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Als Arzt in Urwald und Gebirge: Lebensrückblicke zwischen Entwicklungshilfe und Migration
Als Arzt in Urwald und Gebirge: Lebensrückblicke zwischen Entwicklungshilfe und Migration
Als Arzt in Urwald und Gebirge: Lebensrückblicke zwischen Entwicklungshilfe und Migration
eBook360 Seiten4 Stunden

Als Arzt in Urwald und Gebirge: Lebensrückblicke zwischen Entwicklungshilfe und Migration

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Über dieses E-Book

"Als Arzt, Chirurg und Entwicklungshelfer in Lambaréné, Peru, Zaire und Äthiopien – ein Leben als Abenteuer!"

Das Dr. Albert Schweitzer-Krankenhaus in Lambaréné ist weltberühmt. Dass ein Schweizer Arzt dort leitend tätig war, wissen Wenige. Dr. Andreas Steiners Herz schlägt für die medizinische Tätigkeit in Ländern, die nicht auf modernste Technik zählen können, sondern wo der Arzt ein mutiger Alleskönner sein muss.

Sein tiefstes Anliegen ist die Entwicklungshilfe, aber im Sinne von gegenseitiger Entwicklung, nicht das Aufpfropfen fremder Kulturen, sondern ein Lernen vom anderen und ein Unterstützen darin, sich selbst zu helfen. Drei Jahrzehnte Erfahrung in Asien, Lateinamerika und Afrika hat der Chirurg in seinem Buch festgehalten. Er schildert anschaulich den Alltag in diesen Ländern und fügt zahlreiche Anekdoten und Beobachtungen ein. Ein Plädoyer für Menschlichkeit, für Menschenwürde und die Liebe zu einem Beruf, der wie kein anderer dazu dient, Leid aller Art zu lindern.
SpracheDeutsch
HerausgeberMünster Verlag
Erscheinungsdatum2. Nov. 2018
ISBN9783907146170
Als Arzt in Urwald und Gebirge: Lebensrückblicke zwischen Entwicklungshilfe und Migration
Autor

Andreas Steiner

Andreas Steiner wurde 1964 in Köln geboren. Er studierte Psychologie (Diplom) und Musik-, und Theater-, Film- Fernsehwissenschaft (M.A.). Schon als Student gewann er mehrere Auszeichnungen als Illustrator und Karikaturist. Nach dem Studium wurde er Psychotherapeut und betreibt eine eigene kassenzugelassene Praxis in Köln, sowie ein eigenes Lehrinstitut für Psychotherapeuten. In seinen Spezialgebieten klinische Hypnose und systemische Therapie bildet er Therapeuten professionell aus. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der politischen Psychologie, insbesondere der Psychodynamik des Nationalsozialismus und der Genese der pathologischen Persönlichkeiten des Dritten Reiches. Andreas Steiner ist in mehreren Fernseh-Dokus als wissenschaftlicher Experte zu sehen. Bibliographie: „Die schlafende Stadt“ – Roman (Steinmeier, 2011) „Die Kunst der Familienaufstellung“ – Fachbuch (Kohlhammer 2019) „Alles Schicksal? Wie wir Familienmuster überwinden“ – Sachbuch (Herder 2020) „Das Dunkel aus der Zeit“ – Roman (BoD 2022) Filmographie: „Helden der Propanganda“ ZDF-Info-Doku (2017), 45 Min. „Geschichte Mitteldeutschlands: Emmy Göring – die First Lady der Nazis“ MDR-Doku (2015), 45 Min. „Geschichte Mitteldeutschlands: Hitlers williger Vollstrecker -Roland Freisler“ MDR-Doku (2014), 45 Min. „Angst“ – TV-Interview in NRW-TV (2012), 60 Min.

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    Buchvorschau

    Als Arzt in Urwald und Gebirge - Andreas Steiner

    Andreas Steiner

    Als Arzt in Urwald

    und Gebirge

    Lebensrückblicke zwischen

    Entwicklungshilfe und Migration

    Für wertvolle Anregungen und Hilfe danke ich Herrn Manu Gehriger und Herrn Prof. Dr. Rolf Tarot.

    Impressum

    © Münster Verlag Basel 2017

    Alle Rechte vorbehalten.

    Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.

    ISBN 978-3-905896-71-8

    eISBN 978-3-907146-17-0

    Dieses Buch ist meiner lieben Frau

    Cécile Tshabu Steiner-Mbombo gewidmet.

    Inhalt

    Geleitwort

    1.Einführung

    2.Frühe Neigung

    3.Im jemenitischen Bürgerkrieg

    4.In den Urwald nach Lambarene

    5.Arzt in den Anden

    6.Manono, Zaire:

    Gute primäre Gesundheitsversorgung

    7.Gesundheitshilfe im entfernten Dorf

    8.Wahre Geschichten aus Afrika

    a. Der Muzungu

    b. Brautpreis

    c. Der methodistische Missionar

    d. Grossvater Joachim

    e. Einweihung in Kalole

    f. Apollonia

    g. Der Tod des Professors

    9.Wundersame Geschichten aus Afrika

    a. Beschwörungen, Hexen, Geister

    b. Der Muganga

    c. Das Kind des Apostolo

    d. Das Krokodil

    e. Die Boa

    10.Gonder, Äthiopien

    a. Von Bahar Dar nach Gonder

    b. Blutrache

    c. Völker im Süden Äthiopiens

    11.Was bezweckt die Entwicklungshilfe?

    12.Was ist das Gute an der Zusammenarbeit?

    13.Das Ende meiner ärztlichen Tätigkeit

    Geleitwort

    Ähnlich wie andere aktuelle aussenpolitische Themen wird auch das Für und Wider von Entwicklungshilfe äusserst kontrovers diskutiert. Da sind einerseits die Bilder von rotbraunen Staubfahnen, die von vertrockneten Feldern aufsteigen und vor denen Kinder mit Hungerbäuchen stehen. Von überbevölkerten Slums, die wie Krebsgeschwüre in den urbanen Zentren in den Ländern des globalen Südens wuchern und in denen noch nicht einmal ein Mindestmass an Hygiene und Gesundheitsversorgung gegeben ist. Medizinische Katastrophen scheinen in diesem Umfeld an der Tagesordnung. Man denke nur an die Ebola-Epidemie in Westafrika in 2015 und die ungehemmte Ausbreitung des Zikavirus in Südamerika im letzten Jahr.

    Bilder von hungernden Kindern und unkontrollierbaren Seuchen rufen – quasi reflexartig – nach einer Intensivierung von Entwicklungshilfe: mithin noch mehr Projekte, mehr Geld und mehr Experten. Und alles natürlich «optimal an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst und nachhaltig», wie es Entwicklungshilfepolitiker unisono formulieren. Aktuell wird die Entwicklungshilfe sogar als ein Allheilmittel zur Unterbindung von globalen Migrationsbewegungen betrachtet.

    Gleichzeitig mehren sich die Stimmen unterschiedlicher Provenienz, die Entwicklungshilfe nach dem etablierten Schema im besten Fall für ein Fass ohne Boden halten. So wies der Träger des alternativen Nobelpreises, Professor Muhammed Yunus, aus Bangladesch darauf hin, dass sein Land in den letzten drei Jahrzehnten 30 Milliarden Dollar Entwicklungshilfegelder erhalten habe mit dem Resultat, dass Armut heute weiter verbreitet und tiefer verankert sei als zuvor.

    Bei der häufig ideologisch gefärbten Diskussion um das Wie und Wozu von Entwicklungshilfe werden selten jene befragt, die als Analphabeten, Tagelöhner auf Zuckerrohrplantagen oder als Bewohner eines Slums von den inakzeptablen Lebensverhältnissen direkt und persönlich betroffen sind. Da ist es an der Zeit, dass sich jemand zu Wort meldet, der Nöte und Sorgen, Wünsche und Visionen von Menschen in der Dritten Welt über ein komplettes Berufsleben hautnah kennengelernt und miterlebt hat, wie der Schweizer Arzt Dr. Andreas Steiner.

    Das Buch «Als Arzt in Urwald und Gebirge» ist in erster Linie eine Sammlung persönlicher Erfahrungen in drei Jahrzehnten medizinischer Tätigkeit in Asien, Lateinamerika und Afrika. Der Autor arbeitete als Chirurg, als Krankenhausdirektor und als Gesundheitsplaner in entlegenen Gegenden, davon dreieinhalb Jahre als ärztlicher Leiter des Albert-Schweitzer-Krankenhauses in Gabun.

    Polyglott und philosophisch gebildet, im Operationssaal genauso zu Hause wie in einer strohgedeckten Lehmhütte, gewährt uns Dr. Steiner einen Blick hinter jene Kulissen, die in Spendenflyern und Rechenschaftsberichten von Entwicklungshilfe-Organisationen immer nur von vorne gezeigt werden. Die täglichen Schwierigkeiten eines Leiters eines Buschkrankenhauses bei der adäquaten Versorgung der Patienten werden genauso anschaulich geschildert wie die Ignoranz der Spendenverwalter, die nur zu gern medizinische High-Tech-Geräte liefern, die alsbald im hohen Gras hinter der Klinik verrotten und die Arroganz hoch bezahlter Experten, die Entwicklung im Gesundheitsbereich an der Zahl installierter Klosettbrillen messen.

    Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle der traditionellen Medizin und dem Verständnis von Krankheit in Abhängigkeit von der kulturellen Identität. Wie ein Medizinmann mit unkonventionellen Methoden den Diebstahl von Medikamenten im Krankenhaus aufklärt, ist eine besonders gelungene Geschichte.

    Das zentrale Thema des Buches aber bleibt die Frage nach dem Wesen der Entwicklungshilfe. Dr. Steiner macht klar: Nicht Konfrontation und Abschottung, sondern nur Verständnis und Akzeptanz machen medizinische Entwicklungshilfe möglich und sinnvoll. Auf der persönlichen Ebene bedeutet das, wer anderen bei ihrer Entwicklung helfen will, muss bereit sein, sich auch selbst zu entwickeln. Entwicklungshilfe wird somit eine Herausforderung für den, der Entwicklung in Gang setzen soll. Nur wer andere Menschen und Kulturen so akzeptiert, wie sie sind, und Vertrauen in die genuinen Fähigkeiten von Menschen besitzt, die vielleicht nie eine Schule besucht haben, kann eine Dynamik in Gang setzen, die die Bezeichnung Entwicklung verdient. Alles andere – das belegt Dr. Steiner an zahlreichen Beispielen – bleibt Bevormundung und Aufoktroyieren von Dogmen und verhindert bleibende positive Veränderungen.

    Prof. Dr. med. Hermann Feldmeier

    1. Einführung

    Heute beobachten wir eine zusehends grösser werdende Fluchtbewegung in die europäischen Länder. Die Flüchtlinge stammen aus Weltgegenden, die wir, ohne viel zu nachzudenken, als ‹unterentwickelt› bezeichnen. Die Bewegung hat das Ausmass einer Völkerwanderung angenommen, wie wir sie aus der Geschichte des späten Altertums und frühen Mittelalters kennen. Haben sich anfänglich unsere Regierungen und Verwaltungen verpflichtet gefühlt, die verarmten und halb verhungerten Menschen wohlwollend aufzunehmen, wird die immer grösser werdende Zahl der Flüchtlinge zusehends zu einem räumlichen, zwischenmenschlichen und logistischen Problem. Unsere christlich motivierte Hilfsbereitschaft fühlt sich überfordert, im Volk regt sich Widerstand. Parteien der extremen Rechten, die unsere Grenzen schliessen und die Übertritte von mittellosen Menschen mit Gewalt verhindern möchten, bekommen Zulauf.

    Grundsätzlich müssen wir zwischen zwei Gruppen von Flüchtlingen unterscheiden: Es sind einerseits Menschen, die vor einem Krieg flüchten, der das Weiterleben in ihrem Dorf oder in ihrer Stadt unmöglich macht. Anderseits sind es Menschen, deren Lebensbedingungen auch ohne Krieg derart schwierig geworden sind, dass sie sich kaum mehr ernähren und eine sichere Unterkunft finden, geschweige denn eine höhere Bildung erreichen können. Dazu gehören intelligente Leute, die trotz Veranlagung, Wille und Fleiss keine Möglichkeit sehen, sich selbst und ihre Familie sozial abzusichern.

    Jedes Übel muss an der Wurzel angegangen werden. Wenn wir in Europa verhindern wollen, dass unsere Länder von immer grösseren Zahlen von Flüchtlingen überschwemmt werden, muss unsere Hilfe vorerst lebensrettend mit Ernährung, Kleidung, Behausung einsetzen. Katastrophenhilfe ist eine Frage von Organisation und Finanzen, für die in der UNO und in den einzelnen Ländern gut ausgebildete Leute bereitstehen und auch Material vorhanden ist. Darüber gibt es Publikationen, Anleitungen, Verordnungen, Materiallisten, auf die ich hier nicht eingehen will.

    Bei Kriegen können wir ausser der Überlebenshilfe nur Eines tun: darauf einwirken, dass der Kriegszustand so schnell wie möglich beendet wird. Das ist leichter gesagt als getan. Aber leider ist es so, dass Länder aus Westeuropa und Nordamerika immer in irgendeiner Weise in kriegerische Zustände, die auf der Welt stattfinden und Tausende von Menschen in Elend und Flucht treiben, verwickelt sind. Entweder sind die Länder aktiv am Krieg beteiligt wie der Krieg gegen Gaddafi oder der Luftkrieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen, oder sie selbst haben den Krieg wie den Feldzug gegen Saddam Hussein initiiert, der später zu Gruppierungen wie dem Islamischen Staat (IS) führt und in einen Folgekrieg ausartet. Nicht selten sind unsere Wirtschaft und Industrie als Profiteure an einem Krieg beteiligt wie im Krieg Ruandas und Ugandas gegen den Kongo von 1998 bis 2002, in dem sechs Millionen Menschen ermordet wurden. Bei solchen Kriegen, aus denen Millionen von Flüchtlingen resultieren, könnten wir über die Medien darauf hinwirken, dass sich unsere Regierungen und unsere Industrie aus jeder Beteiligung heraushalten. Aber meistens tun wir nichts und lassen es zu, dass bei uns Unternehmen am Krieg beteiligt sind und Gewinne erzielen. Wir dürfen nicht erstaunt sein, wenn unter diesen Umständen Menschen aus ihren zerstörten Häusern in unsere Länder flüchten. Wir werden so lange Kriegsflüchtlinge aufnehmen müssen, als es bei uns Konzerne und Personen gibt, die von den Kriegen profitieren und unsere Regierungen sich duckmäuserisch von jeder Kritik und jedem Druck auf die Kriegsverursacher zurückhalten.

    Ausser Flüchtlingen, die vor Tod und Zerstörung durch kriegerische Handlungen davonrennen, hat es seit je Leute gegeben, die ihre Heimat verlassen, weil es dort keine Weiterbildung, kein zuverlässiges Gewerbe, keine beruflichen und sozialen Aufstiegsmöglichkeiten, kein ruhiges und sicheres Leben für sie selbst und ihre Familien gibt. Diese Art von Flüchtenden wird es immer geben, solange sich die Zustände in ihren Heimatländern nicht ändern, Schulen und Weiterbildungsmöglichkeiten rudimentär bleiben und korrupte und gefrässige Politiker¹ das Sagen haben.

    Hier hätten wir die Möglichkeit, einzugreifen und auf eine Veränderung der Zustände in den Heimatländern der Flüchtlinge hinzuwirken, um die Beweggründe zur Flucht auszuschalten oder mindestens abzuschwächen. Wenn wir mithülfen, die Zustände, vor denen die Leute fliehen, zu verbessern, wäre es uns auch erlaubt, Flüchtlinge, die bei uns ankommen, in ihr Land zurückzuschicken!

    Heute herrscht bei uns die Ansicht, jahrelange Entwicklungshilfe habe die Zustände in den sogenannten Drittweltländern zum Besseren verändert und es sollte eigentlich möglich sein, dass Menschen aus Drittweltländern ihr Land nicht mehr verlassen und mit Forderungen zu uns flüchten. Leider ist dem nicht so, weil das, was wir als ‹Entwicklungshilfe› bezeichnen, versagt hat. Auch herrschen bei uns noch immer falsche Vorstellungen über das, was ‹Entwicklung› in ihrer Eigentlichkeit ist und wie Hilfe zur ‹Entwicklung› richtig durchgeführt werden sollte.

    ‹Entwicklung› im eigentlichen Sinn bedeutet, dass, was im Kleinen angelegt ist, in Erscheinung tritt und sich ausbreitet. Von aussen kann jemand dabei nur behilflich sein, wenn er Hindernisse wegräumt oder Einflüsse fördert, die das Hervortreten des als Anlage Vorhandenen erleichtern. Wo es sich um echte Entwicklung handelt, kann das Eigentliche und die Richtung des sich zu Entwickelnden von aussen weder bestimmt noch beeinflusst werden².

    Nach meiner eigenen Erfahrung kann Zusammenarbeit nur dann die Entwicklung fördern, wenn beide Partien, das heisst sowohl die Menschen in Afrika, Südamerika oder Asien als auch wir Fremde, die wir zur Förderung der Entwicklung hergereist sind, bereit sind, sich gemeinsam und gegenseitig zu entwickeln. Echte Entwicklungszusammenarbeit ist ein Austauschprozess. Dies habe ich während meiner Tätigkeit als Arzt in medizinischen Entwicklungsprojekten erfahren. Ich merkte, wie ich mich selbst verändern musste, um in Afrika und in Südamerika Leute ausbilden zu können. Je länger ich arbeitete, desto besser gelang es mir, mich den Afrikanern oder den Indios gegenüber zu öffnen, bis ich fähig wurde, von ihnen anzunehmen, was auch sie zu meiner Entwicklung beitragen wollten und konnten. Meine Tätigkeit war dann nicht mehr Hilfe, die Fremdes aufoktroyierte, sondern ein Zusammengehen, bei dem Entwicklung in beiden Richtungen – das heisst auch bei mir – eintrat.

    Ich werde im Folgenden anhand meiner Tätigkeit als Arzt in Afrika und Südamerika darstellen, was für mich Entwicklung bedeutet. Was ich erlebt habe, erzähle ich in Form von wahren Berichten und einigen Geschichten, die ich erlebt oder gehört habe, ohne dabei zu verschweigen, dass es mir in erster Linie immer um die medizinische Versorgung der mir anvertrauten ländlichen Bevölkerung ging. Ich werde darstellen, wie ich das Notwendige fördern konnte und mich gleichzeitig die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung mit Genugtuung erfüllte, wie sich bei mir Zuneigung zu den Leuten, mit denen ich zu tun hatte, entwickelte und wie ich merkte, wie auch die Leute sich mir gegenüber öffneten. Eine Beziehung gegenseitiger Achtsamkeit ist wichtig für die Entwicklungszusammenarbeit. Bei mir hat sich während meines Wirkens wohlwollendes Empfinden für die Menschen, für die Arbeit und für das Abenteuer, das ich eingegangen bin, entwickelt. So war es mir möglich, etwas in den Menschen hervorzuholen und zum Ausdruck zu bringen, das bei ihnen andauern wird.

    Auf Grund meiner Ausbildung, meiner Erfahrung, meines Alters war ich der Hauptverantwortliche für die Organisation, für die Behandlung der Kranken und für die Ausbildung meiner Mitarbeiter. Als Mensch lernte ich immer mehr, mich auf die gleiche menschliche Stufe zu stellen wie alle, mit denen ich zu tun hatte. So wurde es möglich, dass wir uns gegenseitig beeinflussen und entwickeln konnten.

    1Kabou, Axelle (1993): Weder arm noch ohnmächtig, eine Streitschrift gegen schwarze Eliten und weisse Helfer. Basel: Lenos Verlag.

    2Hierzu mehr in Kapitel 11.

    2. Frühe Neigung

    Seit meinem Kindesalter – ich kam am 29. Januar 1937 zur Welt – hat sich bei mir eine Zuneigung zu Menschen, die ursprünglich leben, und zu Landschaften, die unberührt sind, bemerkbar gemacht. Als Knabe konnte ich mir nichts Abenteuerlicheres vorstellen, als in eine von Gefahren und Geheimnissen durchwobene Welt einzudringen, wie es in meiner Phantasie der Urwald sein musste. Diesen kannte ich nur aus Beschreibungen, ich glaubte jedoch im Zolliker Wald, der damals noch wild und unerschlossen war, Ersatz dafür gefunden zu haben. Ich liebte es, abseits der Wege zu pirschen und mich, von meiner Phantasie angetrieben, durch Dickichte vorwärts zu kämpfen.

    Ich war zwölf Jahre alt, als ich an der Hand meines Vaters spazierte und er mir die Frage stellte: «Hast du dir schon überlegt, was du später werden willst?» – «Ja», antwortete ich ohne zu zögern, «ich will Urwaldforscher werden!» – Mein Vater schwieg, dann sagte er: «Na gut! Beende deine Schulen, dann wollen wir wieder darüber reden.»

    Die Antwort, die ich damals dem Vater gab, war ehrlich, und ich war ihm dankbar, dass er den ‹Urwaldforscher› nicht als Hirngespinst zurückwies. Während Jahren redete ich nicht mehr über meine Neigung, doch für mich selbst blieb ich entschlossen, den Urwald und dessen Bewohner auszukundschaften. Langsam erkannte ich, wie sich bei allen Menschen das für sie Massgebliche in der Kindheit bemerkbar macht und sie auf Ideen bringt, die für ihr Leben Bedeutung haben. Ich tat unterdessen, was meine Eltern von mir erwarteten: nach der Primarschule besuchte ich das Gymnasium in Zürich.

    Während der höheren Klassen des Gymnasiums beschäftigte ich mich mit der Frage nach der Eigentlichkeit von uns Menschen: «Wer sind wir, wo liegt der Grund unseres Menschseins? In welche Richtung gehen wir, was ist für uns wesentlich, um Vollendung zu erlangen?» Noch vor der Matura drängte es mich, den Menschen näher zu erforschen. Für mich gab es zwei Möglichkeiten der Weiterbildung: die Geisteswissenschaften, das heisst Philosophie und Literatur, oder die Medizin. Für den einen der beiden Wege musste ich mich damals entscheiden. Eigentlich wollte ich Dichter und Schriftsteller werden, doch als Achtzehnjähriger sagte ich mir: «Bevor ich anfange, über Menschen zu schreiben, muss ich den Menschen näher kennenlernen, seinen Leib, seinen Geist. Bevor ich mich an seine Geistigkeit heranwage, täte ich gut, das Körperliche des Menschen zu erforschen! Also fange ich an, Medizin zu studieren!»

    Vor dem zweiten propädeutischen Examen war mir das Medizinstudium verleidet: ich wollte Dichter werden und die Medizin aufgeben. Ich redete mit meinem Vater, er sagte, ich solle es mir gut überlegen und noch jemanden um Rat fragen. Ich suchte meinen ehemaligen Französischlehrer auf, der früher meine Gedichte durchgelesen und kritisiert hatte. Er redete mir zu, unter allen Umständen die zweite medizinische Vorprüfung in Anatomie, Physiologie und physiologischer Chemie abzulegen und mich erst nachher zu entscheiden. Ich hörte auf die Stimme des älteren Mannes. Nachdem ich das zweite Propaedeuticum (Physicum) bestanden hatte, änderte sich die Ausbildung in der Medizin. Fortan musste ich nicht mehr Leichen sezieren, ich lernte jetzt Patienten zu untersuchen und zu behandeln. Ich fühlte mich herausgefordert, ich fing an, den ärztlichen Beruf zu lieben. Als ich mein eidgenössisches Arztdiplom in den Händen hielt, war ich noch keine fünfundzwanzig Jahre alt. Nie habe ich später den Entschluss, Mediziner zu werden, bereut. Arzt zu sein war der Beruf, der zu mir gehörte, der mich später dorthin brachte, wo ich als kleiner Junge schon hinwollte: in den Urwald!

    Als ich studierte, gab es noch kein zermürbendes Bolognasystem mit sinnlosen Prüfungen. Nach dem zweiten Propi lagen sieben prüfungslose Semester der klinischen Ausbildung vor mir, dann kam das Staatsexamen. Je ein Semester studierte ich an der Universität Hamburg und an der Sorbonne in Paris, die übrigen fünf Semester in Zürich. Zum klinischen Teil des Studiums gehörte auch die Verpflichtung, als Unterassistent in Krankenhäusern zu arbeiten, sowie die Militärpflicht bis zum Unteroffizier zu absolvieren. Dazu dienten die Sommerferien. Ein Semester vor dem Staatsexamen vertrat ich einen praktischen Arzt in Sulgen, im Kanton Thurgau. Diese Arbeit begeisterte mich.

    Trotz des strengen Studiums hatte ich genügend Zeit zu reisen. Ich wollte ursprünglich gebliebene Länder und deren Menschen kennenlernen. Zwanzigjährig besuchte ich mit einem Freund das damals vom Tourismus noch kaum berührte Griechenland. In den Sommerferien 1958 reiste ich alleine durch die Türkei: Istanbul, Westküste, Südküste bis nach Antakya, zentrales Hochland von Konya über Göreme bis nach Sivas und von dort nach Ankara und zurück an die Westküste, wo ich wegen schweren Darmbeschwerden die Reise abbrechen musste. In den Frühlingsferien 1959 durchquerte ich teilweise zu Fuss, teilweise im ländlichen Autobus die Insel Kreta. 1960 begleitete ich kretische Schleppnetzfischer an die Küste Libyens. Trotz dieser Eskapaden legte ich nach zwölf Semestern mit guten Noten das eidgenössische Staatsexamen ab. Meine Reisen förderten gleichzeitig meine Bildung zum achtsamen Menschen. Sie bereiteten mich auf meine spätere Arbeit als Arzt in abgelegenen Gegenden vor.

    Ich merkte damals, wie problemlos es für mich war, überall auf der Erde in eine offene, herzliche Beziehung zu den Menschen zu treten. Unterschiede in Abstammung, Hautfarbe, Bildungsgrad und Religion spielten für mich keine Rolle. Wohin ich mich wendete, öffnete ich mich den Menschen. Bald stellte sich gegenseitige Vertrautheit ein. Ich lernte ihre Sprachen: Neugriechisch, Türkisch, Persisch und später Arabisch, Spanisch, Kisuaheli.

    Wenn ich in ein Land komme, sei es als Tourist oder wie in späteren Jahren als Arzt, lasse ich die Leute, mit denen ich zusammenkomme, intuitiv merken, dass ich mich als einen Menschen, wie sie selbst Menschen sind, verstehe und mich in ihrer Nähe wohl fühle. Fast immer finde ich Entgegenkommen. Der Vater meiner ersten Frau, ein Fischhändler auf einer kleinen Dodekanesinsel, sagte eines Tages zu mir: «Die Leute auf unserer Insel schätzen dich, weil du ihnen auf gleicher Ebene begegnest und nicht vorgibst, etwas Besseres zu sein, weil du dich hinsetzt, einen Ouzo oder einen Kaffee mit ihnen trinkst, weil du mit ihnen redest, als wärest du ihresgleichen.» Mit dieser Bereitschaft bin ich an alle Menschen herangetreten, und fast immer fand ich wohlwollende Aufnahme. Anderseits stiess ich deswegen nicht selten auf Unverständnis und Missgunst bei Europäern und Amerikanern, die sich gleichzeitig in meiner Nähe aufhielten.

    Während meiner Studentenzeit wurde mir Griechenland zu einer zweiten Heimat. Ich liebte es, mit griechischen Hirten und Fischern zusammen zu sein, ich liebte die karge Landschaft, das Meer und den tiefblauen Himmel. Ich war verrückt nach diesem Land. Etwas überstürzt heiratete ich 1966 eine achtzehnjährige Griechin, die mir, als sie neun Jahre alt war, auf einem Schiff eine halbe Orange geschenkt hatte und mir seither unentwegt Briefe schrieb. Mit dieser Geschichte allein könnte ich ein Buch füllen.

    Nach Staatsexamen und Offiziersschule reiste ich während drei Monaten durch den Vorderen Orient, zuerst mit dem Zug über Jugoslawien nach Athen, von dort mit dem Flugzeug nach Ankara und mit dem Bus über Sivas in die Osttürkei. Mit der Eisenbahn ging es weiter nach Erzurum, von wo einmal in der Woche ein iranischer Bus Reisende nach Täbris brachte. In Teheran angekommen, blieb ich einige Tage in der iranischen Hauptstadt. Dann fuhr ich mit dem Bus in den Süden des Landes: Persepolis, Shiraz, Isfahan, Yazd, Qom und darauf in den Osten, in die heilige Stadt Meschhed. Von dort reiste ich nach Afghanistan und auf der afghanischen Südstrasse über Kandahar und Gazni nach Kabul. Von Kabul aus ging es im Bus und auf Lastwagen in den Norden des Landes: Bamyan, Haibakh, Mazar-i-Sharif und schliesslich über Maimaneh zurück nach Herat, dann über Meschhed nach Teheran und weiter in den Westen Irans nach Hamadan und Kermānshāh, von wo mich ein iranischer Bus nach Bagdad brachte. Dort nahm ich das Flugzeug nach Beirut; drei Tage später fuhr ich mit einem griechischen Schiff über Port Said und Alexandria nach Athen und kehrte mit Olympic Airways in die Schweiz zurück.

    Auf dieser Reise fühlte ich mich wohl, ich konnte mit den Leuten sprechen, neben Türkisch hatte ich Farsi gelernt, mit dem man sich auch in Afghanistan verständigen kann. Ich fühlte Lust, in einem Land wie Afghanistan als Arzt zu arbeiten. Doch zuerst musste ich mich weiter ausbilden. Ein Jahr lang arbeitete ich als einziger Assistent unter dem Chefarzt in einem Krankenhaus mit 80 Betten in der Gemeinde Wald, im Zürcher Oberland. Der Chefarzt und Chirurg FMH Robert Blass zeigte mir, was praktisches ärztliches Arbeiten ist. Bei ihm lernte ich die nötigen Handgriffe bei Operationen und in der Geburtshilfe.

    Anschliessend verdiente ich meinen Leutnantsgrad als Arzt der Grenadierrekrutenschule in Losone im Tessin. Nach diesem Dienst schrieb ich meine Doktorarbeit am Institut für Medizingeschichte der Universität Zürich, dessen Vorsteher Professor Erwin Ackerknecht war. Mein Thema hiess: ‹Das nervöse Zeitalter. Der Begriff der Nervosität bei Laien und Ärzten in Deutschland und Österreich um 1900›. Es war eine medizinisch-literarischhistorische Arbeit, bei der sowohl meine medizinischen als auch geisteswissenschaftlichen Kenntnisse gefordert waren. Meine Dissertation war die erste wissenschaftliche Arbeit, die sich mit der Nervosität als Modekrankheit in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg befasste, was ich aber erst im Jahre 2006 anlässlich einer wissenschaftlichen Tagung erfuhr.

    1960 Mit kretischen Fischern auf einem Boot vor der libyschen Küste.

    1962 Abendliches Musizieren in einem Teehaus in Bamyan, Afghanistan.

    3. Im jemenitischen Bürgerkrieg

    Nachdem ich meine Dissertation abgegeben hatte, bewarb ich mich beim Schweizerischen Roten Kreuz um die Mitarbeit an einem medizinischen Einsatz des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, IKRK, im Bürgerkrieg in Jemen. Dort hatten die Republikaner mit Hilfe Ägyptens unter Präsident Nasser den König verjagt, der als Imam gleichzeitig religiöses Oberhaupt des Jemens war. Der König war aus Sana’a, der Hauptstadt, ins nördliche Gebirge nahe der Grenze zu Saudi Arabien geflohen und hatte sich dort mit seinen Getreuen verschanzt. In den Gebieten der Royalisten arbeiteten keine Ärzte, auch die republikanischen und ägyptischen Gefangenen wurden dort nicht ärztlich betreut. Deshalb hatte sich das IKRK engagiert.

    Ich berichte in der Folge über meinen ersten Einsatz als Arzt unter Bedingungen, ‹als arbeitete ich im Urwald›, obgleich ich mich im Jemen in Wüstengegenden und in den Bergen, aber nicht im Urwald befand:

    Am 26. Juni 1964 fliege ich als Mitglied einer Rotkreuzequipe mit Swissair nach Beirut und am nächsten Tag mit Saudi Airways nach Djiddah, das damals eine kleine Stadt am Roten Meer mit einem lebendigen, farbenreichen Suq ist. Zwei Tage später geht es mit einer Dakota (DC 3) der Saudi Airways, die wir Inschallah Airlines taufen, weil man nie weiss, ob, wann und wo sie ankommt, nach Najran, einer Ortschaft am Rand des Rub-al-Khali, unweit der nördlichen Grenze des Jemens.

    Najran liegt in einer Oase. Damals ist es ein lebendiges Städtchen mit mehrstöckigen Adobehäusern, schattigen Höfen und Palmenhainen. Das Rotkreuzkrankenhaus, der ‹Mustafa as S’alib al Ahmar›, liegt südlich, in Uqd, auf jemenitischem Gebiet, rund zwei Stunden mit dem Geländewagen über Sandpisten von Najran entfernt. Es ist ein Zeltlager in der Wüste, hufeisenartig von Felsen umgeben, so dass man das Spital nur von Osten her betreten kann. Jeder Mitarbeiter der Rotkreuzequipe erhält ein kleines Zelt als Wohnung. Unter einem Felsen befinden sich die Küche und der gemeinsame Esssaal. Die Kranken und Verletzten sind auf Betten in Militärzelten untergebracht. Auch Labor und Röntgen haben je ein eigenes Zelt. Der Operationssaal befindet sich in einem Metallcontainer.

    Kurz nach unserer Ankunft erscheint André Rochat, der Chefdelegierte des IKRK-Projektes im Jemen, und teilt mir mit, als jüngster Arzt würde ich zusammen mit dem Medizinstudenten Max Bürgin aus Basel ins Hauptquartier des jemenitischen Königs geschickt, der sich wegen des Bürgerkriegs in die Berge geflüchtet habe.

    Max und ich fliegen nach Djiddah zurück, wo sich der Welschschweizer Laurent Wust, Delegierter des IKRK im Hauptquartier des jemenitischen Königs, zu uns gesellt. Laurent ist ein sympathischer, ruhiger Mann, der, wie wir später merken, André Rochat widerspruchslos ergeben ist. Drei Tage später fliegen wir, Laurent, Max und ich, nach Gizan, einem saudischen Städtchen am Roten Meer, unweit der jemenitischen Grenze. Beim Verlassen des Flugzeugs glaube ich, ein türkisches Dampfbad zu betreten. In den letzten Tagen hat es geregnet, die Strassen und Plätze von Gizan durchziehen Pfützen mit warmem, fauligem Wasser. Über den trocken gebliebenen Stellen flimmert die Luft. Ein Abgesandter des Prinzen von Gizan bringt uns in ein Rest-House und lässt uns ein leckeres arabisches Mal auftischen, dem wir allerdings in der schwülen Hitze kaum gerecht werden. Später erscheint ein älteres, gelbes Pick-up der Marke Dodge, das von einem spinnenbeinigen Männchen gesteuert wird. Wir fahren an den Ausgang der Stadt, dort halten wir bei einem Teehaus, um weitere Reisende mitzunehmen. Im Schatten des Vordaches, auf kurzen Holzbetten liegen buntgekleidete, glatzköpfige

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