Kultiviert kritisieren: Die Kunst zu kritisieren, ohne zu verletzen und zu zerstören
Von Ralf Juhre
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Über dieses E-Book
Ralf Juhre
Ralf Juhre ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung ingenior Training + Consulting GmbH. Seit über 20 Jahren arbeitet der Autor und Unternehmer mit Führungskräften und Geführten in Unternehmen, Non-Profit-Organisationen und Verwaltungen. Als leidenschaftlicher Organisationsentwickler hat er als Berater und Trainer etliche Veränderungsprozesse beratend und auch führend begleitet. Im Mittelpunkt seiner Beratungs-, Trainer- und Rednertätigkeit steht die Re-Spiritualisierung des Unternehmens, nicht die Re-Strukturierung. Ralf Juhre ist verheiratet, Vater von drei Kindern und engagiert sich als Vorsitzender eines gemeinnützigen Vereins in der Familienförderung. Er ist Verfasser mehrerer Managementbücher über Führung und zudem Musiker und Komponist. Der aus der christlichen Anthropologie schöpfende Autor vertritt und lebt einen ethischen Führungsansatz, der Nachhaltigkeit und Werteorientierung in den Vordergrund stellt.
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Buchvorschau
Kultiviert kritisieren - Ralf Juhre
Fußnoten
Einleitung
Immer wieder erlebe ich, dass Kritik eine ganz besonders delikate Angelegenheit des Lebens ist. Nichts ist so schwer, wie Kritik auf eine gute, konstruktive statt zerstörerische oder verletzende Weise zu üben. Genauso schwer ist es, Kritik auf eine ebenso gute Weise auszuhalten und anzunehmen, also mit ihr positiv statt ablehnend, leugnend oder um sich schlagend umzugehen. Doch nur selten gelingt es, Kritik gut zu formulieren und auch gut anzunehmen. Im Gegenteil. Im Zusammenleben und als Trainer stelle ich seit vielen Jahren fest, dass beide Seiten, das Geben und das Nehmen von Kritik für viele, ja vielleicht sogar für die Mehrzahl der Menschen, ein echtes Problem darstellt.
Woran liegt das eigentlich? Warum haben wir Menschen eher mehr als weniger Probleme damit, Kritik zu üben und anzunehmen? Sicher ist es die Angst davor, dass man jemandem wehtun könnte, die dazu führt, Kritik nicht zu üben, selbst wenn sie angebracht ist. Manchmal ist es auch die Angst vor Repressalien, die zu erwarten sind. Dies gilt insbesondere immer dann, wenn entweder Toleranz oder auch Harmonie ein hoher Wert in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft sind. Sind diese beiden oder einer der beiden Werte ganz weit oben auf der Liste der Ideale, dann wird es ganz grundsätzlich schwerfallen, Kritik als etwas Positives einordnen zu können. Kritik wird bei überbordender Toleranz und bei überbordender Harmonie als etwas tendenziell Negatives, manchmal sogar als von Grunde auf Böses begriffen. Solche Gemeinschaften oder Gesellschaften laufen Gefahr, sich zu verrennen, da kein angemessen notwendiges Korrekturniveau existiert.
Folgendes beobachte ich in meinem privaten und beruflichen Umfeld: Bei einigen Menschen fehlt gänzlich die Fähigkeit, für Kritik offen zu sein. Nur einige wenige Menschen suchen Kritik offen und aktiv. Es ist zu beobachten, dass diese Suchenden sich deutlich schneller entwickeln. Die Mehrzahl der Mitmenschen übt und empfängt Kritik nicht gerade gerne. Sie sind im „Wenn es denn sein muss"-Modus, das ist aber auch schon alles. Ursachen der eigenen Kritikfähigkeit in beide Richtungen sind ganz sicher Ängste. Es ist die Angst, dass etwas dran sein könnte an der Kritik und dass ich mich selbst nicht mehr mögen könnte, wenn ich, der Kritik mein Ohr öffnend, Dinge an mir entdecke, die unansehnlich sind. Es ist die Angst, durch Kritik zum Außenseiter zu werden, nicht mehr dazuzugehören, wenn man etwas sagt, was zwar richtig ist, jedoch nicht gerne gehört werden wird. Und es ist sicher auch die Angst davor, nicht die richtigen Worte zu finden.
Was wäre, wenn Kritik nicht nur wichtig, sondern sogar notwendig wäre im Leben? Was wäre, wenn wir ohne Kritik zu geben und zu empfangen keine Chance auf Weiterentwicklung hätten und damit unweigerlich innerlich stehenbleiben müssten? Was wäre, wenn Organisationen und Unternehmen, Kirchen und Gemeinden, Werke und Einrichtungen sowie wir Menschen Kritik benötigen wie die Luft zum Atmen, damit wir zudem werden können, was wir sein sollen und unsere Berufung entdecken und leben können? Wir leben in einer Zeit, die ich als vom „Fundamentalismus der Toleranz" geprägt bezeichne. Toleranz ist das höchste Prinzip, es ist gesellschaftlich wichtiger als das Leben. Ein Verstoß gegen die Toleranz ist weniger verzeihlich als alles andere. Inwiefern kann sich unter dieser Prämisse des Fundamentalismus der Toleranz eine gesunde Kritikkultur bei uns selbst und in unseren gesellschaftlichen Einheiten (Unternehmen, Organisationen) einstellen? Vielleicht brauchen wir ja ein neues Kritikverständnis für uns selbst und für unsere Gesellschaft. Ein neues Verständnis von konstruktiver Kritik im Geben und im Empfangen. Mit