La grande Bleue: Paris Oran Alger 1962 - 1966
Von Helga Hutterer
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La grande Bleue - Helga Hutterer
sagen.
PARIS – ORAN
LA GRANDE BLEUE
Am 14. Mai 1962, einem verregneten, tristen Tag, hat Hannah in Paris am Flughafen Orly ihre Reisetasche für den Flug nach Oran aufgegeben. Im Flieger sitzen außer ihr nur wenige Reisende, mehr Araber als Franzosen. Als sie den Sicherheitsgurt einrasten lässt und die Motoren starten, drehen sich ihre Gedanken immer wieder um ein und dieselbe Frage. Warum nur hat sie sich plötzlich entschlossen, nach Oran zu fliegen, in ein fremdes Land, in dem Krieg herrscht? René hat sie dazu nicht gezwungen, auch nicht gedrängt. Die Entscheidung, ihm zu folgen, hat sie ganz alleine getroffen. Später, nach der Landung im Ankunftssektor von Oran, bewegt sie sich in einer kleinen Gruppe Passagiere neben zwei verschleierten Frauen und einigen gepflegten, erkennbar wohlhabenden Arabern zur Passkontrolle. Sie trägt Jeans und T-Shirt, erregt Aufsehen, so ist hier offenbar keine Frau gekleidet. Bewaffnete Soldaten mustern sie aufdringlich, pfeifen ihr hinterher. Ohne zu reagieren, läuft sie an ihnen vorbei, stellt ihre Reisetasche ab, schiebt dem Beamten ihren Pass und die Einreisegenehmigung hin. Erst nach sorgfältiger Prüfung und eindringlichem Blickkontakt gibt der Beamte die Papiere zurück:
„Bonne chance, Mademoiselle."
In der Halle hängt ein ungewohnt beißender Geruch, möglicherweise Haschisch, denkt sie, zusammen mit einem starken Abfallgeruch eine seltsame Mischung. Sie weiß, eine fremde Welt erwartet sie hier, voll unbekannter Gerüche und Geräusche, mit bewaffneten Männern, neugierigen und abschätzigen Blicken. Doch sie will sich nicht einschüchtern lassen. Vor seiner Abreise nach Oran hatte René ihr den Kampf um die Unabhängigkeit Algeriens zwischen den dort lebenden Franzosen und Arabern erklärt. „Die einen kämpfen um ihre Freiheit und Unabhängigkeit, die anderen um die Daseinsberechtigung in einem Land, das ihnen seit Generationen Heimat ist", hatte er gesagt. Alles war Theorie, jetzt ist sie hier und wird diese Realität selbst erleben.
Ob sie der Situation gewachsen sein wird, fragt sie sich, als sie Richtung Ausgang den Abflugssektor passiert, der brechend voll ist mit Europäern, die Oran verlassen wollen. Tage oder Wochen scheinen die Menschen hier schon zu kampieren, um einen Platz im Flugzeug zu ergattern, das sie von hier wegbringen soll, nach Frankreich oder Spanien, irgendwohin, nur raus aus diesem Land. Polizisten und Soldaten mit Maschinengewehren versuchen, Ordnung in das Chaos zu bringen. Zwischen verstreuten Gepäckstücken, Abfall, Zigarettenstummeln und verdorbenen Essensresten schlafen Kinder in den Armen ihrer müden Mütter, die sich an ihre Männer lehnen. Die meisten lagern auf dem Boden, auf den Sitzbänken ist kein Platz mehr. Es ist drückend heiß, stinkt nach Schweiß und Abfall, aber keiner wagt es, seinen Platz zu verlassen und ins Freie zu gehen – voller Angst, Neuankömmlinge könnten die bis jetzt gesicherte Position besetzen. Ein kleines Mädchen mit einem Teddybär weint, ruft nach seiner Mutter, irrt zwischen den liegenden Menschen umher. Die Atmosphäre hier ist erschreckend, auch die Situation der Wartenden, die vor den Toiletten Schlange stehen. Nur ein Araber ist zu sehen, er verkauft Thé à la Menthe, Couscous in Plastikschälchen und Mineralwasser. Die meisten Europäer dulden ihn, einige aber beschimpfen ihn laut als Verräter, der ihnen ihre Heimat wegnehmen will.
Fast schafft sie es nicht, aus dem Flughafengebäude herauszukommen, verzweifelt hereindrängende Menschen erdrücken sie beinahe. Vergeblich sucht sie im Gewühl vor dem Eingang nach René, die Sonne blendet, sie wühlt ihre Sonnenbrille aus der Reisetasche, setzt sie auf, blickt um sich, wartet, hält weiter Ausschau nach René – er ist doch nicht zu übersehen. Die zwei verschleierten muslimischen Frauen drängeln sich eilig an ihr vorbei zu einem Auto, steigen ein. Bewaffnete Soldaten und Gendarmerie halten die ankommenden, mit Koffern und Schachteln beladenen Menschen in Schach. Sie müssen sich hier draußen gedulden, bis in der Flughalle Platz frei wird. Unschlüssig steht Hannah zwischen den aufgeregten Menschen vor dem Flughafengebäude, wird hin- und hergeschoben. Erneute Pfeifkonzerte machen sie nervös. Bei ihrem letzten Telefongespräch hatte René ihr den Namen des Hotels genannt, in dem ein Zimmer für sie reserviert ist. Noch länger kann sie hier nicht bleiben.
Am Taxistand schräg gegenüber ist nur ein einziges verbeultes Taxi zu sehen. Neben der geöffneten Tür steht rauchend ein arabischer Chauffeur. Als sie auf ihn zuläuft, drückt er schnell die Zigarette aus, nimmt ihr die Reisetasche ab, verstaut sie im Kofferraum. Während sie einsteigt, setzt er sich ans Steuer. „Ins Grand Hotel bitte!" Ganz selbstverständlich kommt ihr die Adresse über die Lippen, so als würde sie in Paris ein bekanntes Hotel nennen. Der Chauffeur dreht sich zu ihr um, mustert sie nachdenklich, dann erklärt er ihr gestenreich in korrektem Französisch, aber mit stark arabischem Akzent, diese Fahrt werde teuer, denn ein Araber riskiere sein Leben, wenn er sich dorthin, in die Hochburg der OAS, wagt. Sie reicht ihm einen Hundertfrancschein, er lächelt nur kurz, steckt das Geld schnell in seine Hosentasche, legt den ersten Gang ein und fährt zügig los.
Durch das ruckartige Anfahren wird sie in den Rücksitz gepresst, gerade noch kann sie verhindern, dass ihr Kopf nach hinten fliegt. Ein süßlicher Geruch im Taxi macht sie fast schwindlig.
Das Taxi rast eine Landstraße entlang. Geschickt kurvt der Chauffeur um die größten Schlaglöcher herum, lacht dabei, beobachtet im Rückspiegel, wie sie hin- und hergeworfen wird. Sie will sich nichts anmerken lassen, weicht seinem Blick aus, hält sich an der Tür fest und blickt aus dem Fenster, bestaunt die Palmen, das weiter entfernt blau glitzernde Meer, die Dächer weiß getünchter flacher Häuser zwischen den grünen Palmen, einen jungen Araber, der mit seinem vollgepackten Esel die Straße vor ihnen überqueren will. Plötzlich steht der Esel mitten auf der Straße still, weigert sich, weiter zu laufen, obwohl der Junge heftig auf ihn einschlägt. Dem Chauffeur bleibt nur die Vollbremsung, knapp vor den beiden kommt der Wagen zum Stehen. Immer noch bewegt der Esel sich nicht vom Fleck, auch nicht, als er wütend angehupt wird. Laut schimpfend steigt der Chauffeur aus, geht auf die beiden los, der Junge beachtet ihn nicht, nur Hannah sieht er mit seinen dunklen Augen neugierig an, während der Chauffeur vergeblich versucht, den Esel von der Straße wegzuziehen. Sie starrt zurück, die Vollbremsung hat ihren Magen kurz in Aufruhr gebracht, wie gut, dass die letzte Mahlzeit schon so lange her ist. Schließlich reißt der Chauffeur den Jungen aus seinen Träumereien, schüttelt ihn heftig, schreit ihn an, bis er sich wieder seinem Esel zuwendet. Gemeinsam schieben die beiden das widerstrebende Tier an den Straßenrand. Sie können weiterfahren, erreichen bald schon die ersten Häuser der Außenbezirke von Oran, wo nur Araber zu leben scheinen. Hannah sieht bunt gekleidete Frauen mit Schleier, Kopftuch oder offenen Haaren, Männer in einer Art Tunika, eigentümlichen hinten lang herunterhängenden Hosen, andere mit Hemd und Hosen, einige auch in Anzügen, dazwischen Kinder und Hunde, Eselskarren, Fahrräder und Autos. Obwohl der Verkehr von niemandem geregelt wird, verläuft alles geordnet, ohne Hektik.
An einem französischen Kontrollposten werden sie angehalten. Die Soldaten kontrollieren die Papiere des Chauffeurs, haben daran nichts auszusetzen. Hannahs deutscher Pass überrascht sie jedoch:
„Warum kommt denn eine Deutsche jetzt nach Oran?" Sie will sich auf keine Diskussionen einlassen, tut so, als habe sie die Kommentare nicht verstanden. Die Posten fragen nicht weiter nach, lassen das Taxi passieren. Jetzt nähern sie sich der Innenstadt, das Straßenbild ändert sich, es ist, als ob sie in eine völlig andere Welt eintauchen. Straßen und Gassen wirken so wie in Paris oder Marseille, nur die Gerüche bleiben fremd und ungewohnt. Sicherlich sind diese beeindruckenden Gebäude, Monumente und Plätze historisch bedeutsam, Hannah kann sie aber keiner bestimmten Epoche zuordnen.
Die Place de la Bastille, in die sie schließlich einfahren, scheint ihr beherrscht vom Charme des etwas abgewirtschafteten fünfstöckigen Grand Hotels, mit heller Fassade, kleinen schmiedeeisernen Balkonen, einem vom roten Baldachin überdachten Eingang mit Palmen und Oleanderbüschen.
Vor dem Grand Hotel stoppt der Fahrer das Taxi, springt nervös hinaus mit gehetztem Blick auf eine Gruppe rauchender, europäischer Männer, die auf etwas zu warten scheinen. Schnell holt er die Reisetasche aus dem Kofferraum, stellt sie auf die Straße, drängt Hannah, sofort auszusteigen:
„Beeilen Sie sich, Madame!" Als sie sich bückt, um die Tasche aufzuheben, rast das Taxi schon davon. Beinahe stößt sie mit einem Passanten zusammen, der eilig den Platz überqueren will. Plötzlich fallen Schüsse. Eine Kugel pfeift nahe an ihrem Kopf vorbei. Neben ihr bricht der Mann zusammen, die Männergruppe stiebt auseinander, ist wie vom Erdboden verschwunden. Voller Panik will sie wegrennen, da ist jemand hinter ihr, fasst sie um die Schultern, sie hört eine beruhigende Stimme:
„Nicht laufen! Ruhig weitergehen!"
Sie dreht sich um, blickt in beruhigend dunkle Augen, fasst sich, befolgt den Rat. Ob sie zum Hotel möchte? Sie nickt, er nimmt ihr die Tasche ab, bringt sie zum Hoteleingang. Nur ein kurzes „Merci" kann sie hervorbringen, da ist er schon um die Ecke gebogen. Noch einmal blickt sie zurück auf den Platz, wo eine reglose Gestalt am Boden liegt. Alles ist still.
Entschlossen betritt sie das nicht sehr belebte Hotelfoyer. Die wenigen Gäste müssen die Schüsse gehört haben, lesen ungerührt weiter ihre Zeitung, trinken entweder Anisette oder Thé à la Menthe. Eine junge Frau an der Rezeption betrachtet sie mit erstauntem, aber freundlichem Blick. Auch sie scheint nicht weiter beunruhigt über die Schüsse vor dem Hotel, eher verwundert darüber, dieses blonde Mädchen ohne männliche Begleitung hier eintreten zu sehen. Hannah erkundigt sich bei ihr, ob ein Zimmer auf ihren Namen reserviert sei. Die Frau kontrolliert ihre Liste, nimmt den Zimmerschlüssel, überreicht ihn:
„Willkommen im Grand Hotel, Madmoiselle Fuchs. Sie sind die erste deutsche Journalistin bei uns."
Wieso Journalistin? Ach ja, René hat davon gesprochen. Wo mag er nur stecken? Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Es muss einen triftigen Grund geben, warum er auch hier nicht auf sie wartet. Sie will zum Fahrstuhl gehen, wird beinahe von zwei Kindern umgerannt, die sich um einen Fotoapparat streiten.
„Josette, Jean! Hört sofort auf!"
Die Frau an der Rezeption ermahnt die beiden, kann sie aber nicht vom Spielen und Streiten abhalten. Das etwas ältere Mädchen entreißt dem Jungen den Apparat, befiehlt ihm mit energischer Stimme, sich in Positur zu stellen. Hannah muss lächeln, so wie die Frau an der Rezeption. Bevor sich die Fahrstuhltür hinter ihr schließt, winkt sie der Rezeptionistin noch einmal zu.
Das Hotelzimmer, ein mittelgroßer, gemütlich eingerichteter Raum mit Bad, Bidet und WC, ist angenehm kühl und dunkel. Am Waschbecken liegt Seife, auch saubere Handtücher sind da. Sie wäscht sich die Hände, zieht die Schuhe aus, wirft sie in eine Ecke. Ob draußen vor dem Hotel immer noch der erschossene Mann liegt? Als sie kurz die Läden öffnet, strahlt die Sonne unerbittlich herein und blendet sie. Lieber nicht selbst zum Ziel werden, überlegt sie und verdunkelt den Raum sofort wieder, holt ein Kofferradio aus der Reisetasche, schließt es an. Nur ein grässliches Rauschen ist zu hören. Nach vergeblichem Hin- und Hersuchen schaltet sie aus, zündet sich eine Zigarette an, legt sich aufs Bett und versucht, Rauchkringel in die Luft zu blasen. War es richtig, nach Oran zu fliegen, René nachzureisen? Wäre es nicht konsequenter und mutiger gewesen, nach Deutschland zurückzukehren und ihr Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen, sich dort ihre eigenen Aufgaben zu suchen? Viele Fragen gehen ihr durch den Kopf. Fünf Jahre lang konnte sie durch die Unterstützung von René in Paris leben. Jetzt hat er dieses Amt in Algerien übernommen. Was wird sie hier machen können? Das Telefon klingelt, lässt sie hochschrecken, es gibt tatsächlich in diesem Land Telekommunikation. Die Stimme der Frau von der Rezeption ist ihr schon vertraut. Sie teilt ihr mit, dass ein Mister Skandy in der Halle auf sie wartet. Ob René den Mann geschickt hat?
Als sie aus dem Aufzug tritt, entdeckt sie einen großen blonden Amerikaner, der gerade den beiden Kindern erklärt, wie der Fotoapparat funktioniert. Um seinen Hals hängt ein neuer Apparat, der die Kinder viel mehr interessiert als ihr eigener. Der Amerikaner hat Hannah sofort bemerkt, beschäftigt sich noch kurz mit den Kindern, kommt dann auf sie zu, nimmt sie zur Seite, stellt sich leise als Tom Skandy vor, amerikanischer Journalist und Freund von René Soyer.
„René? Wo ist er denn? Am Flughafen habe ich auf ihn gewartet. Können Sie mich zu ihm bringen?"
„Sie wissen ja, die Situation ist extrem kompliziert, hier kann ich ihnen keine Einzelheiten erzählen. Kommen Sie einfach mit, er wird Ihnen sicher alles genau erklären."
Gerne würde sie genauere Informationen haben, bevor sie ihm folgt, es scheint ihr aber unangebracht, diesen fremden Mann hier weiter auszufragen. Als sie kurz darauf an seiner Seite über die Place de la Bastille läuft, wirkt alles ruhig. Einige Bistros sind mit Europäern besetzt, die ruhig vor ihren Getränken sitzen, so als wäre nie etwas geschehen. Hannah geht schweigend, vor allem darum bemüht, mit dem großgewachsenen amerikanischen Journalisten Schritt zu halten. In einer Seitengasse eilt ihnen eine verschleierte Muslimin entgegen. Skandy fasst Hannah am Arm und hält sie zurück. In diesem Augenblick kommt ein junger Europäer aus einem Haustor, geht auf die Muslimin zu, die zu laufen beginnt. Mit ein paar Schritten ist der Junge neben ihr, zieht eine Pistole aus seinem Hosenbund, packt die Frau an den Schultern, hält ihr die Pistole an die Schläfe. Die Frau schreit auf, er drückt ab, ihr Schrei erstickt, sie bricht zusammen. Blut und Gehirnmasse spritzen auf ihr helles Gewand und das Trottoir. Der Junge verschwindet um die nächste Ecke. In den Häusern bleibt alles still, niemand lässt sich blicken. Tom Skandy nimmt seinen Fotoapparat, fotografiert das Opfer.
„Sicher eine Hausangestellte bei Europäern. Keine andere Muslimin hätte sich im Moment freiwillig in die Innenstadt gewagt."
Hannah blickt auf die Leiche, auf den Journalisten, der diese Gräueltat offenbar ungerührt ablichtet. Beim Anblick des zerfetzten Gehirns muss sie würgen, dreht sich zur Seite, um sich zu übergeben. Wortlos reicht er ihr ein Taschentuch, zieht sie fort von dem schrecklichen Ort. Wie betäubt versucht sie nur, weiter mit ihm Schritt zu halten.
Auf so etwas war sie nicht vorbereitet. Die Kugeln hätten auch sie treffen können. Dieser Amerikaner, kann sie ihm vertrauen, bringt er sie zu René, ist er tatsächlich Journalist? Als würde er ihre Gedanken erraten, nimmt er sie beruhigend am Arm:
„Sie als Europäerin müssen hier keine Angst haben."
Er biegt von der Straße ab, geht mit ihr über steile, unebene Abkürzungen hinauf bis zu einem höher gelegenen, abgezäunten Hochhaus. Von den französischen Militärposten hier wird Skandy freundlich begrüßt. Hannah, neben ihm, halten sie wohl auch für eine Journalistin, sie gefällt ihnen, darf ohne Kontrolle passieren. Wie eine schwarze Ruine erscheint ihr das bewachte Verwaltungsgebäude im Inneren, auf den Treppenstufen häuft sich Schutt, die Wände sind übersät mit Einschussspuren.
„Das hier sind die Reste von Plastiksprengstoff", hört sie Skandy neben sich. Sie versucht, ihre Unsicherheit zu überspielen, eilt entschlossen auf die zwei Fahrstühle zu und drückt auf den Aufwärtsknopf.
„Da können Sie lange drücken! Die funktionieren nicht. Treppensteigen ist auch viel gesünder!"
Skandy scheint sich über ihre Naivität zu amüsieren. Sie nimmt zwei Stufen auf einmal, ist sofort im ersten Stock.
„Wie hoch müssen wir denn?"
Skandy, der ihr ganz gemächlich folgt, ruft von weiter unten: „Bis in den vierzehnten Stock!"
Wie schafft René das bloß mit seinem Übergewicht, fragt sie sich, läuft weiter die Treppen hinauf, bis sie völlig außer Atem ist. Skandy hat sie weit hinter sich gelassen, er ist nicht in Sicht. An einer Tür steht „Toilettes", sie geht hinein. Hier ist schon sehr lange nicht mehr sauber gemacht worden. Sie dreht den Wasserhahn auf, kein Wasser. Wieder zurück im Flur muss sie immer noch auf Skandy warten. Ein Stockwerk unter ihr erklimmt er langsam und bedächtig Stufe für Stufe.
„René würde sicher ein Büro im Erdgeschoss vorziehen. Aber das ist viel zu gefährlich und wird von der Verwaltung nicht erlaubt", erklärt er gelassen, als er sie schließlich eingeholt hat. Gemeinsam steigen sie weiter hoch bis in den vierzehnten Stock.
Oben ist Betrieb, sie hört Stimmen, einige Bürotüren stehen offen, Angestellte gehen mit Akten über den Flur, betrachten sie neugierig, grüßen Skandy, der schließlich am Ende des Gangs vor einer Tür stehenbleibt, klopft, die Tür öffnet. Er betritt den Raum vor Hannah, die an ihm vorbei sofort Renés typische Unordnung erkennt, geöffnete Aktenordner, Zeitungen, herumliegende Bücher, überquellende Aschenbecher. René sitzt an seinem Schreibtisch, telefoniert. Für einen Moment wirkt er beunruhigt, entspannt sich aber, als er sie hinter Skandy entdeckt. Schnell beendet er sein Telefonat, springt auf, läuft auf die beiden zu, um sie zu begrüßen. Skandy verabschiedet sich mit einigen wenigen Worten, ist sofort verschwunden,