Schloss Schadau, Thun
Von Jürg Hünerwadel
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Buchvorschau
Schloss Schadau, Thun - Jürg Hünerwadel
Jürg Hünerwadel
Schloss Schadau, Thun
Kanton Bern
«Architektonisches Monstrum» oder «Perle am Thunersee»?
Scherzligen und die Schadau
Bau- und Besitzergeschichte
Der von Erlach’sche Vorgängerbau von 1638
Planung und Bau von Schloss Schadau
Ungewisses Schicksal und Rettung durch die öffentliche Hand
Denkmalgerechte Restaurierungen
Aussensanierung 1954–1996
Innenumbau und Umnutzung 2018/19
Rundgang
Das Äussere
Das Innere
Historistischer Überschwang
Rundgang durch das Erdgeschoss
Die Ledertapeten im Schloss Schadau
Die Obergeschosse
Park und Umgebung
Die ursprüngliche Gartenanlage bis 1837
Der englische Landschaftspark der Familie de Rougemont
Die Schadaugärtnerei
Das Schadaugut
Würdigung
Anhang
Die seeseitige Schaufassade des neuen Schlosses. Foto um 1855.
«Architektonisches Monstrum» oder «Perle am Thunersee»?
Manche Dinge brauchen Zeit. Bereits 1837 hatten Abram Denis Alfred de Rougemont (1802–1868) und seine Gattin Sophie, geb. de Pourtalès (1807–1882), das um 1638 am Ausfluss der Aare aus dem Thunersee erbaute Landgut Schadau erworben. Erst zehn Jahre später aber, nach zahlreichen Projektstudien diverser Architekten, liessen sie von 1847–1852 ihren neuen Sommerwohnsitz errichten. Während der gesamten Bauzeit standen Alt- und Neubau Seite an Seite am Ufer, von wo sich der Blick über den See hinweg im Kranz der Berner Alpen verliert. Unterschiedlicher hätten die beiden Bauten nicht sein können. Hier das behäbige Landschlösschen im frühbarocken Stil des 17. Jahrhunderts, ein zweigeschossiger Putzbau unter Halbwalmdach mit flankierenden Türmchen. Dort der mächtige dreigeschossige Baukörper des an die französischen Loire-Schlösser gemahnenden neuen Prunkbaus über verwinkeltem Grundriss, dessen Erscheinungsbild durch seine Vieltürmigkeit, die aufgelöste Dachlandschaft mit zahlreichen Kaminen, die Vielfalt und
-farbigkeit
der Baumaterialien sowie eine überreiche, an die englische Tudorgotik angelehnte Sandstein-Ornamentik gekennzeichnet ist.
Der Bruch mit der zeitgenössischen bernischen Bautradition war eklatant und durch die exponierte Lage des neuen Schlosses noch in gesteigertem Masse wahrnehmbar. Es erstaunt daher nicht, dass schon während der Bauzeit Kritik laut wurde. Als «architektonisches Monstrum» betitelte ein anonymer Kritiker den Neubau im Intelligenzblatt für die Stadt Bern vom 29. August 1849, das lediglich als «Denkmal grenzenloser Geschmacklosigkeit der Gegenwart und den kommenden Geschlechtern als Missfallen erregendes Beispiel» tauge. Nur ein Vierteljahrhundert später tönte es freilich ganz anders. Da schwärmte Abraham Roth – der bekannte Zeitungsredaktor und Mitbegründer des Schweizer Alpen-Clubs SAC – in seinem 1873 herausgegebenen Reiseführer Thun und seine Umgebungen von der Schadau als einer «von Menschenhand geschaffene[n] Perle, eingefügt in das Diadem der Alpenlandschaft». 1876 entzückte sodann der «geradezu feenhafte Landsitz […], die fast weltbekannte Schadau» auch die deutsche Allgemeine Illustrirte Zeitung. Was war geschehen? Stellte der Historismus als Geistesströmung im Allgemeinen und das historistische Bauen im Speziellen in der Schweiz um 1850 eine noch völlig neue Tendenz dar, so hatte sich der Rückgriff auf historische Stile in der Architektur inzwischen Bahn gebrochen. Das historistische Formenvokabular war nicht nur bei der Bewältigung neuer Bauaufgaben wie Bahnhöfen und Fabriken allgegenwärtig geworden, sondern auch im repräsentativen Wohnungsbau.
Genau 100 Jahre nach seiner Fertigstellung stand das inzwischen ins Eigentum der Stadt Thun übergegangene Schloss indessen erneut im Zentrum eines Historismusdiskurses. Wie in der Rezeptionsgeschichte so mancher Architekturströmung – vom Barock bis zur aktuellen Debatte über die Sichtbetonarchitektur der 1970er Jahre – wurde auch dem Historismus von den nachfolgenden Generationen wenig Wertschätzung entgegengebracht. So plädierten um 1950 angesichts witterungsbedingter Schäden an den filigranen Fassaden und Dächern namhafte Stimmen für den Abbruch des «jungen Greise[s] aus dem 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der architektonischen Ratlosigkeit und des anmassenden Fassadenzaubers». Erst unter Beizug von Linus Birchler gelang dem weitsichtigen Stadtbaumeister Karl Keller die Rettung des Bauwerks. Birchler genoss als Professor für Baugeschichte und allgemeine Kunstgeschichte an der ETH sowie als Pionier der Kunstdenkmäler-Inventarisation in Fachkreisen höchstes Ansehen und sein Wort hatte entsprechend Gewicht. In einem Gutachten von 1954 gestand er als Präsident der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege zwar freimütig, dass er noch vor dreissig Jahren einen Abbruch der Schadau für geradezu notwendig befunden hätte. Nun aber erachtete er die Schadau als «historisches Baumonument, so gut wie die bayrischen Königsschlösser», um mit der pathetischen Forderung zu schliessen: «Die Schadau bleibe erhalten, als Ganzes, und in ihren Einzelheiten!». Die Polemiken um das heute unbestrittene Kulturgut Schadau machen eines deutlich: das Bauwerk war nicht nur um 1850 bei der Erbauung seiner Zeit offensichtlich weit voraus, sondern markierte um 1950 ebenso den Beginn der