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Die Botschaft der Bhagavadgita: Interpretation von Sri Aurobindo
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eBook1.386 Seiten8 Stunden

Die Botschaft der Bhagavadgita: Interpretation von Sri Aurobindo

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Über dieses E-Book

„Es gibt vier sehr bedeutsame historische Ereignisse: die Belagerung von Troja, das Leben und die Kreuzigung von Christus, die Verbannung Krishnas in Brindavan und das Gespräch mit Arjuna auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra. Die Belagerung von Troja schuf Hellas, die Verbannung in Brindavan schuf die hingebungsvolle Religion (denn vorher gab es nur Meditation und Verehrung), Christus humanisierte von seinem Kreuz aus Europa, das Gespräch auf Kurukshetra wird die Menschheit noch befreien. Und dennoch wird behauptet, keines dieser vier Ereignisse habe je stattgefunden.“ (SRI AUROBINDO)

„Sri Aurobindo ist der Ansicht, dass die Botschaft der Gita die Grundlage der großen spirituellen Bewegungen bildet, die die Menschheit mehr und mehr ihrer Befreiung entgegen führt, das heißt aus der Falschheit und der Unwissenheit heraus, der Wahrheit zu. Seit der Zeit ihres Erscheinens hat die Bhagavadgita eine gewaltige spirituelle Wirkung gehabt; doch mit der neuen Deutung, die ihr Sri Aurobindo gegeben hat, hat ihr Einfluss noch beträchtlich zugenommen und ist entscheidend geworden.“ (DIE MUTTER)

„Die Botschaft der Bhagavadgita“ setzt sich aus vier Teilen zusammen: Der Erste Teil beinhaltet die deutsche Übersetzung der englischen Interpretation von Sri Aurobindo (teilweise von Sri Aurobindo und teilweise von anderen) des Originaltextes der Bhagavadgita sowie Erläuterungen zu einigen Slokas, die Sri Aurobindos Hauptwerk über diese Schrift – den „Essays über die Gita“, entnommen worden sind. Dieser Teil wurde von einem der direkten Schüler Sri Aurobindos, Anilbaran Roy, zusammengestellt und bearbeitet, der von 1926 bis 1964 im Sri Aurobindo Ashram in Pondicherry lebte. Obwohl vollständig aus den „Essays über die Gita“ zusammengestellt, sind die kommentierenden Textauszüge nicht immer aus einer einzigen Passage aus dem Werk Sri Aurobindos entnommen. Der Editor hat manchmal zwei oder mehrere Passagen miteinander verbunden und manchmal lange Passagen gekürzt. Es muss erwähnt werden, dass diese Bearbeitung sorgfältig und umsichtig durchgeführt wurde. Das Ergebnis ist ein prägnanter Kommentar zur Gita, angeordnet in der Reihenfolge des Originaltextes, jedoch entsprechen die Kapiteltitel in diesem Teil denen aus „Essays über die Gita“. Die Zahl in der Klammer am Ende einer Passage gibt die Seitennummer in „Essays on the Gita, CWSA Vol. 19“ an.

Der Zweite Teil besteht lediglich aus der deutschen Übersetzung von Sri Aurobindos englischer Interpretation der Gita. Dieser englische Text wurde von Anilbaran Roy aus verschiedenen Quellen zusammengestellt. Er verließ sich so weit wie möglich auf Sri Aurobindos Übersetzungen und Umschreibungen, die im Rahmen der laufenden Prosa der „Essays über die Gita“ geschrieben wurden. Sri Aurobindo übersetzte manchmal ganze Slokas, manchmal nur einzelne Wörter oder Sätze; einige Slokas ließ er unübersetzt. Diese Übersetzungen decken etwa ein Drittel des Textes der Gita ab. Es sei erwähnt, dass Sri Aurobindo die übersetzten Passagen nicht als Teile einer fertigen Übersetzung der Gita ansah.

Die hier vorgestellte Übersetzung der Gita wurde erstmals 1938 in „The Message of the Gita“ herausgegeben. Sri Aurobindo genehmigte dieses Buch zur Veröffentlichung, machte aber in einem seiner Briefe deutlich, dass die Übersetzungen in den Essays „von mehr erläuternder Art als textlich präzise oder in einem literarischen Stil gegossen“ waren. Viele von ihnen sind eher Umschreibungen als strenge Übersetzungen. Sri Aurobindo schrieb auch, dass er nicht wollte, dass Auszüge aus den Essays „als meine Übersetzung der Gita herausgehen“. Dies sollte vom Leser im Hinterkopf behalten werden, wenn er mit dieser Übersetzung, die als Brücke zwischen der Gita und Sri Aurobindos Essays gedacht ist, arbeitet.

Der Dritte Teil besteht aus dem Originaltext der Gita in Devanagari, der Transliteration sowie der deutschen Übersetzung.

Der Vierte Teil beinhaltet das Glossar.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum6. Juni 2019
ISBN9783963870385
Die Botschaft der Bhagavadgita: Interpretation von Sri Aurobindo

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    Buchvorschau

    Die Botschaft der Bhagavadgita - Sri Aurobindo

    TEIL 1

    Bhagavadgita – Erläuterungen

    Einleitung

    Was wir von der Gita erwarten und benötigen

    In der Welt gibt es eine Fülle von heiligen und profanen Schriften mit Offenbarungen und Halb-Offenbarungen, mit Religionen und Weltanschauungen, Sekten, Schulen und Systemen. An diese bindet sich mit Ausschließlichkeit und Leidenschaft das Mental vieler Menschen von nur halb-ausgereifter oder gar keiner Erkenntnis. Sie behaupten, nur dies eine oder jenes andere Buch sei allein das ewige Wort Gottes. Alle anderen seien Hochstapeleien, bestenfalls unvollkommen inspiriert. Diese oder jene Weltanschauung sei das letzte Wort des logisch denkenden Intellekts. Andere Systeme seien entweder Irrtümer oder würden vor dem Irrtum bewahrt nur durch eine Teilwahrheit in ihnen, die sie mit dem einzig wahren philosophischen Kultus verbindet. Man hat sogar die Entdeckungen der Naturwissenschaft zu einem Glaubensbekenntnis erhoben und in dessen Namen Religion und Spiritualität als Unwissenheit und Aberglauben, die Philosophie als Firlefanz und Geschwafel geächtet. Für diese engstirnigen Ausschließungen und eitlen Streitereien haben sich oft sogar weise Menschen hergegeben, von einem Geist der Finsternis verführt, der sich mit ihrem Licht vermischte und es mit einer Wolke von intellektuellem Egoismus oder mit spirituellem Hochmut überschattete. Jetzt scheint die Menschheit tatsächlich geneigt, ein wenig bescheidener und weiser zu werden. Wir töten nicht mehr unsere Mitmenschen im Namen der Wahrheit Gottes oder weil sie ihr Mental unterschiedlich zu dem unsrigen ausgebildet oder eingesetzt haben. Wir sind weniger dazu bereit, unseren Nächsten zu verfluchen oder zu schmähen, weil er so boshaft und anmaßend ist, sich in seinen Ansichten von den unsrigen zu unterscheiden. Wir sind sogar zu dem Zugeständnis bereit, dass überall Wahrheit ist und diese nicht unser alleiniges Monopol sein kann. Wir fangen an um der Wahrheit und Hilfe willen, die sie enthalten, auf andere Religionen und Weltanschauungen zu blicken und nicht mehr nur, um sie als falsch zu verdammen oder um das zu kritisieren, was wir uns als ihre Irrtümer vorstellen. Doch neigen wir immer noch zu der Erklärung, unsere Wahrheit gebe uns die eine höchste Erkenntnis, die die anderen Religionen und Weltanschauungen übersehen oder nur so unvollständig erfasst haben, dass sie sich mit untergeordneten oder minderen Aspekten der Wahrheit der Dinge befassen oder nur mental geringer entwickelte Wesen für jene Höhen vorbereiten können, die wir schon erreicht haben. Und wir sind noch dafür anfällig, uns selbst oder anderen jenen ganzen heiligen Klumpen jenes Buches oder jenes Evangeliums aufzuzwingen, das wir verehren. Wir bestehen darauf, alles müsse als ewig gültige Wahrheit akzeptiert werden. Man dürfe keinem Jota, keinem Akzent oder diakritischen Punkt seinen Anteil an der vollen Inspiration bestreiten.

    Wenn wir uns mit einer alten Schrift wie dem Veda, den Upanishaden oder der Gita befassen, mag es nützlich sein, genau den Geist aufzuzeigen, in dem wir uns ihr nahen, und genau zu bestimmen, was wir aus ihr an Wertvollem für die Menschheit und ihre Zukunft herzuleiten hoffen. Zuerst stellen wir fest: Es gibt zweifellos eine einzige und ewige Wahrheit, die wir suchen, aus der sich jede andere Wahrheit herleitet, durch deren Licht jede andere Wahrheit ihren richtigen Ort, ihre Deutung und Beziehung zu dem Gesamtplan des Wissens findet. Gerade aus diesem Grund kann aber die Wahrheit nicht in eine einzelne, scharf umrissene Formel gezwängt werden. Es ist unwahrscheinlich, dass man sie in ihrem ganzen Umfang, in all ihren Beziehungen in einer einzelnen Weltanschauung oder Heiligen Schrift findet oder dass sie vollständig und ewig gültig von irgendeinem Lehrer, Denker, Propheten oder Avatar ausgesprochen worden ist. Auch haben wir die Wahrheit nicht ganz gefunden, wenn unsere Anschauung von ihr den unduldsamen Ausschluss jener Wahrheit erfordert, die anderen Systemen zugrunde liegt. Denn wenn wir leidenschaftlich ablehnen, bedeutet das einfach, dass wir nicht würdigen und erläutern können. Zweitens ist diese Wahrheit zwar eine einzige und ewige, sie drückt sich aber in der Zeit und durch das Mental des Menschen aus. Darum muss jede Schrift notwendigerweise zwei Elemente enthalten: Deren eines ist zeitbedingt und vergänglich; es gehört den Ideen des Zeitalters und des Landes an, in denen sie verfasst wurde. Das andere Element ist ewig und unvergänglich; es ist in allen Zeitaltern und Ländern anwendbar. Überdies muss bei der Darstellung der Wahrheit die ihr verliehene aktuelle Form, das System und die Anordnung, die metaphysische und intellektuelle Prägung sowie der verwendete genaue Ausdruck in weitem Umfang den Wandlungen der Zeit unterworfen sein und deshalb aufhören, immer dieselbe Kraft zu besitzen. Denn der menschliche Intellekt gestaltet sich immer neu. Ständig zerteilt er die Wahrheit und setzt sie wieder zusammen. So muss er ihre Teile ständig hin-und herbewegen und neue Synthesen bilden. Immer wieder verlässt er eine alte Ausdrucksform oder ein Symbol zugunsten eines neuen. Oder er verändert, wenn er das alte noch benutzt, seine Bedeutung, zumindest seinen genauen Inhalt und die damit verbundene Assoziation so sehr, dass wir nie ganz sicher sein können, wir verstünden ein altes Buch dieser Art genau in jenem Sinn und Geist, den es für seine Zeitgenossen hatte. Von völlig dauerhaftem Wert ist nur das, was einerseits allumfassend ist und andererseits mit einer höheren als der intellektuellen Schau erfahren, gelebt und gesehen worden ist.

    Ich halte es darum für wenig bedeutsam, die genaue metaphysische Begriffsbestimmung der Gita in der Weise herauszuarbeiten, wie sie von den Menschen jener Zeit verstanden wurde – selbst wenn das möglich wäre. Dass es nicht möglich ist, zeigt sich an der Unterschiedlichkeit der ursprünglichen Kommentare, die über sie verfasst wurden und noch geschrieben werden. Denn sie stimmen darin überein, dass sie mit allen anderen nicht übereinstimmen. Jeder findet in der Gita sein eigenes metaphysisches System und seine religiöse Denkrichtung. Auch die gründlichste und objektivste Gelehrsamkeit und die erleuchtetsten Theorien über die historische Entwicklung der indischen Philosophie werden uns nicht vor unvermeidlichem Irrtum bewahren. Hingegen können wir in der Gita nach den in ihr enthaltenen tatsächlichen lebendigen Wahrheiten forschen, unabhängig von ihrer metaphysischen Gestalt, um ihr das zu entnehmen, was uns oder der Welt im Großen helfen kann, und es in die natürlichste und lebendigste Form und Ausdrucksweise zu bringen, die wir als geeignet für die Mentalität unserer heutigen Menschheit und als hilfreich für ihre spirituellen Bedürfnisse finden können. Zweifellos können wir bei diesem Versuch auch einen guten Teil des aus unserer eigenen Individualität stammenden Irrtums und der Vorstellungen hineinmischen, in denen wir leben, wie größere Menschen es vor uns taten. Wenn wir uns aber tief in den Geist dieser großen Schrift versenken und darüber hinaus versucht haben, in diesem Geist zu leben, können wir sicherlich in ihr so viel wirkliche Wahrheit finden, wie wir zu empfangen fähig sind, und auch den spirituellen Einfluss und die tatsächliche Hilfe, die wir nach unserer persönlichen Bestimmung aus ihr herleiten sollen. Das zu geben, wurden die Schriften im Grunde geschrieben. Alles Übrige ist akademischer Disput oder theologisches Dogma. Nur solche Schriften, Religionen und Philosophien sind auf die Dauer von wirklicher Bedeutung für die Menschheit, die so ständig erneuert und wiederbelebt, deren Gehalt an bleibender Wahrheit ständig umgeformt und im inneren Denken und der spirituellen Erfahrung einer sich entwickelnden Menschheit entfaltet werden. Die Übrigen bleiben für uns Denkmäler der Vergangenheit, besitzen aber keine tatsächliche Kraft, keinen lebendigen Impuls für die Zukunft.

    In der Gita gibt es nur sehr wenig, was rein lokaler oder zeitbedingter Art wäre. Ihr Geist ist so umfassend, tief und universal, dass auch dies wenige leicht allgemeingültig verstanden werden kann, ohne dass der Sinn der Lehre eine Minderung oder Beeinträchtigung erleidet. Ja, die Lehre gewinnt gerade dann an Tiefe, Wahrheit und Macht, wenn wir ihr einen umfassenderen Bedeutungshorizont geben, als er zu Volk und Epoche gehört. Oft weist die Gita selbst auf die Weite des Horizonts hin, die größer ist, als sie auf diese Weise einer an sich lokalen oder begrenzten Idee gegeben werden kann. So behandelt sie das alte indische System und Gedankenbild des Opfers als einen Austausch zwischen Göttern und Menschen – ein System und eine Vorstellung, die in Indien selbst schon lange praktisch veraltet und für das allgemeine menschliche Denken nichts Wirkliches mehr sind. Wir finden aber, dass hier dem Wort „Opfer" ein so völlig subtiler, bildlicher und symbolischer Sinn beigelegt und der Begriff der Götter so wenig lokal begrenzt oder mythologisch, so völlig kosmisch und philosophisch ist, dass wir beide Begriffe leicht als Ausdruck für eine praktische Tatsache der Psychologie oder für ein allgemeines Gesetz der Natur annehmen und sie somit anwenden können auf die modernen Vorstellungen vom Austausch zwischen Leben und Leben, vom sittlichen Opfer und der Selbst-Hingabe. So erweitern und vertiefen wir diese Begriffe und geben ihnen einen mehr spirituellen Aspekt und das Licht einer tieferen und weiterreichenden Wahrheit. Ebenso scheint auf den ersten Blick ein Handeln im Einklang mit dem Shastra, der vierfältigen Ordnung der Gesellschaft, die Erwähnung der Stellung der vier Kasten zueinander oder das relative spirituelle Unvermögen von Shudras und Frauen etwas örtliches und Zeitbedingtes zu sein. Wenn im wörtlichen Sinne zu viel Nachdruck auf sie gelegt wird, engen sie schließlich viel von der Lehre ein, berauben sie ihrer Universalität und spirituellen Tiefe und beschränken so ihre Gültigkeit für die Menschheit im weiteren Sinn. Blicken wir aber dahinter auf den Geist und den Sinn und nicht auf den ortsbedingten Namen und die zeitbedingte Institution, sehen wir, dass auch hier die Bedeutung tief und wahr und der Geist philosophisch, spirituell und universal ist. Wir erkennen, dass die Gita unter Shastra das Gesetz versteht, das sich die Menschheit selbst auferlegt hat, um das rein egoistische Handeln des natürlichen, sündigen Menschen aufzuheben und über seine Neigungen eine Kontrolle auszuüben, damit er nicht in der Befriedigung seines Begehrens Maßstab und Ziel seines Lebens sucht. Auch sehen wir, dass die vierfältige Gesellschaftsordnung nur die konkrete Gestalt einer spirituellen Wahrheit ist. Diese selbst ist von der Form unabhängig. Sie beruht auf folgender Auffassung: Die Art des einzelnen Menschen, durch den das Wirken geschieht, drückt sich, richtig geordnet, im rechten Handeln aus, wobei diese Art ihm seine Richtung und seinen Bereich im Leben zuweist, im Einklang mit den ihm angeborenen Eigenschaften und dem sein Selbst ausdrückenden Aufgabenbereich. Da das der Geist ist, in dem die Gita ihre zumeist örtlich bestimmten besonderen Beispiele anführt, sind wir berechtigt, immer dasselbe Prinzip anzuwenden und nach der tieferen allgemeinen Wahrheit zu forschen, die gewiss stets dem zugrunde liegt, was auf den ersten Blick rein durch Ort und Zeit bestimmt zu sein scheint. Denn stets werden wir finden, dass die tiefere Wahrheit und das allgemeine Prinzip im Kern ihres Denkens vorausgesetzt ist, auch wenn das in ihrer Sprache nicht ausdrücklich betont wird.

    In keinem anderen Geist werden wir auch mit dem Element philosophischer Lehre oder religiösen Bekenntnisses verfahren, das entweder in die Gita eindringt oder dank ihrer Verwendung der philosophischen Begriffe und religiösen Symbole, die damals geläufig waren, in ihr anklingt. Wenn die Gita von Sankhya und Yoga spricht, werden wir diese nur in den Grenzen dessen besprechen, was gerade für unsere Darstellung wesentlich ist. Dagegen nicht die Beziehungen des Sankhya der Gita mit seinem einzigen Purusha und seiner stark vedantischen Färbung zu dem überkommenen nicht-theistischen oder „atheistischen" Sankhya mit seinem Schema der vielen Purushas und einer einzigen Prakriti. Und auch nicht den Yoga der Gita, der vielseitig, subtil, reich und biegsam ist, in seinem Verhältnis zur theistischen Lehre und zu dem festgelegten, wissenschaftlichen, streng definierten und in Stufen aufgebauten Yoga-System des Patanjali. In der Gita sind Sankhya und Yoga offensichtlich nur zwei konvergierende Teile derselben vedantischen Wahrheit oder vielmehr zwei sich vereinigende Wege, um sich ihrer Verwirklichung zu nähern: Der eine ist philosophisch, intellektuell, analytisch, der andere ist intuitiv, gottergeben, praktisch, ethisch, synthetisch und erlangt Wissen durch Erfahrung. Die Gita erkennt keinen wirklichen Unterschied in ihren Lehren an. Noch weniger brauchen wir uns mit jenen Theorien zu befassen, die die Gita als das Ergebnis eines besonderen religiösen Systems oder einer Tradition ansehen. Ihre Lehre ist universal, unabhängig von ihrem Ursprung.

    Das philosophische System der Gita, ihre Darstellung der Wahrheit, ist nicht jener vitalste, tiefste und ewig beständige Teil ihrer Lehre. Doch ist das meiste Material, aus dem das System zusammengesetzt ist, nämlich die hauptsächlichen überzeugenden und eindringlichen Ideen, die in ihre komplexe Harmonie eingewoben sind, ewig wertvoll und gültig. Sind sie doch nicht nur lichtvolle Gedanken oder überraschende Spekulationen eines philosophischen Intellekts, vielmehr bleibende Wahrheiten spiritueller Erfahrung, als wahr erweisbare Tatsachen unserer höchsten psychologischen Möglichkeiten, die niemand unbeachtet lassen kann, der versucht, das Geheimnis des Seins in seiner Tiefe zu verstehen. Sei das System, was es wolle; sicherlich ist es nicht, wie die Kommentatoren es darzustellen sich bemühen, abgefasst oder bewusst angelegt, um ausschließlich eine bestimmte Schule philosophischen Denkens zu bestätigen oder um die Ansprüche einer bestimmten Form von Yoga mit Nachdruck vorzutragen. Die Sprache der Gita, ihre Denkstruktur, die Art, wie sie die Gedanken kombiniert und miteinander ausgleicht, passen weder zum Temperament eines sektiererischen Lehrers noch zum Geist einer streng analytischen Dialektik, die einen Gesichtswinkel der Wahrheit herausschneidet, um dann alle anderen auszuschließen. Vielmehr bewegen sich hier die Gedanken in einem weiten, die Wahrheit mit seinen Wogen umkreisenden Fluss, der ein grenzenloses synthetisches mentales Bewusstsein und eine reiche synthetische Erfahrung offenbart. Die Gita ist eines jener großen synthetischen Werke, an denen indische Spiritualität ebenso reich ist wie an der Schöpfung stark wirkender, vornehmer Bewegungen der Erkenntnis und religiösen Verwirklichung, die mit absoluter Konzentration eine einzige Grundlinie, einen Pfad bis hin zu seinen äußersten Ergebnissen verfolgen. Sie spaltet nicht, sie versöhnt und eint.

    Das Denken der Gita ist kein reiner Monismus, obwohl sie in einem einzigen unwandelbaren, reinen, ewigen Selbst die Grundlage aller kosmischen Existenz sieht. Es ist auch nicht Mayavada, obwohl sie von der Maya der drei Erscheinungsformen von Prakriti spricht, die in der erschaffenen Welt allgegenwärtig sind. Auch ist es kein eingeschränkter Monismus, obwohl sie in dem Einen, der in der Gestalt des Jiva geoffenbart ist, seiner ewigen höchsten Prakriti ihren Platz anweist und das größte Gewicht darauf legt, dass das spirituelle Bewusstsein in seinem höchsten Zustand in Gott wohnt, nicht aber aufgelöst wird. Ferner ist es nicht das Sankhya, obwohl es die erschaffene Welt durch das doppelte Prinzip von Purusha und Prakriti erklärt. Und es ist kein Vaishnava-Theismus (der Verehrer des Vishnu, d. Ü.), obwohl es Krishna, der nach den Puranas der Avatar Vishnus ist, als die erhabene Gottheit darstellt und keine wesentliche Unterscheidung bzw. keine tatsächliche Überlegenheit an Rang zulässt zwischen dem undefinierbaren beziehungslosen Brahman und diesem Herrn der Wesen, der der Meister des Universums und der Freund aller Geschöpfe ist. Wie die frühere spirituelle Synthese der Upanishaden vermeidet diese spätere Synthese, die zugleich spirituell und intellektuell ist, ihrer Natur nach jede solche strenge Abgrenzung, die ihre universale Weite beeinträchtigen würde. Ihr Ziel ist genau entgegengesetzt dem der polemisierenden Kommentatoren, die in dieser Schrift eine der drei höchsten vedantischen Autoritäten aufgerichtet sahen und sie in eine Angriffs- und Verteidigungswaffe gegen andere Schulen und Systeme zu verwandeln suchten. Die Gita ist keine Waffe für dialektische Kriegsführung. Sie ist ein Tor, das Zugang zur ganzen Welt spiritueller Wahrheit und Erfahrung verschafft. Der Überblick, den sie uns gewährt, umfasst alle Gebiete dieser erhabenen Region. Sie stellt sie „kartografisch" dar, aber sie zerschneidet sie nicht durch Mauern oder Zäune, die unsere Schau begrenzen.

    In der langen Geschichte indischen Denkens gibt es noch andere Synthesen. Wir beginnen mit der Synthese der Veden. Diese verknüpft das psychologische Wesen des Menschen in seinem höchsten Flug und weitesten Schweifen in den Bereichen göttlicher Erkenntnis, Macht, Freude, Leben und Herrlichkeit eng mit dem kosmischen Dasein der Götter und geht ihnen hinter den Symbolen des materiellen Universums nach in jene höheren Ebenen, die den physischen Sinnen und der materiellen Mentalität verborgen sind. Die Krönung dieser Synthese war in der Erfahrung der vedischen Rishis etwas Göttliches, Erhabenes und Beseligendes, in deren Einung sich die aufschwingende Seele des Menschen und die ewige göttliche Fülle der kosmischen Gottheiten in vollkommener Weise treffen und zur Erfüllung bringen. Die Upanishaden nehmen diese krönende Erfahrung der früheren Seher auf und machen sie zu ihrem Ausgangspunkt für eine erhabene, tiefgründige Synthese spiritueller Erkenntnis. Zu einer umfassenden Harmonie ziehen sie all das zusammen, was durch eine große und an Früchten reiche Periode spirituellen Suchens hindurch von den inspirierten und befreiten Menschen, die das Ewige erkannten, geschaut und erfahren wurde. Von dieser Synthese des Vedanta nimmt die Gita ihren Ausgang und errichtet auf der Grundlage ihrer wesentlichen Ideen eine andere Harmonie der drei großen Mittel und Mächte Liebe, Wissen und Werke, durch die sich die menschliche Seele unmittelbar dem Ewigen nahen und sich in das Ewige versenken kann. Später gibt es noch eine andere Synthese, die des Tantra1. Sie ist zwar weniger subtil und spirituell tief, aber noch kraftvoller und kühner als die Synthese der Gita. Denn sie packt gerade die Hindernisse zu einem spirituellen Leben an und zwingt sie, Mittel für eine reichere spirituelle Eroberung zu werden. Dadurch befähigt sie uns, das Ganze des Lebens im Horizont unseres göttlichen Schauens als das Lila des Göttlichen2 zu umfassen. In mancher Hinsicht ist das Tantra unmittelbar reich und fruchtbar, denn es bringt, zusammen mit dem göttlichen Wissen, den göttlichen Werken und der gesteigerten Hingabe göttlicher Liebe, auch die Geheimnisse des Hatha-Yoga und des Raja-Yoga in den Vordergrund: Die Verwendung des Körpers und der mentalen Askese zur Erschließung des göttlichen Lebens auf all seinen Ebenen. Diesen Dingen schenkt die Gita ihre Aufmerksamkeit nur beiläufig und flüchtig. Außerdem enthält die tantrische Synthese jenen Gedanken, dass der Mensch göttlich vervollkommnet werden kann, eine Idee, die die vedischen Rishis kannten, die aber in den dazwischenliegenden Perioden in den Hintergrund gedrängt wurde, gleichwohl dazu bestimmt, in jeder künftigen Synthese menschlichen Denkens, Erfahrens und Strebens breiten Raum einzunehmen.

    Wir Menschen des kommenden Tages stehen am Anfang eines neuen Zeitalters der Entwicklung, die zu solch einer neuen und umfassenderen Synthese führen muss. Unsere Berufung ist nicht, orthodoxe Anhänger einer der drei Schulen des Vedanta, des Tantra oder einer der theistischen Religionen der Vergangenheit zu sein, noch uns in den vier Ecken der Lehre der Gita zu verschanzen. Damit würden wir uns selbst eng begrenzen. Wir würden versuchen, unser spirituelles Leben aus Wesen, Wissen und Art anderer, aus dem der Menschen der Vergangenheit, zu erschaffen, anstatt es aus unserem eigenen Wesen und unseren eigenen Kräften aufzubauen. Wir gehören nicht zu den Morgendämmerungen der Vergangenheit, sondern zu den Mittagen der Zukunft. Eine Menge neuen Materials ergießt sich in uns hinein. Wir müssen uns nicht nur die Einflüsse der großen theistischen Religionen Indiens und der Welt und ein neugewonnenes Empfinden für die Bedeutung des Buddhismus einverleiben. Wir müssen auch den machtvollen, wenngleich begrenzten Offenbarungen moderner Erkenntnis und Forschung voll Rechnung tragen. Überdies kehrt die ferne, zeitlich unbestimmbare Vergangenheit, die tot zu sein schien, mit dem Aufblitzen vieler für das Bewusstsein der Menschheit lange verlorener lichtvoller Geheimnisse zurück und tritt jetzt wieder hinter dem Vorhang hervor. All das deutet auf eine neue, sehr reiche, sehr umfassende Synthese. Eine neue, weithin umfassende Harmonisierung all unserer Gewinne ist sowohl intellektuell wie spirituell notwendig für die Zukunft. Aber genauso, wie die bisherigen Synthesen die ihnen vorausgegangenen zu ihrem Ausgangspunkt nahmen, so muss auch die Synthese der Zukunft, wenn sie auf festem Grund weitergedeihen will, von dem aus fortschreiten, was die großen Gestaltungen spirituellen Denkens und spiritueller Erfahrung in der Vergangenheit gegeben haben. Unter diesen Gestaltungen nimmt die Gita einen höchst wichtigen Platz ein.

    Wenn wir die Gita studieren, wird demnach unser Ziel nicht eine scholastische oder akademische Erforschung ihres Denkens sein, auch nicht die Einordnung ihrer Philosophie in die Geschichte der metaphysischen Spekulation. Auch werden wir mit ihr nicht auf die Art des analytischen Dialektikers umgehen. Wir nahen uns ihr, um von ihr Hilfe und Licht zu empfangen. Unsere Absicht muss sein, ihre wesentliche und lebendige Botschaft, also das in ihr zu unterscheiden, was sich die Menschheit für ihre Vervollkommnung und für ihr höchstes spirituelles Wohlergehen zu eigen machen muss. (3-11)

    1 Man muss sich dessen erinnern, dass die gesamte Tradition der Puranas den Reichtum ihrer Inhalte aus dem Tantra bezieht.

    2 Das kosmische Spiel.

    1. Kapitel

    Kurukshetra

    1.1

    Dhritarashtra sprach:

    Als sie auf dem Feld von Kurukshetra versammelt waren, dem Feld der Ausarbeitung des Dharma, ungestüm zur Schlacht drängend, was taten sie da, O Sanjaya, mein Volk und die Pandavas?

    Unter den großen religiösen Büchern der Welt stellt die Gita dadurch etwas Besonderes dar, dass sie nicht als ein Werk für sich gesondert dasteht, als die Frucht des spirituellen Lebens einer schöpferischen Persönlichkeit wie Christus, Mohammed oder Buddha oder einer Epoche rein spirituellen Forschens wie der Veda und die Upanishaden. Vielmehr steht sie vor uns als eine Episode in einer epischen Geschichte von Nationen, ihren Kriegen, ihren Männern und ihrer Taten. Sie entsteht aus einem kritischen Augenblick in der Seele einer ihrer führenden Persönlichkeiten, die vor einer Tat seht, die ihr Leben krönt, vor einem schrecklichen, gewalttätigen und blutigen Werk, und zwar an dem Punkt, da diese Person entweder vor diesem Werk zurückschrecken oder es bis zu seiner Vollendung unerbittlich durchführen muss. (12)

    Darum darf die Lehre der Gita nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen spirituellen Philosophie oder ethischen Lehre betrachtet werden, sondern als einen Bezug auf eine durchführbare Entscheidung in der Anwendung von ethischen und spirituellen Prinzipien auf das menschliche Leben. (12)

    Das Kampffeld von Kurukshetra: Das Kampffeld von Kurukshetra: Das ist das Feld, auf dem das Dharma ausgearbeitet werden muss; es ist das Feld menschlichen Wirkens – wie wir symbolisch den Ausdruck dharma-kṣetre kuru-kṣetre übersetzen könnten –, eine weltweite Zerstörung, die im Prozess des Zeit-Geistes eingetreten ist. (383)

    Die Gita wählt zu ihrem Rahmen eine Übergangsperiode und Krise, wie sie die Menschheit in ihrer Geschichte periodisch erfährt, in der gewaltige Kräfte zusammenprallen zu einer ungeheuren Destruktion und Rekonstruktion auf intellektuellem, sozialem, moralischem, religiösem und politischem Gebiet. Diese finden in der gegebenen psychologischen und gesellschaftlichen Stufe der menschlichen Evolution gewöhnlich ihren Höhepunkt in einer gewalttätigen physischen Erschütterung von Kampf, Krieg oder Revolution. Die Gita geht von der Annahme aus, dass es in der Natur die Notwendigkeit für solche heftige Krisen gibt. Sie akzeptiert nicht nur den moralischen Aspekt, den Kampf zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, zwischen dem autonomen Gesetz des Guten und den Kräften, die seinem Fortschritt entgegentreten. Sie bejaht auch den physischen Aspekt, den aktuellen Krieg der Waffen oder anderer heftiger physischer Kämpfe zwischen den Menschen, die die gegnerischen Mächte vertreten. (48)

    Ein Tag wird, ja er muss sicherlich kommen, an dem die Menschheit spirituell, moralisch und gesellschaftlich bereit ist für die Herrschaft universalen Friedens. Bis dahin müssen wir den Aspekt von Krieg, also die Natur und Funktion des Menschen als Krieger, annehmen und mit ihr in jeder praktischen Weltanschauung und Religion rechnen. Die Gita, die das Leben nimmt, wie es ist, und nicht nur, wie es in einer fernen Zukunft sein sollte, stellt die Frage: Wie können dieser Aspekt und diese Funktion des Lebens, die in Wirklichkeit Aspekt und Funktion der menschlichen Aktivität im Allgemeinen sind, mit dem spirituellen Dasein in Einklang gebracht werden? (49)

    1.2

    Sanjaya sprach:

    Als der Fürst Duryodhana gesehen hatte, dass das Heer der Pandavas in Schlachtordnung aufgestellt war, trat er an seinen Lehrer heran und sprach folgende Worte:

    1.3

    „Schau auf dieses gewaltige Heer der Söhne von Pandu, O Acharya, das hier von deinem klugen Schüler, dem Sohn des Drupada, aufgestellt worden ist.

    1.4-6

    Da stehen in dieser mächtigen Armee Helden und berühmte Bogenschützen, die Bhima und Arjuna im Kampfe gleich sind; Yuyudhana, Virata und Drupada in seinem großen Kampfwagen; Dhrishtaketu, Chekitana und der tapfere Fürst von Kashi; Purujit, Kuntibhoja und Shaibya, der Anführer der Männer; Yudhamanyu, der Starke, und Uttamauja, der Siegreiche; Subhadras Sohn (Abhimanyu) und die Söhne der Draupadi; alles Männer von großer Tapferkeit.

    1.7

    Erfahre aber auch, wer auf unserer Seite die Hervorragendsten sind, O Bester der Zweifach-Geborenen, die Führer meines Heeres. Ich nenne sie dir zu deiner besonderen Beachtung.

    1.8-9

    Du selbst und Bhishma und Karna und Kripa, der Siegreiche im Kampf; Ashvatthama, Vikarna und auch Saumadatti; und viele andere Helden haben um meinetwillen ihr Leben eingesetzt. Sie alle sind mit mannigfaltigen Waffen und Geschossen ausgerüstet und wohlerfahren im Krieg.

    1.10

    Unermesslich ist diese unsere Armee, die von Bhishma befehligt wird, während die ihrige Armee begrenzt ist und sich auf Bhima verlässt.

    1.11

    Darum ihr alle, die ihr in euren Formationen an den verschiedenen Abschnitten der Front steht: Gebt acht auf Bhishma!"

    1.12

    Um Begeisterung im Herzen Duryodhanas zu erwecken, blies der mächtige Ahnherr (Bhishma), der Älteste der Kurus, in seine Muschel, so dass es vom Schlachtfeld widerhallte wie Löwengebrüll.

    1.13

    Darauf erschollen plötzlich die Muscheln und Pauken, die Tamburine, Trommeln und Hörner, und das Getöse wurde gewaltig.

    1.14

    Positioniert auf ihrem großen, mit weißen Pferden bespannten Streitwagen, stießen dann Madhava (Sri Krishna) und der Sohn des Pandu (Arjuna) in ihre himmlischen Muscheln.

    Arjuna ist der Krieger im Streitwagen und der göttliche Krishna sein Wagenlenker. (21)

    Arjuna ist der Schüler, der auf dem Schlachtfeld seine Einweihung empfängt. Er ist das Beispiel der ringenden menschlichen Seele, die das Wissen noch nicht empfangen hat, jedoch fähig ist, es durch Handeln in der Welt, in enger Verbundenheit mit dem höheren und göttlichen Selbst und in zunehmender Annäherung an es im Menschsein zu erlangen. Bei der Deutung der Gita vermag man nicht nur diese Episode, sondern das ganze Mahabharata in eine Allegorie des inneren Lebens umzuwandeln. Sie habe nichts mit unserem äußeren menschlichen Leben und Wirken zu tun, sondern handle nur von den Kämpfen der Seele und der Mächte, die in unserem Innern darum ringen, uns zu besitzen. Jedoch rechtfertigt der allgemeine Charakter und die tatsächliche Sprache des Epos diese Auffassung nicht. Hielte man daran fest, würde die unmittelbare philosophische Sprache der Gita in eine ständige mühevolle und irgendwie kindische Mystifikation verwandelt. Die Sprache des Veda und zumindest eines Teils der Puranas ist offensichtlich symbolisch, voller Sinnbilder und konkreter Darstellungen von Dingen, die hinter dem Vorhang verborgen liegen. Die Gita aber ist in klaren Begriffen abgefasst und will die großen ethischen und spirituellen Schwierigkeiten lösen, die sich im Leben des Menschen erheben. Sie beabsichtigt nicht, hinter diese klare Sprache und Denkweise zurückzugehen und ihr Gewalt anzutun, um unseren phantastischen Einfällen zu dienen. In jener Auffassung liegt freilich insofern eine Wahrheit, als der Schauplatz der Belehrung zwar nicht symbolisch, wohl aber beispielhaft ist, da die Szene für solch eine Unterredung tatsächlich so wie hier in der Gita geartet sein muss, wenn sie zu dem hier umrahmten Inhalt in Beziehung stehen soll. (20-21)

    Es gibt in der Gita drei Dinge, die spirituell bedeutungsvoll, geradezu typisch sind für die tiefsten Beziehungen und Probleme spirituellen Lebens und menschlichen Daseins an seinen Wurzeln: Das sind die göttliche Persönlichkeit des Lehrers, seine charakteristischen Beziehungen zu seinem Schüler und der Anlass für dessen Belehrung. Der Lehrer ist Gott selbst, der als Mensch herniedergekommen ist. Der Schüler ist der erste, modern ausgedrückt, der repräsentative Mensch seiner Zeit, engster Freund und erwähltes Instrument des Avatars, sein Vorkämpfer in einem gewaltigen Werk und Ringen, dessen geheimer Sinn den darin Handelnden unbekannt, nur dem als Mensch verkörperten Gott bekannt ist, der das alles vom verhüllten Hintergrund seines unergründlichen Mentals des Wissens her lenkt. Der Anlass ist die furchtbare Entscheidung bei diesem Werk und Ringen in dem Augenblick, da sich Angst und moralische Schwierigkeit zusammen mit der blinden Gewalt ihrer vordergründigen Abläufe, mit dem Schock einer sichtbaren Offenbarung, dem Mental jenes repräsentativen Mannes aufzwingen und die ganze Frage aufwühlen: nach der Bedeutung Gottes in der Welt und nach Ziel, Tendenz und Sinn des menschlichen Lebens und Verhaltens. (13)

    1.15-16

    Hrishikesha (Krishna) blies seine Panchajanya und Dhananjaya (Arjuna) seine (ihm von Gott gegebene) Devadatta. Vrikodara, der Held schrecklicher Taten, stieß in seine mächtige Muschel Paundra; König Yudhishthira, Sohn der Kunti, in die Anantavijaya; Nakula und Sahadeva in die Sughosha und in die Manipushpaka.1

    1.17-18

    Und Kashya mit seinem mächtigen Bogen und Shikhandi mit seinem großen Streitwagen, Dhrishtadyumna, Virata und der unbesiegte Satyaki, ferner Drupada und die Söhne Draupadis, O Herr der Erde, und Saubhadra mit den mächtigen Armen stießen von allen Seiten in ihre verschiedenen Muschelhörner.

    1.19

    Diese ungeheure Aufruhr, über Erde und Himmel widerhallend, erschütterte die Herzen der Söhne des Dhritarashtra.

    1.20

    Als er auf die Söhne des Dhritarashtra, die in Schlachtordnung dastanden, schaute und schon die Geschosse zu fliegen begannen, da erhob der Sohn des Pandu (Arjuna), dessen Banner das Emblem von Kapi Hanuman trug, seinen Bogen und sagte zu Hrishikesha, dem Herrn der Erde, diese Worte:

    Die symbolische Kameradschaft von Arjuna und Krishna, der menschlichen und der göttlichen Seele, wird auch anderswo im indischen Denken erwähnt: in der Himmelsreise von Indra und Kutsa, die in demselben Streitwagen sitzen; in dem Gleichnis der beiden Vögel auf dem einen Baum in der Upanishad, in den Zwillingsgestalten von Nara und Narayana, der beiden Seher, die zusammen tapasyā üben, um Wissen zu erlangen. In allen drei Fällen ist es aber das Streben nach dem göttlichen Wissen, in dem, wie die Gita sagt, alles beabsichtigte Handeln gipfelt. Hier dagegen ist es die Aktion selbst, die zu jenem Wissen führt und in der der göttliche Wissende selbst auftritt. Arjuna und Krishna, die menschliche und die göttliche Gestalt, stehen nicht als Seher in der friedlichen Einsiedelei der Meditation beieinander, sondern als Kämpfer und als Zügelhalter auf dem lärmenden Schlachtfeld, inmitten der schwirrenden Speere, im Streitwagen. Der Lehrer der Gita ist deshalb nicht nur der Gott im Menschen, der sich im Wort des Wissens selbst enthüllt, sondern der Gott im Menschen, der unsere ganze Welt des Handelns bewegt, durch den und für den unsere ganze Menschheit existiert, kämpft und sich abmüht, zu dem hin die Fahrt des gesamten menschlichen Lebens und dessen Fortschreiten geht. Er ist der geheime Meister der Werke und Opfer und der Freund der Völker der Menschheit. (19)

    1.21-23

    Arjuna sprach:

    Halte, O Achyuta (Makelloser, Unerschütterlicher) meinen Wagen zwischen den beiden Heeren an, damit ich diese Myriaden mustern kann, die kampfbegierig dastehen und mit denen ich an diesem Festtag der Schlacht zusammenstoßen muss. Ich will jene sehen, die hierher kamen, um für die Sache des übelgesinnten Sohnes des Dhritarashtra einzutreten.

    Die Gita geht vom aktiven Handeln aus. Arjuna ist der Mann der Aktion, nicht der Erkenntnis... (22)

    Es ist für den praktischen Menschen bezeichnend, dass er durch seine Sinne und Gefühle zur Bedeutung seines Handelns erwacht. Er hat seinen Freund und Wagenlenker gebeten, ihn an einen Ort zwischen den beiden Armeen zu fahren. Dabei leitete ihn kein tieferer Gedanke als die stolze Absicht, jenen Myriaden von Vorkämpfern der Ungerechtigkeit ins Angesicht zu schauen, denen er nun entgegentreten, die er besiegen und erschlagen muss an „diesem Festtag der Schlacht", damit das Recht siegen möge. Wie er so hinüberblickt, wird ihm plötzlich offenbar, was ein Bürger- und Sippenkrieg eigentlich bedeutet, ein Kampf, bei dem nicht nur Männer derselben Rasse, Nation und Sippe, sondern auch Angehörige derselben Familie und desselben Haushalts auf beiden Seiten stehen. Er muss hier all denen, die ein der Gemeinschaft verpflichteter Mensch zutiefst liebt und für unantastbar hält, als Feinden entgegentreten und sie erschlagen: den verehrten Lehrer und Ratgeber, den alten Freund, Kameraden und Waffengefährten, die Stammesältesten, die Onkel und die dort in der Verwandtschaft von Vater, Sohn und Enkel ihm nahestehen, miteinander verbunden durch Blut und Heirat. All diese Bindungen der Gemeinschaft sollen nun durch das Schwert zertrennt werden. Nicht, als ob er diese Dinge nicht schon vorher gewusst hätte. Er hat sie aber nie in ihrer ganzen Wirklichkeit gesehen. Besessen von seinen Ansprüchen und ihren Ungerechtigkeiten, von den Grundsätzen seines Lebens, vom Kampf für das Gerechte, von der Pflicht des Kshatriya, Gerechtigkeit und Gesetz zu schützen und Ungerechtigkeit und gesetzwidrige Gewalt zu bekämpfen und niederzuschlagen, hat er das weder zutiefst durchdacht, noch im Herzen und Kern seines Lebens erfühlt. Von seinem göttlichen Wagenlenker wird jetzt dies alles seiner Schau geoffenbart, ihm sinnfällig vor Augen geführt. Das trifft ihn im Zentrum seines sinnenhaften, vitalen und emotionalen Wesens wie ein gezielter Schlag. (23-24)

    1.24-25

    Sanjaya sprach:

    So angeredet von Gudakesha (einer, der den Schlaf überwunden hat, Arjuna), O Bharata, brachte Hrishikesha jenen besten der Streitwagen zwischen den beiden Heeren zum Stehen, gegenüber von Bhishma, Drona und all den Fürsten der Erde, und sprach: „Schau hin, O Partha, auf diese versammelten Kurus!"

    1.26

    Da sah Partha Onkel und Großväter, Lehrer, Vetter, Söhne und Enkel, Gefährten, Schwiegerväter, Wohltäter einander gegenüberstehend.

    1.27

    Als er all diese Verwandten kampfbereit dastehen sah, wurde Kaunteya (Arjuna) von tiefem Mitleid ergriffen. Traurig und niedergeschlagen äußerte er sich wie folgt:

    1.28-29

    Arjuna sprach:

    Wenn ich hier meine eigenen Verwandten in Schlachtordnung vor mir sehe, O Krishna, werden meine Glieder schwach, mein Mund dörrt mir aus, mein Leib erzittert, und meine Haare sträuben sich. Gandiva (der Bogen Arjunas) entgleitet meiner Hand, und meine ganze Haut scheint zu brennen.

    Zunächst kommt es zu einer heftigen Krise seiner Gefühle und seines Körpers, die Abscheu vor der Tat, ihren materiellen Zielen und dem Leben selbst hervorruft. Er weist das vitale Ziel zurück, das von egoistischen Menschen bei ihrem Handeln verfolgt wird: Glücklichsein und Genießen. Er entsagt auch dem vitalen Ziel des Kshatriya, dem Verlangen nach Sieg, Ordnung, Macht und Herrschaft über Menschen. Was ist schließlich dieser Kampf für Gerechtigkeit, wenn man ihn rein vom Praktischen her begreift, anderes als nur ein Kampf für die eigenen Interessen, für die seiner Brüder und seiner Partei, um Besitz, Genuss und Herrschaft? Für diese Dinge ist aber ein solcher Preis viel zu hoch. Denn sie haben keinen Wert an sich sondern nur als Mittel, das gesellschaftliche und nationale Leben wirklich zu fördern. Gerade diese Ziele will er nun in der Person seiner Verwandten und seines Volkes zerstören. Hier kommt es zum Aufschrei seiner Gefühle. (24)

    1.30

    Ich kann nicht mehr aufrecht stehen, und mir scheint sich der Kopf zu drehen; auch sehe ich schlechte Vorzeichen, O Keshava.

    1.31

    Nichts Gutes erkenne ich darin, dass ich meine Verwandten in der Schlacht töte; O Krishna, ich begehre weder Sieg, noch Herrschaft, noch Freuden.

    1.32-35

    Was bedeutet Herrschaft für uns, O Govinda, was bedeuten uns Freuden, ja selbst das Leben? Jene, um derentwillen wir Herrschaft, Genüsse und Freuden begehren, stehen hier im Kampf und setzen ihr Blut und Gut ein – Lehrer, Väter und Söhne, auch Großväter, Onkel, Schwiegerväter, Enkel, Schwäger und sonstige Blutsverwandte. Nie brächte ich es über mich, sie zu erschlagen, O Madhusudana, und wenn ich selber erschlagen würde; nicht einmal für die Herrschaft über die drei Welten, geschweige denn über die Erde. Was bleiben uns schon für Freuden, wenn wir die Söhne des Dhritarashtra getötet haben, O Janardana?

    1.36

    An uns wird die Sünde haften bleiben, wenn wir sie umbringen, auch wenn sie die Angreifer sind. Darum ist es nicht recht, dass wir die Söhne des Dhritarashtra töten, unsere eigenen Verwandten. In der Tat, wie können wir noch glücklich sein, O Madhava, wenn wir unsere eigenen Leute töten?

    Diese ganze Sache ist eine furchtbare Sünde –, denn nun erwacht in ihm noch das moralische Gewissen, um das Aufbegehren der Empfindungen und Gefühle zu rechtfertigen. Es ist eine Sünde, es gibt kein Recht und keine Gerechtigkeit für gegenseitiges Abschlachten, zumal gerade diesen Menschen, die erschlagen werden sollen, die natürliche Verehrung und Liebe gebührt, ihnen, ohne die man sich das Leben gar nicht wünschte. Diese geheiligten Gefühle zu verletzen, kann nicht Mannestugend, kann nichts anderes sein als ein verruchtes Verbrechen. Zugegeben, der Bruch des Rechts, die Aggression, die erste Sünde, die Verbrechen von Gier und egoistischer Leidenschaft, die den Anstoß zu diesem Gang der Dinge gegeben haben, kamen von der Gegenseite. Unter solchen Umständen wäre aber ein bewaffneter Widerstand gegen das Böse an sich eine Sünde und ein Verbrechen, schlimmer als das ihrige, da sie blind sind in ihrer Leidenschaft und ihrer Schuld nicht bewusst, während auf dieser Seite die Sünde mit einem klaren Empfinden für Schuld begangen würde. Und um welches Zweckes willen? Um die Sittlichkeit in der Familie zu wahren, das Recht der Gesellschaft oder das Gesetz in der Nation durchzusetzen? Gerade diese Normen werden durch diesen Bürgerkrieg zerstört. (24-25)

    1.37-38

    Wenn auch jene, von Habgier in ihrem Bewusstsein getrübt, in der Zerstörung ihrer Sippe keine Schuld erkennen und kein Verbrechen in der Feindschaft gegen Freunde, warum sollten nicht wir die Weisheit besitzen, vor solch einer Sünde zurückzuscheuen, O Janardana, die wir erkennen, dass die Vernichtung der Sippe von Übel ist!

    1.39

    Mit der Ausrottung der Sippe werden auch ihre ewigen Traditionen zerstört. Brechen diese Traditionen zusammen, überwältigt Gesetzlosigkeit die gesamte Sippe.

    1.40

    Wo aber Gesetzlosigkeit herrscht, O Krishna, werden die Frauen der Sippe verdorben; werden die Frauen verdorben, O Varshneya, gerät die feste Ordnung der varṇas durcheinander.

    Varṇa wird gewöhnlich mit „Kaste" übersetzt, doch ist das bestehende Kastensystem eine ganz andere Sache als der soziale Gedanke von caturvarṇa des Altertums: Die klar umrissene vierfache Ordnung der arischen Gemeinschaft, die keineswegs der Beschreibung der Gita entspricht (siehe Kapitel 18: Swabhava und Swadharma). (510)

    1.41

    Dies Chaos bringt für die Zerstörer der Sippe Verdammnis, aber auch für die Sippe; denn ihre Ahnen fallen, da sie das piṇḍa (Reisopfer) und die Spende des Tranks entbehren müssen.

    1.42

    So werden durch diese Untaten der Zerstörer der Sippe, die die Verwirrung der Ordnung zur Folge hat, die ewigen Gesetze des Volkes und die moralische Grundlage der Sippe vernichtet.

    1.43

    Und die Menschen, deren Sippenmoral verdorben ist, leben für immer in der Hölle, O Janardana. So wurde es uns überliefert.

    1.44

    Wehe uns, die wir davor standen, eine schreckliche Sünde zu begehen, und unsere eigenen Verwandten aus Gier nach den Freuden der Macht töten wollten.

    1.45

    Viel eher gereicht mir zum Heil, dass die bewaffneten Söhne des Dhritarashtra mich, der ich waffenlos bin und keinen Widerstand leiste, erschlagen. (Ich will nicht kämpfen!)

    1.46

    Sanjaya sprach:

    Als Arjuna auf dem Schlachtfeld so gesprochen hatte, sank er auf den Sitz des Kampfwagens zurück, warf seinen göttlichen Bogen und den unerschöpflichen Köcher hin (die er von den Göttern für diese furchtbare Stunde erhalten hatte), und sein Geist war von Kummer überwältigt.

    Wenn sich Arjuna selbst auch nur um seine eigene Situation, seinen inneren Kampf und das von ihm zu befolgende Gesetz des Handelns kümmert, so wirft doch die von ihm gestellte besondere Frage, und zwar in der Art, wie er sie stellt, in Wirklichkeit die ganze Frage menschlichen Lebens und Handelns auf: Was ist die Welt? Warum ist sie so? Wie kann, wenn sie ist, was sie ist, das Leben hier in der Welt vereinbar sein mit einem Leben im spirituellen Geist? Der Lehrer besteht darauf, gerade diese tiefe und schwierige Frage als die wahre Grundproblematik seines Befehls zu einer Tat zu lösen, die aus einer neuen ausgeglichenen Haltung des Wesens hervorgehen und im Licht einer befreienden Erkenntnis durchgeführt werden muss.

    Was bereitet aber diese Schwierigkeit für den Menschen, der die Welt nehmen muss, wie sie ist, der in ihr zu handeln hat, aber dennoch in seinem Inneren das spirituelle Leben möchte? Was ist dieser Aspekt des Daseins, der sein erwachendes Bewusstsein so bestürzt und das hervorbringt, was der Titel des ersten Kapitels der Gita bedeutungsvoll mit dem Yoga der Mutlosigkeit Arjunas bezeichnet, der Niedergeschlagenheit und Entmutigung, die das menschliche Wesen fühlt, wenn es gezwungen ist, das Spektakel des Universums so zu sehen, wie es wirklich ist, wenn der Schleier der ethischen Illusion, der Illusion der Selbst-Gerechtigkeit, von seinen Augen weggerissen ist, bevor noch eine höhere Aussöhnung mit sich selbst bewirkt wurde? Dieser Aspekt wird nach außen hin dargestellt durch das Blutbad und Gemetzel von Kurukshetra. Spirituell wird er sichtbar in der Vision des Herrn aller Dinge als Zeit, die sich erhebt, um alle Geschöpfe, die sie geschaffen hat, zu verschlingen und zu zerstören. Das ist die Vision des Herrn allen Daseins als des universalen Schöpfers, aber ebenso als des universalen Zerstörers, von dem die alte Schrift in einem grausamen Bild sagen kann: „Die Weisen und Helden sind seine Nahrung, und der Tod ist das Gewürz bei seinem Festmahl." Es ist ein und dieselbe Wahrheit, die zuerst indirekt und dunkel in den Tatsachen des Lebens, dann aber direkt und klar in der Schau der Seele von dem gesehen wird, was sich im Leben offenbart. Der äußere Aspekt ist der von Welt-Sein und menschlichem Sein, das durch Kampf und Töten sich vollzieht. Der innere Aspekt ist der des universalen Wesens, das sich in einer ungeheuren Schöpfung und einer gewaltigen Zerstörung zur Erfüllung bringt. Leben ist eine Schlacht und ein Feld des Todes –, dies ist Kurukshetra. Gott, der Schreckliche, das ist die Schau, die Arjuna hat auf jenem Feld des Massakers. (39-40)

    Wir müssen Kurukshetra anerkennen; wir müssen uns dem Gesetz von Leben durch Tod unterwerfen, bevor wir unseren Weg zum unsterblichen Leben finden können. Wir müssen unsere Augen mit einem weniger entsetzten Blick als dem Arjunas öffnen, um unseren Herrn von Zeit und Tod zu schauen. Wir müssen aufhören, den universalen Zerstörer abzulehnen, zu hassen oder vor ihm zurückzuschrecken. (46)

    1 Vrikodara, Yudhishthira, Nakula und Sahadeva sind die vier Brüder Arjunas. (Anm. d. Ü.)

    2. Kapitel

    Sankhya, Yoga und Vedanta

    Der Glaube des arischen Kriegers

    2.1

    Sanjaya sprach:

    Zu ihm, der so von Mitleid ergriffen war, die Augen voll Tränen und Kummer, das Herz überwältigt von Schwermut und Entmutigung, sprach Madhusudana folgende Worte.

    Dies Mitleid Arjunas ist gänzlich anders, als das göttliche Mitleiden, das von oben zu uns herabkommt... Dieses Mitleiden schaut mit den Augen der Liebe, Weisheit und stillen Kraft auf die Schlacht und das Ringen, auf Stärke und Schwäche des Menschen, auf seine Tugenden und Sünden, seine Freude und sein Leid, sein Wissen und seine Unwissenheit, seine Weisheit und seine Torheit, sein Streben und sein Versagen. In all das geht dieser Mensch ein, um zu helfen und zu heilen.

    Arjunas Mitleid ist eine Form von Nachgiebigkeit gegen sich selbst. Es ist der körperliche Krampf der Nerven angesichts des Blutbads, das egoistisch emotionale Zurückschrecken seines Herzens vor der Vernichtung der Leute Dhritarashtras, weil diese „sein eigenes Volk" sind; ohne sie wird das Leben leer sein. (59)

    2.2

    Der Erhabene sprach:

    Woher ist diese Niedergeschlagenheit, diese Verfärbung und Verfinsterung deiner Seele in der Stunde der schweren Entscheidung und Gefahr über dich gekommen, O Arjuna? Das ist nicht die Art, die vom arischen Mann hochgehalten wird. Diese Stimmung ist nicht vom Himmel zu dir herniedergekommen, und sie kann dich auch nicht empor zum Himmel tragen. Auf Erden bedeutet sie den Verlust deines Ruhmes.

    Diese Frage weist hin auf die wirkliche Art von Arjunas Abkehr von seinen heldenhaften Eigenschaften. Es gibt ein göttliches Mitleiden, das von oben zu uns herabkommt. Und für den Menschen, der es nicht besitzt und nicht davon geprägt ist, ist es töricht und unverschämt zu behaupten, er sei der höhere Mensch, der Herrenmensch oder der Übermensch. Denn der allein ist der Übermensch, der am meisten die höchste Art der Gottheit in der Menschheit offenbart. Dieses Mitleiden schaut mit den Augen der Liebe, Weisheit und stillen Kraft auf die Schlacht und das Ringen, auf Stärke und Schwäche des Menschen, auf seine Tugenden und Sünden, seine Freude und sein Leid, sein Wissen und seine Unwissenheit, seine Weisheit und seine Torheit, sein Streben und sein Versagen. In all das geht dieser Mensch ein, um zu helfen und zu heilen. Im Heiligen und Menschenfreund mag er sich in das Gewand einer Fülle von Liebe und helfender Güte hüllen; im Denker und Helden nimmt er die Weite und Kraft seiner hilfreichen Weisheit und Stärke an. Dies Mitleiden des arischen Kriegers, die Seele seiner Ritterlichkeit, wird das geknickte Schilf nicht zerbrechen, sondern hilft dem Schwachen und Unterdrückten, dem Verwundeten und Niedergeworfenen und beschützt sie. Aber das göttliche Mitleiden zerschmettert auch den starken Tyrannen und den selbstgewissen Unterdrücker, nicht in Zorn und Hass –, denn das sind nicht die hohen göttlichen Eigenschaften; der Zorn Gottes gegen den Sünder, Gottes Hass gegen den Bösewicht sind die Fabeln halberleuchteter Religionen, ebenso wie die ewige Qual der Höllen eine Fabel ist, die sie erfunden haben –, sondern, wie es die alte indische Spiritualität klar sah, mit ebenso viel Liebe und Mitleiden für den starken Titanen, der durch seine Kraft irrt und wegen seiner Sünden erschlagen wird, wie für die Leidenden und Unterdrückten, die vor seiner Gewalt und Ungerechtigkeit gerettet werden müssen.

    Solcher Art ist aber nicht das Mitleid, das Arjuna zur Zurückweisung seines Werkes und seiner Sendung bestimmt. Das ist kein Mitleid, sondern ein Versagen aller Kräfte voller schwächlichen Selbstmitleids. Er weicht aufgrund des mentalen Leidens zurück, das sein Handeln über ihn bringen muss: „Ich sehe nicht, was den tiefen Kummer von mir wegnehmen wird, der mir die Sinne austrocknet." Von allen Dingen ist es eine der schimpflichsten unarischen Stimmungen, dass man sich selbst bemitleidet. (58-59)

    2.3

    Lass nicht ab von der Männlichkeit des Kriegers und Helden, O Partha! Das passt nicht zu dir. Schüttele diese erbärmliche Schwachherzigkeit ab! Steh auf, Parantapa (du Geißel der Feinde)!

    Arjunas Mitleid ist eine Schwäche seines Mentals und seiner Sinne –, eine Schwäche, die für Menschen von niedrigerem Entwicklungsgrad wohl vorteilhaft sein könnte. Sie müssen schwach sein, da sie sonst hart und grausam wären; denn sie müssen die raueren Formen der egoistischen Empfindungen durch die sanfteren mildern... Dieser Weg ist aber nichts für den entwickelten arischen Mann, der wachsen muss, nicht durch Schwäche, sondern durch ein Emporsteigen von einer Stärke zur anderen. Arjuna ist der göttliche Mensch, der Herrenmensch im Werden. Als solcher ist er von den Göttern erwählt worden. Er muss das ihm übertragene Werk durchführen. Dazu hat er Gott neben sich im Kampfwagen. Er hält den himmlischen Bogen Gandiva in seiner Hand. Er wird mit den Verfechtern der Rechtlosigkeit, den Gegnern der göttlichen Lenkung der Welt konfrontiert. Nicht er selbst hat das Recht zu entscheiden, was er tun oder nicht tun soll, je nach seinen Empfindungen und Leidenschaften. Er darf nicht vor der notwendigen Zerstörung durch den Einwand seines egoistischen Herzens und seiner Vernunft zurückschrecken oder sein Werk ablehnen, weil es Kummer und Leere in sein Leben bringt oder weil sein Ergebnis auf Erden für ihn keinen Wert hat, wenn die Tausende fehlen, die zugrunde gehen müssen. All das ist ein schwächliches Absinken aus seiner höheren Natur. Er darf nur auf sein Werk schauen, das getan werden muss, kartavyam karma, er soll nur den göttlichen Befehl vernehmen, der ihm durch seine Krieger-Natur eingehaucht wird. Sein Gefühl muss allein auf die Welt und das Schicksal der Menschheit gerichtet sein, die ihn als ihren gottgesandten Helfer ruft, ihren Fortschritt zu unterstützen und ihren Weg von den finsteren Armeen zu befreien, die ihn besetzt halten. (59-60)

    2.4

    Arjuna sprach:

    Wie soll ich, O Madhusudana, im Kampfe Bhishma und Drona, die der Verehrung würdig sind, mit Waffen schlagen, O Töter der Feinde?

    2.5

    Es ist mir lieber, in dieser Welt nur von Almosen zu leben, als die Gurus, die hohen Seelen, zu töten. Würde ich diese Gurus erschlagen, schmeckten mir alle Genüsse in dieser Welt nur noch nach Blut.

    2.6

    Auch weiß ich nicht, was für uns besser ist, sie zu besiegen oder von ihnen besiegt zu werden –, denn vor uns stehen die Dhritarashtrier. Haben wir sie getötet, sollten wir nicht mehr weiterleben wollen.

    2.7

    Es ist die Dürftigkeit des Geistes, die mein (wahres heldenhaftes) Wesen so tödlich getroffen hat. Mein ganzes Bewusstsein ist völlig verwirrt in seinem Urteil über Recht und Unrecht. Dich frage ich, was wohl das Bessere ist – sage es mir eindeutig! Wie ein Jünger nehme ich meine Zuflucht zu dir. Erleuchte mich!

    Arjuna ist der Mann der Aktion, nicht des Wissens; er ist Kämpfer, niemals Seher oder Denker. (22)

    In der Gita ist er beispielhaft für die Seele des handelnden Menschen, der durch dieses Handeln in dessen höchster und gewaltsamster Entscheidung vor das Problem des menschlichen Lebens und seiner offensichtlichen Unvereinbarkeit mit dem spirituellen Seelenzustand oder auch nur einem rein ethischen Ideal von Vollkommenheit gestellt wird. (21)

    Diese innere Krise entsteht also nicht aus der Fragestellung des Denkers. Sie ist kein Zurückschrecken vor den äußeren Erscheinungen des Lebens, keine Wendung des Blicks nach innen, um die Wahrheit der Dinge, die wirkliche Bedeutung des Seins zu ergründen und eine Lösung der dunklen Rätsel der Welt zu finden oder ihnen zu entfliehen. Vielmehr ist es das Aufbegehren der Sinne, Gefühle und Moral des Mannes, der bisher mit seinem Handeln und mit dessen gültigen Normen zufrieden war, sich aber nun gerade durch diese in ein furchtbares Chaos geschleudert sieht, da sie miteinander und mit sich selbst in Konflikt liegen. Ihm ist kein fester moralischer Boden übriggeblieben, nichts, woran er sich halten und worauf er seinen Weg ausrichten kann, also kein dharma.1 Das ist für die auf das Handeln gerichtete Seele im mentalen Wesen die schlimmste aller möglichen Krisen: Scheitern und Untergang. Die Auflehnung dagegen ist das an sich zutiefst Elementare und die einfachste Möglichkeit: In seinen Sinnen herrscht das Urgefühl von Schrecken, Mitleid und Abscheu. Im Vitalen ist die Anziehungskraft der anerkannten und vertrauten Ziele und der Glaube an sie verloren gegangen. In den Gefühlen schrecken die gewöhnlichen Empfindungen des Gemeinschaftsmenschen, Anhänglichkeit, Ehrerbietung, das Verlangen nach gemeinsamem Glück und Zufriedenheit zurück vor einer harten Pflicht, die sie alle vergewaltigt. Im Moralischen wehrt sich das elementare Empfinden von Sünde und Hölle dagegen und weist diese „blutbefleckten Freuden" zurück. Praktisch herrscht nur noch das Empfinden, dass die dieser Aktion zugrunde liegenden Normen zu einem Ergebnis führen, das die tatsächlichen Ziele dieser Aktion zerstört. Aus alledem entsteht der totale innere Bankrott, den Arjuna mit den Worten ausdrückt, dass sein ganzes bewusstes Wesen, nicht nur sein Denken, sondern sein Herz, sein vitales Begehren und alles aufs äußerste verstört sind und er nirgendwo mehr das Dharma, nirgends ein gültiges Gesetz für sein Handeln finden kann. Nur um dieses zu erlangen, nimmt er als Schüler seine Zuflucht zu Krishna: Gib mir, so bittet er praktisch, das, was ich verloren habe, ein wahres Gesetz, eine klare Vorschrift für mein Handeln. Zeige mir den Pfad, auf dem ich wieder vertrauensvoll gehen kann! Er bittet nicht um die Enthüllung des Geheimnisses des Lebens oder des Rätsels der Welt. Er fragt nicht nach dem Sinn und Ziel von alledem. Er bittet nur um ein Dharma.

    Der göttliche Lehrer beabsichtigt jedoch, seinen Schüler gerade zu diesem Geheimnis hinzuführen, um dessen Erhellung er nicht bittet, zumindest zu so viel Erkenntnis, wie notwendig ist, um ihn zu einem höheren Leben emporzuheben. Denn er legt ihm nahe, jedes Dharma aufzugeben außer dem einzigen umfassenden Lebensgesetz im weitesten Sinn, nämlich bewusst im Göttlichen zu leben und aus diesem Bewusstsein zu handeln. (25-26)

    Es ist irrig, die Gita vom Standpunkt der heutigen Mentalität aus zu interpretieren und sie zu zwingen, uns die uneigennützige Ausführung der Pflicht als das höchste und völlig ausreichende Gesetz zu lehren. Schon bei kurzer Erwägung der Situation, mit der sich die Gita befasst, werden wir erkennen, dass das nicht ihre Absicht sein kann. Denn das ganze Ereignis, von dem ihre Belehrung ausgeht und das den Schüler zwingt, den Lehrer zu suchen, ist ein unentwirrbarer Konflikt verschiedener miteinander verbundener Pflichtbegriffe, der im Zusammenbruch des ganzen zweckmäßigen intellektuellen und moralischen Gebäudes endet, das vom menschlichen Mental errichtet worden war. Im menschlichen Leben kommt es ziemlich oft zu einem Widerstreit von Pflichten, wie zum Beispiel zwischen der Pflicht gegenüber der Familie und derjenigen gegenüber dem Land oder gegenüber einer Sache, zwischen dem Anspruch des Landes und dem Wohl der Menschheit oder einem umfassenderen religiösen oder moralischen Prinzip. Es mag sogar, wie bei Buddha, eine innere Situation entstehen, in der alle Pflichten aufgegeben, mit Füßen getreten, beiseite geworfen werden müssen, um dem Ruf der Gottheit im Inneren zu folgen. Ich kann mir nicht denken, dass die Gita eine solche innere Situation dadurch lösen würde, dass sie Buddha zu seiner Gattin, seinem Vater und der Regierung des Sakya-Staates zurückschickt; oder dass sie Ramakrishna anweisen würde, Pandit an einer Volksschule zu werden, um kleinen Jungen in selbstloser Hingabe ihre Lektionen beizubringen; oder einen Vivekananda an die niedere Pflicht binden würde, seine Familie zu unterstützen und zu diesem Zweck leidenschaftslos die Gesetzeskunde, Medizin oder Journalistik zu praktizieren. Die Gita lehrt nicht, selbstlos die Pflicht zu erfüllen, sondern dem göttlichen Leben zu folgen. Wir sollen alle Dharmas aufgeben, sarvadharmān, unsere Zuflucht allein zum Erhabenen nehmen. Die göttliche Aktivität eines Buddha, Ramakrishna und Vivekananda steht völlig im Einklang mit dieser Lehre. Ja, obwohl die Gita das Handeln dem Nichthandeln vorzieht, schließt sie nicht den Verzicht auf Wirken aus, sondern akzeptiert ihn als einen der Wege zum Göttlichen. Wenn man dieses allein dadurch erlangen kann, dass man auf Wirken, Leben und alle Pflichten verzichtet und der innere Ruf in uns stark ist, müssen jene alle aufgegeben werden, dagegen hilft nichts. Der Ruf Gottes ist zwingend. Ihm gegenüber haben keine anderen Erwägungen Gewicht. (32-33)

    2.8

    Ich sehe nicht, was mich von diesem Kummer befreien könnte, der mir die Sinne ausdörrt, selbst dann nicht, wenn ich eine reiche und unangefochtene Herrschaft auf Erden oder gar die Hoheitsgewalt der Götter erlangen würde.

    2.9

    Sanjaya sprach:

    Gudakesha, der Schrecken seiner Feinde, der so zu Hrishikesha gesprochen hatte, sagte noch: „Ich will nicht kämpfen!" Dann schwieg er.

    In seiner Antwort an Krishna erkennt Arjuna den Tadel an, auch wenn er dagegen kämpft und den Befehl verweigert. Er ist sich seiner Schwäche bewusst und gibt zu, dass er dieser unterworfen ist. Es ist Dürftigkeit seines Geistes – das erkennt er an –, die seine wahre Heldennatur von ihm genommen hat. Sein Gewissen ist völlig verstört in seiner Anschauung von Recht und Unrecht. Darum nimmt er den göttlichen Freund zu seinem Lehrer. Alle Stützen des Gefühls und Verstandes, mit denen er seinen Gerechtigkeitssinn abgesichert hatte, sind zusammengebrochen. Er kann keinen Befehl annehmen, der nur an seinen alten Standpunkt zu appellieren scheint und ihm keine neue Grundlage zum Handeln gibt. Er versucht immer noch, seine Ablehnung des Werkes zu rechtfertigen, und bringt zu deren Unterstützung die Einwände seines feinnervigen, empfindsamen Wesens vor, das vor dem Blutbad und den folgenden blutbefleckten Genüssen zurückschreckt; die Forderung seines Herzens, das vor dem Schmerz und der Leere des Lebens schaudert, die seinem Handeln folgen; die Normen der üblichen Moralbegriffe, das Entsetzen über die Notwendigkeit, dass er seine Gurus, Bhishma und Drona, erschlagen soll; den Einwand seiner Vernunft, die keine guten, sondern nur böse Folgen aus dem schrecklichen, gewalttätigen Werk kommen sieht, das ihm aufgetragen wird. Er ist entschlossen, nicht auf der alten Grundlage von Denken und Beweggrund zu kämpfen, und erwartet schweigend die Antwort auf seine Einwände, die ihm unwiderlegbar zu sein scheinen. Diese Einwände aus Arjunas egoistischem Wesen versucht Krishna zuerst zu zerstören, um Raum zu schaffen für das höhere Gesetz, das über alle egoistischen Motive zum Handeln hinausgeht. (60)

    2.10

    Zu ihm, O Bharata, der so niedergeschlagen und entmutigt war, sprach nun zwischen den beiden Heeren Hrishikesha. Und es war, als ob er dabei lächelte.

    Die Antwort des Lehrers geht auf zwei verschiedenen Wegen vor: Zuerst eine kurze Antwort, die sich auf die höchsten Ideen der allgemeinen arischen Kultur gründet, in der Arjuna erzogen wurde; sodann eine andere, viel stärker begründete Antwort, deren Grundlage ein mehr inneres Erkennen ist, das in tiefere Wahrheiten unseres Wesens einführt, die der wirkliche Ausgangspunkt der Lehre der Gita sind. Die erste Antwort stützt sich auf die philosophischen und moralischen Auffassungen der vedantischen Philosophie und auf die soziale Idee von Pflicht und Ehre, die die ethische Basis der arischen Gesellschaft bildete. (60-61)

    2.11

    Der Erhabene sprach:

    Du beklagst die, welche man nicht beklagen sollte, und doch redest du Worte der Weisheit. Der erleuchtete Mensch betrauert weder die Lebenden noch die Toten.

    2.12

    Es ist nicht wahr, dass Ich zu irgendeiner Zeit nicht gewesen bin, noch du, noch diese Könige unter den Menschen; und es ist auch nicht wahr, dass einer von uns je aufhören wird, künftig zu sein.

    2.13

    So wie die Seele in diesem Körper durch Kindheit, Jugend und Alter hindurchgeht, so geht sie weiter im Wechseln des Körpers. Der in seinem Selbst ruhende Mensch erlaubt es sich nicht, hierdurch verwirrt und geblendet zu werden.

    Der stille und weise mentale Geist, der dhīra, der Denker, der mit gelassenem Blick das Leben betrachtet und sich nicht durch seine Empfindungen und Gefühle verstören oder blind machen lässt, wird durch materielle Erscheinungen nicht getäuscht. Er erlaubt nicht, dass die Aufruhr seines Blutes, seiner Nerven, seines Herzens sein Urteil trübt oder seiner Erkenntnis widerspricht. Er schaut über die äußerlich erkennbaren Fakten des Lebens, des Körpers und der Sinne hinaus zur wirklichen Tatsache seines Wesens und erhebt sich über die emotionalen und physischen Begehren seiner unwissenden Natur empor zum wahren und einzigen Ziel menschlichen Seins.

    Was ist diese wirkliche Tatsache, dies höchste Ziel? Dies, dass Leben und Tod des Menschen, wiederholt durch die Äonen in den großen Zyklen der Welt, nur ein langes Vorwärtsschreiten sind, durch das sich der Mensch vorbereitet und für die Unsterblichkeit fähig macht. (61)

    2.14

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