Ein Schieferdecker auf der Flucht: Eine wahre Geschichte von Nationalsozialismus, Partisanenkampf, Bürgerkrieg, Gefangenschaft und Nachkriegswirren
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Über dieses E-Book
Über diese Frage kommen der beinamputierte Johann Schwarz und der Autor Anfang der 1960er-Jahre ins Gespräch. Johann Schwarz vertraut ihm an mehreren Abenden seine Lebensgeschichte an:
1937 flieht Johannes, der als Schieferdecker arbeitet, vor seiner Hochzeit aus dem Bergischen Land nach Österreich. Er gibt vor, ein politischer Flüchtling zu sein. Als Hitler wenige Monate später in Österreich einmarschiert, wird es Johannes zu gefährlich. Seine unfreiwillige "Reise" führt ihn in die Nähe von Sarajevo, wo er drei Jahre lang ein unbeschwertes Leben führt, bis 1941 der Balkankrieg ausbricht. Nun wird Johannes zum jugoslawischen Partisanenkämpfer. Da er aber nicht auf seine deutschen Landsleute schießen will, flieht er nach Griechenland und gerät dort in den Bürgerkrieg.
Seine Flucht führt ihn schließlich auf ein Lazarett-Schiff. Hier wird er als deutscher Spion verhaftet und in ein britisches Kriegsgefangenenlager nach Nordafrika gebracht. Über verschiedene Stationen kommt er nach fast 30 Jahren zurück nach Deutschland – und steht vor den Trümmern seines Lebens.
Eine lehrreiche, bewegende und vor allem authentische Geschichte!
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Buchvorschau
Ein Schieferdecker auf der Flucht - Klaus-Rainer Martin
Klaus-Rainer Martin
Ein Schieferdecker auf der Flucht
Eine wahre Geschichte von Nationalsozialismus, Partisanenkampf, Bürgerkrieg, Gefangenschaft und Nachkriegswirren
Arete Verlag Hildesheim
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2014 Arete Verlag Christian Becker, Hildesheim
www.arete-verlag.de
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Dies gilt auch und insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmungen und die Einspeicherung sowie Datenvorhaltung in elektronischen und digitalen Systemen.
Umschlaggestaltung: Composizione Katrin Rampp, Kempten
Titelfoto: Maryline Weynand/pixelio.de
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
ISBN 9783942468336
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Prolog
In Frankfurt am Main
In Wermelskirchen
Klagenfurt
Herberge zur Heimat Friedberg
In Jugoslawien
Unter Partisanen
Der Balkankrieg aus persönlicher Sicht
Afrika
In Rumänien und die Donau aufwärts bis Wien
Im Karl-Wagner-Haus
Wieder in Österreich
Zurück in Deutschland
Epilog
Prolog
Es war im August 1962. Ich war für vier Wochen als Urlaubsvertretung tätig. Schon im Sommer 1961 hatte ich in der „Herberge zur Heimat namens „Karl-Wagner-Haus
in Friedberg in Hessen im Rahmen meiner Ausbildung zum Diakon und Sozialarbeiter ein achtwöchiges Praktikum absolviert. „Herbergen zur Heimat sind Wohnunterkünfte für heimat- und wohnungslose Menschen. Die erste „Herberge zur Heimat
wurde 1854 in Bonn von Clemens Perthes gegründet, der damit obdachlosen Menschen aufgrund seiner christlichen Überzeugung ein Obdach bieten wollte. Nach welchem der zahlreichen Menschen mit dem Namen Karl Wagner das ebenfalls 1854 gegründete Haus in Friedberg benannt wurde, konnte mir allerdings niemand sagen.
Das Haus verfügte nach einem im Frühjahr 1961 abgeschlossenen Umbau über zwölf Vierbettzimmer, verteilt auf drei Etagen. Erdgeschoss und die erste Etage war den Männern vorbehalten, in der obersten Etage wurden die Frauen untergebracht. Damit verfügte das Haus über 32 Schlafplätze für Männer und 16 Schlafplätze für Frauen. Falls diese Plätze mal nicht ausreichten, konnten noch zehn Schlafplätze in einem großen Raum im Dachgeschoss genutzt werden. Die Zimmer waren klein, nur etwa acht bis zehn Quadratmeter groß. In ihnen befanden sich zwei metallene Doppelstockbetten, ein Tisch, vier Stühle und ein viergeteilter, abschließbarer Metallspind. An den Fenstern hingen keine Vorhänge.
Die Tage verliefen nach einem festen Zeitplan. Abends um 18.00 Uhr wurde das Haus geöffnet und die vor dem Haus wartenden Frauen und Männer strömten herein. Das Haus verfügte über einen kleinen Speiseraum. An seinem Ende befand sich eine „Durchreiche zum Laden, ähnlich einem Fahrkartenschalter. An diesem Schalter musste ich alle Ankommenden mittels vorgelegten Personalausweises in eine Liste eintragen und ihnen eines der Betten in den Zimmern zuweisen. Dabei wurde nicht nach dem Woher und Wohin gefragt. Der Meldezettel musste aber an jedem Abend nach dem Abschließen der Haustür bis spätestens 24.00 Uhr zur Polizei gebracht werden. Am nächsten Morgen durfte die Haustür erst nach Erlaubnis der Polizei so gegen 6.00 Uhr wieder geöffnet werden. – Mitunter kam es vor, dass sich vorher die Polizei einfand, um einen verdächtigen Menschen mitzunehmen. – Am Morgen fanden sich oft auch Bauern oder Handwerker aus der Umgebung ein, um einen Hilfsarbeiter für einen oder mehrere Tage anzuwerben. Dabei kam es oft vor, dass die Hilfskräfte suchenden Bauern oder Handwerker erfolglos wieder abziehen mussten. Ich entsinne mich, dass einmal ein Bauer Hilfskräfte für die Ernte der Frühkartoffeln suchte. Einer in der Runde sagte zu ihm: „Hast du die Kartoffeln in die Erde gebracht. Dann sieh’ mal zu, wie du sie wieder rauskriegst.
Alle lachten und niemand fand sich bereit, sich dem Bauern anzuschließen. – Ich habe den Bauern nie wieder bei uns gesehen.
Die Ankommenden entrichteten einen geringen Obolus fürs Schlafen. Wer dazu nicht in der Lage war, musste in einer Liste unterschreiben. Dann wurde der Betrag vom Sozialamt beglichen. Kostenlos, finanziert aus Spendenmitteln, erhielten alle Neuankömmlinge als Willkommensgruß einen Teller Erbsensuppe und ein Glas „Äppelwoi" (Apfelwein). Das war der einzige Alkoholkonsum, der im Haus erlaubt war. - Doch wenn mal jemand heimlich in seinem Zimmer etwas Alkoholisches trank und nicht randalierte, wurden beide Augen zugedrückt. – Auch das Frühstück am Morgen, zwei Marmeladebrötchen und eine Tasse Malzkaffee gab es kostenlos.
Die meisten Neuankömmlinge begaben sich in ihr zugewiesenes Zimmer, nachdem sie ihre Erbsensuppe gegessen und den Äppelwoi getrunken hatten. Dort machten sie ihren Schlafplatz zurecht und begaben sich anschließend in die Wasch- und Duschräume, die es auf jeder Etage gab. Es gehörte zum Konzept des Hauses, ansprechende Wasch- und Duschräume für die Körperpflege der Frauen und Männer bereit zu halten. Wenn das alles erledigt war, kamen sie wieder zurück in den Speiseraum. Dort befanden sich ein paar Spiele. In kleinen Grüppchen setzten sie sich an die Tische, um gemeinsam ein Kartenspiel, „Mensch ärgere dich nicht" oder ein anderes Würfelspiel zu spielen. Es kam sogar vor, dass sich zwei im Raum zurückzogen, um gemeinsam Schach zu spielen. Nur wenige setzten sich vor den kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher, der ebenfalls im Raum stand.
Der Laden war geöffnet, und einige, die bezahlen konnten, kauften sich eine Cola oder etwas anders Nichtalkoholisches zum Trinken, Süßigkeiten oder ein Mett-Brötchen. Besonders beliebt waren die in unserer Küche zubereiteten Soleier, gekochte Eier, die in einer Salzlauge auf ihre Käufer warteten. Sonst hatten wir auch noch Zahnpasta, Seife und Handtücher im Angebot, aber keinen Alkohol und auch keine Zigaretten. – Ich hatte als Praktikant die Aufgabe, diesen Laden zu führen. Doch wenn alle ihre Einkäufe getätigt hatten, setzte ich mich mit an einen der Tische, um mich zu unterhalten oder mitzuspielen. Das tat ich 1961 als Praktikant und auch 1962 als Urlaubsvertretung. Der „Hausvater, so wurde der Leiter des Hauses genannt, war froh, dass ich die Urlaubsvertretung übernommen hatte. Nur dadurch konnte er mal mit seiner Familie in Urlaub fahren. Sonst war er an 365 Tagen im Jahr „rund um die Uhr
tätig. Und seine Frau war als „Hausmutter verantwortlich für die Küche und den Einkauf. Die Familie der „Hauseltern
hatte mit ihren drei Töchtern eine bescheidene Wohnung im Haus.
Nun war ich „Chef dieses Hauses und musste die Rolle beider Hauseltern übernehmen. Doch die Hausmutter hatte alle Vorräte reichlich eingekauft, sodass ich in der Küche nichts Besonderes zu tun hatte. Mir zur Seite standen noch Heinrich als Kalfaktor und zwei Frauen für die Küche. Heinrich war als ehemals Obdachloser hier geblieben. Er gab morgens im Wechsel mit mir das Frühstück aus, bezog am Vormittag, wenn alle aus dem Haus gegangen waren, die Betten neu, wusch im Waschhaus in einer großen, alten Waschmaschine die Bettwäsche der vorigen Nacht und füllte am Abend die Suppenteller mit Erbsensuppe auf. Die beiden Frauen, ebenfalls ehemalige Obdachlose, die im Karl-Wagner-Haus „sesshaft
geworden waren, hängten am Vormittag die gewaschene Bettwäsche draußen auf, legten die getrocknete Wäsche zusammen und arbeiteten ab dem späten Nachmittag in der Küche. Sie kochten die Erbsensuppe, strichen am Abend die Mettbrötchen und kochten die sehr beliebten Soleier. Sie alle hatten in der Wirtschaftsetage ein eigenes Zimmer. Ich hatte dort auch mein Zimmer.
Eines Abends meldete sich der Österreicher Johann Schwarz aus Klagenfurt an und bat um Unterkunft. Johann Schwarz war beinamputiert. Nachdem er seinen Teller Erbsensuppe gegessen und den Äppelwoi getrunken hatte, begab er sich in das ihm zugewiesene Zimmer. Von dort kam er nach etwa dreißig Minuten zurück in den Speisesaal. Dort setzte er sich allein an einen Tisch und schien von dort ganz offensichtlich uninteressiert zum Fernseher zu sehen. Da er als Ausländer so allein saß, setzte ich mich an diesem Abend zu ihm, nachdem ich mich vom Verkaufsstand entfernen konnte, weil niemand mehr etwas kaufen wollte. Ohne abzuwarten, mit welchem Thema ich ein Gespräch mit ihm beginnen würde, sagte er: „Eigentlich heiße ich nicht Johann Schwarz, sondern Johannes Weiß. Und ich bin auch kein Österreicher aus Klagenfurt, sondern ein Deutscher aus Frankfurt. Das Einzige, was in meinen Papieren stimmt, ist das Geburtsdatum. Soll ich dir meine Lebensgeschichte erzählen? Aber die Geschichte ist sehr lang." Und ohne meine Antwort abzuwarten, begann er mit seiner Erzählung.
In Frankfurt am Main
Ich wurde am 29. Juni 1912 in Frankfurt am Main unter dem Namen Johannes Weiß als viertes Kind des ungelernten Hafenarbeiters Jakob Weiß geboren. Mein Vater arbeitete im Westhafen – und wir wohnten auch dort, in der Speicherstraße. Dort wohnten die meisten Hafenarbeiter in Wohnungen, die der städtischen Hafengesellschaft gehörten. In unserem Haus wohnten vier