italienern. Die Rollen von Tätern und Opfern schienen klar verteilt: Ein angloamerikanischer Mob bestraft ethnische Minderheiten für tatsächliche oder vermeintliche Unbotmäßigkeiten. Und dann herrscht wieder Ruhe. Doch in jenem »Red Summer« des Jahres 1919 kamen allein in Chicago an die 40 Menschen ums Leben, etwa die Hälfte Weiße; gekämpft, geprügelt, geplündert und getötet wurde jedoch in fast allen Großstädten der USA. Henry Crowder schildert in dem vorliegenden Band seine aktive Teilnahme an den Tumulten in Washington, D. C., und Atlanta. Afroamerikaner schienen gewillt zurückzuschlagen. Nicht länger die andere Backe hinzuhalten. Zu kämpfen. Der zunehmende Wohlstand in der schwarzen Arbeiterschaft, die Migration in den Norden, die damit verbundene Auflösung tradierter Verhaltensmuster zwischen Weiß und Schwarz, der Kampf in den Schützengräben Frankreichs, Seite an Seite mit Menschen unterschiedlichster Hautfarben und sozialer Schichten, all dies hat Afroamerika in kürzester Zeit verändert und diese Veränderung sollte auch im Alltag der USA sichtbar werden, so die Grundgestimmtheit vieler Schwarzer. Doch die Beharrungskräfte des rassistischen Systems USA waren stärker als ein paar Baseballschläger und ein paar gebrochene Nasen. Der »Rote Sommer« wurde bloß zur Blaupause für immer wieder aufflammende Rassenunruhen nach Übergriffen weißer, oft straffrei ausgehender Täter. Amerikas Innenstädte brannten 1935 nach der Erschießung eines schwarzen Ladendiebs; sie brannten 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg; 1964 brannte Harlem, 1965 Watts und 1967 Newark. Die Einschusslöcher, die verbrannten Mauern, verrostender Stacheldraht und wucherndes Unkraut waren noch 1993 in der ganzen Innenstadt Newarks zu sehen, als der bei jenen Unruhen inhaftierte Black-Power-Aktivist und Schriftsteller Amiri Baraka mir eine kleine Rundfahrt durch seine Heimatstadt spendiert hat. 1980 war Miami an der Reihe. 1992 wurden in Los Angeles gewalttätige Polizisten nach der brutalen Verhaftung Rodney Kings freigesprochen; mehr als 50 Menschen kamen im Anschluss an diesen eklatanten Rechtsbruch zu Tode. Nach diesen Unruhen von L. A. konnte man den Eindruck gewinnen, rassistische Auswüchse innerhalb der Polizei kämen seltener vor, doch der Tod von Michael Brown 2014 machte es notwendig, selbst während der Amtszeit eines afroamerikanischen Präsidenten darauf hinzuweisen, dass »Black Lives Matter«. Und im Frühjahr 2020, gerade als die Fertigstellung der deutschen Ausgabe von Nancy Cunards Negro aus dem Jahr 1934 kurz bevorsteht, macht es die unsagbar grausame Tötung des ehemaligen Rappers George Floyd durch ein halbes Dutzend Polizisten erneut nötig, gegen institutionalisierten Rassismus in den USA auf die Straßen zu gehen, um die Freiheiten und Rechte jedes Einzelnen gegen ein selbstherrliches System und seinen skrupellosen Präsidenten zu verteidigen. Und während in den Großstädten der westlichen Welt gegen Trump, Polizeigewalt und Rassismus demonstriert wird, schleichen sich wie selbstverständlich bei den aufgebrachten Opponenten dieser Gewaltbereitschaft die immer gleichen Denkfehler ein. Seien es Klimaschutz, Genderproblematik oder jetzt Rassismus: Der Furor kennt nur radikal sich gebendes Verhalten und einfachste Lösungen. Alles muss schnell gehen, sofort wirken, niemandem schaden und alle als moralische Gewinner dastehen lassen. Oder um noch einmal Amiri Baraka zu zitieren: »Als ich noch Theaterstücke geschrieben habe, in denen ich dazu aufforderte, den Weißen die Schwänze abzuschneiden und die Schädel einzuschlagen, haben sie mir Preise verliehen und meine Stücke gespielt. Als ich aber fragte, wem eigentlich die Welt gehört, wer welche Interessen verfolgt, kurz: als ich statt der Rassenfrage die Klassenfrage gestellt habe, interessierte sich keiner mehr für mich.« Die Suche und die Implementierung tragfähiger, nachhaltiger Lösungen sind meist langweilig, langwierig, komplex. Es sind die Beamten in den Gesundheitsämtern, welche die Coronaepidemie am wirksamsten bekämpfen, nicht die Wunderheiler am Hofe des Sonnenkönigs. Es sind nicht die Greta Thunbergs dieser Welt, die durch pubertäres Raunzen den Untergang Kiribatis verhindern werden, sondern namenlose Doktoranden in renovierungsbedürftigen Laborkellern, die Tag für Tag stupid erscheinende Forschungsarbeit leisten. Und es sind hoffentlich keine Charismatiker, welche für die Gestaltung unserer aller Zukunft zuständig sein werden, sondern Pragmatiker.

    Nancy Cunards kühnes Unterfangen, mit Negro der ganzen Welt zu beweisen, dass Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu großen kulturellen Leistungen fähig sind, entsprang allerdings ebenfalls einer Gefühlsaufwallung, die dem »How dare you!« der norwegischen Weltumseglerin nicht unähnlich ist: Das intellektuelle It-Girl Nancy verliebt sich 1926 in einen schwarzen Pianisten namens Henry Crowder. Ihre bis dahin ästhetische Vorliebe für etwas, das sie »Afrika« nennt, nimmt quasi Gestalt an. Als sie mit Crowder nach England reist, trifft sie auf ortsübliche und zeittypische rassistische und Klassen-Ressentiments, die sie so erbosen, dass sie mit dem Fuß aufstampft und beschließt, es diesen rückständigen Oberschichttrotteln in ihrer Heimat zu zeigen. Und ihrer doofen Mutter im ganz Besonderen. Da sie in Literaten- und Künstlerkreisen verkehrt, soll es eben ein Buch sein, in dem weiße wie schwarze Künstler in eine Art ästhetischen Zeugenstand treten.

    Doch auch die damalige Welt ist groß, größer als Nancys Anliegen. Und nicht jeder trägt gern bei, ohne ein Honorar zu erhalten. Manche sind einfach säumige Schreiber, andere brechen den Kontakt ab. Reisen nach Afrika können nicht angetreten werden, Abstecher etwa in die Südstaaten der USA sind zu gefährlich. So zieht sich das Projekt Negro hin, zehrt alle finanziellen Mittel auf, erscheint schließlich als Torso, der trotzdem an die 900 großformatige Seiten umfasst und den seinerzeit stolzen Preis von zwei Guineen kosten soll.

    Die Ordnungsprinzipien, die Nancy Cunard anlegt, sind willkürlich. Die Qualität der Texte schwankt extrem. Das schreckt Rezensenten und Bibliotheken gleichermaßen ab. Das Buch bleibt unverkäuflich. Seine Herausgeberin, inzwischen alkoholkrank und anderen hehren Zielen – Kommunismus, Äthiopien, Spanischer Bürgerkrieg, Entkolonialisierung – verpflichtet, verliert das Interesse. Was bleibt, ist die zu horrenden Sammlerpreisen gelegentlich angebotene Originalausgabe, eine französische Version des Buchs und eine von Hugh Ford liebevoll editierte, kommentierte und komprimierte Faksimileausgabe als Taschenbuch, die auch die Basis für die vorliegende Textauswahl darstellt.

    Hier gilt es eine kurze Exkursion nach Norditalien zu machen, wo Freunde und ich eines Frühlingstages im Jahr 2013 die Autobahnausfahrt Trento nutzen, weil wir allesamt Hunger verspüren auf unserer Fahrt Richtung Genua. Ein Besuch bei den Futuristen im örtlichen Museum soll den Stopp abrunden, doch alle Ausstellungen sind wegen Renovierung geschlossen bis auf eine mit Bildern aus oder über den Bloomsbury-Kreis. Und da hängt mittenmang das Bild einer Frau namens Nancy Cunard, an dem mich das Infokärtchen mehr fesselt als die Malerei: »Herausgeberin der Anthologie Negro «. Das Buch wird gesucht und gefunden im willfährigen Netz; sein Inhalt fließt in großem Umfang ein in meine Story of Pop, die 2014 erscheint, und macht mich bekannt mit so wunderbaren Autoren wie Zora Neale Hurston oder Countee Cullen, mit obskuren Bluestexten ebenso wie euphorischen Rhapsodien früher Jazzfans wie George Antheil oder Robert Goffin.

    Im Nachgang zum Pop-Buch entsteht die Idee, diesem wahnwitzigen Unternehmen namens Negro, das mich an nichts mehr erinnert als an die Punk-Fanzines der ausgehenden 1970er-Jahre, die Ehre zu erweisen, indem man erneut die Texte durchgeht und kompiliert, was auch 90 Jahre nach dem ursprünglichen Erscheinen noch Relevanz besitzt. Die Auswahl der hier vorliegenden Texte konzentriert sich auf Stücke, die sich mit wenigen Ausnahmen mit den Schwarzen in den USA befassen, mit ihrer Religiosität, Musik, Literatur. Mit ihrem Durchsetzungswillen in einer weißen Umwelt, die – und das war auch 1934 bereits zu erkennen – mit jedem Jahr schwärzer werden würde. Die Texte selbst beschönigen nichts – außer jene von Nancy Cunard vielleicht, die meist nur sehen und erleben will, was ihr in den Kram passt. Aber andererseits besaß sie genügend Größe, auch extrem divergierende Ansichten in ihrem Negro zu vereinen. So darf eine Gladis Berry Robinson im beflissenen Ton einer ungeübten Schreiberin drei Frauen der afroamerikanischen Geschichte porträtieren und daneben mit W. E. B. Du Bois einer der renommiertesten Intellektuellen der USA einen Abriss der US-Geschichte aus afroamerikanischer Sicht geben. Dabei ist Erstere heute immer noch relevant, weil die genannten Frauen in der Auseinandersetzung zwischen Weiß und Schwarz in den Südstaaten eine gewichtige Rolle spielen, und der Text von Du Bois, gelesen im Licht der aktuellen Reparationsforderungen schwarzer Organisationen für die Verbrechen der Sklavenhalter, entfaltet eine zeitlose Dringlichkeit. Zora Neale Hurstons Qualitäten als volkskundlich geschulte Geschichtenerzählerin haben heute noch eine für jede Art Text rare Lebendigkeit; verblüfft liest man daneben die ideologische Aufwallung der Surrealisten um André Breton.

    Nancy Cunard selbst lässt uns das Harlem um 1930 erleben, und was sie über Musik, Live-Auftritte, Spannungen zwischen den Schwarzen etc. erzählt, wirkt unglaublich aktuell – als wäre es das Szenario, in dem die Marvel-Serie Luke Cage angesiedelt ist. Dabei existiert nur wenige Zugstunden entfernt vom New York der Harlem Renaissance noch eine Lynchkultur, ein mittelalterlich anmutender Mahlstrom menschlicher Grausamkeit, der angesichts der auch heute wieder paradierenden Klan-Mitglieder und der Skrupellosigkeit eines mit ihnen sympathisierenden Donald Trump, angesichts der »Black Lives Matter«-Bewegung und der oben skizzierten Rassenunruhen wie eine Warnung vor einer dystopischen Zukunft wirkt.

    Negro in dieser deutschsprachigen Ausgabe will vielstimmig Auskunft geben, woher das heutige Afroamerika kommt, will Einblick gewähren in eine meist afroamerikanische, aber auch afrikanische oder karibische Lebenswirklichkeit, die an den Rohheiten und Verwüstungen einer noch nicht sehr fernen Vergangenheit bis heute zu leiden hat –und trotzdem lustvoll zu leben weiß. Und unser jetziges (mitteleuropäisches) Interesse hierfür finden wir gespiegelt in den expressionistisch aufflammenden Texten eines George Antheil oder Robert Goffin, die für das Fremde, das Andere derart brennen, dass sie sozusagen ehrenhalber schwarz werden davon: intellektuelles und sehr ehrenwertes Blackface. Und in der Zusammenschau aller Texte wird deutlich, was tatsächlich und bis zum heutigen Tag den Unterschied ausmacht zwischen Weiß und Schwarz, besonders in den USA: Es ist nicht die Farbe der Haut, sondern tatsächlich ein gesellschaftliches Defizit. Wer wie junge Afroamerikaner über Generationen in einem Umfeld heranwächst, das einem Sicherheit verwehrt, das jeden Moment extreme Gewaltausbrüche bereithalten kann, das auf unsichersten Familienstrukturen basiert, innerhalb derer bis vor nicht allzu langer Zeit Vater und Kind, Mutter oder Onkel eine handelbare Ware gewesen sind, wie soll so jemand entwickeln, was ein Alexander Kluge »Urvertrauen« nennt: das speziell der europäischen Mittelschicht eigene Gefühl, dass alles – wider besseres Wissen – ein gutes Ende nehmen wird. Und die bereits von Du Bois im ersten Text dieses Bandes kritisierte Wohltätigkeit des liberalen weißen Amerikas (und der von ihm gern favorisierten Demokratischen Partei) hat innerhalb der afroamerikanischen Community über Generationen ein Klima geschaffen, das an die Stelle eines »pursuit of happiness« eine Almosenempfängermentalität etabliert hat, die ohne Unterbrechung das Leben im Prekariat als Normalzustand begreift, die ein frauenfeindliches Klima ermöglicht, die den Männertypus Gangster verherrlicht und dessen Gewaltbereitschaft schönredet. Solange nicht die Defizite zwischen den Gesellschaftsschichten, den Ethnien und den Religionen benannt und erkannt werden, wird sich Amerika nur weiter von Rassenunruhe zu Rassenunruhe schleppen. Und die Menschen, speziell wenn sie in ihren jeweiligen gedanklichen wie physischen Gettos verharren, bleiben sich fremd.

    Wohl exakt deshalb hat der aus Trinidad stammende, dunkelhäutige Dichter Alfred Cruikshank sich gefragt, warum jemand so durchscheinend Weißes wie Nancy Cunard solch eine Empathie für die Sache der Schwarzen entwickeln kann. Nancy hat ihm in Form eines etwas ungelenken Sonetts geantwortet:

    Diese letzte Zeile des Sonetts von Nancy Cunard könnte auch der Arbeitstitel für die Bilder des Fotografen Olaf Unverzart sein, dessen empathischer Blick auf die Lebenswirklichkeit schwarzer Menschen, ihre jeweilige Umgebung, ihre Kultur eine Zusammenarbeit mit mir fortsetzt, die bereits in Unverzarts Katalogen oder meinem Buch über die Ursprünge der Popmusik neue Interpretationsmöglichkeiten für Gedachtes, Gesagtes, Geschriebenes eröffnet hat. Seine Bilder hier in dieser deutschen Ausgabe von Negro künden utopisch von der Möglichkeit einer Schönheit im Zusammenleben, die keine Verstellung, kein Falsch kennt, sondern nur Liebe und Mitmenschlichkeit. Ich bin Olaf Unverzart zu großem Dank verpflichtet. Jede seiner Aufnahmen ist auch eine Art Übersetzung der ausgewählten Texte in unser aller Gegenwart. Und hoffentlich in eine bessere Zukunft.

    Wie es sich für solch ein Fanzine der Mitmenschlichkeit gehört, kann man vorne, hinten, mittendrin in Negro zu lesen anfangen, und es ist eine bereichernde Erfahrung, mittels Recherche im Netz einzelne Protagonisten näher kennenzulernen, ihre Texte, ihre Musik, ihre Biografien. Negro übersetzt man hier – nein, überhaupt – am besten mit »Musenkuss«.

    W. E. B. DU BOIS

    (1868–1963), amerikanischer Bürgerrechtler, Soziologe und Autor. Im relativ toleranten Massachusetts aufgewachsen, studierte Du Bois in Berlin und Harvard, wo er als erster Afroamerikaner einen Doktortitel erhielt. Politisch galt er als gemäßigter Sozialist; er widersetzte sich der Idee der Rassentrennung und kämpfte gegen die sogenannten Jim-Crow-Gesetze im Süden der USA. Seine Ideen beeinflussten maßgeblich die Bürgerrechtsgesetzgebung der 1960er-Jahre.

    Das schwarze Amerika

    Im 16. Jahrhundert lebten etwa fünftausend Menschen mit schwarzer Hautfarbe auf dem amerikanischen Kontinent. Sie waren als niedrige Arbeitskräfte, aber auch als ausgebildete Dienerschaft hierher verfrachtet worden; einige von ihnen galten als frei, die meisten aber waren Sklaven. Schwarze nahmen auch an den frühen Erforschungs- und Eroberungszügen teil. Sie waren unterwegs mit Balboa und De Soto, einer von ihnen, Estevanico,¹ führte gar einen Trupp von Mexiko aus in jenen Landstrich, der heute den Südwesten der USA ausmacht. Das war 1539.

    Seit 1619 wurden Afrikaner regelmäßig in das Gebiet der heutigen USA verschifft, genauer: nach Virginia. Sie waren gewissermaßen die Antwort auf die drängenden Probleme, mit denen sich Europa konfrontiert sah, als es da mit einem Male eine große, leere Fläche Landes zu geben schien. Dieses Land verlangte nach Arbeitskräften, und diese rekrutierten sich aus Weißen, die man von Europas Straßen weg entführte, oder eben aus Afrikanern. Der Nachschub an Weißen war aber spärlich; zum einen wurden diese Menschen oft genug im eigenen Land benötigt, zum anderen stand die Praxis des Menschenraubs im krassen Widerspruch zu geltendem Recht in Europa. Dagegen schien der Nachschub an Schwarzen unbegrenzt, begünstigt durch Auflösungserscheinungen in schwarzafrikanischen Territorien, die zum einen ihren Grund hatten in der Invasion durch muslimische Bevölkerungsgruppen und schließlich durch den Menschenhandel an sich.

    All dies führte dazu, dass zu Beginn des 18. Jahrhunderts große Quantitäten an Menschen aus Afrika in die Karibik verschleppt wurden, davon allein 50 000 nach Nordamerika. Dieser Handel mit Sklaven war auf zweierlei Art gewinnbringend: Einerseits garantierte er Arbeitskräfte für den Anbau von verschiedenen Feldfrüchten, nach denen in Europa eine große Nachfrage bestand, andererseits war allein schon der Transport der Sklaven ein immens einträgliches Geschäft für alle seefahrenden Nationen.

    Letzteres führte zu einem erbitterten Wettstreit um das Monopol beim transatlantischen Transport der Schwarzen. Bis 1713 hielten die Holländer weitgehend dieses Monopol, aber durch militärische Erfolge im Rahmen des Spanischen Erbfolgekriegs fiel dieses Monopol für die Sklavenverschiffung auf den amerikanischen Kontinent fast ausschließlich den Briten zu. Das Ergebnis war, dass bereits Mitte des 18. Jahrhunderts die Anzahl der Sklaven auf dem Gebiet der späteren USA von besagten 50 000 auf 220 000 angewachsen ist – auch weil Tabak, Zucker oder Reis in immer größeren Mengen über den Ozean gebracht werden konnten, wo sich in Europa nicht mehr nur eine kleine, privilegierte Käuferschaft für diese Waren interessierte, sondern eine breite Schicht der Bevölkerung. Die Nachfrage nach den genannten Produkten und der stetig wachsende Anbau derselben befeuerte den Sklavenhandel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. So ist leicht nachvollziehbar, dass mit dem Anbruch des 19. Jahrhunderts bereits 900 000 Sklaven aus Afrika in den USA schufteten. Hinzu kam noch der Siegeszug eines weiteren landwirtschaftlichen Produkts, das alle anderen ausstechen sollte: Baumwolle, die Basis eines völlig neuen Wirtschaftszweiges. Um 1790 produzierten die USA noch 8000 Ballen Baumwolle; 1820 wurden 650 000 geerntet. Hier liegt der Grund für einen damals völlig neuen Hunger der USA nach immer mehr Arbeitskräften.

    Doch es mehrten sich die Anzeichen, dass die Sklavenwirtschaft kein ganz so sicheres Geschäftsmodell war wie gedacht. Seit den frühsten Tagen des Sklavenhandels hat es immer wieder ernst zu nehmende Revolten gegeben, etwa die der Maroons ² auf Jamaika oder kleinere Aufstände in Mexiko oder Virginia. Doch das war alles nichts im Vergleich zum Sklavenaufstand auf Haiti, wo nach immer wieder aufflackernden Kämpfen zwischen Mulatten und ihren weißen Herrschaften sich mit einem Mal – und zwar am 22. August des Jahres 1791 – die schwarzen Sklaven den Kämpfen anschlossen und schließlich die Weißen erfolgreich aus dem Land vertreiben konnten: Haiti gehörte nun ihnen.

    In den USA kämpften einst 5000 schwarze Soldaten auf Seiten der Unabhängigkeitsarmee, und auch in den Schlachten des Jahres 1812 spielten schwarze Soldaten und Matrosen eine beachtliche Rolle. Zusammen mit dem Erstarken humanistischen Gedankenguts im frühen 19. Jahrhundert waren es diese Tatsachen, die sowohl erneute Sklavenunruhen in South Carolina und in Virginia ausgelöst wie auch eine Blüte einer Bewegung in den Nordstaaten ermöglicht haben, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Die Abolitionisten waren vor allem ab jenem Zeitpunkt erfolgreich, als es ihnen gelang, einer interessierten Öffentlichkeit Sklaven wie einen Frederick Douglass ³ als fleischgewordenen Beweis für die Ungerechtigkeiten des Sklavensystems zu präsentieren.

    Zeitgleich kam es durch die ungebremste Expansion des Baumwollanbaus zu einer schweren Wirtschaftskrise in den Jahren zwischen 1850 und 1860, welche der Süden mit Forderungen nach mehr Sklaven und zusätzlichen Gebieten mit Sklavenwirtschaft konterte, was in den Nordstaaten bei der Arbeiterschaft wie bei Humanisten auf wenig Zustimmung stieß.

    Bereits 1850 lebten dreieinhalb Millionen Sklaven auf dem Gebiet der USA, und bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs wuchs deren Zahl auf über vier Millionen. Nach dem Bürgerkrieg kam es mithilfe der schwarzen Ex-Sklaven zu einer Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse im Süden. Erst durch die Stimmen der Schwarzen konnte der Süden wieder in die Gemeinschaft der Bundesstaaten zurückgeführt werden, erst mit den Stimmen der Schwarzen konnten ein öffentliches Schulsystem und eine Sozialgesetzgebung durchgesetzt werden.

    Für diese Unterstützung seines Landes hat der Schwarze einen gewaltigen Preis bezahlt. Die nach dem Krieg einsetzende reaktionäre Gegenbewegung hatte für ihn nur neuerliche Entrechtung und ein rigides Kastensystem bereit. Als das 20. Jahrhundert heraufdämmerte, waren das Wahlrecht des Schwarzen eingeschränkt, seine Freizügigkeit, sein Recht, den Wohnort frei zu wählen oder sich auch nur an öffentlichen Orten ungehindert aufzuhalten, wie dies allen anderen Amerikanern freisteht. Heute, also im zweiten Viertel dieses Jahrhunderts, leben zwölf bis 13 Millionen Menschen in den USA, die von Schwarzen abstammen, und es wäre völlig falsch, diese bloß als Bewohner dieses Landes zu sehen, die halt körperlich ein wenig anders sind als die Mehrheit der Amerikaner und deshalb mit einigen für sie typischen Problemen zu kämpfen haben, sondern es gilt darauf zu pochen, dass diese Menschen und ihre Vorfahren eine so lange und intensive Verbindung mit der amerikanischen Geschichte haben, dass sie auf immer Teil – und zwar ein wichtiger Teil – der Zivilisation dieses Landes sind.

    Nehmen wir bloß einmal die Demokratie: Deren Entwicklung hängt nicht zuletzt mit dem gesellschaftlichen Druck zusammen, den die Sklaven in ihrem Kampf um Freiheit und Anerkennung entwickelt haben. Status und Bild der Frau in unserer Gesellschaft haben sich wegen der schwarzen Frau radikal verändert. Die schwarze Frau war immer auch Arbeiterin und nicht nur Hausfrau, und ihr Vorbild, ihr Dasein als Gegenmodell hat die Frauen der weißen Arbeiterschaft mehr als inspiriert. Bildung gilt heute als etwas Erstrebenswertes, gerade in den südlichen Landesteilen, und öffentlich zugängliche Schulen sind allgemein anerkannt – ohne die nachdrückliche Forderung der Schwarzen nach kostenloser und ungehinderter Ausbildung undenkbar.

    Doch mehr als auf allen anderen Gebieten hat der Schwarze auf zwei speziellen

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