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Dunkelluft
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eBook348 Seiten4 Stunden

Dunkelluft

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Über dieses E-Book

Elsa, eine verführerisch attraktive Chinesin, kommt mit dem Vorsatz nach Wien, hier als Prostituierte in wenigen Jahren sehr viel Geld zu verdienen. Dabei begegnet sie Lois, einem ehemals vielversprechenden jungen Mann, der, von der gleichen Absicht geleitet, in den Drogenhandel abgeglitten ist. Durch Fügung, Skrupellosigkeit und eigene Schuld geraten die beiden immer tiefer in einen tödlichen Sog von Gier, brutaler Gewalt und internationaler organisierter Kriminalität. Gefahr droht aber nicht nur von der Unterwelt, auch Chefinspektor Tanner vom Drogenreferat ist ihnen unerbittlich auf den Fersen, und ihn treibt nicht nur Pflichtbewusstsein, sondern auch ein sehr persönlicher Beweggrund an.
SpracheDeutsch
HerausgeberSeifert Verlag
Erscheinungsdatum12. Dez. 2017
ISBN9783902924780
Dunkelluft

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    Buchvorschau

    Dunkelluft - H. P. Wallenberg

    40

    1

    Das nächtliche Gewitter war weitergezogen, und es hatte aufgehört zu regnen. Zurück blieben nass-schwarze Straßen, Spiegel für die Lichter der Stadt und der Sommergeruch von Regen auf warmem Asphalt.

    Jeder Gast, der die Türe öffnete und die sich langsam füllende Bar betrat, brachte eine Brise dieser wohltuenden Frische mit. Die Musik war laut wie immer, aber gerade noch so, dass man sein eigenes Wort verstehen konnte und vielleicht auch noch jenes seines Gegenübers, wenn man nahe genug beieinandersaß. Die meisten der Gäste waren aber ohnehin alleine da. Die arbeitenden Mädchen saßen fast alle an der Bar, ein Dutzend vielleicht, keine älter als Ende 20, einige noch deutlich zu jung für den Führerschein.

    Elsa saß, wie meistens, ganz links an der abgegriffenen, schwarz lackierten Theke, die Beine überschlagen, den einen Fuß auf der Trittstange aus Messing abgestützt. Sie saß gerne möglichst nahe am Eingang. Von dort aus konnte sie jeden Neuankömmling mit geübtem Blick entweder als zahlungskräftige Kundschaft, als zahlungsunwilligen Gaffer oder auch einfach als einen nicht an Damengesellschaft Interessierten einstufen. Die Männer saßen meist alleine oder in kleinen Gruppen. Die alleine Gekommenen waren oft einsame Herzen auf der Suche nach Gesellschaft, die anderen, die Geselligeren, waren größtenteils übermütig angeheiterte Nachtschwärmer in ausgelassener Feierstimmung. Meist etwas abseits fand sich nichtssagende Laufkundschaft, oft in fortgeschrittenem Alter und mit der Hoffnung auf vielleicht doch noch einen Schuss Farbe und Abwechslung in ihrem Leben. Elsa war zum Geldverdienen hier, so wie ihre Kolleginnen, von denen die meisten aus Osteuropa und einige auch aus Russland kamen, nur sie selbst kam aus China, genauer gesagt aus der Provinz Shandong, eine Autostunde von der Hauptstadt Jinan entfernt. Sie hatte kaum schulische Ausbildung genießen dürfen, weil sich ihre Eltern das Schulgeld nur für ein Kind, ihren Bruder, und nicht auch noch für sie hatten leisten können. Sie beabsichtigte, zwei oder vielleicht auch drei Jahre hier in Wien zu arbeiten und danach mit dem Ersparten ein elegantes Lokal in ihrer Heimat zu eröffnen.

    Im Übrigen entsprach Elsa weitgehend dem romantischen Klischee eines tugendhaften Mädchens vom Land. Weitgehend, das heißt von ihrer Tätigkeit im Rotlichtmilieu abgesehen.

    Sich an Männer zu verkaufen, sah Elsa ganz nüchtern und pragmatisch als die einfachste ihr mögliche Art und Weise, um reichlich Geld zu machen. Die Hälfte dessen, was sie dabei verdiente, schickte sie am Ende eines jeden Monats an ihre Familie, der sie damit eine ausreichende Lebensgrundlage und sich selbst eine edlere Rechtfertigung für ihr Tun als nur Geldgier gab. Elsa war ihrer Cousine Kim nach Österreich gefolgt. So wie diese, mit gekauften chinesischen Papieren, in denen sie Mai-Lin hieß, was nicht ihr richtiger Name war. Hier in Wien nannte sie sich Elsa. »Mein Künstlername«, wie sie meist lachend hinzufügte, wenn jemand anmerkte, dass dies kein typisch chinesischer Name sei. Eine solche Tarnung erschien ihr notwendig, um später, wenn sie wieder in ihre Heimat zurückgekehrt war, keine Spuren zu ihrer Wiener Vergangenheit zu hinterlassen. Ihren Eltern hatte sie erzählt, sie würde in einem Wiener Hotel als Rezeptionistin arbeiten, weil dort dringend jemand gebraucht wurde, der durch seine Sprachkenntnisse in der Lage war, die zunehmende Gästeschar aus China zu betreuen.

    Auch zu Hause in Jinan hatte sie schon in einem Hotel gearbeitet, sodass diese Erklärung ihren Eltern durchaus glaubwürdig erschien. Sie fragten denn auch nie weiter nach, wie ihre Tochter in Wien als kleine Angestellte so unglaublich gut verdienen konnte. Elsa, ihre Cousine Kim und noch zwei weitere Mädchen, die in der Grenzregion zu Myanmar im Süden aufgewachsen waren, hatten sich bei einer Koreanerin namens Miah eingemietet, die bereits vor fast zwanzig Jahren nach Wien gekommen.

    Miah konnte auf eine bewegte Vergangenheit als erfolgreiche Escort Lady in einer exquisiten Agentur zurückblicken. Mit feinem Gespür und skrupellosem Geschick hatte sie sich einen beachtlichen Kundenstock von einflussreichen Herren aus der gehobenen Geschäftswelt aufgebaut, ein weitgespanntes internationales Netzwerk, das sie klug und berechnend und vor allem äußerst lukrativ zu nutzen wusste. Sie hatte sich schon einiges Geld erspart und gut vorgesorgt, als mit fortschreitendem Alter das Interesse der Kundschaft angesichts ihrer welkenden Schönheit merklich nachzulassen begann. Zudem hatte sie sich schon seit Längerem mehr und mehr auf die Betreuung und Vermittlung von Mädchen verlegt. Miah beschaffte ihnen die falschen Papiere, erledigte alle Einreiseformalitäten, war dabei behilflich, die richtigen Kontakte zu knüpfen, und vermittelte einträgliche Arbeitsplätze in gut frequentierten einschlägigen Bars. Über all die Jahre war ihr Wei, ein Landsmann aus Korea, der ihr als bulliger Chauffeur diente, stets ein treu ergebener Begleiter gewesen. Sein Name sprach für sich, denn Wei heißt »Der Kräftige«, und wann immer es in brenzligen Situationen erforderlich war, wusste er seine Qualitäten eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.

    Miah kümmerte sich nicht nur um alle erdenklichen administrativen Belange ihrer Mädchen, sie war ihnen zudem eine mütterlich-fürsorgliche Madam, sodass ihre Schützlinge sie zutraulich Mama-San nannten. Natürlich gebührte ihr, wann immer sie ihre geschäftstüchtigen Hände mit im Spiel hatte, eine entsprechende Provision.

    Über ihr früheres Leben hüllte sie sich in Schweigen und gab auch nichts über ihre Familie oder Freunde preis. Aber die Mädchen konnten sich auf sie verlassen, sie war immer für sie da.

    Die Bar wurde langsam voller, so früh am Abend hatten sich aber noch nicht alle Mädchen unter die Gäste gemischt. Die meisten tippten und spielten an ihren Handys herum, über Bluetooth wurden die ersten Kontakte geknüpft. Elsa hing ihren Gedanken von Glück, Erfolg und Reichtum nach, als ihr Handy auf der Theke vibrierend aufleuchtete und sie zurück in die Realität summte. Eine Nachricht von Mama-San. In dreißig Minuten sollte sie im Hotel Astoria sein, und einen koreanischen Geschäftsmann treffen, mit dem Mama-San, als sie noch um einiges jünger war, sehr gut befreundet war. Diesen Herrn müsse sie dann zu einem geschäftlichen Dinner begleiten. Wei war schon unterwegs, er würde sie in zehn Minuten vor der Bar erwarten. Elsa war erleichtert, ihr Abend war gerettet. Dieser Auftrag bewahrte sie vor einer langen Nacht in der stickigen Bar und dem unablässigen Werben um die Aufmerksamkeit und Gunst der fast immer angetrunkenen Freier. Koreaner kannte sie als üblicherweise gepflegte und sehr großzügige Männer. Mama-San schaute eben auf ihre Mädchen, auf Mama-San war immer Verlass.

    Wei hatte Elsa schon früher zu Kunden ins Astoria gebracht, natürlich kannte er den Weg dorthin, und Elsa kannte das Hotel. Die Dame an der Rezeption schien Elsa aber nicht wiederzuerkennen oder gab es zumindest vor. Elsa wusste, wo sich die Bar befand, und ging, freundlich zur Rezeption hin grüßend, zielstrebig durch die Lobby, geradewegs zum Lift.

    Sie spürte die musternden Blicke der Rezeptionistin in ihrem Rücken, als sie wartend vor dem Lift stand, bis die zweiteilige Glastür sich endlich öffnete und sie in der Kabine verschwand. Mr. Park Cho-Hee war einer der wenigen Gäste an der Theke, kein anderer kam hier als ihr Kunde in Betracht. Er war nicht sehr groß, aber von kräftiger, stämmiger Statur. Tiefschwarze Augen blickten wachsam aus seinem rundlichen Gesicht, sie hatten Elsa schon entdeckt, lange bevor sie ihn gesehen hatte. Die pechschwarzen, öligen Haare ließen seine Haut noch weißer erscheinen, als sie ohnehin schon war. Elsa steuerte geradewegs auf ihn zu. Der Koreaner stand höflich auf, als sie sich ihm näherte und ihn fragte, ob er der Herr aus Korea, der Bekannte ihrer Mama-San sei.

    »Ja, der bin ich, Park Cho-Hee! Und Sie müssen Elsa sein!?«, begrüßte er sie auf Chinesisch und mit einem kurzen, freundlichen Lächeln.

    Sie nahmen beide an einem Tisch Platz, Elsa bestellte Kaffee, Mr. Park ein Glas Wein. Es entging Elsa nicht, wie er sie aus den Augenwinkeln heraus kritisch musterte. Er erkundigte sich nach ihrem Befinden, woher genau sie komme und betrieb eine Zeitlang gepflegt höfliche Konversation auf Englisch mit eingestreutem Chinesisch. Dann kam er auf den Ablauf des heutigen Abends zu sprechen. Er erklärte, was dabei ihre Rolle war. Sie würde später bei einem für ihn sehr wichtigen Geschäftsessen im Palais Coburg seine Begleitung sein. Die anderen Geschäftspartner seien Koreaner, Deutsche und Österreicher. Sie komme zwar als seine Begleitung, solle aber wie eine Gastgeberin agieren und freundlich und aufmerksam zu allen seinen Gästen sein. Während der Verhandlungen möge Elsa sich um die Damenbegleitung der Geschäftspartner kümmern und dafür sorgen, dass sie sich gut unterhielten und nicht langweilten.

    Vor dem Hotel stand schon eine Limousine bereit. Mr. Park hielt Elsa die Türe auf und nahm neben ihr auf dem Rücksitz Platz. Während der Fahrt zum Coburg wechselten sie kein Wort, ohne dass die Stille peinlich oder auch nur unangenehm gewesen wäre. Mr. Park hatte zwei Tische für zehn Personen reserviert. Sie waren groß und rund, und ein jeder bot Platz für mehr als nur fünf Personen. Extra für diesen Anlass dorthin geschoben, standen sie irgendwie deplatziert im entlegensten Winkel des Restaurants. Mr. Park machte sich noch Gedanken über die beste Sitzordnung, vor allem, wo strategisch der günstigste Platz für ihn selber war. Er entschied sich dann für seine Lieblingsvariante; Rücken zur Wand, den Eingang im Blick, ein möglicher Fluchtweg nicht weit. Wenn es sich einrichten ließ, wählte er seinen Platz nach diesen Kriterien, das gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, und bei unliebsamen Überraschungen die Möglichkeit, entsprechend zu reagieren. Während der geschäftlichen Besprechung würden die Männer an einem Tisch unter sich bleiben, den Damen war währenddessen der zweite Tisch zugedacht. Erst nachdem das Geschäft hoffentlich erfolgreich abgeschlossen war, würden sie den Abend gemeinsam verbringen.

    Da Mr. Park als Gastgeber agierte, war er mit Elsa um einiges früher gekommen, als mit den ersten Gästen zu rechnen war. Gemeinsam trafen zwanzig Minuten später die anderen vier Herren ein, so als hätten sie einander schon vorher anderswo getroffen.

    Jeder von ihnen kam in Begleitung einer Dame. Keines der Paare erweckte den Eindruck, als hätte es sich schon vor dem heutigen Abend gekannt.

    Mr. Park begrüßte alle und stellte dabei Elsa sehr förmlich vor. Anschließend wies er allen ihre Plätze zu. Das Geschäft sollte während des Essens abgeschlossen werden. Mr. Park bevorzugte das »Während« gegenüber dem »Davor« oder »Danach«. Er hatte gute Erfahrungen damit gemacht, wenn die Partner beim Verhandeln nicht wirklich hungrig waren, aber noch nicht so wohlig satt und träge wie gewöhnlich nach dem Mahl. Die Vorspeisen wurden serviert, während die Männer schon ernst und konzentriert besprachen, was besser schon im Vorfeld zu besprechen war. Die Weingläser blieben währenddessen unberührt. Am Nebentisch genossen die Damen die vorzüglichen Speisen, trotzdem war Elsa bemüht, mit einem halben Ohr der Unterhaltung der Männer zu folgen. Soweit sie dem auf Englisch geführten Gespräch folgen konnte, ging es um große Geschäfte und dementsprechende Beträge im Stahlgeschäft.

    Nach einer Stunde intensiver Verhandlungen schienen sich die Herren zu entspannen, schenkten Wein ein und prosteten sich zu. Unter dem Tisch wurde, was Elsa nicht entging, herumgefummelt und etwas weitergereicht, und die zwei Männer, die mit Aktenkoffern gekommen waren, sollten später ohne die Koffer wieder heimgehen.

    Nun wurden die Tische zusammengerückt, die Herren lockerten Krawatten und Gehabe und wandten sich jetzt den Damen zu. Besonderen Grund zum Feiern hatten offensichtlich die Deutschen, welche dennoch als Erste aufbrachen und die Runde verließen. Nach ein paar weiteren Drinks verabschiedeten sich auch die Österreicher, weshalb sich Mr. Park mit dem verbleibenden Koreaner in seiner Sprache, und nicht mehr wie bisher in Englisch unterhielt. Elsa konnte der Unterhaltung noch so halbwegs folgen, das andere Mädchen verstand mit Sicherheit kein einziges Wort.

    Einige Stunden und etliche Gläser später landete sie mit Mr. Park in seinem Zimmer im Astoria. Er hatte nicht wenig getrunken, wirkte aber immer noch äußerst kontrolliert. Bevor er sich entkleidete und im Bad verschwand, verstaute er noch den wertvollen Inhalt seines Aktenkoffers im Zimmersafe.

    Er wünschte nicht, dass Elsa die ganze Nacht bei ihm blieb, erwies sich aber als außerordentlich großzügig. Bevor sie ihn schließlich verließ, bat er sie noch um ihre Telefonnummer.

    Als Elsa zu Hause eintraf, saß Mama-San schon beim Frühstück am Küchentisch. Die anderen Mädchen schliefen noch oder befanden sich auswärts bei ihren Kunden. Noch neugieriger als sonst, wollte Mama-San wissen, wie denn der Abend gewesen sei, dabei war sie an allem, was Mr. Park persönlich betraf, besonders interessiert: Ob er sich auch nett und großzügig verhalten und ob er mit ihr auch über zu Hause, über Korea, gesprochen habe, fragte sie. Elsa war noch im Stadium frühmorgendlicher Wortkargheit, Miah hingegen schon ziemlich aufgedreht. Sie erzählte, dass Mr. Park aus einer sehr alten, sehr einflussreichen Familie stammte, und dass vor allem sein Vater zu Hause in Seoul eine große Nummer war. Mr. Park war offensichtlich kein gewöhnlicher Geschäftsmann, der Handel betrieb, sondern jemand, der durch die Macht und den Einfluss seiner Organisation Geschäfte erleichterte oder überhaupt erst ermöglichte. Darum bezeichnete er sich selber als »Facilitator«, als »Moderator« und verwehrte sich gegen die Bezeichnung Lobbyist. Diese feine Unterscheidung schien ihm sehr wichtig zu sein, weil er sich nicht gerne mit diesen, wie er sie nannte, »Stiefelleckern« auf einer Stufe sah. Darüber hinaus war nicht sehr viel über ihn bekannt, was in seiner Welt, in der Diskretion als unabdingbare Grundlage aller Geschäfte galt, von großem Vorteil war.

    Noch vorteilhafter war für Mr. Park jedoch die Zugehörigkeit zu einem sehr einflussreichen Syndikat, einer Organisation von jener Art, die man als Mafia oder in Elsas Heimat als die Triaden kannte. Mr. Parks Syndikat war das koreanische Pendant dazu und hieß Jokop.

    »Parks Vater«, fuhr Mama-San in ihrer Schilderung fort, »spielte eine sehr bedeutsame Rolle im Netzwerk dieser Organisation. Er hatte die allerbesten Kontakte, bis hinauf zu Kim Tae-chon, der, als er noch lebte, der Godfather der koreanischen Mafia war.«

    Mama-San redete und redete, sie ging dabei kaum noch auf Elsas Fragen und Bemerkungen ein, so sehr hatte dieses Thema sie in Fahrt gebracht. Sie schilderte Elsa Mr. Parks Organisation als ein international tätiges, sehr einflussreiches Netzwerk zur Abwicklung ganz unterschiedlicher, und nicht immer nur dunkler Geschäfte.« Diese Leute bringen die richtigen Akteure zusammen. Sie sorgen auch dafür, dass die notwendigen Kanäle durchgängig sind, und beseitigen allfällige Hindernisse zuverlässig und sehr effektiv. Da sie in der Wahl ihrer Mittel nie zimperlich waren, haben sie sich nicht nur im eigenen Land großen Respekt verschafft. Die Jokop bietet Schutz und Sicherheit und hat dadurch auch so manchem Politiker den Weg nach oben erst gangbar gemacht. Im Gegenzug fordert sie Gehorsam sowie absolute Loyalität. Drogen, Waffen wie auch das Glücksspiel sind fest in ihrer Hand!« Mit Begeisterung führte Mama-San auch noch an, wie die Jokop das, was sie den Reichen nahm, nach unten, an die Armen weitergab.

    Elsa hatte schon längst fertig gefrühstückt, blieb aber sitzen, um nicht unhöflich zu erscheinen. Nach einer Weile, als Mama-San gar nicht aufhören wollte, stand sie aber dennoch auf und begann langsam das Geschirr abzuräumen.

    Mama-San war zwar Koreanerin, aber trotzdem war Elsa überrascht und beeindruckt, wie gut sie über die Jokop informiert zu sein schien. Sie selber war Chinesin, hätte über die Triaden aber kaum fünf Sätze zu sagen gewusst.

    2

    Das Sportstadion der Schule war bis zum letzten Platz gefüllt. Schüler, Eltern und andere Sportbegeisterte waren gekommen, um dem Höhepunkt der Meisterschaften, dem Finale im 100-m-Sprint beizuwohnen. Fast völlige Stille, während das Startkommando ertönt, dann sofort eine Woge begeisterter Anfeuerungsrufe, als endlich der befreiende Startschuss fällt. Die halbe Strecke liegen die sechs Finalisten fast gleichauf, dann ziehen zwei von ihnen dem restlichen Feld davon. Sie laufen nicht auf nebeneinanderliegenden Bahnen, trotzdem ist der Vorsprung deutlich zu sehen. Sieg! Hurra! Gewonnen! Seine unterlegenen Gegner gratulieren ihm sportlich fair, wie auch die ersten herbeigeeilten Klassenkameraden. Sie stürmen auf die Laufbahn und fallen ihm um den Hals.

    Keiner seiner Gegner war auch nur annähernd so schnell gelaufen wie er. Lois Vogel hatte die 100 m unter 12 Sekunden geschafft, er war damit soeben Meister geworden, überdies unterbot er mit dieser Zeit auch den bisherigen Landesrekord. Und das, obwohl er wegen der bevorstehenden Matura mit nur wenig Zeit für das vorbereitende Training angetreten war.

    Er konnte das Ende seiner Schulzeit schon nicht mehr erwarten. An einem positiven Abschluss gab es keinen Zweifel, hatte er doch in fast allen Klassen ein ausgezeichnetes Jahreszeugnis gehabt. Jetzt, durch die zum Greifen nahe Freiheit, war er noch zusätzlich motiviert. Acht harte, entbehrungsreiche Jahre im Internat waren mehr als genug. Das viele Lernen, die strenge, konservative Erziehung, die persönlichen Einschränkungen, das fast völlige Fehlen alles Privaten, es sollte bald ein Ende haben.

    Nach der erfolgreich absolvierten Matura wollte er gleich nach Wien. Er träumte davon, Germanistik und Geschichte zu studieren, aber vor allem und zuallererst einmal die ungewohnte Freiheit, das Leben »da draußen« in vollen Zügen genießen. Je näher der Prüfungstermin kam, desto mehr Pläne und Ideen kreisten in seinem Kopf, Pläne, was nicht alles in Wien auf ihn warten würde: Mädchen, Ausgehen, Kino, Theater, Konzerte, das alles und noch mehr musste ausgiebig nachgeholt werden. Auf die Matura konnte er sich schon kaum mehr konzentrieren, er schaffte sie, aber nur irgendwie und gerade noch, weit weg von einer Auszeichnung.

    In den folgenden Ferien war nicht einmal Zeit für einen kurzen Urlaub, kein ausgedehntes Trampen wie in den vergangenen Jahren, zum Jazzfestival nach Antibes an die Côte d’Azur oder zum Roma-Treffen nach Saintes-Maries-de-la-Mer. Dieses Jahr ging der ganze Sommer für die Wohnungssuche drauf. Alleine konnte er sich keine Wohnung leisten, also suchten sie zu dritt. Er, zusammen mit zwei Schulfreunden, mit denen er schon im Internat eng befreundet gewesen war. Gleiche Wellenlänge, viele gemeinsame Interessen, durch acht intensive, prägende Jahre im Internat fast wie Brüder zusammengeschweißt. Schließlich fanden sie etwas Passendes, sehr klein zwar, ziemlich schäbig, wenig Licht und weil im Erdgeschoss leider auch entsprechend laut, dafür aber leistbar. Auf alle Fälle jedenfalls, für den Anfang gut genug. Eine Matratze auf dem Boden, ein Bücherregal von Ikea, die restlichen Möbel um einen Pappenstiel am Flohmarkt zusammengekauft. Die Ansprüche waren sehr bescheiden, Hauptsache er hatte sein eigenes Reich. Der einzige Onkel unterstützte ihn großzügig. Weil er selber keine Kinder hatte, behandelte er ihn wie einen Sohn, den zu haben ihm vom Schicksal leider nicht vergönnt gewesen war.

    Der Beginn des Studienjahrs verlief nicht ganz so, wie Lois sich das erträumt und vorgestellt hatte. An der Uni ewiges Anstellen in langen Schlangen beim Inskribieren, zermürbend viele Laufereien, zeitraubend auszufüllende Formulare ohne Ende. Der Universitätsalltag war bereits eine herbe Enttäuschung; die Alma Mater war kein Hort vergeistigter Denker, wie er gedacht hatte, keine Spur vom Flair der großen weiten Welt, vielmehr ein Massenauflauf von bieder-braven Kleingeistern. Die ersten paar Vorlesungen in Germanistik besuchte er, blieb aber jeweils nicht sehr lange. Zu schulisch, zu unerträglich geistlos erschien ihm die Atmosphäre sowie der überwiegende Teil seiner Studienkollegen.

    Ein wenig erfreulicher vollzog sich sein Einstieg in das Studium der Geschichte. Der Hörsaal war nicht ganz so voll, und die junge Professorin gestaltete die Vorlesung lebhaft und interessant. Außerdem waren die anwesenden Mädchen wesentlich hübscher, besonders eine, neben der zu sitzen ihm in den ersten paar Wochen aber nur ein einziges Mal gelang. Auffallend oft saß leider ein anderer neben ihr, ziemlich oft sogar, musste er sich eingestehen, und nach einiger Zeit fast immer. Lois verlor zunehmend das Interesse; zuerst an dem Mädchen, dann an der Vorlesung, schließlich am Fach Geschichte überhaupt. Studieren hatte er sich anders vorgestellt, irgendwie interessanter, mitreißender, cooler, vor allem nicht in so einem Haufen angepasster Spießer. Nach zwei Semestern ließ er beides sausen, Germanistik wie auch Geschichte und inskribierte Sinologie. Dass sein Interesse nun plötzlich der Chinakunde galt, lag aber nicht an der zunehmenden Bedeutung Chinas als aufsteigende Welt- und Handelsmacht, sondern, wie seine Mitbewohner nicht ganz zu Unrecht erkannten, ganz einfach daran, dass es schlichtweg irgendwie cool und lässig klang. Lois ließ sich jedoch nicht beirren, er meinte, China habe Stil, auch assoziiere man damit alte fernöstliche Weisheit, und dieser Nimbus passe zu ihm.

    Er ließ sich auch dann nicht beirren, als sein Onkel versuchte, ihn durch sanften Druck doch noch zu einer bodenständigeren Berufswahl zu motivieren und ihm deshalb seine bisherige finanzielle Unterstützung vorenthielt. Der sanfte Druck des Onkels hielt aber nicht lange an, und die Sorge, dass Lois, der ganze Stolz der Familie, nicht genug zu essen habe, ließ die monatlichen Zahlungen sehr bald wieder großzügig fließen.

    Doch auch die Begeisterung für den Fernen Osten währte nicht sehr lange. Nach zwei, drei Semestern, ging Lois kaum noch auf die Uni, bis er eigentlich nur noch inskribierte, um nicht den Anspruch auf die wirtschaftlichen Vergünstigungen für Studierende zu verlieren. Anfänglich lag ihm noch daran, den Eindruck zu wahren, dass er jobben müsse, um studieren zu können, bis das »um studieren zu können« selbst für ihn nicht mehr glaubhaft klang. Nach dem überraschenden Tod seines Onkels, welcher ihn aus bitterer Enttäuschung über seine fruchtlose Studiererei in seinem Testament nur ganz gering bedacht hatte, bröckelte der letzte Rest an studentischer Fassade endgültig ab.

    Ohne irgendeine Zukunftsplanung oder ein wenigstens kurzfristig angestrebtes Ziel, hielt sich Lois mit Gelegenheitsjobs so recht und schlecht über Wasser; Packerlschupfen bei der Post, Kartenabreißen im Kino, Servieren in verschiedenen Beisln dort und da. Immer häufiger auch ein paar kleine, aber manchmal auch gar nicht so kleine Drogengeschäfte am Naschmarkt, in einschlägigen Lokalen und anderswo. Überraschenderweise liefen diese Geschäfte ohne großes Zutun immer besser und wie von selbst. Was anfänglich nur dazu diente, den bescheidenen eigenen Konsum zu finanzieren, und bestenfalls ein paar zusätzliche Euros abwarf, wurde zunehmend zu Lois´ finanziellem Hauptstandbein.

    Bald wurde es sein einziges, und er ließ alle seine anderen Jobs bleiben, weil sie in einer Woche nicht halb so viel einbrachten wie ein einziger durchschnittlich gut gelaufener Deal. Er wurde immer professioneller, so kaufte er mit der steigenden Zahl seiner Abnehmer von seinen Quellen auch immer größere Mengen ein.

    Durch die stetig wachsenden Umsätze war Lois bei seinen albanischen Lieferanten gern gesehen, auch weil er ihnen als einer vorkam, der verlässlich war, nicht viel redete, einer, der wusste, was er tat.

    Lois genoss sein neues Leben. Bald erschien ihm seine Gymnasial- und Studentenzeit so fern und fremd, als hätte das jemand anderer erlebt. Trotzdem aber hatte er immer noch ein eigenartig unangenehmes Gefühl, wenn er an der Universität oder am Neuen Institutsgebäude vorbeiging. So wie jetzt eben, auf dem Weg zu einem Treffen mit Kunden. Als Student war er da oft hinauf in die Mensa zum Essen gefahren, damals noch mit dem ratternden Paternoster-Lift. Er, ganz naives Landei, hatte anfänglich gedacht, dass der Lift am oberen Umkehrpunkt zusammenklappt, und hatte sich deshalb an seinem ersten Tag keine ganze Runde durchzufahren getraut. Rückblickend fand er sich unsagbar dumm, geradezu peinlich provinziell. Beim letzten Mal war er dann schon nicht mehr zum Essen gekommen, sondern nur noch, um einem Abnehmer eine Lieferung zu bringen. Den Paternoster gab es damals schon nicht mehr.

    Lois war nun schon fast an seinem Ziel, dem Treffpunkt im Votivpark angekommen. Ein junges Paar wollte sich für einen Urlaub in den Bergen noch einen kleinen Vorrat zum Kiffen besorgen. Er kannte die beiden nicht, auch hatte er nur kurz am Telefon mit dem Burschen gesprochen. Ihr Verhalten war allerdings so betont unauffällig, dass sie ihm von Weitem schon als seine Kundschaft ins Auge stachen. Er setzte sich mit den beiden auf eine Bank, das Mädchen war aber zu nervös, es stand lieber wieder auf und ging ruhelos auf und ab. Er hatte einen grünen Marokkaner als günstigen Alltags-Shit im Angebot, schwarzen Afghanen für besondere Anlässe und frisches, noch stark duftendes Öl aus der Türkei zum Chillen am Abend und für die Nacht. Sein Kunde nahm von allem etwas, zahlte ohne zu verhandeln den geforderten unverschämt hohen Preis und machte sich mit seinem Mädchen Hals über Kopf aus dem Staub. 700 Euro Umsatz, 300 Euro Gewinn, Zeitaufwand keine zwanzig Minuten. Lois war schon jetzt zufrieden, dabei war der Tag noch jung.

    Für den Abend hatte Lois ein Treffen mit seinem Lieferanten, einem Albaner ausgemacht. Er beabsichtigte, größer ins Geschäft einzusteigen, weswegen es einiges mit ihm zu besprechen gab. Zuvor wollte er aber ins Fitness-Studio zum Training, und wenn dann noch genügend Zeit übrig blieb, stand eine Wohnungsbesichtigung auf dem Plan: drei Zimmer, neu renoviert, zentral im 1. Bezirk. Nicht gerade billig, aber er konnte es sich leisten. Wenigstens wurde sie vom Besitzer direkt vermietet, ohne die sonst übliche Provision.

    Zu seinen beiden bisherigen Mitbewohnern hatte er nämlich mittlerweile, wenn überhaupt, nur noch ganz oberflächlichen Kontakt, zu unterschiedlich war ihr Leben geworden. Er machte ihnen gegenüber keinen Hehl daraus, womit er seinen Unterhalt bestritt. Sosehr sie ihn auch umzustimmen und davon abzubringen versuchten, ihr gutgemeintes Gerede war vergebens, es stieß nur auf taube Ohren. Inzwischen hatte Lois auch genug Geld verdient, um sich Besseres leisten zu können als die heruntergekommene Studentenbleibe, und so hatte er beschlossen umzuziehen.

    Um fünf kam er ins Studio zum Training. Im Vorbeigehen sah er einen seiner albanischen Lieferanten beim Aufwärmen im Kickbox-Raum. Sie grüßten einander nicht, und zeigten auch sonst mit keiner Reaktion, dass sie einander kannten. Nichts sollte den anderen ihre geschäftliche Beziehung verraten.

    Lois machte das Training Spaß. Brust, Bauch, Wade. Er fühlte sich gut in Form, trotz zunehmenden Zigaretten- und Cannabis-Konsums sowie immer häufiger auch eines Mangels an frischer Luft und Schlaf. Seine gesundheitlichen Reserven aus einer sportlichen Kindheit und Jugend wurden langsam, aber stetig aufgebraucht. Zwei seiner Trainingsbekanntschaften bestellten, während er schwitzend Eisen bewegte, eine stattliche Menge Roten Libanesen, der wenn irgendwie möglich bis spätestens morgen zu liefern war. Der Gedanke, dass der Gewinn von nur diesem Geschäft bereits die halbe Miete für die neue Wohnung war, wirkte geradezu anabol. Lois griff zu schwereren Hanteln und drückte damit einen weiteren Satz.

    Im Duschraum herrschte das um diese Zeit übliche

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