Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

In der Ferne näher bei mir: Geschichten von unterwegs
In der Ferne näher bei mir: Geschichten von unterwegs
In der Ferne näher bei mir: Geschichten von unterwegs
eBook353 Seiten5 Stunden

In der Ferne näher bei mir: Geschichten von unterwegs

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Reisen verkleinert die Welt und erweitert den Horizont.
Diese wichtige Erkenntnis hat jedenfalls Barbara Liel während ihrer Urlaube gemacht. Dazu waren nicht etwa irgendwelche Erstbegehungen notwendig oder lebensgefährliche Expeditionen, sondern lediglich die Bereitschaft, mit Rucksack, Neugierde und Offenheit den Fernsehsessel zu verlassen. Belohnt wurde die Autorin damit, neue und bisher ungelebte Seiten in sich kennenzulernen und den Nutzen von persönlichen Eigenheiten zu entdecken, die ihr bisher stets albern oder hinderlich erschienen.
Lassen Sie sich ermutigen, Ihren eigenen Aufbruch zu wagen oder gehen Sie einfach lesend mit auf eine Reise, die Sie nicht nur nach Ecuador und Australien, in die Staaten und nach Hawaii führt, und Sie zudem bestens unterhält. Vielleicht entdecken Sie dabei auch bisher unbekannte Inseln und Landstriche in sich selbst.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag der Ideen
Erscheinungsdatum1. März 2018
ISBN9783942006354
In der Ferne näher bei mir: Geschichten von unterwegs

Ähnlich wie In der Ferne näher bei mir

Ähnliche E-Books

Reisen für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für In der Ferne näher bei mir

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    In der Ferne näher bei mir - Barbara Liel

    musste.

    Reisen gegen die Angst

    Vorspeise

    Die Geburtsstunde unseres Kochtreffs fiel auf einen lauen Sommerabend im August. Bei einer Gartenparty lernte ich, eher zufällig, Sybille und Lothar kennen. Wir verstanden uns auf Anhieb, redeten über dies und über das, wie man es auf einer Feier eben so tut, als wir plötzlich unsere gemeinsame Leidenschaft für das Kochen und vor allen Dingen das Essen entdeckten. Fast gleichen Alters, Ende vierzig, waren wir so oder so auf der Suche nach neuen Herausforderungen, die unser Leben bereichern sollten.

    »Was haltet ihr davon, wenn wir uns in regelmäßigen Abständen treffen? Mir schwebt ein Abend vor, an dem wir gemeinsam Kochen, Essen und bei einem Glas Wein zusammensitzen und quatschen.« Sybille, schlank, groß gewachsen, mit blonder Kurzhaarfrisur, war eine Frau der Tat und machte, wie immer, gleich Nägel mit Köpfen. Ich fand diesen Einfall super. In unserer schnelllebigen Zeit geraten ausgiebiges Kochen, die damit verbundene Gemütlichkeit und der Spaß, den man dabei haben kann, immer mehr ins Hintertreffen. Heutzutage schätzen wir es mehr, mit einem Butterbrot in der Hand, untätig auf dem Sofa sitzend, anderen Menschen im Fernsehen beim Essen machen zuzuschauen. Wirklich traurig, aber oft fehlt halt die Zeit.

    »Ich bin dabei, fände es aber gut, wenn wir fünf bis sechs Leute wären. Einmal kann der Eine nicht, dann der Andere und es wäre zu schade, wenn daran unsere Idee scheitern würde.« Ich für meinen Teil liebte es, die Dinge von Anfang an gut zu organisieren.

    »Dann muss aber unbedingt ein zweiter Mann dabei sein, ansonsten fühle ich mich überfordert«, erklärte Lothar und schaute uns fragend an. Lothar, mittelgroß, mit üppiger, dunkler Haarfülle bedacht, das Gesicht durch eine kleine Brille geziert, zeigte immer ein verschmitztes Lächeln und war laufend zu Späßen aufgelegt. Selbstverständlich wurde Lothars Bitte stattgegeben. Wir gaben in einer lokalen Zeitschrift unserer Heimatstadt Münster eine Anzeige auf und konnten für unseren neuen Club noch Magdalena und Bernd gewinnen. Beide waren von unserer Idee begeistert und integrierten sich sofort mit Offenheit und Kochkunst. Wir wollten uns etwa alle zwei Monate am Wochenende treffen. Beim gemeinsamen Schnippeln, Kochen, Essen und Weintrinken ließ es sich bestimmt gut reden. Schon bei unserer ersten Zusammenkunft in einer Kneipe, wo wir uns ein bisschen besser kennenlernen wollten, begann ich, von meinen vielen Reisen zu erzählen. Das Interesse war groß und ich war selbst erstaunt über den Umfang meines Fundus’ an Berichten über die Welt.

    »Ja sag mal, wie kam es eigentlich dazu, dass du so viel gereist bist«, fragte Magdalena, fuhr sich mit den Fingern durch ihre brünetten, halblangen Locken und schaute mich aus großen braunen Augen neugierig an, »ich finde das schon ziemlich mutig.«

    »Nun ja, Mut ist schon das richtige Stichwort«, antworte ich, »ich war ein sehr ängstlicher Mensch und hatte das Gefühl, dass sich in meinem Leben etwas ändern musste.

    Furcht hat mich mein ganzes Leben begleitet. Schüchternheit und Angst vor allem und jedem prägten mich schon in der frühen Kindheit. Wenn mich jemand ansprach, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken, geschweige denn, dass ich mich selbst getraut hätte, auf andere zuzugehen. Wenn in meinem Leben Veränderungen anstanden, durch Schule, Ausbildung oder was auch immer, habe ich schon Monate vorher gegrübelt, wie ich die Situation wohl stemmen würde. Ich wollte immer möglichst wenig auffallen und um Gottes Willen keine Fehler machen. Fehler – vielleicht lag hier der Hase im Pfeffer. Ich hatte einfach immer nur Angst, Fehler zu machen, etwas Unpassendes zu sagen oder schlimmer noch, etwas Falsches. So sagte ich eben gar nichts. Das stand natürlich im krassen Gegensatz zu meinem Wunsch, nicht aufzufallen. Denn wer nie etwas sagt, fällt auf jeden Fall auf. Diesen Teufelskreis, in dem ich gefangen war, konnte ich erst sehr viel später und mit großen Anstrengungen auflösen.

    Woher aber kam diese ständige Angst? Meine Eltern waren Kinder des Zweiten Weltkrieges. Mein Vater war noch sehr jung, als er eingezogen wurde. Da er Flugzeugmechaniker war, gab es für ihn kein Entrinnen. In dieser Zeit hat er vermutlich Schreckliches erlebt. Später erzählte er uns, wenn auch nur bruchstückhaft, von brennenden Flugzeugen, sterbenden Menschen und menschenunwürdigen Behandlungen. Wen wundert es da, dass sich meine Vielzahl von zersplitterten Ängsten in einer ausgewachsenen Flugangst manifestierte? Nach dem Krieg kam mein Vater in amerikanische Gefangenschaft, die für ihn mit so vielen Demütigungen verbunden war, dass in seinem späteren Leben eine Versöhnung mit Amerika unmöglich blieb. Umso wichtiger war für mich die Begegnung mit den USA, um mich von der Geschichte meines Vaters abgrenzen zu können. Der nach dem Krieg folgende Hunger hat meine Mutter wie auch meinen Vater gezeichnet. Meine Mutter war immer sehr sparsam und hat auch mir und meiner Schwester eingebläut:

    »Wenn Du sparst, dann hast Du vielleicht in der Not.« Die Betonung liegt dabei auf »vielleicht«, denn ich weiß nicht, ob dieser Grundsatz in unserer von Finanzkrisen geschüttelten Welt, wirklich stimmt. Mein Vater hatte eine sehr eigenwillige Methode gefunden, aus diesen Zeiten Lehre zu ziehen. Er begann, Dinge zu horten, die sich als Tauschobjekte eigneten, so wie er es aus dem Krieg kannte. In unserem Keller türmten sich Seife, Spirituosen und – man mag es kaum glauben – Toilettenpapier. Voller Stolz habe ich früher meinen Freunden dieses Arsenal vorgeführt, ohne zu begreifen, dass dieser Tick meines Vaters eigentlich eine Belastung für mein eigenes Leben bedeutete.

    Die Ängste meiner Eltern hatten natürlich eine sehr reale Grundlage. Sie waren im Krieg von Hunger und Tod bedroht gewesen. Für mich als Kind waren diese Dinge schwer zu verstehen, denn ich hatte den Krieg ja nicht erlebt. Er war nur noch eine vage Bedrohung aus der Ferne, eine unscharfe Kontur, die zu erkennen ausgesprochen schwer war. Wenn meine Eltern verlangten, dass ich keinen Fehler machen sollte, dann verbanden sie damit, dass selbst ein kleiner Fehler das Leben kosten konnte. Wie sollte ich verstehen, dass von einem einzigen Fehler das Leben abhing? Aber offensichtlich hatte ich diesen Grundsatz stark verinnerlicht. Also – keine Fehler machen!

    Auch heute gibt es zweifellos Dinge, die uns das Leben kosten können: eine unvorsichtige Autofahrt, ein falscher Schritt auf die Straße oder der Absturz eines Flugzeugs. Aber jetzt weiß ich, dass das Leben voller Gefahren ist und es trotzdem möglich ist, gut zu leben, weil man, nur die Risiken vermeidend, nichts erlebt.

    Im krassen Gegensatz zu meinen Ängsten stand meine große Neugierde. Wie sollte ich sie befriedigen, ohne mein Leben zu riskieren? Für mich war das immer ein Drahtseilakt. Aber zum Glück war meine Neugierde wirklich sehr groß, so groß, dass sie tatsächlich immer wieder meine Ängste in den Schatten stellte. Und diese Momente habe ich genutzt.

    Ich habe gelernt, dass man der Angst ins Gesicht sehen sollte, dann durch sie hindurch schauen muss, um schlussendlich durch sie hindurch gehen zu können. Belohnt wird man dann mit den schönsten Momenten des Lebens.

    Ein ganz entscheidender Lebensabschnitt war der, als ich mit dem Reisen begann. Ich hatte schon als Kind von entlegenen Ländern, fremden Kulturen und selbst vom Weltraum geträumt. Damals konnte ich mir noch nicht vorstellen, dass ich tatsächlich die Möglichkeit bekommen sollte, in ferne Länder zu reisen. Während meiner Kindheit war das Fliegen noch nicht so verbreitet wie heute und eher ein Privileg der Reichen. In meinem Abiturjahrgang gab es ein einziges Mädchen, das ein Auslandsjahr in Amerika machte. Wir beäugten sie wie ein exotisches Tierchen und konnten eigentlich gar nichts damit anfangen, während das heute gang und gäbe ist, am besten noch jenseits des großen Teiches. Als sich für mich später die Gelegenheit bot, in ferne Länder zu reisen, habe ich zugegriffen. Durch die Begegnung mit anderen Kulturen, fremden Menschen und fantastischer Natur, konnte ich ein neues Selbstbewusstsein entwickeln und viele meiner Ängste auflösen. In fremden Kulturen haben oft ganz andere Dinge eine große Bedeutung. Die Ängste, aber auch die Freuden, unterscheiden sich von den unsrigen. Die Menschen haben eine andere Lebensart und es ist spannend, sie mit unserer zu vergleichen. Das Beste aus allen Welten sollte man mit auf seinen Weg nehmen. Die aufregende Natur konnte mich immer wieder »erden« und ich fühlte mich als Kind dieser Welt – der ganzen Welt.«

    »Das hört sich spannend an«. Magda bekam einen sehnsüchtigen Blick. »Du musst uns unbedingt davon erzählen, dann kann ich in der Fantasie bestimmt ein wenig mit dir reisen. Im wirklichen Leben wird mir das wohl nicht mehr gelingen.«

    »Wohin ging denn deine erste Reise?« Lothar setzte sich in Zuhörerposition. Sybille kaute an einem Stück Brot und schwieg.

    »Na los, erzähl schon«, insistierte Bernd.

    »Meine erste große Reise ging nach Florida und war ein fantastisches Erlebnis. Wie es dazu kam? Alles begann während eines Pauschalurlaubs in Griechenland 1990: Das durfte doch nicht wahr sein. Meine Freundin Julia legte sich um acht Uhr abends ins Bett und las in einem Buch. Als ich so gegen drei Uhr nachts mürrisch vor mich hin grummelte, entschloss sie sich endlich, das Licht zu löschen. Im Zimmer war es heiß und auf der Straße lärmten die Mofafahrer, an Schlaf war nicht zu denken. Am nächsten Tag ging es mit dem Bus zum Strand. Julia schnappte sich Handtuch, Sonnenschirm und Buch, legte sich lang und las weiter. Ich weiß nicht mehr, wie viele Wälzer sie in diesem Rhythmus schaffte. Es war mir auch egal. Das einzig aufregende an diesem Tag war wohl, als sich eine Wespe in meine Bikinihose verirrte und mir in den Hintern stach. Zur Belustigung aller führte ich einen kleinen Veitstanz am Strand auf. Endlich ein bisschen Bewegung. Im besten Sinne des Wortes angepiekt brach es aus mir heraus: »Julia, das halte ich nicht aus, ich bin Ende zwanzig und fühle mich wie eine Bettlägerige.«

    Julia entgegnete halbherzig: »Wieso, ist doch toll, wir haben Urlaub!«

    Urlaub – Mir war nun klar, dass ich diesem Wort unbedingt einen neuen Inhalt geben musste. Mein Leben, eher langweilig, kein Partner in Sicht, die Arbeit als MTA wie im Hamsterrad … all das musste dringend einen neuen Anstrich bekommen. Verdammt noch mal, da konnte doch wenigstens der Urlaub für ein wenig Aufregung oder besser gesagt Anregung sorgen: Reiseerlebnisse, von denen man erzählen und den Rest des Jahres zehren konnte. Wichtig war, ich wollte es alleine tun, nicht ganz alleine, aber auch nicht im Schatten meiner Freunde, denen ich mich nur allzu oft bereitwillig angepasst hatte. Ich wollte eine Gruppenreise machen, ja, mit lauter fremden Menschen. Ich stellte mir vor, dass der Kontakt mit anderen Leuten eine zusätzliche Bereicherung wäre. Ich hatte von einem Reiseunternehmen gehört, bei dem Alleinreisende sehr willkommen sind. Das Titelbild des Katalogs hatte ich schon gesehen: »Landrover-Safari durch Islands wildes Hochland«. Ja, das sollte es sein! Mit dem Landrover durch Feuer und Eis. Wenn das kein Abenteuer ist. Ich holte mir den Prospekt und las wohl hundert Mal den Abschnitt über das Alleinreisen, das Anmieten eines halben Doppelzimmers und den Spaß, den man mit Gleichgesinnten auf so einer Tour haben kann. Beim Blättern klebte ich förmlich an den Reisebeschreibungen durch ferne Länder, den Bildern von riesigen, schneebedeckten Bergen, fremden Menschen und azurblauen Meeren. Immer wieder blieb ich bei der Darstellung der Natur und der Schönheit Floridas hängen. Weißer Sandstrand, Palmen, Alligatoren in den Everglades, Vergnügungsparks und die Raketenabschussrampe von Cape Canaveral, die auf mich als Star-Trek-Fan einen besonderen Reiz ausübte. Eigentlich sollte es doch Island sein, aber konnte ich mich wirklich der Natur und Schönheit Floridas entziehen? Diesmal entschied ich: Nein, ich habe es doch lieber warm und diese Natur und Schönheit, einfach großartig. Natürlich hatte ich Angst, den geschützten Raum bei meinen Freunden zu verlassen und mein eigenes Ding zu machen. Außerdem hatte ich Flugangst und eigentlich sowieso immer Angst. Umso größer war mein Stolz, dass ich tatsächlich den Weg ins Reisebüro fand.

    »Guten Tag, sie wünschen?«

    »Ich würde gerne eine Reise buchen, nach Florida«, sagte ich und schob der Dame den Katalog mit leicht zittrigen Händen unter die Nase.

    »Oh ja, nach Florida, das ist wunderbar.«

    Sie nahm meine Daten auf und ich fühlte mich plötzlich ziemlich wichtig.

    »Da haben sie sich eine schöne Reise ausgesucht. Visum, Reiseunterlagen, wir kümmern uns um alles.«

    Zum Glück lag bis zum Reisetermin noch ein halbes Jahr vor mir und ich konnte mich langsam an den Gedanken gewöhnen, etwas Neues zu wagen. Beinahe wäre es dann doch noch schiefgegangen. Mein Blick, nun auf das Reiseziel fixiert, fiel eines Tages plötzlich auf folgende Nachricht in der Zeitung: »Wirbelsturm Andrew verwüstet Florida.«

    Gott sei Dank, dachte ich, fahre ich nach der Wirbelsturmsaison, Ende Oktober. Nur hatte ich das Problem in meiner Naivität offensichtlich nicht richtig eingeschätzt. Der Wirbelsturm war kein Gespinst meiner Angstfantasien, sondern hatte tatsächlich weite Teile Floridas zerstört.

    Das Telefon klingelte:

    »Guten Tag Frau Liel, sie hatten bei uns die Reise nach Florida gebucht.«

    »Jaaa?« fragte ich vorsichtig. Eine böse Vorahnung hing im Raum. »Sie haben sicher durch die Medien vom Wirbelsturm Andrew gehört. Leider ist es nun so, dass der Programmpunkt »Hausbootfahrt durch die Everglades« ausfallen muss, weil alles zerstört ist, die Boote, das Hotel, einfach alles. Möchten sie die Reise trotzdem machen? Sie könnten auch kostenlos stornieren.«

    Oh Gott, stornieren geht überhaupt nicht. Wer weiß, ob ich jemals wieder den Mut finden würde so eine Reise zu buchen.

    »Nein, auf gar keinen Fall. Ich möchte die Reise trotzdem machen«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.

    Mittlerweile war mir völlig egal, ob überhaupt irgendeiner der Programmpunkte stattfand. Ich wollte nur die Reise machen.

    »Gut, dann werde ich das notieren. Wenn ihre Mitreisenden auch so entscheiden, findet die Reise statt.«

    Wie, wenn meine Mitreisenden auch so entscheiden? Das müssen sie! Aber trotzdem stand die Tatsache im Raum, dass durch den Wirbelsturm Andrew die Tour doch noch ins Aus geweht werden könnte.

    »Alles klar, sie geben mir dann Bescheid?«

    »Machen wir. Schönen Tag noch Frau Liel.«

    »Auch so.«

    Na, das fing ja gut an. Der Anfang war gemacht und das Ende schon eingeläutet.

    Aber, Glück im Unglück, genügend meiner Mitstreiter entschieden sich richtig und der Reise stand nichts mehr im Wege. Eine Woche vor Beginn der Fahrt bekam ich die Unterlagen samt Ausrüstungsliste:

    Schlafsack, Isomatte, Bekleidung, Papiere – o.k.

    Teller, Tasse, Campingbesteck, große Reisetasche – nicht o.k., habe ich alles gar nicht. Wie konnte ich nur bei allem Grübeln und all den Überlegungen im Vorfeld vergessen, dass ich auch eine vernünftige Ausrüstung brauchte. Da hatte mir wohl, bei aller Strukturiertheit, mein innerer Schweinehund wieder einen Streich gespielt. Das konnte ja heiter werden. Aber diese Dinge ließen sich ja noch beschaffen, wenn da nicht plötzlich dieser bohrende Zahnschmerz gewesen wäre. War das etwa auch mein innerer Schweinehund, der sich nun an meinem Gebiss zu schaffen machte? Also musste, nur zwei Tage vor dem Abflug, noch der Gang zum Zahnarzt sein.

    »Ja Frau Liel, das sieht nicht gut aus, eine akute Entzündung. Da es sich um einen wurzelgefüllten Zahn handelt und sie in zwei Tagen in den Urlaub wollen, da muss er wohl raus. Wo geht’s denn hin?«

    »Nach Florida.«

    »Oooh, da würde ich auch gerne mal hin.« Da war es wieder, mein erhabenes Gefühl etwas Wichtiges zu tun.

    »Na ja, vielleicht klappt es für Sie ja auch mal.« Also Zahn ade und »Auf Wiedersehen.«

    »Meine Güte, da bist du ja echt über deinen Schatten gesprungen«, lachte Bernd und schlug sich mit der flachen Hand auf seinen rundlichen Bauchansatz, »hier gilt das alte Sprichwort: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.«

    »Florida liegt doch ganz im Süden der USA, ist das richtig?« wollte Sybille wissen.

    »Na klar ist Florida im Süden der USA«, antwortete Magda ungeduldig »bist du da weiter rumgekommen oder nur an einem Ort geblieben?«

    »Das war eine Rundreise und ich habe so ziemlich alles von Florida gesehen, was es dort zu sehen gibt. Es war furchtbar aufregend. Ich würde sagen, dass ich euch alles genau erzähle, wenn wir uns das nächste Mal zum Essen bei mir treffen. Das wird nämlich eine längere Geschichte.«

    »Wir freuen uns drauf«, verkündete Lothar.

    Das Leben genießen

    Florida 1992

    Draußen tobte ein heftiger Sturm. Bunte Blätter stoben durch den Garten und es begann früh zu dämmern. Der Winter stand vor der Tür und ich war froh, dass ich diesmal in meiner eigenen Küche tätig sein konnte. Wie viel schöner waren doch die Winter in Florida, dem Ort, an den mich meine erste große Reise führte. Heute wollte ich meinen neuen Freunden davon erzählen und ich war schon ganz aufgeregt bei dem Gedanken, diese wunderbaren Erinnerungen wieder aufleben zu lassen. Als es klingelte öffnete ich rasch die Tür und lauschte wie Magdalena und Sybille, angestrengt atmend, die Treppe hinaufstapften.

    »Bis ganz nach oben«, rief ich ihnen entgegen. Ich wohnte in der dritten Etage unter dem Dach. Meine etwas in die Jahre gekommene Katzendame Pothu war mir an die Tür gefolgt, fauchte einmal laut auf und flitzte, wie von der Tarantel gestochen, ins Schlafzimmer, um sich zu verstecken. Sie mochte keine fremden Menschen.

    »Hallo meine Liebe«, Magda legte mir den Arm um die Schulter, drückte mich und strich sich gleichzeitig die wild durcheinandergewirbelten Haare glatt. Sybille klopfte mir zur Begrüßung freundschaftlich auf den Rücken.

    »Dann kommt mal rein«, empfing ich die beiden »ihr könnt mir direkt beim Zubereiten des Salats helfen.«

    Sie warfen ihre kalten und feuchten Jacken, die nach Herbst rochen, über die Garderobe und folgten mir in die Küche, den zentralen Raum meiner Wohnung.

    »Schön hast du es hier«, kommentierte Sybille meine Bleibe, nachdem sie meine vier Räume mit prüfendem Blick inspiziert hatte.

    »Ich werde mal das Grünzeug hier waschen«, erklärte sie dann, machte sich direkt an die Arbeit und fragte, »Was gibt es denn heute?«

    »Erzähle ich später, wenn die anderen auch da sind, o.k?«

    »Jaja, ich bin schon sehr gespannt«, bemerkte Magda und lief zur Tür, als es ein weiteres Mal klingelte. Kurze Zeit später kamen Bernd und Lothar herein, schauten sich einmal kurz um und machten es sich ohne Umstände im Esszimmer bequem, das übergangslos an meine Küche angrenzt. Sie fühlten sich offensichtlich gleich wie zu Hause und hatten wohl keine große Lust, beim Kochen zu helfen. Mir war das Recht, denn zu viele Köche verderben ja bekanntlich den Brei. Ich bewirtete alle mit einem Prosecco.

    »Schön, dass ihr hier seid! Ich hoffe, dass unser Kochtreff zu einer schönen Gewohnheit wird, die wir lange beibehalten werden. Prost!« Ich blickte einmal in die Runde und fuhr fort: »heute gibt es neben einem Shrimpscocktail, Steaks mit Ofenkartoffeln, Sour cream, Caesar salad und zum Nachtisch einen besonderen Kuchen. In Florida, das an fast allen Seiten an den Ozean grenzt, werden gerne Meeresfrüchte gegessen, aber ebenso beliebt sind Steaks und Caesar salad, grüner Salat, der mit Croutons und Parmesankäse zubereitet wird. Wie versprochen kann ich euch dann beim Essen von meiner fantastischen Reise in die USA erzählen.«

    »Ich bin sehr neugierig. Sag doch noch mal kurz, warum du ausgerechnet Florida als erstes Reiseziel ausgewählt hast?«, erkundigte sich Bernd, nahm einen Schluck von seinem Prosecco und schaute mich erwartungsvoll an.

    »Das freundliche Klima, die Palmen und das Meer haben mich nach Florida gezogen. Ich fand es spannend einmal so weit wegzufahren, in die USA, auf die andere Seite des Atlantischen Ozeans. Die Reise war nicht zu lang und nicht zu teuer, was natürlich zu meinem Sicherheitsdenken passte. Wenn es mir nicht gefallen hätte, wäre die Zeit schnell vergangen und der Geldverlust nicht zu groß gewesen. Ja, so seltsam habe ich damals gedacht«, erklärte ich. »Wieso, das ist doch nachvollziehbar«, sagte Lothar, nahm ebenfalls einen Schluck von seinem Prosecco und bohrte noch ein wenig weiter, »hattest du denn besondere Erwartungen oder Vorurteile bezüglich dieser Reise?«

    »Hm, ich war natürlich unglaublich neugierig auf das, was ich erleben würde. Ich habe im Vorfeld viel über Florida gelesen und mich gefragt, ob ich all die Dinge genauso sehen würde. Ich wollte selbstverständlich einen schönen Urlaub erleben. Wer will das nicht«, fuhr ich fort, nahm auch einen Schluck von meinem Prosecco und fügte hinzu, »Vorurteile habe ich selten, aber in diesem Falle war ich natürlich durch die Kriegserlebnisse meines Vaters bezüglich der US-Amerikaner geprägt. Wie schon erwähnt, war mein Vater in sehr jungen Jahren zum Kriegsdienst gezwungen worden und ist in amerikanische Gefangenschaft geraten. Die Demütigungen und das Herrschaftsdenken der Amerikaner als Kriegsgewinner haben meinen Vater sehr verletzt. Bruchstückhaft hat er uns immer wieder vom Krieg und der Gefangenschaft erzählt.«

    »Na, ich denke, unsere Eltern haben Schlimmes hinter sich und unsere Generation hat, als direkte Nachkommenschaft, auch noch daran mitzutragen. Krieg zerstört halt nicht nur Menschenleben, gewachsene Strukturen und Gebäude, sondern auch jede Menge Vertrauen,« gab Lothar zu bedenken. »Ich hoffe, dass der Urlaub nicht zu sehr davon überschattet war. Erzähl doch mal.«

    »Nein, nein, ich habe das Leben in Florida genossen, der Urlaub war heiter und unbeschwert«, entgegnete ich. Nachdem die Vorspeise auf dem Tisch stand, bat ich Magda und Sybille auch ins Esszimmer zu kommen und begann mit meiner Erzählung:

    »Flug Martinair Nr. 310 von Amsterdam Schiphol am 29.10.1992 um 8:29 Uhr sollte mich nach Miami Florida bringen. Zum Glück wohnt eine Freundin von mir in Haarlem, nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt. Tags zuvor fuhr ich mit dem Zug zu ihr um dort die Nacht zu verbringen, denn ich musste sehr früh morgens am Flughafen sein.

    »Hallo Börbel.«

    Sie ist Deutsche, lebt aber schon seit vielen Jahren in den Niederlanden. So hat sich in ihre deutsche Sprache ein leicht niederländischer Akzent eingeschlichen.

    Zum piepen dieses Börbel. Gemeint war natürlich Bärbel, wie mich meine Freunde nennen.

    »Wie geht’s dir? Eine tolle Reise hast du da vor.«

    »Nun ja, ich freue mich riesig«, sagte ich und versuchte dabei geflissentlich, den Knoten in meinem Magen zu ignorieren. Wir quatschten über dies und das und der Abend verging wie im Flug. In der Nacht war kaum an Schlaf zu denken. Am nächsten Morgen brachte mich ihr Mann zum Flughafen.

    Ein letztes »Tschüss und gute Reise.«

    Da stand ich nun, wie ein kleines Kind, dass seine Mutter verloren hatte, auf dem riesigen Flughafen Schiphol. Ich hatte das Gefühl, ein Monster würde mich gleich verschlingen. Dieser Zustand der Einsamkeit hielt nur wenige Sekunden an bis plötzlich ein forsches: »Hallo, bist du auch auf dem Weg nach Florida?«, hinter mir erschallte.

    »Ja«, und ein Stein fiel mir vom Herzen, denn nun fühlte ich, das wird der beste Urlaub aller Zeiten. Zwischen Sabine und mir entspann sich sofort ein eifriges Gespräch. Gemeinsam checkten wir ein, um es uns dann im Wartebereich ein bisschen gemütlich zu machen. Wir versuchten herauszufinden, wer wohl ebenfalls mit uns kommen würde. Ein Spiel, das ich auf späteren Reisen noch oft spielen sollte.

    »Guck mal, der vielleicht, mit den dicken Wanderschuhen und dem Rucksack.«

    »Nein, ich weiß nicht, der sieht schon so alt aus.«

    »Oder der mit der kurzen Hose und dem lustigen Haarschnitt.«

    »Meinst Du wirklich?«

    Unser Blick blieb an einer kleinen Gruppe hängen. Zwei Frauen und zwei Männer, von denen einer wirklich verdächtig aussah. Um den Kopf hatte er ein rotes Tuch geschlungen, am Gürtel hing eine Wasserflasche aus Alu und auf dem Rücken der obligatorische Rucksack.

    Ja, das waren sie: Walburga, Sabrina, Gunnar und Holger2. Marion, Kirsten und Michael stießen später zu uns. Noch etwas fremd betraten wir gemeinsam das Flugzeug. Flugangst? Nein, tapfer sein! Ich versuchte, diese Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Das gelang mir ganz gut, denn ich war unglaublich gespannt auf alles Neue.

    Und schon nahm das Flugzeug Fahrt auf und nach ein paar Sekunden hob es ab in den grauen, verregneten Himmel. Ein letzter Blick auf den Flughafen, dann ging es durch die Wolken der Sonne entgegen. Über Schottland, Island, die Ostküste der USA entlang begann nach zehn Stunden der Landeanflug auf Miami. Ich starrte aus dem Fenster. Unter mir sah ich eine bräunlich-feuchte Landschaft – das mussten wohl die Everglades sein. Dann erschienen in der Ferne die Hochhäuser von Miami und kurze Zeit später setzten wir sanft auf der Landebahn des International Airport auf. Als ich aus dem Flugzeug stieg, kam ich mir vor, wie in einem Traum. Die warme Luft, der sehr blaue Himmel und der feuchte Geruch sagten mir, ich bin in der »Neuen Welt« angekommen. Vor dem Eingang wartete David Hasselhoff mit einem Schild in der Hand. Darauf stand »Suntrek«. Nein, er war es natürlich nicht, es war nur unser Reiseleiter Holger und Suntrek war die Agentur, die uns durch Florida führen sollte. »Hallo, ich heiße Holger und ich werde euch die nächsten zwei Wochen durch die Natur und Schönheiten Floridas begleiten. Ich hoffe, ihr hattet einen guten Flug.«

    »Ja, hatten wir.«

    Mit zwei Autos ging es los. Unser Reiseleiter fuhr das eine und Gunnar war als Fahrer für das andere Auto vorgesehen. Als wir über die Straßen Miamis in Richtung Hotel fuhren, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es gab das alles wirklich, all das, was ich bisher nur aus dem Fernsehen kannte: breite Straßen, typisch amerikanische Hochhäuser und diese eigenartigen Polizeiautos.

    »Urlaub fängt an«, schrie plötzlich Kirsten, unser Küken, gerade mal zwanzig Jahre alt, von der Rückbank. Auch ich dachte, ja, das kann ein großartiger Spaß werden.

    Im Hotel angekommen, war ich von dem riesigen, luxuriösen Zimmer, das ich mit Marion teilen sollte, schwer beeindruckt. In den USA ist es üblich, dass die Zimmer so groß und auf »Eiszeit« klimatisiert sind. Also musste zuerst die Klimaanlage ausgeschaltet werden. Wir wollten uns ja nicht gleich einen Schnupfen holen. Mittlerweile war es später Nachmittag und wir waren von dem langen Flug total erschöpft. Nur noch eine Kleinigkeit essen, was schon echt schwerfiel, und dann ging es am frühen Abend direkt zu Bett. Endlich schlafen. Doch nach einiger Zeit saß ich senkrecht im Bett. Die Uhr zeigte ein Uhr. Es war eindeutig zu früh, um aufzustehen. Ich war hellwach. Auch Marion rührte sich neben mir.

    »He, Marion was ist denn das?«, stupste ich sie an.

    »Ja, weiß ich auch nicht, aber ich glaube nicht, dass ich noch schlafen kann«, knurrte es aus den Kissen. Sie richtete sich auf, reckte ihre Arme in die Höhe und gähnte ausgiebig.

    »Ich glaube das ist er, der berühmte Jetlag. Bei uns zu Hause ist es jetzt sieben Uhr morgens. Beste Zeit um aufzustehen«, gab ich neunmalklug zum Besten. Marion beeindruckte mein Wissen nicht besonders, sie stöhnte laut und ließ sich zurück in die Kissen fallen. Also versuchten wir uns, im halb wachen Zustand, mit Ach und Krach die Nacht um die Ohren zu schlagen, um am folgenden Morgen todmüde zum Frühstück zu erscheinen. Anschließend verließen wir Miami in Richtung Norden.

    Unsere erste Station war Cape Canaveral mit einem Besuch des Kennedy Space Center. Auf dem Weg dorthin hielten wir an einem der schönen, breiten und sehr weißen Sandstrände an.

    Für die Rettungsschwimmer gab es tatsächlich solche Häuschen,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1