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Relevanz: Über den Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung
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Relevanz: Über den Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung
eBook274 Seiten3 Stunden

Relevanz: Über den Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung

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Über dieses E-Book

Relevanz ist ein Kernkriterium für die Bewertung von Forschungsansätzen wie auch von Forschungsergebnissen: Meteorologische Vorhersagen sollen über das Erscheinen eines Wetterphänomens zuverlässig Auskunft geben, Daten, die auf der Basis biomedizinischer Modelle erbracht wurden, sollen ein Krankheitsbild erklären helfen.

Aber ist durch das gewählte Verfahren das Forschungsziel überhaupt erreichbar? Stehen andere Verfahren zur Verfügung und was leisten diese im Hinblick auf unsere Erkenntnisziele? Letzteres wird unter Umständen nicht nur durch die Frage mitentschieden, wozu, sondern eben auch, woran geforscht wird, das heißt, anhand welcher Ressourcen wir forschen oder auch auf welche Datengrundlage sich unser methodisches Vorgehen stützt.

Lara Huber untersucht die Relevanzfrage in ihrer gesamten Breite: von der Begriffsgeschichte von »Relevanz« über die binnenwissenschaftliche Perspektive (wie bilden sich Relevanzkriterien in der Wissenschaft selbst?) bis hin zum politischen Diskurs über die Bewertung von Wissenschaft und Forschung.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Apr. 2020
ISBN9783787338627
Relevanz: Über den Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung
Autor

Lara Huber

Lara Huber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und lehrt als Privatdozentin an der Bergischen Universität Wuppertal.

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    Buchvorschau

    Relevanz - Lara Huber

    Lara Huber

    Relevanz

    Über den Erkenntniswert

    wissenschaftlicher Forschung

    Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

    Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische

    Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.

    ISBN 978-3-7873-3797-2

    ISBN eBook 978-3-7873-3798-9

    www.meiner.de

    © Felix Meiner Verlag Hamburg 2020. Alle Rechte vorbehalten. Dies

    gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen

    und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen,

    soweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten.

    Konvertierung: Bookwire GmbH

    Inhalt

    Einleitung

    Was ist »Relevanz«? Zwei perspektivische Annäherungen

    1.Relevanz versus Redundanz

    2.Relevanz als Bedeutungs- und Deutungszusammenhang

    Relevanz als Kriterium wissenschaftlicher Forschung

    1.Erkenntnisleistung oder Erkenntniswert?

    2.Zur Erkenntnisleistung wissenschaftlicher Forschung und ihrem Erkenntniswert für Anwendungsfelder

    2.1Relevante Faktoren:

    Zur Konzeption von Forschung

    2.2Relevante Ähnlichkeit:

    Zur Durchführung von Forschung

    2.3Relevanz für Entscheidungen:

    Zur Anwendung von Forschung

    3.Wissenschaftliche Forschung im Widerstreit:

    Zweckfreiheit versus Zweckorientierung

    Zur Brisanz der Relevanz

    Literatur

    Personen- und Sachregister

    Einleitung

    Oftmals wird über den Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung eher abstrakt gesprochen oder dieser in der Regel aufgrund von standardisierten Erhebungs- und Prüfungsverfahren, die die wissenschaftliche Praxis heute prägen, pauschal unterstellt. In praktischer Hinsicht ist der Erkenntniswert das sprichwörtliche Zünglein an der Waage, das im Einzelnen darüber entscheidet, ob ein Forschungsansatz weiter verfolgt wird oder aber aufgegeben werden muss, wenn seine Relevanz im Hinblick auf die hiermit verfolgten Ziele nicht nachgewiesen werden kann.

    Relevanz ist ein Kernkriterium für die Bewertung von Forschungsansätzen wie auch von Ergebnissen wissenschaftlicher Verfahren: Meteorologische Vorhersagen sollen über das Erscheinen eines Wetterphänomens zuverlässig Auskunft geben, Daten, die auf der Basis biomedizinischer Modelle erbracht wurden, sollen ein Krankheitsbild erklären helfen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass nicht nur die Modelle, die diese Erkenntnisleistung nicht erbringen, sondern auch wissenschaftliche Ansätze, die sich auf diese stützen, streitbar werden: zum Beispiel wenn Ergebnisse, die im Tierversuch erzielt wurden, durch klinische Studien an Patienten nicht repliziert werden können. In Bezug auf die leitenden Ziele, allen voran, Patienten eine Therapie anbieten zu können, entfaltet der besagte Forschungsansatz folglich keinen Erkenntniswert, in anderen Worten: keine klinische Relevanz. Selbstverständlich gilt dies nicht nur für den Bereich der Biomedizin. Nehmen wir etwa den Fall geowissenschaftlicher Forschung, und zwar im Speziellen das Vorhaben, anhand eines Klimamodells zuverlässige Vorhersagen über bevorstehende Ereignisse zu treffen: Genau sollen diese Vorhersagen sein und belastbar. Sie sollen aber vor allem anderen eines tun: über relevante Ereignisse berichten.

    Schon bevor Forschung beginnt, stellt sich die Frage nach der Relevanz: Was sind die Ziele von Forschung, sprich: Wozu wird im Einzelnen geforscht? Hinzu tritt die Frage, wie angesichts dieser Ziele zu forschen sei, also welche Methoden sich besonders gut eignen, um sie in den Blick zu nehmen. Sowie nicht zuletzt, welche Ergebnisse auf dieser Grundlage erwartbar sind: Erlauben sie, einen Sachverhalt zu erklären, liefern sie genauere Modelle, erhöhen sie die Zuverlässigkeit von Vorhersagen?

    Dem Ideal nach schreitet Wissenschaft im Wissen voran – das schließt die Präzision theoretischer Modelle ebenso ein wie die Gewinnung methodischen Know-hows und nicht zuletzt – auch wenn dies oftmals vergessen wird – die kritische Reflexion der eigenen Deutungsmuster und der zur Wahl stehenden Verfahren, die diese zu explizieren erlauben (Theorie- und Methodenkritik). Die Frage nach dem Erkenntniswert ist, wie sich hier bereits andeutet, kaum von der Ermittlung der Erkenntnisleistung von Wissenschaft und ihren Methoden zu lösen. Forschung als wissenschaftsimmanente Praxis adressiert stets beides: ihre Relevanz und ihre sachliche Richtigkeit, auch: Adäquatheit oder neudeutsch: Signifikanz.

    Die Frage nach der Erkenntnisleistung setzt wiederum die Beschäftigung mit den prinzipiellen wie auch den je spezifischen, methodischen Erkenntnisgrenzen wissenschaftlicher Forschung voraus: Ist durch das gewählte Verfahren das Forschungsziel erreichbar? Stehen andere Verfahren zur Verfügung und was leisten diese im Hinblick auf unsere Erkenntnisziele? Letzteres wird unter Umständen nicht nur dadurch mitentschieden, wozu, sondern eben auch woran geforscht wird, das heißt, anhand welcher Ressourcen wir forschen oder auch auf welche Datengrundlage sich unsere Untersuchung stützt. Davon abhängig ist nicht zuletzt die Frage, welchen Gesichtspunkten hierbei besondere Aufmerksamkeit zukommt: Die erste Frage betrifft das Thema oder das Ziel des Forschungsvorhabens, die zweite die materielle Grundlage wissenschaftlicher Forschung, sprich: welche konkreten Forschungsressourcen zum Einsatz kommen und ob hinreichend Ressourcen verfügbar sind. Die dritte Frage konkretisiert – basierend auf den gewählten materiellen und verfahrenstechnischen Grundlagen –, welche Gesichtspunkte im Rahmen des Forschungsdesigns im Einzelnen berücksichtigt werden können und welche, aufgrund des methodischen Zugriffs, aus der Untersuchung herausfallen. Man könnte auch vom spezifischen Fokus des Forschungsansatzes sprechen.

    Illustrieren lässt sich dies beispielhaft an der Ausrichtung medizinischer Forschung: Um grundlegende Kenntnisse über ein Tumorleiden zu erhalten, wird heute etwa an humanen Zellkulturen geforscht. Der erste Halbsatz benennt die Frage, wozu geforscht wird, also das Ziel der Forschung, der zweite die materielle Grundlage, woran geforscht wird. Welche Gesichtspunkte erhalten hierbei besondere Beachtung? Der spezifische Fokus des Vorhabens kann etwa darin bestehen, die genetische Krankheitsverursachung zu untersuchen, das heißt den Anteil der genetischen Disposition an der Krankheitsentstehung (Tumorwachstum) zu bestimmen. Gehen wir im nächsten Schritt davon aus, dass durch diesen und andere Forschungsansätze erste vielversprechende Ergebnisse erbracht wurden und nun die Wirksamkeit eines neuartigen Therapeutikums ermittelt werden soll. Wir bleiben innerhalb der Biomedizin. Als materielle Grundlage wählen wir dieses Mal keine humanen Zellkulturen, sondern ausgewählte experimentelle Organismen, zum Beispiel Mäuse, die zuvor gezielt gentechnisch verändert wurden: Sie tragen jenen genetischen Marker, der nachweislich beim Menschen das Tumorleiden mitbedingt. Welche Gesichtspunkte erhalten nun besondere Beachtung? Im Einzelnen soll geprüft werden, ob der Antagonist auf die Pathogenese einwirken kann, ob er sie gar unterbindet. Ermittelt werden soll außerdem, ob er mit weiteren Wirkungen einhergeht, die den Gesundheitszustand oder auch das Wohlbefinden negativ beeinträchtigen können (»Nebenwirkungen«). Diese beiden hier recht grob skizzierten Beispiele werden als relevante Forschungsszenarien in der Krebsmedizin (Onkologie) gehandelt. Zusammengenommen werfen sie immer noch ein recht unvollständiges Schlaglicht auf reale Forschungs-zusammenhänge, die sich zwischen biomedizinischer Forschung einerseits und klinischer Forschung andererseits ausweisen lassen. Hierauf wird noch näher einzugehen sein. Gleichfalls deutet sich in den gewählten Beispielen bereits an, innerhalb welcher Zusammenhänge Relevanz im Forschungsalltag zum Thema werden kann.

    Im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnet das Adjektiv relevant denjenigen Gesichtspunkt oder dasjenige Argument, dem wir zur Beantwortung einer Frage ein besonderes Gewicht, kurz Bedeutung, zumessen. Übertragen auf den wissenschaftlichen Kontext lässt sich diese Beobachtung zuspitzen: Als relevant gilt derjenige Gesichtspunkt, der sich aus der Masse aller übrigen Gesichtspunkte heraushebt. So wird etwa festgestellt, dass ein Sachverhalt »a« relevant sei für die Beantwortung der Frage »x«. Getragen wird diese Bewertung durch den jeweiligen fachwissenschaftlichen Hintergrund, den wir als Forschende mitbringen, indem wir das Phänomen aus der Warte eines bestimmten theoretischen Modells (Krankheitstheorie) und geleitet durch unser Erfahrungswissen im praktischen Sinne betrachten. Die Relevanz selbst zum Thema zu machen, in anderen Worten: die Relevanzfrage zu stellen, heißt also nicht zuletzt Muster oder Schemata der Deutung dezidiert zu würdigen und damit – im konsequentesten Fall – deren Aktualität und Geltung kritisch zu befragen. Ziel der Untersuchung ist es, anhand ausgewählter Beispiele wissenschaftlicher Forschung zu erläutern, wann Relevanz als Kriterium der Bewertung von Forschungsdesigns und ihren Hintergrundannahmen wie auch von Ergebnissen der Forschung, um mit Alfred Schütz zu sprechen, »thematisch« wird und sich in der Folge als Problem der Relevanzermittlung darstellt. Entsprechend vielschichtig wird sich das Konzept der Relevanz und die hiermit assoziierten praktischen Probleme der Relevanzermittlung im Kontext wissenschaftlicher Forschung erweisen.

    Der erste Teil der Untersuchung führt in die Begriffsgeschichte ein und stellt zwei Perspektiven, die für das Verständnis des Relevanzproblems im wissenschaftlichen Kontext und darüber hinaus leitend sind, näher vor.

    Hieran schließt mit dem zweiten Teil die eigentliche Analyse erkenntnistheoretischer und wissenschaftsphilosophischer Grundlagen zeitgenössischer Forschung an. Sie würdigt grundsätzliche Gesichtspunkte, die bei der Konzeption, bei der Durchführung sowie bei der Anwendung von Forschung eine maßgebliche Rolle spielen. Veranschaulicht werden diese anhand von ausgewählten Fallbeispielen. Im Einzelnen wird es um Forschungsdesiderate der Krebsforschung und der Klimaforschung gehen. Beide Bereiche eignen sich besonders gut, das Spannungsfeld zwischen Konzeption und Durchführung einerseits und Konzeption und Anwendung andererseits facettenreich darzulegen. Deutlich werden wird auch, dass die thematische und auch die methodisch-technische Ausrichtung von anwendungsorientierten Forschungsbereichen nicht zuletzt auf Desiderate der Grundlagenwissenschaften zurückwirken kann. Die Analyse wird folglich auch den Diskurs um »Transformative« in Wissenschaft und Forschung streifen: Wie ist es um die Forschung im Widerstreit übergeordneter Ziele wissenschaftlicher Praxis bestellt? Welchen Anteil haben diese Ziele (Zweckfreiheit versus Zweckorientierung) daran, wie Forschung bewertet wird? Ist der Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung notwendig an Anwendungs- und Verwertungsregimen zu konkretisieren (Nützlichkeit, Relevanz für außerwissenschaftliche Zwecke)?

    Im Fokus der Untersuchung steht bewusst die binnenwissenschaftliche Sicht auf Forschung: Kurz gesagt, geht es mir darum, die Auslotung des Relevanten aus der Perspektive derjenigen, die Wissenschaften betreiben, erkenntnistheoretisch zu würdigen und zugleich einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Analyse? Erstens ist nachzuzeichnen, welche Rolle dem Erkenntniswert zugesprochen wird, sprich: wann Relevanz im Forschungskontext zum Thema wird, auf welcher Grundlage im Einzelnen über das in epistemischer Hinsicht Beredte entschieden wird und was dies für den Fortgang des Forschens bedeutet. Zweitens ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich Wissenschaft nichts jenseits, sondern als spezifischer Ausdruck gesellschaftlichen Lebens realisiert: Als Forschende sind wir immer auch mit wirtschaftlichen, politischen oder im weitesten Sinne gesellschaftlichen Interessen, die an Wissenschaft herangetragen werden, konfrontiert. Wie begegnen wir diesen Interessen? Lassen sie sich gegebenenfalls mit generischen Fragen des Forschungsfeldes, in dem wir uns bewegen, in Beziehung setzen oder werden sie als ›Problem‹ erfahren, lassen sich gar als unrechtmäßige Vereinnahmung von Forschung kritisch explizieren? Mit diesem Untersuchungsschritt verbindet sich ein doppelter Blick: nach innen wie nach außen. Der Blick nach innen adressiert die Art und Weise, wie wir als wissenschaftlich Tätige Relevanz selbst zum Thema machen, indem wir ganz bestimmten Gesichtspunkten den Vorrang geben oder auf der Basis von Publikationen den Erkenntniswert unserer Ergebnisse für weiterführende Forschungsdesiderate ausweisen. Der Blick nach außen fragt nach unserer Beteiligung an der Bewertung von Wissenschaft und Forschung, namentlich der diskursiven Teilhabe durch die kritische Prüfung ihrer Ziele.

    Was ist »Relevanz«?

    Zwei perspektivische Annäherungen

    Die Frage nach dem Wert der Wissenschaft, ob sie, wie Max Weber unterschieden hat, nicht nur »logisch und sachlich gewertet richtige«, sondern »im Sinne des wissenschaftlichen Interesses wichtige Resultate zu erzielen« vermag,¹ lässt sich als diejenige nach der Relevanz wissenschaftlicher Forschung fassen.

    Inwiefern sich Relevanz ausweisen lässt und worin sie konkret besteht, diese doppelte Frage stellt sich in beiden, klassischerweise voneinander geschiedenen Bereichen wissenschaftlicher Praxis – in den angewandten Forschungsbereichen (»applied science«) und denen der Grundlagenwissenschaften (»pure« oder »basic science«). Sie wird, wenn man so will, lediglich aus unterschiedlicher Perspektive gestellt und folglich auch beantwortbar: Während bei der Grundlagenforschung eher pauschal angenommen wird, gewissermaßen unterstellt wird, dass sie Relevanz besitzt, nämlich durch die Erlangung von Erkenntnissen über fundamentale Zusammenhänge der Welt, stellt sich die Situation für die angewandten Bereiche anders dar. Hierunter werden in der Regel all jene Forschungsfelder gefasst, deren Erkenntnisziele auf Anwendung ausgerichtet sind, wie etwa die Entwicklung potenter Therapeutika durch Verfahren der medizinischen Forschung oder die Gewährleistung belastbarer Prognosen durch Modelle der Klimaforschung. Im Fall der angewandten Forschung wird besonders deutlich, dass der Ausweis oder auch nur die Antizipation möglicher Zwecke wissenschaftlicher Forschung mit darüber entscheiden kann, inwiefern diese als besonders aussichtsreich erachtet wird. Tatsächlich sieht sich Forschung heute in der Regel mit der faktischen Anforderung konfrontiert, dass aus ihr ein konkreter Nutzen resultieren müsse, das heißt für Anwendungsziele verwertbar zu sein – etwa im Hinblick auf klimapolitische Entscheidungen oder das ärztliche Handeln am Krankenbett. Die genuin wissenschaftliche Orientierungsnorm, dem Gemeinwohl zu dienen, konkretisiert sich in der angewandten Forschung eben gerade durch die Verwertung ihrer Ergebnisse oder die Anwendung ihrer Produkte – unter der Maßgabe, dass zuvor ausgewiesene Methoden entwickelt wurden, die die Validität ihrer Ergebnisse und die Sicherheit ihrer Produkte gewährleisten. Wird Forschung dem Nutzenkalkül, wie in den genannten Fällen, unterworfen, ist es um die Zweckfreiheit von Forschung im Sinne der Wissensgenerierung um des Wissens willen schlecht bestellt. Dies ist auch deshalb bedenkenswert, da die gemeinhin unterstellte klare Scheidung zwischen grundlagen- bzw. anwendungsorientierten Wissenschaften ein vereinfachtes Bild der Forschung unter Realisierungsbedingungen zeichnet. Zuspitzend lässt sich davon sprechen, dass die auf Anwendung zielenden Forschungsdesigns in der Regel die Tendenz haben, weit in jene der Grundlagenwissenschaften hinein zu reichen: Als Forschungsfeld sind weder die Biomedizin noch die Klimaforschung per se von der Grundlagenforschung abgekoppelt, sondern nehmen in vielfacher Hinsicht darauf Einfluss, worüber grundlegendes Wissen erworben wird. Dies ist insofern beachtenswert, als Fragen der Rentabilität über die Desiderate der Anwendungsorientierung Anreize für bestimmte Forschungsthemen oder die Priorisierung bestimmter Forschungsziele in den Grundlagenwissenschaften setzen können. Um dies an einem Beispiel zu erläutern: Als angewandte Forschung konkretisiert die Biomedizin mit ihren Mitteln Forschungsdesiderate der Klinik. Ihre Angewandtheit zeigt sich darin, dass Forschungsziele, also die Frage, wozu geforscht werden soll, danach priorisiert werden, ob sie sich für klinische Desiderate (Diagnose- und Therapieoptionen) verwerten lassen. Gleichzeitig operiert sie als Biomedizin auf der Basis ihrer fachspezifischen Grundlagen. Hier entscheidet sich, woran und wie geforscht wird, zum Beispiel welche Gesichtspunkte anhand der gewählten Methode besondere Beachtung finden können (Forschungsfokus). Gegebenenfalls müssen geeignete Methoden oder Ressourcen erst entwickelt werden. Dies schließt mitunter weitergehende, namentlich grundlegende Forschung an ihnen ein, um zu ermitteln, ob sie für Forschungszwecke nutzbar sind und sich als wissenschaftlich adäquate und handhabbare Ressourcen einsetzen lassen. Die Grenzen zwischen angewandten Bereichen der Forschung und dezidierter Grundlagenforschung verlaufen folglich unter Umständen nicht zwischen Forschungsfeldern wie der Biomedizin und anderen Bereichen der medizinischen Forschung, sondern vielfach innerhalb dieser Felder. Im Fall der Biomedizin bedeutet dies, dass sie ihre Relevanz für Desiderate der Medizin immer wieder neu auszuweisen, oder besser: nachzuweisen hat. Ich werde deshalb hier in der Regel von der Anwendungsorientierung von Forschung sprechen und auf den engeren Begriff der angewandten Forschung weitgehend verzichten.² Auf die im Widerstreit stehende Orientierung an Zweckfreiheit respektive Zweckorientierung von wissenschaftlicher Forschung im Allgemeinen komme ich in einem späteren Kapitel ausführlich zurück.

    Wann wird Relevanz in Wissenschaft und Forschung zum Thema? Lässt sich dies – bezogen auf die spezifischen Zusammenhänge – in erkenntnistheoretischer Hinsicht bewerten? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für den Fortgang des Forschens? Wie wird der Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung ausgewiesen, wie die Relevanz von wissenschaftlichen Ergebnissen – für Anwendungskontexte – bestimmt? Bevor ich diese Analyse im Hinblick auf die Konkretisierung von Forschungsfragen und die Bewertung von Ergebnissen aufnehme, möchte ich in die Bedeutungsgeschichte des Begriffes einführen. Dies geschieht in Gestalt zweier systematischer Annäherungen, die unterschiedliche Perspektiven auf den Begriff der »Relevanz« eröffnen.

    1. Relevanz versus Redundanz

    Im Alltag tritt der Begriff »Relevanz« gemeinhin als Kernkriterium für Suchanfragen, zum Beispiel im Internet, bei der Datenbank- oder Literaturrecherche, in Erscheinung. Als solcher zielt er nicht auf Sensitivität, also Vollständigkeit, sondern auf Spezifität. Im Umkehrschluss heißt dies, es werden nur ganz bestimmte, ausgewählte Ergebnisse angezeigt, die sich in Beziehung zur Suchanfrage setzen lassen. Voraussetzung für die Güte von Datenbanken ist vor diesem Hintergrund erstens, dass sie möglichst umfassend Ressourcen erschließen, die folglich im Rahmen der Suchanfrage (Stichwortanalyse) auch ausgewertet werden können, und zweitens, dass die Verschlagwortung stichhaltige Auskunft über die Beredtheit der Ressourcen gibt. Insofern erstaunt es nicht, dass aktuelle Forschungsbeiträge den Diskurs um Relevanz mit dem ausdrücklichen Bezug auf den Zugang, die Interpretation respektive den Gebrauch von Informationen führen.³

    Sprachgeschichtlich geht der Begriff der Relevanz auf die Fügung »relevantis articuli« zurück, die jene Argumente bezeichnet, die im Rechtsstreit als berechtigt und beweiskräftig gelten.⁴ Das Adjektiv »relevant«, das im 17. Jahrhundert Eingang in den juristischen Sprachgebrauch findet, wird anfangs synonym zu »schlüssig« oder »richtig« verwandt, später auch als »bedeutungsvoll«, »wesentlich« und »(ge)wichtig«.⁵ Aus dem lateinischen Verb »relevare« für »in die Höhe heben, aufheben« bildet sich der Begriff »Relief«, womit ein plastisches Bildwerk bezeichnet wird, das aus der Flächigkeit des Untergrunds heraustritt.⁶ In Analogie zum Relief tritt bekanntlich auch das Relevante aus einer Menge von Fragen hervor oder wird als »Problem« sichtbar respektive fassbar. Im 19. Jahrhundert kommt die substantivische Ableitung »Relevanz« in der Verwendung »Wichtigkeit, Belang« auf, Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch hält der Begriff aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.⁷ Mit dem Begriff wird unter Umständen gar ein semantischer Mehrwert verbunden: So hält etwa die Sprachforschung fest, dass mit der »modewortartigen Verwendung von

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