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Zur Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen: Probenarbeit von Dimiter Gotscheff, Thomas Langhoff und Thomas Ostermeier
Zur Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen: Probenarbeit von Dimiter Gotscheff, Thomas Langhoff und Thomas Ostermeier
Zur Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen: Probenarbeit von Dimiter Gotscheff, Thomas Langhoff und Thomas Ostermeier
eBook609 Seiten7 Stunden

Zur Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen: Probenarbeit von Dimiter Gotscheff, Thomas Langhoff und Thomas Ostermeier

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Über dieses E-Book

"Meine Heimat ist die Probe", pflegte Dimiter Gotscheff zu sagen. Für Thomas Ostermeier ist die Probe der Ort, an dem die Figuren seiner Inszenierung "zur Welt kommen". Und Thomas Langhoff wurde auf der Probe selbst zum energiegeladenen Darsteller. Doch was genau findet während der Proben statt? Wie entwickelt der Schauspieler seine Figur? Wie tragen der kollektive Charakter dieser Arbeit und die Emotionen in dem Beziehungsgefüge am Theater zur Annäherung an eine Rolle bei?
Die Theaterwissenschaftlerin Viktoria Volkova hat die häufig mystifizierte Theaterprobe über mehrere Monate begleitet und die Probenarbeit bei Dimiter Gotscheff, Thomas Langhoff und Thomas Ostermeier in Wort und Bild dokumentiert und analysiert.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Jan. 2020
ISBN9783957492869
Zur Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen: Probenarbeit von Dimiter Gotscheff, Thomas Langhoff und Thomas Ostermeier

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    Buchvorschau

    Zur Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen - Viktoria Volkova

    34.

    1Über die »Genealogie«¹ der Probe

    1.1Zum Verhältnis von Performance und Probe sowie zur Methodik der Probenanalyse

    Bevor theatrale Probenprozesse in den Fokus meiner Betrachtung rücken, sollte zunächst deren Verhältnis zum Performance-Begriff geklärt werden. Bereits Ende der 1950er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts schlug der amerikanische Ethnologe Milton Singer vor, wertorientierte kulturelle Aufführungen aller Art (Hochzeiten, Spiele, Festivals, Tänze, Konzerte, Rituale, Sportwettbewerbe etc.) als cultural performances zu verstehen². Wie Sandra Umathum unter Verweis auf Singer festhält, handelt es sich hierbei stets um »Aufführungen, in denen eine Kultur ihr Selbstbild und Selbstverständnis vor sich selbst und vor anderen öffentlich präsentiert – oder auch reflektiert, in Frage stellt und transformiert«³. Heutzutage geht man von einer ausgesprochen umfangreichen Reichweite des Performance-Begriffs aus. Richard Schechner konstatierte etwa, dass »sich Performance in alle Richtungen verbreitet hat«⁴. Entsprechend wurden die Performance Studies in den 1970er Jahren »als ein interdisziplinäres Forschungsfeld proklamiert[.]«⁵. Der amerikanische Medienwissenschaftler Jon McKenzie sieht im Performance-Begriff sogar »einen der Schlüsselbegriffe des 21. Jahrhunderts« und »erhebt Performance […] zum heraufziehenden Paradigma unseres kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens«⁶. Er geht von der »Doppelbedeutung des Wortes ›Performance‹« – nämlich: »Aufführung und Ausführung/Leistung«⁷ – aus und weist im Zuge dessen nicht nur darauf hin, dass sich Performance in allen Lebenssparten als Wirkungs- und sogar Manipulationsmodus⁸ entwickelt hat, sondern er problematisiert diesen Begriff darüber hinaus als eine maßgebliche »onto-historical formation of power and knowledge«⁹ des 20. und 21. Jahrhunderts: »[…] performance will be to the twentieth and twenty-first centuries what discipline was to the eighteenth and nineteenth, that is, an onto-historical formation of power and knowledge.«¹⁰

    Eine Performance im Sinne einer Aufführung impliziert immer einen Ausführenden und einen Zuschauer. Meines Erachtens bezieht sich die Reichweite des Performance-Begriffs definitiv auch auf das Material meiner Untersuchung, d. h. auf Probenprozesse im Regietheater, insofern ein Probenprozess nichts anderes als eine Reihe von Aufführungen fasst. Zu betonen ist, dass jede dieser Aufführungen stets anders »performt« bzw. aufgeführt wird und von daher unwiederholbar ist. Bestätigt wird diese Sichtweise durch Annemarie Matzkes grundlegende Studien über die Diskursgeschichte der Probe. In ihrer (bereits in der obigen Einleitung ausführlich diskutierten) Habilitationsschrift definiert Matzke einen Probenprozess als eine »Serie von Aufführungen«¹¹. In Rekurs auf Marvin Carlson ist »[performance] always for someone, some audience that recognizes and validates it as performance«¹². Als »Serien von Aufführungen« (und nicht nur als deren Ergebnisse, sprich: als fertige Produktionen) sind Probenprozesse also auch auf Beobachter angewiesen – sei dies der forschende Blick des Regisseurs (»der ideale Zuschauerblick«¹³) oder aber derjenige einer Person, die protokolliert, dokumentiert, filmt oder Notizen über den Probenverlauf macht. Zugleich findet solch eine Notwendigkeit der Dokumentation den Nachweis auch bei Matzke, die auf eine »besondere Medialität [der Proben] als Aufführung«¹⁴ abhebt und andere Probenforscher auffordert, je nach Ziel der vorgenommenen Untersuchung »eigene Methoden für die Analyse der Arbeit am Theater in den Probenprozessen zu finden«¹⁵. Wenn »die Leerstelle der immer bereits vergangenen Aufführung […] ein zentrales Thema der Theaterwissenschaft«¹⁶ ist, dann wird die Vorgehensweise für die Analyse einer »Serie von Aufführungen« (und manche Probenprozesse dauern monatelang und enthalten demzufolge hunderte von Aufführungsserien) zu einem weitaus komplizierteren Problem.

    Auch die Theaterforscher Gabriele Brandstetter und Hans-Friedrich Bormann problematisieren die Leerstelle, die eine Performance aufgrund ihrer Vergänglichkeit und Flüchtigkeit aufweist. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Materialität einer Performance adäquat zu erfassen, schlagen Brandstetter und Bormann vor, die Vorgehensweise für die Performance-Analyse in den »Vorentscheidungen« zu suchen:

    Die Rede von der Performance markiert eine Leerstelle, einen Verlust. Zum verfügbaren Gegenstand […] wird sie uns nur um den Preis ihres Verschwindens […]. In Analogie zur experimentellen Physik des 20. Jahrhunderts wäre zu berücksichtigen, daß die Versuchsergebnisse und die daraus gewonnenen Erkenntnisse von Vorentscheidungen abhängen: von der Beobachterposition und dem jeweiligen Instrumentarium.¹⁷

    Wenn eine Beobachterposition laut Brandstetter und Bormann ein elementarer Bestandteil von Vorentscheidungen ist, dann steht die Instanz des Beobachters nicht nur für das Publikum, das während des Verlaufs einer Performance unmittelbar anwesend ist, sondern auch für diejenigen Zuschauer, die während der Vorbereitungsphase anwesend sind und den Herstellungsprozess einer Aufführung mitbestimmen. Die Beobachterposition für den theatralen Probenprozess im zeitgenössischen Regietheater zu reflektieren, umfasst von daher einen elementaren Schritt für die Analyse von Probenprozessen. Über das Thema der Anwesenheit von Zuschauern in Probenprozessen ist eine historische Übersicht Annemarie Matzkes aufschlussreich. Interessanterweise wurde bereits im Barocktheater »die Ausgrenzung der Zuschauer mit einer möglichen Gefährdung des Probenprozesses [legitimiert]«¹⁸. Für die vorliegende Untersuchung ist indes eine andere Beobachtung Matzkes grundlegend: Ihr zufolge darf nämlich als gesichert gelten, dass »zum theatralen Produzieren konstitutiv die Zuschauerposition [gehört]«¹⁹ und mit dem Auftreten der »neuen, technischen Probleme« im Barocktheater, die mit der Ausgrenzung der Beobachter aus den Proben verbunden waren, »[d]er Regisseur zum Stellvertreter des Zuschauers erklärt [wird]«²⁰. Bleiben wir aber bei der These, wonach der Zuschauerblick wesentlich zum Probenprozess gehört (diese These ist für das Regietheater allgemein gültig): Zum einen gilt sie, weil »der Schauspieler sich beim Darstellen [nicht sieht]« und »ihm der Zuschauerblick durch den Regisseur [gespiegelt wird]«, wodurch er schließlich »auf den ›blinden Fleck‹ im eigenen Sehen«²¹ verwiesen wird. Zum anderen handelt es sich bei der Beobachterposition in einem Probenprozess um das Aufbewahren der Erinnerung durch Artefakte, »ohne die […] unser Blick für ein Ereignis [blind wäre]«²². Überdies setzt die Präsenz des Beobachters Energien und Möglichkeiten in Gang, die ohne ihn undenkbar wären bzw. ohne die eine Theaterprobe eine ihrer wichtigsten Besonderheiten – ihre Intimität²³ – verlieren würde.

    Die Frage Was wird in den Proben beobachtet? ist für die Methodologie der Analyse von Probenprozessen genauso grundlegend wie die festgestellte Notwendigkeit der Beobachterpräsenz. Wie bereits aus der vorläufigen, aber bei Weitem noch nicht vollständigen Definition des Probenbegriffs hervorgeht, der zufolge die Probe als eine Serie von Aufführungen zu verstehen sei, besitzt die vorliegende Untersuchung einerseits einen aufführungsanalytischen Charakter. Warum wird die Analyse nun ausgerechnet auf der Basis von Probenprozessen durchgeführt? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Weil eine Aufführung – als wesentlichster Bestandteil und Modus der Probe – »das menschliche Leben selbst und zugleich […] sein Modell«²⁴ ist. Da ein »Lebensmodell« per definitionem vielschichtig ist, rücken in den Fokus meiner Betrachtung nicht nur die Interaktionsprozesse der Künstler während des unmittelbaren Bühnenvorgangs (wobei solche Interaktionen einer der wichtigsten Aspekte meiner Analyse sind), sondern auch soziale Fragen und Probleme, durch welche die Probenprozesse nicht weniger als durch Interaktionen geprägt werden. In den Proben habe ich beobachtet und notiert, worüber der Regisseur mit sämtlichen Beteiligten im Laufe des Probentages gesprochen hat. Das Ziel meiner Beobachtungen bestand dabei nicht nur in der Fixierung der Interaktionsinhalte, sondern gleichermaßen in der Dokumentation der damit verbundenen Konnotationen (etwa die Stimmung des Regisseurs oder die Beziehungen zwischen den Beteiligten). Sämtliche Ereignisse, die im Hintergrund des unmittelbaren Bühnengeschehens – parallel, davor oder danach – stattfanden (vertrauliche Gespräche, Bemerkungen, gesprächsbegleitende Intonationen, Reaktionen auf den Probenvorgang, Assoziationen, aber auch meine persönliche Involvierung in den Probenprozess als Beobachterin usw.) – habe ich schriftlich fixiert. Bei der Fixierung der beobachteten Sachverhalte berücksichtigte ich aber auch ein Problem, das in jeder Dokumentation aufzutauchen vermag, nämlich das Problem der Objektivität. Denn jede Beschreibung und Dokumentierung bleibt immer subjektiv – selbst dann, wenn die Daten stenographiert würden (was bei meinen Notizen nicht der Fall war). Trotzdem versuchte ich die Geschehnisse, die während der Probenprozesse an drei großen Berliner Theatern stattfanden, möglichst objektiv und breit zu beleuchten.²⁵

    Wie bereits erwähnt, sind es andererseits auch soziale Probleme, die die Probenprozesse begleiten und bestimmen. Genau an diesem Punkt führe ich meine Untersuchung auch vor dem Hintergrund eines soziologischen Standpunkts durch. Es ist nicht zu übersehen, dass jede künstlerische Praxis (und theatrale Proben gelten zweifellos als solch eine Praxis) aufs Engste mit sozialen Situationen zusammenhängt, dass sie sich mit diesen auseinandersetzt und von diesen sogar abhängt. Was genau treibt einen theatralen Probenprozess sodann an und voran? Einen Probenprozess als einen Gruppenprozess zu verstehen, in dem die Entscheidungen, die die Künstler treffen, meist auf »einfachen«, alltäglichen Situationen basieren, heißt die andere Seite der Medaille, sozusagen die Rückseite der Proben zu problematisieren – ein Aspekt, der in wissenschaftlichen Kontexten zumeist keine Berücksichtigung findet, insofern dort in der Regel lediglich »rein« künstlerische Vorgänge im Zentrum stehen. Solche »einfachen« sozialen Situationen in den Proben zu fixieren – vor allem diese herauszuheben und von den »rein künstlerischen« abzutrennen –, stellt eine besondere Herausforderung dar. Denn die Grenze zwischen »rein Künstlerischem« und »Alltäglichem« konnte noch niemals gesetzt werden²⁶. So analysiere ich die beobachteten und aufgeschriebenen Situationen, die in den Proben stattfanden, im Hinblick auf ihren spezifischen Einfluss auf den Probenprozess. Was genau ist vor diesem Hintergrund als der Gegenstand dieses Einflusses anzusehen? Meines Erachtens ist jeder Arbeitsmoment eines künstlerischen Prozesses durch emotionale Faktoren (Beziehungen, Reaktionen, Blicke, Assoziationen, Bemerkungen, Ausrufe, Kommentare etc.) geprägt, die den konkreten Arbeitsablauf vorantreiben (oder auch unterbrechen oder gar stoppen). Dementsprechend rückt das Verhältnis zwischen den emotionalen Ereignissen und den von den Künstlern getroffenen Entscheidungen in den Fokus meiner Betrachtungen (im analytischen Teil der vorliegenden Studie – vgl. Kapitel fünf bis sieben – wird dieses Verhältnis mit sozialen Emotionen in Verbindung gesetzt), durch die eben jene szenischen Handlungen festgelegt wurden, die später den gesamten Aufführungstext kreierten und in ihrem ursprünglichen (oder auch veränderten) Zustand in die »Endfassung« eingingen.

    An dieser Stelle ist erneut die Rolle des Beobachters hervorzuheben, weil die Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen den emotionalen Ereignissen und den Entscheidungen der Künstler in den Proben ohne den distanzierten Blick eines »fremden« Beobachters eine Leerstelle bzw. Lücke im Inszenierungsprozess aufweist. Bormann und Brandstetter schlagen vor, den Wert der Performance »nach dem Abstand zwischen Präsentation und Wahrnehmung [zu befragen], der sich in den Dokumenten und Erinnerungstexten der Beobachter artikuliert«²⁷. Ist dies auch für die Wertschätzung eines Inszenierungsprozesses relevant? Sind die Begriffe Inszenierungsprozess und Probenprozess identisch? Wie kann ein Probenprozess analysierbar sein, wenn er sich über Wochen oder gar Monate hinzieht? Neben diesen Fragen gilt es zu bestimmen, welche Einheiten in einem Probenprozess für eine empirische Analyse herangezogen werden können.

    1.2Zum Verhältnis von Proben-, Handlungs- und Aufführungssituation im Probenprozess

    Ein Probenprozess lässt sich nicht analysieren, ohne auf seine Struktur einzugehen. Die Auseinandersetzung mit dieser Struktur erfordert das Heranziehen jener Methoden, die allein vom Ziel der jeweils vorgenommenen Untersuchung abhängen. In Bezug auf die Frage, wie genau sich ein Probenprozess gestaltet (oder wäre es richtiger zu sagen: wie er gestaltet wird?), spielen außerdem Faktoren wie die theatrale Tradition, die »Handschrift« des Regisseurs oder sogar der Standort der Aufführung eine große Rolle. Prinzipiell gilt allerdings, dass ein jeder Probenprozess in einzelne Probentage eingeteilt ist, die sich auf die gesamte Probenzeit (mehrere Wochen oder gar Monate) erstrecken. (Zunächst einmal müsste auf die begrifflichen Hinweise aufmerksam gemacht werden, die auf den ersten Blick trivial erscheinen könnten, aber tatsächlich einen erforderlichen Übergang zur Differenzierung zwischen den Schlüsselbegriffen markieren.) So wird das, was während der Probentage geschieht, im üblichen Sprachgebrauch schlichtweg als proben bezeichnet: Es wurde geprobt, heißt es etwa. Am Ende des Probenprozesses steht gewöhnlich die Aufführung, von der retrospektiv gesagt wird, dass sie aufgeführt wurde. Oder aber man spricht von einer Inszenierung, die dementsprechend inszeniert wurde. Eine präzise Differenzierung zwischen Probe, Inszenierung und Aufführung lässt sich in Anschluss an Matzke vornehmen. In Anlehnung an Fischer-Lichte bezeichnet sie die Inszenierung als eine »Erzeugungsstrategie«²⁸, die stets auf die Aufführung ziele, während der Begriff des Probens weiter gefasst sei. Er »umschließt alle Formen von Interaktion, Techniken wie auch Herangehensweisen des Vorbereitungsprozesses«²⁹. Was die Entstehungsgeschichte des Inszenierungsbegriffs betrifft, so weisen sowohl Fischer-Lichte als auch Matzke darauf hin, dass der Begriff mise en scene (in Szene setzen)³⁰ im Zusammenhang mit der »Ausdifferenzierung des Berufsfelds Regisseur«³¹ bzw. mit dem »Aufstieg [des Regisseurs] vom Arrangeur zum Künstler«³² aufgekommen sei. Der Begriff der Inszenierung wird dementsprechend folgendermaßen definiert:

    […] als […] Vorgang der Planung, Erprobung und Festlegung von Strategien, nach denen die Materialität der Aufführung performativ hervorgebracht werden soll, wodurch zum einen die materiellen Elemente als gegenwärtige, in ihrem phänomenalen Sein in Erscheinung treten können, und zum anderen eine Situation geschaffen wird, die Frei- und Spielräume für nicht-geplante, nicht-inszenierte Handlungen, Verhaltensweisen und Ereignisse eröffnet.³³

    Eine Inszenierung ist also ein Prozess des In-Szene-Setzens von denjenigen erarbeiteten Strategien, die in einer Situation in Erscheinung traten, wobei eben diese Situation selbst wiederum im Laufe eines Probeprozesses zum Vorschein gekommen ist. Eine Situation taucht immer unvermittelt auf: Sie kommt plötzlich, unerwartet, ungeplant zum Vorschein. Infolgedessen ist man dazu gezwungen, sie spontan zu steuern. In diesem Zusammenhang verweist Matzke darauf, dass »Proben […] immer auch Inszenieren [ist] […], denn es ist auch Organisieren, Vorbereiten, Überprüfen, Wiederholen«³⁴. Wie ich auf der vorherigen Seite bereits geschrieben habe, betont Matzke, dass der Begriff des Probens weiter gefasst ist als der der Inszenierung oder der der Aufführung. An der Gegenüberstellung der Verben proben und inszenieren zeigt Matzke, dass »der erste Begriff alle Teilnehmenden umfasst«, während »sich der zweite Begriff auf eine Außenposition mit der Funktion [bezieht], die verschiedenen szenischen Elemente in ein Verhältnis zu setzen und Darstellungsstrategien zu erarbeiten«³⁵. Aber auf welche Weise sich der Prozess der Hervorbringung der »Materialität der Aufführung« vollzieht, wird nur aus den Situationen klar, die man im Laufe des Probens miterlebt hat (selbstverständlich nur dann, wenn man dabei persönlich anwesend war). Eine Situation, die in den Proben (genauer gesagt: an einem Probentag) stattfindet, ist immer jene Einheit, mit der die Ereignisse oder Anekdoten beschrieben werden, die dann das Untersuchungsmaterial der Probenforscher ausmachen. Erika Fischer-Lichte schreibt diesbezüglich: »Es ist die Inszenierung, welche eine Situation entwirft, in der sich etwas ereignen kann.«³⁶ Wenn es um die Entstehung einer Situation geht, in der die Materialität der Aufführung zustande kommt, richte ich meine Aufmerksamkeit in der vorliegenden empirischen Studie nicht alleine auf das Inszenieren (also auf »eine Außenposition mit der Funktion, die verschiedenen szenischen Elemente in ein Verhältnis zu setzen und Darstellungsstrategien zu erarbeiten«), sondern vielmehr auf das Proben (d. h. auf »alle Formen von Interaktion, Techniken wie auch Herangehensweisen des Vorbereitungsprozesses«, auf das »Organisieren, Vorbereiten, Überprüfen, Wiederholen« bzw. auf den »Kontext, in dem [der Inszenierungsprozess] stattfindet«³⁷). Denn eine Situation, in der etwas geschieht, das später in die Aufführung eingeht, entsteht zum einen immer an einem Probentag, nicht an einem »Inszenierungstag«. Zum anderen ereignet sie sich nicht nur während des unmittelbaren künstlerischen Prozesses, in dem etwas in Szene gesetzt wird. Die Situation kann ihren Ausgangspunkt nicht nur im Proberaum, sondern bereits in der Werkstatt des Theaters, in der Garderobe, in der Kantine, sogar auf der Straße besitzen. Das soll heißen: Es ist nicht nur der Prozess des In-Szene-Setzens, sondern tatsächlich der Hintergrund bzw. »Kontext«³⁸ (wie Matzke schreibt), der die Spezifität eines jeden Probenprozesses auszeichnet. Aus diesem Grund bestimmte ich eine Probensituation im Folgenden als die maßgebliche Analyseeinheit eines jeden Probenprozesses. Eine Probensituation umfasst stets einen Standort, in dem bestimmte Ereignisse zum Vorschein kommen, die entweder bereits irgendwann stattgefunden oder begonnen haben und deren Inhalte deswegen bekannt sind, sodass man diese Ereignisse für die Erarbeitung der Inszenierungsstrategien und Bühnenkonstellationen einsetzen kann; oder aber es handelt sich um Ereignisse, die sich auf die Gegenwart oder sogar auf die Zukunft beziehen und die man in Diskussionen bzw. Interaktionen zu weiteren Handlungen im fortgesetzten Prozess des Probens nutzen kann. An dieser Stelle tritt zum einen wieder das Problem einer näheren Bestimmung auf, nämlich die Frage, was genau unter einem Probenprozess zu verstehen ist. Zum anderen ist es für meine weiteren Ausführungen notwendig, den Begriff der Handlung detaillierter zu erörtern, insofern jede Probensituation stets eine besondere Handlungssituation (genauer: mehrere Handlungssituationen) in sich fasst, denn selbst dann, wenn ein Gegenstand oder Sachverhalt nur besprochen oder beobachtet wird, macht dies bereits eine komplexe Handlung

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