Macht direkte Demokratie
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Über dieses E-Book
Mit Beiträgen von: Sibylle Berg, Kathrin Bertschy, Tatjana Binggeli, Elia Blülle, Alenka Bonnard, Stefan Bosshard, Cornelia Diethelm, Zaira Esposito, Rahel Freiburghaus, Andreas Freimüller, Sophie Fürst, Hannes Gassert, Francesca Giardina, Fabian Gisler, André Golliez, Daniel Graf, Franz Grüter, Daniel Häni, Michael Hermann, Cloé Jans, Marco Kistler, Lucy Koechlin, Philippe Kramer, Claudio Kuster, Claude Longchamp, Annika De Maeyer, Stefan Manser-Egli, Nadine Masshardt, Adrian Meyer, Katharina Morawek, Noémie Roten, Sandro Scalco, Stefan Schlegel, Erik Schönenberger, Franziska Schutzbach, Maximilian Stern, Linda Sulzer, Tatiana Andrade Vieira, Kaspar von Grünigen, Che Wagner, Philippe Wampfler
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Buchvorschau
Macht direkte Demokratie - Che Wagner
*
Für eine radikal
gerechte Demokratie
Sibylle Berg
In der Schweiz haben wir eine Form der direkten Demokratie, um die wir weltweit beneidet werden. Wir Bürger*innen können uns einbringen, per Abstimmung in vielen gesellschaftlichen Prozessen mitbestimmen und wir können Referenden gegen Beschlüsse unserer Volksvertreter*innen ergreifen.
Was in der Theorie beinahe perfekt klingt, hat in der Praxis einige schwerwiegende Mängel. Zum einen ist da die schnell voranschreitende Digitalisierung. Es wird immer offensichtlicher, dass die direkt-demokratischen Werkzeuge der Mitbestimmung aus einer Zeit stammen, in der eine digitale Zukunft und die damit einhergehenden Möglichkeiten noch nicht einmal angedacht waren.
Von der wirklich transparenten, digitalen Beteiligung der Bevölkerung am politischen Geschehen, wie beispielsweise im Pionierland Taiwan, sind wir in der Schweiz noch weit entfernt. Projekte, wie das E-Voting, sind aufgrund von Sicherheitsrisiken und mangelnder Transparenz gescheitert. Andere wurden auf Eis gelegt, weil selbst unsere demokratisch gewählte Regierung die Kompetenzen und den Mitgestaltungswillen der Bevölkerung unterschätzt hat.
Ein weiterer Mangel bleibt die Tatsache, dass auch in der Schweiz oft diejenigen, die über umfangreichere Mittel verfügen, die Stimmung der Bevölkerung zu ihren Gunsten beeinflussen können. Sei es mittels herkömmlicher Postwurfsendungen, Plakaten, TV- und Radiospots, oder durch Social Media-Kampagnen, die dank der Macht immer besser programmierter Algorithmen den Ausgang einer Abstimmung prägen können.
Die Weiterentwicklung der direkt-demokratischen Werkzeuge ist daher dringend notwendig. Denn nur eine Demokratie, in der unkompliziert und kostengünstig Unterschriften für Initiativen und Referenden gesammelt werden können, und in der – in einem nächsten Schritt – die Bevölkerung einfach Verbesserungsvorschläge einbringen und Anregungen äussern kann, ist eine Demokratie, in der die Fähigkeiten des Einzelnen zu einer Verbesserung der Lebensqualität für alle genutzt werden können. Denn es bedeutet: ehrliche Teilhabe und Gerechtigkeit.
Nur wenn wir als Bevölkerung der Schweiz die ersten Schritte in eine digitale direkte Demokratie wagen, wird es uns gelingen, auch die Generationen, die mit der Digitalisierung aufwachsen, miteinzubeziehen – das heisst, jene Bürger*innen der Schweiz, deren Zukunft oft von älteren Generationen verhandelt und entschieden wird. Und nur wenn wir zusammen bestimmen, wie wir uns die neue, umfassendere Demokratie vorstellen, wenn wir uns gemeinsam gegen zu einfache Antworten einsetzen und uns austauschen, denken, handeln, wird die Schweiz auch in Zukunft ein Land sein, das von der Welt beneidet wird. Denn in ihr bestimmt das Volk, wie es leben will.
Von einer neuen Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen, über bessere Gesamtarbeitsverträge für Pflegende oder die Altersvorsorge, bis hin zu lokalen Bauvorhaben und Umweltschutz: Lassen Sie uns gemeinsam einen weiteren Schritt in Richtung einer radikal gerechten Demokratie gehen, in der die Bevölkerung ihre Ideen einer besseren Zukunft einbringen kann. Gestalten wir konkret unser Leben. Jetzt.
Sibylle Berg
Schweizerin
Schriftstellerin
Dramatikerin
und Nerd
*
*
Macht direkte Demokratie!
Che Wagner und Philippe Kramer
«Macht entspringt der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschliessen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.»
Hannah Arendt in «Macht und Gewalt», 1970
Wir leben in unruhigen Zeiten. Weltweit sind Länder damit beschäftigt, die Ausbreitung des COVID-19 Virus einzudämmen, die wirtschaftlichen Folgen zu bewältigen und den Menschen Schutz und Sicherheit zu bieten. Gleichzeitig tickt die Uhr, um rechtzeitig griffige Massnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen. Auch die rasant fortschreitende Überalterung unserer Gesellschaft wirft dringende Fragen auf: für die Zukunft der Sozialwerke, in der Gesundheitspolitik und für das Kräfteverhältnis der Stimmberechtigten. Und nicht zuletzt hinkt die Schweiz bei der Gleichstellung in Familie und Beruf anderen Ländern weit hinterher.
In Krisenmomenten kommt der Politik eine entscheidende Rolle zu. Das vorliegende Buch untersucht, wie und unter welchen Voraussetzungen gemeinsame Lösungen gefunden werden können. Im Fokus steht die Ausgestaltung und Weiterentwicklung unseres politischen Systems.
Unvollständige Demokratie
Die direkte Demokratie verleiht der Schweizer Politik hohe Legitimität und Stabilität. Doch die bewährten demokratischen Prozesse stammen aus dem vorletzten Jahrhundert. Das Referendum wurde auf nationaler Ebene 1874 eingeführt, die Geburt der Volksinitiative datiert auf das Jahr 1891 zurück. Zwar wurden die politischen Rechte seither ausgebaut, wie beispielsweise mit der Einführung des nationalen Frauenstimmrechts 1971. Doch die Weiterentwicklung der Demokratie im Zuge der Digitalisierung wurde von der Politik bisher vernachlässigt.
Im Internet werden Menschen primär als Konsument*innen angesprochen und nicht als Bürger*innen. Das Machtgefälle zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft droht weiter zuzunehmen. Auch innerhalb der Politik verschärfen sich die Ungleichheiten: Fehlende finanzielle Transparenz, personalisierte Informationstechnologien und eine zunehmend globalisierte Welt tragen dazu bei, dass sich politische Macht zu konzentrieren droht.
Zugleich birgt die Digitalisierung grosse Chancen für die direkte Demokratie von morgen. Dezentralisierte Strukturen, niederschwellige Partizipationsprozesse und Verfügbarkeit von Fachwissen sind nur einige der vielversprechenden Möglichkeiten. Sie erlauben neue Formen des politischen Engagements, die Bürger*innen verstärkt ins Zentrum rücken.
Bewegte politische Landschaft
Politische Organisationen, Interessenverbände, Parteien und Gruppierungen messen sich zunehmend nicht mehr nur in Kategorien wie Mitgliederstärke oder finanzielle Ressourcen. Digitale Kommunikationsformen und die Verfügbarkeit von Wissen im Netz haben dazu geführt, dass klassische politische Akteur*innen sich eingehender mit ihren Anhänger*innen auseinandersetzen müs
sen – oder
gar durch neue, besser vernetzte und agilere Strukturen ersetzt werden. Nur so ist es möglich, dass politische Bewegungen, wie der Klimastreik, sich in kürzester Zeit formieren können. Dank dem digitalen Wandel verringert sich auch die Abhängigkeit von etablierten Akteur*innen – Menschen können sich so, wenn sie sich mit anderen zusammenschliessen, selber politisches Gehör verschaffen.
Um Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden und Lösungen konkret umzusetzen, sind neue, schlagkräftige Allianzen nötig. Vor diesem Hintergrund wird im Juni 2020 die Stiftung für direkte Demokratie gegründet: Ihr Ziel ist es, jene Kräfte zu bündeln, die sich für eine starke Zivilgesellschaft engagieren, und neuen Bewegungsformen zum Durchbruch zu verhelfen. Mit der Gründung wollen wir das Bürger*innen-Engagement stärken und als Inkubator Initiativ- und Referendumsprojekte unterstützen – auf allen drei föderalen Ebenen.
Auf diese Weise will die Stiftung für direkte Demokratie dazu beitragen, dass politische Ideen und Projekte, die eine gesellschaftliche Debatte verdient haben, nicht ignoriert oder zwischen etablierten Akteuren