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Missing Girl - Verschollen
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eBook323 Seiten4 Stunden

Missing Girl - Verschollen

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Über dieses E-Book

Willst du nicht auch manchmal verschwinden?
Einfach ausbrechen.
Dir keine Gedanken mehr über andere machen.
Dorthin fliehen, wo niemand dich kennt.
Und den ganzen Scheiß zurücklassen …

Kalah und ihre Freundinnen Beth und Britney sind unzertrennlich. Bis Beth an ihrem achtzehnten Geburtstag spurlos verschwindet. In der Highschool machen Gerüchte die Runde: Hat sich Beth heimlich mit Britneys Freund getroffen? Ist sie wirklich weggerannt? Bevor Kalah die Wahrheit herausfinden kann, erschüttert der Selbstmord einer Mitschülerin die ganze Highschool. Immer tiefer gerät Kalah in den Sog eines psychologischen Verwirrspiels, dessen tödliche Regeln sie nur langsam begreift …

Ein rasanter Thriller um eine obskure Freundschaft, dunkle Geheimnisse und eine Liebe, die zur Besessenheit wird.

SpracheDeutsch
HerausgeberDragonfly
Erscheinungsdatum10. Dez. 2015
ISBN9783959679947
Missing Girl - Verschollen
Autor

E.E. Cooper

E. E. Cooper lebt in Vancouver mit ihrem Ehemann und ihrem unglaublich verwöhnten Hund. „Missing Girl – Verschollen“ ist ihr Debütroman.

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    Buchvorschau

    Missing Girl - Verschollen - E.E. Cooper

    1. KAPITEL

    Versuchung ist eine heikle Angelegenheit. Da braucht man nur mal Eva zu fragen. Das Mädel hat sich seinen schlechten Ruf wegen eines einzigen Apfels eingefangen. Wurde wegen eines winzigen Bissens aus dem Paradies geworfen. Ziemlich streng, oder? Es ist ja nicht so, als hätte sie den ganzen Baum geklaut. Davon abgesehen kann ich gut verstehen, warum sie den Apfel genommen hat. Es gibt Dinge, die sind einfach zu verlockend, um ihnen widerstehen zu können. Auch wenn man ganz genau weiß, dass man lieber verzichten sollte. Für Eva war der Gedanke an das süße Fruchtfleisch stärker als die Gefahr. Da bin ich ganz bei ihr. Mir war es das Ganze ebenfalls wert gewesen, trotz der Schuldgefühle. Allerdings war ich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht erwischt worden. Die Sache sieht natürlich ganz anders aus, wenn sie dich kriegen.

    Ich legte ein paar Cracker neben die Camembertstücke auf den Teller und fragte mich, ob noch irgendwas fehlte. Auf dem Tablett drängten sich neben der Käseplatte bereits eine kleine Schale mit Mandeln, ein paar Trauben und ein Dutzend von Dads berühmten Schoko-Kokos-Keksen. Ich hätte genauso gut ein T-Shirt anziehen können, auf dem steht: Schaut mal, wie sehr ich mich anstrenge! Beth und Britney waren meine besten Freundinnen, aber trotzdem hatte ich immer noch das Gefühl, sie beeindrucken zu müssen.

    Ich trug das Tablett nach oben. Normalerweise breche ich mir keinen ab, um bei anderen Leuten Eindruck zu schinden, aber seit ich mit Brit und Beth abhing, kam ich mir vor wie auf einem Laufband mit defekter Geschwindigkeitskontrolle. Manchmal passierte alles derart schnell, dass ich kaum hinterherkam, nur um im nächsten Moment so abrupt auf Schneckentempo herunterzufahren, dass ich fast auf die Nase fiel. Doch langweilig war es nie. Seit die beiden mich in ihre Welt hineingezogen hatten, schienen alle meine Sinne sich ständig in höchster Alarmbereitschaft zu befinden. Ich war hellwach und reagierte blitzartig auf alles, was um mich herum geschah. Vor Brit und Beth ahnte ich nicht mal, wie lahm und abgestumpft mein bisheriges Leben gewesen war.

    Ich hörte schon von Weitem, wie sie sich kabbelten. Britney und Beth waren superenge Freundinnen, aber sie stritten sich dauernd. Britney witterte überall Beleidigungen, während Beth sich aufregte, weil Britney so verspannt war. Vor der großen Pause konnten sie einander ewige Feindschaft schwören, und am Ende der letzten Stunde war alles vergeben und vergessen. Ich hatte mir angewöhnt, das Ganze einfach hinzunehmen und mich nicht weiter einzumischen. Sie nannten einander B, nicht etwa, weil das der erste Buchstabe ihrer beider Vornamen war, sondern um sich spaßeshalber gegenseitig als Bitch beschimpfen zu können. Ich fand, dass sie sich eher wie Schwestern benahmen als wie beste Freundinnen. Sie mochten einander ständig in den Haaren liegen, aber sobald eine von ihnen von dritter Seite angegriffen wurde, schlossen sie sich zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammen. Jede würde die andere bis aufs Blut verteidigen.

    Vor der Tür zu meinem Zimmer blieb ich stehen. Die Stimmen wurden lauter.

    „Kannst du nicht mal damit aufhören? Ich will nicht mehr darüber reden", sagte Beth.

    „Es geht aber nicht nur nach deinem Kopf", fauchte Britney.

    Beth schnaubte abfällig. „So wie ich das sehe, geht es ausschließlich nach meinem Kopf. Schließlich ist das hier einzig und allein meine Sache."

    Ich schob die Tür mit dem Fuß auf. Als Britney mich sah, klappte sie ihren Mund zu, den sie bereits zu einer Entgegnung geöffnet hatte. „Ich bringe euch ein bisschen was zu knabbern", verkündete ich. Zu meinem Entsetzen hörte sich meine Stimme an wie die einer übereifrigen Lehrerin, die versucht, ihre Schüler davon abzuhalten, mit Buntstiftschachteln aufeinander loszugehen.

    Beth lachte, als sie das Tablett sah. „Wer soll das denn alles essen? Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht, um nur rasch eine Tüte Kartoffelchips zu holen, wie jeder normale Mensch das gemacht hätte, aber dazu war es nun wohl zu spät. Sobald ich das Tablett abgesetzt hatte, nahm Beth einen der Kekse und hielt ihn Britney als Friedensangebot hin. „Hier, meine liebe B, etwas Süßes für die Süße.

    Britney verzog den Mund, als ob sie auf ein Stück Zitrone gebissen hätte. „Hast du eine Ahnung, was da alles drin ist? Sie wandte sich zu mir. „Sind die mit Butter gebacken?

    Ich zögerte. So wie ich meinen Dad kannte, waren die Kekse geradezu mit Butter getränkt. Seine zwei Lieblingszutaten waren Fett und Zucker – er schob das immer auf seine französischen Wurzeln.

    Beth stellte sich auf mein Bett und hielt den Keks hoch. „Hiermit erkläre ich diese Plätzchen feierlich zu meinen Geburtstagskeksen; sie enthalten null Kalorien und können ohne Gewissensbisse verzehrt werden."

    Britney warf eins meiner Kissen nach ihr. „Du hast erst morgen Geburtstag."

    Beth grinste und ließ sich auf die Knie fallen. „Na gut, Miss Prinzipienreiterin, ich erkläre diese Plätzchen hiermit zu Ehren meines rasant nahenden Jubeltages, der ja praktisch, je nach Zeitzone, bereits eingetreten ist, zu Fast-Geburtstagskeksen, mit nur der Hälfte der üblichen Kalorienzahl."

    „Ich bleib bei Obst", erklärte Brit und pulte die kleinste, total verkümmerte Traube aus der Dolde. Es hätte mich nicht weiter überrascht, wenn sie die Hälfte davon abgebissen und den Rest wieder auf den Teller gelegt hätte.

    Beth zuckte mit den Schultern. „Umso mehr für uns." Sie verschlang den Keks mit einem Bissen. An ihren Lippen klebten Krümel. Sie zwinkerte mir zu und leckte sich den Mund ab. Ich schaute kurz zu Britney hin und streckte die Hand nach dem Keksteller aus. Ob sie das Zwinkern wohl bemerkt hatte? Doch Britney sah mich gar nicht an. Etwas anderes hatte ihre Aufmerksamkeit erregt.

    „Oh, mein Gott, was ist das denn?" Die meisten Menschen würden sich wohl genieren, in fremden Schränken herumzuwühlen, aber Britney war nicht der Typ, sich von der Privatsphäre anderer Leute abschrecken zu lassen. Sie zog meinen silberblauen Sari vom Bügel. Die aufgestickten Perlen glänzten im Licht.

    „Das habe ich zur Hochzeit meiner Cousine getragen", sagte ich.

    Britney hielt sich das Gewand vor den Körper und schaute in meinen Spiegel. „Das muss ich unbedingt mal anprobieren. Sie war schon dabei, sich die Jeans auszuziehen. Als sie nur noch Slip und BH trug, schaute sie fragend zu mir herüber. „Wie funktioniert das denn?

    Ich reichte ihr den dünnen, schlichten Rock und die kurze Bluse, die man unter dem Sari trug. „Zieh erst mal das hier an. Beim Rest muss ich dir helfen."

    Sie schlüpfte in Rock und Bluse, und ich begann, den Stoff um sie herumzudrapieren, zu falten und festzustecken.

    Beth schaute interessiert zu, wie ich Britney ankleidete. „Das scheint mir ein ziemlich gefährliches Outfit zu sein, kommentierte sie. „Einmal dran gezupft, und schon stehst du mehr oder weniger da, wie Gott dich schuf. Sie lächelte mir zu, und ich errötete, als sei ich diejenige, die praktisch nackt vor ihr posierte.

    Britney streckte sich vor dem Spiegel. Die maßgeschneiderte Bluse saß etwas eng über der Brust, da sie für mich gemacht worden war, aber ansonsten sah Britney großartig aus. Das tiefe Pfauenblau brachte ihre Augen zum Leuchten. Sie drehte und wendete sich, um sich von allen Seiten betrachten zu können.

    „Hast du noch mehr von denen? Oder könntest du sie beschaffen?"

    Ich fühlte mich etwas unsicher. „Kann sein."

    „Wir sollten alle zusammen irgendwo in diesen Teilen auftauchen. Könnt ihr euch vorstellen, was die Leute sagen würden? Sie tat so, als führe sie einen Bauchtanz vor. „Hat Zach dich darin gesehen?

    Ich nickte. „Er war mein Date auf der Hochzeit."

    „Ich wette, er konnte kaum erwarten, es dir vom Leib zu reißen. Dieses Teil ist megaheiß. Jason flippt aus, wenn er mich so sieht. Britney sah sich im Spiegel beim Tanzen zu. „Er wird seinen Blick nicht von mir losreißen können.

    Beth sah mich an und verdrehte die Augen. „Das ist kein Faschingskostüm, B."

    Brit erstarrte mitten in der Bewegung, ihre Miene verfinsterte sich. „Habe ich das etwa behauptet? Sie zerrte an dem Stoff, um den Sari auszuziehen. Ich zuckte innerlich zusammen. Meine Grandma hatte das Gewand extra für mich aus Mumbai mitgebracht. Sie würde mir ganz schön die Hölle heißmachen, wenn Brit die Perlen abriss. „Ich habe nur versucht, ein bisschen Spaß zu haben, aber da habe ich wohl vergessen, dass nur das okay ist, was dir in den Kram passt. Sie zog sich ihre Jeans an. „Oder vielleicht hast du auch einfach nur ein Problem damit, dass Kalah und ich feste Freunde haben, während du immer noch der neuesten Eroberung hinterherjagst."

    „Lass uns nicht wieder damit anfangen", sagte Beth.

    Britney verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber natürlich nicht. Wir machen nur das, was du willst, Beth."

    Beth lachte, aber es klang nicht amüsiert. „Im Ernst jetzt? Du glaubst, ich sei diejenige, die allen ihren Willen aufdrückt? Na toll. Man sollte ja eigentlich denken, dass die Tochter zweier angesagter Psychiater über ein bisschen mehr Selbsterkenntnis verfügt. Aber offenbar ist dem nicht so."

    Britneys Unterlippe zitterte. „Das ist total unfair. Sie wirbelte zu mir herum. „So bin ich doch gar nicht, oder?

    Darauf gab es wohl keine richtige Antwort. „Nicht immer", wich ich aus, was keine von beiden glücklich machte. Ich schaute zwischen ihnen hin und her und fragte mich, worum es bei ihrem Streit wirklich ging, und wusste nur, dass sie längst nicht mehr über den Sari sprachen.

    „Ich muss los." Britney schnappte sich ihre Tasche vom Boden.

    Ich versuchte, die Stimmung zu retten. „Okay. Aber es bleibt doch bei morgen, nicht wahr? Das wird unglaublich toll, ganz bestimmt." Beth hatte mich gebeten, ihren Geburtstagsabend durchzuplanen, und ich hatte keine Mühe gescheut und mehr Aufwand betrieben als ein Viersternegeneral, der eine Invasion vorbereitet. Britney würdigte mich keiner Antwort. Sie stürmte nach draußen und rannte polternd die Treppe hinunter.

    Ich folgte ihr. „Brit, sei doch nicht sauer."

    Sie blieb an der Tür stehen, und zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass sie den Tränen nahe war. „Sie macht immer, was sie will, und jeder lässt es ihr durchgehen. Sobald du auch nur versuchst, ihr irgendwas auszureden, dreht sie den Spieß um und tut so, als ob das Problem bei dir liegt. Sie nimmt sich, was sie will, und nimmt und nimmt und denkt nicht ein Mal nach, was ihr Verhalten für andere bedeutet. Aber du kannst nicht einfach so durchs Leben tanzen und jedem auf die Füße treten, der dir im Weg steht. Manchmal muss man sich eben zurücknehmen und etwas nicht deshalb tun, weil es einem gerade passt, sondern weil es das Richtige ist, und wenn sie das nicht bald von selbst herausfindet, dann wird es ihr schon irgendjemand beibringen, und zwar auf die harte Tour."

    Ich trat einen Schritt zurück. „So ist Beth nicht", sagte ich. Beth war vielleicht impulsiv, aber sie tat den Leuten nicht bewusst weh, niemals.

    Britney schüttelte den Kopf, als könne sie meine Dummheit gar nicht fassen. Dann knallte sie die Tür hinter sich zu.

    Wow. Ich ging langsam wieder die Treppe hoch und fragte mich, was zum Teufel da eben passiert war.

    Beth war gerade dabei, mein Bücherbestand zu inspizieren, als ich ins Zimmer kam. Sie schob einen Band zurück ins Regal und lächelte mir zu. „Das Mädchen braucht einfach mal wieder was Vernünftiges im Magen. Sie nahm sich noch einen Keks. „Ein niedriger Blutzuckerspiegel macht die Leute wahnsinnig.

    Offenbar hatte sie nicht vor, mir anzuvertrauen, was zwischen ihr und Brit gerade los war. Stattdessen verhielt sie sich, als sei nichts Besonderes vorgefallen. Eigentlich sollte mich das nicht überraschen. Chaos machte Beth nichts aus, und sie ließ sich davon nicht so leicht aus der Ruhe bringen, was auch immer um sie herum passierte. Das war eine der Millionen Eigenschaften, die ich an ihr bewunderte. Sie grübelte nicht so viel. Ich hingegen hatte die Fähigkeit, mir über alles und jedes den Kopf zu zerbrechen, geradezu perfektioniert.

    „Ist Britney sauer, weil ich deinen Geburtstag geplant habe?", fragte ich, ohne hinzuzufügen, dass wir sonst eigentlich fast immer dahin gingen, wo Britney hinwollte – weil es einfacher war.

    „Ganz ehrlich? Es ist mir total egal, ob sie sauer ist. Es ist schließlich mein Geburtstag. Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. „Da wir gerade beim Thema sind: Ist das für mich? Sie deutete auf eine kleine Schachtel mit roter Satinschleife, die auf meinem Schreibtisch lag. Ich hatte kaum genickt, als sie sie hochhob und schüttelte. Lachend riss ich sie ihr aus der Hand. Mir war sofort klar gewesen, dass sie ihr Geschenk in dem Moment haben wollte, in dem sie es entdeckte. Geduld gehörte nicht unbedingt zu Beths Tugenden.

    „Du hast erst morgen Geburtstag", neckte ich sie und hielt die Schachtel hinter meinen Rücken. Mir gefiel, wie sie um mich herumgreifen musste, um an das begehrte Objekt zu kommen.

    „Ich sollte es jetzt öffnen. Zwischen jetzt und morgen kann schließlich alles Mögliche passieren. Krieg, Hungersnot, Zombie-Apokalypse. Stell dir vor, wie tragisch es wäre, wenn ich niemals die Chance bekäme, zu sehen, was in dieser Schachtel ist." Sie schüttelte traurig den Kopf, aber ihre Augen glänzten.

    Sie musste keine lange Überzeugungsarbeit leisten. „Okay, du kannst es aufmachen, nur für den Fall der Fälle. Aber ich warne dich: Bei der Abwehr von Zombies wird es dir keine guten Dienste leisten."

    Beth setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und klopfte mit der Hand auffordernd neben sich auf den Teppich, damit ich ihrem Beispiel folgte.

    Plötzlich war ich nervös. „Hoffentlich gefällt es dir." Ich war so sicher gewesen, das perfekte Geschenk gefunden zu haben, aber jetzt überfielen mich doch Zweifel. Ich hatte daran gedacht, Britney zu fragen – wenn irgendjemand wusste, was Beth sich wünschte, dann sie –, es aber dann doch sein lassen. Ich wollte, dass das Geschenk wirklich ganz und gar von mir kam.

    Wieder schüttelte Beth die Schachtel. „Ich hoffe, es ist nicht zerbrechlich", witzelte sie.

    „Ich tue mich echt schwer mit Geschenken, plapperte ich. Wenn sie es doch nur endlich öffnen würde! „Mein Bruder Nadir hingegen ist ein Ass im Geschenkekaufen. Ernsthaft, er findet immer genau das Richtige. Meine Grandma ist davon überzeugt, dass er in einem früheren Leben übersinnliche Fähigkeiten hatte. Ganz im Gegensatz zu mir.

    Beth zog langsam die Klebestreifen ab und faltete das dicke weiße Papier bedächtig auseinander. Am liebsten hätte ich ihr das Geschenk aus der Hand gerissen und schnell selbst geöffnet. Ich merkte, dass ich die Luft angehalten hatte, und zwang mich dazu, auszuatmen.

    Sie hob den Deckel der Schachtel und schaute dann zu mir auf. Über ihr Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln. „Wo hast du die denn gefunden?"

    „Online. Ich erwähnte nicht, dass ich mehr Zeit mit der Suche nach dem perfekten Geschenk verbracht hatte als mit meinen Englisch-Hausaufgaben. „Ich dachte, dass du sie an deiner Halskette tragen kannst, oder wenn nicht, dann gebe ich dir dafür eine von meinen Ketten. Gefallen sie dir? Ihre Miene ließ keinen Zweifel daran, aber ich wollte es aus ihrem Mund hören.

    Beth nahm die beiden Anhänger aus der Schachtel. Ich hatte sie passend zu ihrem Lieblingsbuch ausgesucht: „Alice im Wunderland. Lieblingsbuch war womöglich sogar eine Untertreibung. Sie las ihre abgegriffene Gesamtausgabe von Lewis Carrolls Geschichten über „Alice immer wieder. Ich hatte einen kleinen silbernen Anhänger in Form einer Taschenuhr gefunden und eine winzige blau emaillierte Teetasse – an die ich mich noch aus dem Wunderland erinnern konnte.

    „Ich liebe sie. Hilf mir, sie an der Kette zu befestigen. Sie drehte sich um und hob ihr Haar, damit ich an die dünne Silberkette von ihrer Großmutter herankam, die sie ständig trug. Ich konnte das Rosmarin-Minz-Shampoo riechen, das sie benutzte. Mit zitternden Händen öffnete ich den filigranen Verschluss und fädelte die Anhänger auf. Sobald die Kette wieder um ihren Hals lag, stand Beth auf und stellte sich vor den Spiegel. „Die sind perfekt. Morgen trage ich meine blaue Jacke, da kommen sie super zur Geltung.

    Ich hätte hüpfen und springen können. Es kam mir vor, als hätte ich einen großen Sieg errungen, weil es mir gelungen war, etwas auszusuchen, das sie liebte.

    „Süßes Hündchen." Beth ließ sich auf mein Bett fallen, warf meinen Plüschhund in die Luft und fing ihn wieder auf.

    Ich kämpfte den Drang nieder, ihr Roogs zu entreißen und außer Sichtweite in den Schrank zu sperren. „Keine Ahnung, warum ich das Ding immer noch habe", sagte ich, doch mein Lachen geriet nicht sehr überzeugend. Roogs rauer brauner Pelz wirkte plötzlich nicht mehr kuschelig, sondern schäbig und mitleiderregend.

    Beth hielt sich Roogs dicht vors Gesicht. „Ach, er ist ein Süßer. Ich mag ihn. Sie küsste ihn dorthin, wo mal seine Nase war, und ich verspürte einen lächerlichen Stich der Eifersucht auf mein eigenes Stofftier. „Du verletzt noch seine Gefühle. Beth zog einen Schmollmund.

    Ich seufzte. Da hatte ich meinen treuen Plüschhund voreilig verraten, weil mir gar nicht in den Sinn gekommen war, dass Beth ihn mögen könnte. Manchmal war ich so sicher, dass ich Beth besser kannte als mich selbst, und dann wieder gab es Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, sie überhaupt nicht zu kennen. Wir waren uns noch fremd. Fast wünschte ich mir, in die Zukunft springen zu können, bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir schon alles übereinander wissen würden. Ich wollte mehr Insiderwitze und gemeinsame Erinnerungen. Nichts war besser als diese Momente, in denen wir einander anschauten und anfangen würden zu lachen, weil wir genau wussten, was die andere gerade dachte. „Hast du noch Plüschtiere aus deiner Kindheit?", wollte ich wissen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, welche in ihrem Zimmer gesehen zu haben.

    „Ich hatte welche. Doch dann hat meine Mom eines Tages beschlossen, dass es Zeit für mich wäre, endlich erwachsen zu werden und mich nicht mehr wie ein Kind aufzuführen. Während ich in der Schule war, hat sie einen Haufen Sachen zusammengepackt und entsorgt. Sogar mein liebstes Stofftier, das ich schon eine Ewigkeit hatte, eine Plüschgiraffe namens Max."

    Wie unfair war das denn! Ich schnappte empört nach Luft.

    Beth lachte über meine entsetzte Miene. „So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich meine, sie hat nicht ganz unrecht. Irgendwann muss man diesen Kram hinter sich lassen. Niemand kann für immer Kind bleiben. Außer mein Bruder natürlich, der hat immerhin sein Leben gegeben, um in der Erinnerung anderer für immer jung zu bleiben, also kann man ihm das wohl durchgehen lassen."

    Ich wusste nie, was ich sagen sollte, wenn Beth ihren Bruder erwähnte. Er war vor sechs Jahren gestorben, und soweit ich das beurteilen konnte, hatte sein Tod die Familie ziemlich verkorkst. „Trotzdem war es gemein, dein Zeug ohne zu fragen einfach wegzuschmeißen, erwiderte ich. „Vor allem Max.

    „Das klingt jetzt total albern, schließlich waren es nur Stofftiere, aber am schlimmsten fand ich, dass ich mich nicht von ihnen verabschieden konnte. Wie nennt man das doch gleich? Einen Abschluss finden. Ich konnte diesen Lebensabschnitt nicht bewusst beenden. Mir war natürlich immer klar, dass ich mich eines Tages von ihnen trennen müsste, aber ich wollte sie weitergeben oder so. Was völliger Quatsch ist, denn nicht mal irgendein armes Heilsarmeekind hätte meine Giraffe noch gewollt. Max hatte seine besten Tage schon lange hinter sich."

    „Trotzdem hatte er etwas Besseres verdient", sagte ich.

    Beth hörte damit auf, Roogs in die Luft zu werfen, und sah mir direkt ins Gesicht. „Ganz genau." Ich errötete und hörte förmlich den Klick, mit dem das Band zwischen uns sich schloss. Sie rutschte ein Stück zur Seite, um mir Platz zu machen. Mein Herz schlug bis zum Hals.

    Ich setzte mich neben sie, aber mein Hintern war so nah an der Kante, dass ich auf der glatten Tagesdecke abrutschte und mit einem Plumps am Boden landete.

    Beth schaute über die Bettseite nach unten. „Alles klar?"

    „Das war reine Absicht", behauptete ich und rappelte mich auf. Bei jedem anderen wäre mir das Ganze furchtbar peinlich gewesen, aber bei Beth fühlte ich mich immer okay, selbst dann, wenn mir mal eine Dummheit passierte. Sie war wie ein sicherer Hafen.

    Ich legte mich neben sie und hörte zu, wie sie über Hockey plauderte und mir ihre feste Überzeugung mitteilte, dass ich unser Team im nächsten Jahr bis zur Schulmeisterschaft führen könnte. Ich wusste, dass sie mich für die Idee begeistern wollte, hatte aber große Schwierigkeiten, mir vorzustellen, was das nächste Jahr bringen würde – wenn sie und Britney beide nicht mehr da wären. Wann immer ich auch nur daran dachte, hatte ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und ins Nichts zu stürzen.

    „Du freust dich doch bestimmt schon wahnsinnig darauf, für Ohio zu spielen", sagte ich. Das schien mir sicherer zu sein, als zu fragen, wie oft ich sie dann noch sehen würde. Ich hätte nichts dagegen, die siebenstündige Fahrt öfter zu unternehmen, aber vielleicht wollte sie nicht, dass ich dauernd bei ihr aufkreuzte, wenn sie erst mal auf dem College war.

    Beth zuckte mit den Schultern. „Klar. Wenn’s denn überhaupt klappt."

    „Warum sollte es nicht klappen? Du hast doch das Stipendium." Ich sah sie nicht an. Unsere Arme berührten sich fast. Wenn ich meinen kleinen Finger ganz leicht anhob, würde er ihren streifen. Ich wollte sie so gern berühren, aber noch viel mehr wollte ich, dass sie mich zuerst berührte.

    „Ja, schon, aber ich brauche trotzdem Geld für Unterkunft und Verpflegung und Bücher und … Sie atmete scharf aus. „Und alles andere.

    „Oh, murmelte ich matt. Ich hatte mir über die hohen Kosten gar keine Gedanken gemacht und kam mir plötzlich unsäglich jung und doof vor. Keine von uns erwähnte die Tatsache, dass ihre Eltern sie nicht unterstützen würden. „Vielleicht gibt es ja noch eine andere Förderung, die du beantragen kannst.

    „Ich wünschte, es wäre so einfach. Sie hob Roogs Ohren. „Aber mach dir keine Sorgen. Wenn es nicht klappt, arbeite ich einfach für den Rest meines Lebens Vollzeit im Restaurant. Es war schließlich schon immer mein Karrieretraum, die Leute zu fragen, ob ich ihnen Kaffee nachschenken soll oder ob sie noch ein Stück von Maureens grässlicher Pastete wollen.

    Ich antwortete nicht. Ich hatte keinen sinnvollen Vorschlag in petto. Dabei hätte ich ihr so gerne eine echte Lösung präsentiert.

    „Es ist so ein Durcheinander, sagte sie schließlich. „Ich dachte immer, ich hätte alles im Griff, aber jetzt bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Manchmal weiß ich nicht mal, was ich als Nächstes tun soll.

    „Dharma", erwiderte ich ohne nachzudenken.

    „Was?"

    Ich errötete. „Das würde Grandma sagen. Dharma bedeutet, dass das Universum alles zurechtrückt, nach einer kosmischen Ordnung, sofern man das Richtige tut."

    „Und was ist, wenn man nicht mehr weiß, was das Richtige ist?"

    Ich zögerte und musste an Britneys Wutausbruch denken. Sie irrte sich gewaltig, was Beth betraf.

    „Frag mich, vielleicht kann ich helfen", sagte ich.

    Beth öffnete den Mund, klappte ihn dann aber wieder zu. Ich wartete. „Willst du nicht auch manchmal verschwinden, einfach so?", murmelte sie schließlich in Roogs Ohr, als ob ihre Frage an ihn gerichtet wäre statt an mich.

    „Wie unter einer Tarnkappe?", versuchte ich zu scherzen. Sie lachte nicht.

    „Nein, einfach verschwinden. Abhauen. Sich um keinen anderen kümmern, einfach aufbrechen, sich frei machen. Wegfliegen, dorthin, wo einen niemand kennt. Die ganze Scheiße zurücklassen und neu anfangen."

    „Ich würde dich vermissen, wenn du weg wärst", sagte ich. Es sollte locker

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