Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen: Science Fiction Krimi
Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen: Science Fiction Krimi
Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen: Science Fiction Krimi
eBook233 Seiten3 Stunden

Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen: Science Fiction Krimi

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Roberto ist bis zu seinem Unfall der perfekte Familienvater schlechthin. Eine Geisterseele vom Planeten Rua, die seit Jahren in ihm schlummert, übernimmt danach mehr und mehr das Kommando. Tote pflastern seinen Weg. Kommissar Steiner wird mit dem Fall beauftragt. Rasend schnell wird aus der Akte ein Fall für die CIA. Roberto wird zum Gejagten quer durch Österreich. Die einen wollen seinen Tod, die andere Seite versucht dies zu verhindern.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum21. Nov. 2014
ISBN9783902784735
Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen: Science Fiction Krimi

Ähnlich wie Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen

Ähnliche E-Books

Mystery für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Ruaner - Sie leben in unseren Träumen - Wolfgang Grosz

    Grosz.

    Salzburg

    28. August 2020

    Alles nimmt seinen gewohnten Lauf. Wie an jedem anderen Sommertag im Juli und August öffnen auch heute wieder die Geschäfte in der Getreidegasse um neun Uhr bei Kaiserwetter ihre Pforten. Salzburgs wohl berühmteste Einkaufsstraße hat ihren Charme nicht nur durch die schmiedeeisernen Zunftzeichen verliehen bekommen, sondern auch von den romantischen Innenhöfen. Knarrende Holztüren zerreißen die morgendliche Stille. Die emsigen Ladenbesitzer rollen ihre vollbeladenen Verkaufsständer mit Ansichtskarten, Souvenirs, Hüten, Schirmen und T-Shirts vor die Tür.

    Geht es nach dem Wetterbericht, kündigt sich ein heißer Spätsommertag mit über 35 Grad im Schatten an. Der Eisverkäufer am Ende der Gasse reibt sich schon jetzt zufrieden die Hände. Gleichzeitig zieht es ihm die Mundwinkel bis hinter die Ohren zurück. Dann stößt er ein leises »Danke« zum Himmel empor. Der zehnte umsatzstarke Tag hintereinander wird seine Kasse und auch die der Kollegen in ganz Salzburg wieder kräftig klingeln lassen. So wie das Glockenspiel im vorgesetzten Turm der Neuen Residenz mit den fünfunddreißig Glocken, das täglich um sieben, elf und achtzehn Uhr erklingt. Die emsigen Kaufleute winken sich entspannt und froh gelaunt zu. Der Daumen zeigt bei allen nach oben. Dann verschwinden sie in ihren Läden.

    Heute wird lediglich die brütend heiße Sonne die Gemüter der Gewerbetreibenden erhitzen. Auf dem Makartsteg – eine von dreizehn Salzachbrücken in der Stadt – tummeln sich die Frühaufsteher unter den Touristen in die Altstadt. Ein alter Bettelmusikant spielt auf seiner Geige Mozart. Die Cent-Stücke in der Plastikschale, die er frech mitten auf den Weg gestellt hat, reichen schon bald für ein warmes Frühstück. Ein Radfahrer muss sich böse Worte von einer alten Dame anhören, weil er von seinem Drahtesel nicht abgestiegen ist und alle Passanten nervig anklingelt. Fünfundzwanzigtausend Fußgänger queren täglich den geschwungenen Steg. So manches Pärchen hält am Makartsteg an und hängt ein Liebesschloss oder ein Freundschaftsband zu den über tausend anderen. Es soll die Liebenden, die mutig den Schlüssel als gemeinsamen Akt der Treue in die Salzach werfen, für immer verbinden.

    Ein junges, verliebtes japanisches Pärchen in kurzen weißen Hosen und Turnschuhen, beide mit einem roten Salzburg-T-Shirt bekleidet, hat gerade sein kleines rosa Vorhängeschloss aufgehängt und den Schlüssel in der Salzach versenkt. Vorher haben die beiden noch mit einem spitzen Stein ein Herz und ihre Namen hineingraviert. Sie halten ganz fest ihre Hände, umarmen sich minutenlang und küssen sich innig. Die Zeit scheint für beide stillzustehen. Die völlig überwältigte Frau richtet ihren verträumten Blick zum Himmel. Sie scheint »Danke« sagen zu wollen für all das Glück, das ihr gerade widerfährt.

    Plötzlich zuckt sie zusammen, als hätte gerade eine Hornisse sie in den Allerwertesten gestochen. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen zeigt sie mit dem ausgestreckten Finger in den wolkenlosen Himmel. Sie hat ihren Hals lang gestreckt und redet völlig wirres Zeug. Ihr Freund kann die Aufregung nicht verstehen. Er kann nichts erkennen und schwebt außerdem immer noch auf Wolke sieben. Der Moment ist gerade so wunderbar.

    Sie kreischt wieder.

    »Da!«, schreit sie laut und hält sich die zweite Hand vor den Mund. Es ist ihr peinlich. Tiefe quere Stirnfalten zeichnen sich in ihr Gesicht.

    »Was ist da los?«, folgt ihr Freund suchend dem Finger seiner Geliebten, kann aber nichts erkennen.

    Dann wieder! Sie zuckt zusammen und presst ihre Fingernägel ganz fest in seine Seiten, dass er vor Schmerz laut aufschreit. Dabei richtet er seinen gequälten Blick nach oben. Jetzt hat auch er etwas gesehen. Aber was? Irgendetwas fliegt ungeheuerlich schnell und geräuschlos über den Stadthimmel. So schnell, dass man nicht erkennen kann, was es genau ist. Schemenhaft und nahezu unsichtbar wie ein transparentes weißes Tuch. Wie Geister, nicht größer wie wir Menschen. Sie fliegen alle in die gleiche Richtung. Es wirkt bedrohlich, wie eine Invasion, denn es werden immer mehr, und die seltsamen Erscheinungen kommen immer näher. Sie sind vielleicht dreihundert Meter oder auch nur noch hundert Meter über der Stadt. Und obwohl die Sonne vom wolkenlosen Himmel scheint, werfen sie keine Schatten.

    Gespenstisch. Die Flugobjekte sind lautlos – kein Zischen, wie man es erwarten würde. Kein Motorengeräusch, kein Knall, wenn sie auftauchen, und auch keiner, wenn sie wieder verschwinden. Lediglich ein leicht schwefelartiger Geruch legt sich über die Stadt.

    Die Geister haben es nicht auf die Fußgänger auf dem Makartsteg abgesehen. Sie fliegen über sie hinweg. Das verängstigte Liebespaar hat inzwischen auch die anderen Fußgänger angesteckt. Immer mehr blicken angstbebend nach oben. Die Festung Hohensalzburg, die gerade von hier aus so wunderbar zu sehen ist, interessiert niemanden mehr. Immer mehr und immer öfter rasen die gespenstischen Objekte über den Himmel. Wie Sternschnuppen tauchen sie aus dem Nichts auf und sind gleich wieder verschwunden. Die Leute auf der Brücke – einer nach dem anderen – greifen sich an den Kopf und verziehen schmerzverzerrt das Gesicht. Die Flugobjekte erzeugen elektrische Felder, so als würde man unter einer Hochspannungsleitung stehen, nur hundert Mal stärker. Jeder Passant kann die Vibrationen der Luft deutlich spüren. Das überstarke, unsichtbare elektrische Wechselfeld erzeugt ein leises Surren. Kleine Blitze entladen sich. Die Glühbirnen in der Straßenbeleuchtung werden regelrecht zerfetzt, eine nach der anderen. Rauchschwaden steigen zum Himmel empor, und beißender Geruch mischt sich unter die aufgewirbelte Menschenmenge.

    Panik bricht unter den Menschen aus. Einige springen in die Salzach, andere laufen aufgeregt kreuz und quer, ohne auf die anderen Passanten Rücksicht zu nehmen. Die Köpfe sind nur noch nach oben gerichtet. Der Straßenverkehr, der gerade jetzt in den Morgenstunden sehr dicht ist, ist ihnen gleichgültig. Die Autofahrer, die von den unbekannten Flugobjekten vorerst nichts mitbekommen, müssen ihre Autos verreißen. Der eine jagt seinen Geländewagen in eine Hausmauer, ein anderer fährt gegen eine Straßenlaterne. Ein Dritter kann nicht mehr rechtzeitig bremsen und fährt seinem Vordermann auf. In wenigen Sekunden verwandelt sich die Griesgasse vor dem Fischmarkt in ein Schlachtfeld. Hupende, demolierte, rauchende Autos und schreiende, blutende, weinende Menschen, wohin man sieht.

    Feuerbälle so groß wie Medizinbälle tauchen wie Meteoriten am Horizont auf und fliegen gelb bis rot leuchtend direkt auf die Stadt zu. Sie ziehen einen meterlangen Rauchschweif hinter sich her. Sekunden später schlagen sie am Gipfel des Gaisberges – dem Salzburger Hausberg – auf 1.287 Metern mit voller Wucht ein. Sie reißen fünf Meter tiefe Krater in den Boden und setzen gewaltige Energien frei. Die Feuerbälle zerstören am Gaisberg alles, was von Menschenhand geschaffen wurde. Der Asphalt unter den Füßen zittert. Der rot-weiß-rot gestreifte Sendemast des Fernsehsenders, der seit 1956 das Erscheinungsbild des Gaisberges prägt, kippt seitlich nach rechts. Die Spitze des Berges vor den Toren der Stadt wird von den Geschossen Hunderte Male getroffen und brennt binnen kurzer Zeit lichterloh! Wer sich dort aufhält, hat keine Chance. Der Angriff fordert die ersten Todesopfer.

    Feuerzungen schlagen gierig in die Höhe, und eine riesige Rauchwolke steigt zum Himmel empor. Sie breitet sich innerhalb von Sekunden über der Stadt aus. Das Sonnenlicht, das vor Minuten die Kaufleute noch so entzückt hat, kann kaum noch bis zum Boden durchdringen, und die Stadt verdunkelt sich zusehends. Weltuntergangsstimmung. Die Menschen in der Stadt rennen schreiend und orientierungslos umher. Zeitgleich beginnen alle 493 Sirenen im Land Salzburg zu heulen. So laut, dass sie drei Minuten lang jedem Einzelnen durch Mark und Bein fahren. Katastrophenalarm! Zu spät – die Erde wird bereits mit voller Härte angegriffen. Der Feind ist unsichtbar und kommt aus dem Nichts. Überall hupende Autos und verzweifelte Menschen. Der Verkehr ist in der ganzen Stadt lahmgelegt. Vom Himmel regnet Asche und bedeckt zentimeterhoch den Boden.

    Das Telekommunikationsnetz ist zusammengebrochen. Die Handys haben keinen Empfang mehr. Das geschockte Volk möchte gerne Angehörige anrufen, kann es aber nicht. Die Bildschirme in den Schaufenstern flimmern nur noch, Funkstille. Am Fischmarkt kniet eine junge Mutter vor ihrem Kind. Sie hält das Mädchen ganz fest in den Armen.

    »Hab keine Angst, ich bin bei dir!«, flüstert sie ihrer Tochter mit einem gespielten Lächeln ins Ohr, vergebens.

    Das Mädchen weint bitterlich. Dicke Tränen fallen auf den mit Asche bedeckten Gehsteig. Ein Sinnbild für die immer verzweifelter werdende Situation, deren unweigerliches Ende die Ausweglosigkeit ist.

    Aber nicht nur Salzburg wird angegriffen. Auch der Schlossberg in Graz mit dem achtundzwanzig Meter hohen Grazer Uhrturm – dem Wahrzeichen der Stadt – brennt inzwischen lichterloh. Der Dachstuhl ist bereits zur Gänze zum Opfer der Flammen geworden. Der Rosengarten am Fuße des Berges ist schon vernichtet, und es wird nicht mehr lange dauern, dann werden auch die ersten Häuser von der Feuerwalze überrollt.

    Auch der 539 Meter hohe Pöstlingberg in Linz mit seinen vornehmen Wohnhäusern steht meterhoch in Flammen. Völlig unerwartet und rasend schnell werden die Villen in der Kulturhauptstadt dem Erdboden gleichgemacht. Selbst die Wallfahrtskirche wird von den unsichtbaren Angreifern nicht verschont. Die sieben Doppelkapellen des Kreuzweges werden eine nach der anderen Opfer der Flammen. Die Hitze strahlt so stark, dass die Eisenkreuze am Soldatenfriedhof am Fuße des Pöstlingbergs zu schmelzen beginnen. 527 Krieger und eine Helferin aus dem 1. Weltkrieg sowie zwanzig deutsche Soldaten und eine Krankenschwester aus dem 2. Weltkrieg haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Die Geister, die keiner rief, kennen keine Gnade.

    Der Berg Isel in Innsbruck erinnert an die Schlacht 1809 unter dem Oberbefehl des Freiheitskämpfers Andreas Hofer, der die Tiroler dreimal siegreich gegen die Truppen Napoleons anführte. Ein Ascheregen fällt wie Schnee vom Himmel und bedeckt die Stadt.

    Und auch die Bundeshauptstadt Wien ist Ziel des Angriffes. Der Wienerwald brennt. Zwei Millionen Menschen ist das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben.

    Es ist 11.05 Uhr, und in Österreich herrscht Krieg!

    Der Gaisberg steht inzwischen bis zur Zistelalm auf tausend Metern Höhe in Flammen. Die Fichten, die früher den Berg säumten, wirken wie riesige Zündhölzer. Die Einschläge gehen ungebremst weiter – es ist kein Ende in Sicht.

    Ganz nah unterhalb der Feuerwalze – wo eigentlich kein Leben mehr zu erwarten ist – lässt sich etwas Ungewöhnliches beobachten. Es ist, als bewege sich vor der Feuerlinie eine ganze Armee von Kriegern in Richtung Tal. Durchsichtige Gestalten nehmen die Farben der Umgebung auf und bewegen sich wie von Geisterhand. Unheimliche Stimmen begleiten das Heer, das alles dem Erdboden gleichmacht.

    Wird die Erde, ohne Vorwarnung, von einem Moment auf den anderen von einer Antimaterie vernichtet? Haben die Mayas, die den Weltuntergang für 2012 vorhergesagt haben, sich nur um läppische acht Jahre verrechnet?

    1. Kapitel

    Dreißig Jahre zuvor

    Roberto war schon als kleines Kind anders. Keiner aus dem Bergbauerndorf wollte ihn zum Freund haben. Meistens stand er im Abseits und beobachtete traurig die Gleichaltrigen beim Spielen. Da war schon mal dieser Name – Roberto Schuster. Das passt einfach nicht zusammen, und schon gar nicht passt der Name in den kleinen Ort am Schafberg. Zu modern für diese Gegend. Der Name lädt quasi ein, dass Roberto schnell zum Außenseiter abgestempelt wird. Die Bauernhäuser haben hundert Jahre und mehr auf dem Buckel, die Scheunen, die großteils mit sehr altem Biberschwanz eingedeckt sind, weisen teilweise große Löcher auf. Seit Jahren regnet es durch, und die Dachlatten faulen vor sich hin. Die trachtige Kleidung vom Scheitel bis zur Sohle, die jeden Sonntag zur Schau getragen wird, erinnert noch an die gute alte Zeit.

    Ein bezauberndes Fleckerl Erde, wo sich die Uhren einfach noch langsamer drehen. Nachbarschaftshilfe, gemeinsam anpacken, wenn Not am Mann ist, davon träumt auch so mancher Stadtmensch – und stirbt einsam. Hier gibt es das noch. Der Fortschritt wird zwar von den Bauersleuten nicht abgelehnt, darf aber liebend gerne vor den Toren des Dorfes Halt machen.

    Robertos Eltern – Josef und Maria – waren gerade aus ihrem ersten Italienurlaub zurückgekommen, als seine Mutter schon hochschwanger war.

    »Roberto« hieß der elfjährige Sohn des Hoteliers. Der kleine Junge war außerordentlich freundlich und bemüht und darüber hinaus ein richtiges Schlitzohr. Er hatte ihnen jeden Tag die Poolliegen aufgestellt, kalte Getränke gebracht und am Abend den schönsten Tisch im Restaurant reserviert, mit Blick auf das Meer und den Sonnenuntergang – versteht sich. Wenn es spät am Abend leiser wurde, konnte man von diesem Platz aus die Brandung hören, und am Horizont tauchten die blinkenden Lichter der Fischer auf. Hans und Maria genossen die romantische Atmosphäre. Sie tranken jeden Abend eine Flasche Wein, bevor sie zu Bett gingen. Als Belohnung haben sie dem klugen Bengel Süßigkeiten und Kleingeld zugesteckt. Roberto hat sofort kapiert, dass hier etwas zu holen ist. Immer öfters ist der kleine Italiener wie Rumpelstilzchen um ihren Tisch herumgetanzt. Frech, wie er war, hat er zuerst geholfen und hinterher mit einem breiten Grinsen seine Hand aufgehalten. Maria war begeistert von dem aufgeweckten Buben. Für sie war klar, dass auch ihr Sohn, der gerade in ihrem Bauch heranwuchs, einmal so heißen würde. Ihr Ehemann hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen.

    »Hans, Franz, Peter, Sepp hast bold a mol a Depp!«, schrie er seine Schulkameraden an, wenn sie ihn wegen seines Namens hänselten und dann links liegen ließen.

    Damit tat er sich keinen Gefallen, im Gegenteil. Er wurde noch rascher zu einem Außenseiter. Aber nicht nur sein untypischer Name war schuld an seiner Misere. Seine Schulfreunde waren alle gescheiter als er. Im Informationszeitalter fordert die Gesellschaft Streber – Computergenies.

    Roberto wehrte sich mit Händen und Füßen, jeden Tag Stunden vor dem Blechtrottel zu verbringen. Er ging lieber hinaus in den angrenzenden Wald und unterhielt sich mit seinen imaginären Freunden in seinem Waldhaus. Er hat aus alten Jutesäcken lebensgroße Puppen gebastelt. Mit Kreide hat er ihnen ein freundliches Gesicht gemalt. Puppe »Stefan« hat er alte Klamotten von seinem Papa angezogen, und »Helene« bekam die Schürze seiner Mutter. Den beiden kann er alle seine Sorgen erzählen. Sie geben keine immer klugen Ratschläge, stehen aber jederzeit für lange Gespräche zur Verfügung. Roberto hatte schon in der Volksschule zu kämpfen, ohne Vierer im Zeugnis durchzukommen, während alle anderen aus dem Bergbauerndorf mit Auszeichnung abschlossen. Die Kluft zwischen ihm und dem Rest der siebenköpfigen Bubenbande wurde immer größer.

    Das große kaffeebohnenbraune Muttermal mitten auf der Stirn war das i-Tüpfelchen. Die Mädchen machten einen großen Bogen um ihn und flüsterten hinter vorgehaltener Hand. Das gab ihm den Rest. Roberto fraß seinen Frust förmlich in sich hinein. Er wurde von Tag zu Tag dicker. Bald sah er aus wie der Mann aus der Michelin-Reifen-Werbung. Im Turnunterricht wollte keiner ihn mehr in der Mannschaft haben. »Loser« haben sie im Chor gesungen, und in den Umkleidekabinen wurde er wegen seiner Fettringe an den Beinen, Händen und am Bauch ausgelacht. Roberto hat sich immer mehr zurückgezogen. Seine Freizeit verbrachte er nur noch in seiner selbst gebauten Bretterhütte im Wald, gleich hinter seinem Elternhaus. Er hämmerte und sägte den ganzen Tag herum. Und wenn er müde wurde, legte er sich in sein selbst gemachtes Bett aus Blättern. Er träumte jeden Tag davon, es allen heimzuzahlen. Einmal der Mittelpunkt zu sein. Der Held!

    Eines Tages spaziert er auf der Suche nach heruntergefallenen langen Ästen durch den Wald. Er will seine Terrasse überdachen, damit er auch bei Regen die Waldtiere im Trockenen beobachten kann. Sein Vater hat ihm eine alte graue Anhängerplane geschenkt. Sie ist so groß, dass er damit die Terrasse und auch sein Holzhaus überdachen kann. Er schlendert mit den Händen in den Hosentaschen ganz gemütlich durch den Wald, da entdeckt er hinter einer umgefallenen, bereits morschen, von Pilzen befallenen Fichte einen ungewöhnlichen Gegenstand. Ein Sonnenstrahl, der bis zum Boden durchdringt, spiegelt sich an einer Klinge und blendet sein rechtes Auge. Roberto hält sich schützend die Hand vors Gesicht.

    »Was ist das?«, fragt er sich und blinzelt vorsichtig hinter seinem Handrücken hervor.

    Das zerfallene Holz hat die Sicht auf ein großes Messer freigegeben. Ein Messer, wie es Roberto sonst nur aus den uralten Tarzan-Filmen kennt. So groß wie ein Buschmesser eben.

    Zuerst steht er nur wie angewurzelt da. Kann nicht glauben, was da vor ihm liegt. Dann stürmt er auf seinen Fund zu, stolpert dabei beinahe über einen unter Blättern versteckten Ast. Im letzten Moment bremst er ab. Er muss dabei all seine Kraft aufwenden. Seine Sitzfigur, mit breitem Hintern und zartem Muskelkostüm, droht nach vorne zu kippen. Er rudert mit beiden Händen, bis er das Gleichgewicht wiederfindet.

    »Wow, das ist ja unglaublich!«, flüstert er leise. Sein Herz rast,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1