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Das Ross der Himmelsphantasie: Eine Anthologie des Spätwerks
Das Ross der Himmelsphantasie: Eine Anthologie des Spätwerks
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eBook351 Seiten4 Stunden

Das Ross der Himmelsphantasie: Eine Anthologie des Spätwerks

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Über dieses E-Book

Karl May - dieser Name steht für spannende, niveauvolle Unterhaltung, für legendäre Helden wie Winnetou und Old Shatterhand. Die vorliegende Anthologie zeigt, dass die literarische Spannbreite des sächsischen Phantasten viel größer ist als vielfach bekannt. Die facettenreiche Sammlung von Texten aus der letzten Schaffensperiode des meistgelesenen Autors deutscher Sprache präsentiert May als Weltanschauungsschriftsteller, der mit seinen Schriften Impulse zur Humanisierung vermitteln wollte.

DAS ROSS DER HIMMELSPHANTASIE enthält neben ebenso fesselnden wie tiefgründigen Erzählungen auch Reflexionen, Gedichte und autobiografische Texte. Eine bunte literarische Reise in den unbekannteren Teil des 'May-Universums', die den passionierten Leser zu einer Neuentdeckung des faszinierenden Autors einlädt.

Mit fachkundigen Kommentaren und einer Einführung des Herausgebers Hartmut Wörner (Geschäftsführer der Karl-May-Gesellschaft).
SpracheDeutsch
HerausgeberKarl-May-Verlag
Erscheinungsdatum9. Nov. 2017
ISBN9783780216274
Das Ross der Himmelsphantasie: Eine Anthologie des Spätwerks
Autor

Karl May

Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May)[1] war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. (Wikipedia)

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    Buchvorschau

    Das Ross der Himmelsphantasie - Karl May

    www.karl-may.de

    Zu diesem Buch

    „Die Liebe ist eins, ist unteilbar."

    Karl May, Am Jenseits

    „Man ist ja schier ratlos gegenüber einem literarischen Gebilde, das sich mit kaum einem anderen auf eine Stufe stellen lässt. Sein Werk ist umstritten und war es seit jeher: Man verehrt und liebt in ihm einen gütigen und humorvollen Erzieher der Jugend, und man schilt ihn als einen Aufschneider und Lügner; man verweist ihn aus der Literatur in den Sumpf der Kolportage, und man hebt ihn andererseits zur Bedeutung großer Literatur empor als Surrealisten, als Symbolisten, als eine Art Vorläufer der Kafka, Sartre und Kasack, was er in seinem Alterswerk in der Tat gewesen ist. Der eine preist ihn als frommen Christen, der andere verdammt ihn als Verherrlicher brutaler Kraftmeierei; der eine lobt seinen schlichten verständlichen Stil, der andere tadelt sein Kanzleideutsch; die einen bestaunen sein Wissen, die anderen nennen ihn flach. Für manche ist er ein Verfechter des Pazifismus, für andere ein Verherrlicher von Kampf und Krieg."

    Seit Prof. Dr. Heinz Stolte, der Nestor der Karl-May-Forschung, 1988, in der Endphase der Massenwirkung Karl Mays, diese Zeilen schrieb, hat sich einiges verändert. May, dessen Geburtstag sich am 25. Februar 2017 zum 175. Male jährt, gibt heute kaum noch zu Kontroversen Anlass. Obwohl sein Werk über eine große Zahl von ‚Karl-May-Spielen‘ auf der Theaterbühne sowie durch neue Verfilmungen auch im 21. Jahrhundert wirkt und nach wie vor die Kulturwissenschaften beschäftigt, ist es doch bei Weitem nicht mehr so präsent wie früher. Das Interesse an Mays Schriften hat nachgelassen. Zwar wird der einst vielleicht wirkungsmächtigste deutsche Autor noch gelesen; es ist jedoch keineswegs sicher, dass seine Literatur in einigen Jahrzehnten in der breiten Öffentlichkeit noch im gleichen Umfang präsent sein wird.

    Resultierte Mays Wirkung, vor allem auf jugendliche Leser, in der Zeit seines großen Erfolgs primär aus seiner Kraft als mitreißender Phantast, so könnte sich aus heutiger Sicht eine nachhaltige Bedeutung auch aus seiner Qualität als ‚Weltanschauungsschriftsteller‘ ergeben.

    „Mehr als Esprit, Witz und Originalität imponiert mir die ethische Integrität eines Schriftstellers. Wenn er in der Lage ist, das Positive im Leser zu aktivieren und über den Anreiz interessanter Handlungsabläufe hinaus auch zu einer Humanisierung des Menschen beizutragen, dann hat er mein Vertrauen."

    Dieser Ausspruch des Hermann Hesse-Herausgebers Volker Michels lässt sich auch auf Karl May beziehen und kann in einer Epoche, in der die Humanität nach wie vor wirksamer Fürsprecher bedarf, seine Aktualität begründen. Mays Werk enthält – bei aller geschäftstüchtigen Anpassung des Berufsschriftstellers an unterschiedliche Publikationsorte und -formen – einen glaubwürdigen ethischen Kern, der auch in unserer Zeit noch Impulse zur Humanisierung geben kann. Ungeachtet der äußerlichen Veränderungen und Brüche von Mays literarischem Schaffen in einer Bandbreite zwischen der Darstellung brutaler Gewalt und christlicher Frömmelei zeigt dessen innerer Kompass schon seit seinen frühen programmatischen Schriften Geographische Predigten und Das Buch der Liebe von 1875 hin zu einer transzendenten Veredelung des Menschen und der Menschheit. Karl May vertrat eine Botschaft, in deren Zentrum die Humanisierung im Zeichen der Liebe stand. Liebe, Gott und Gotteskindschaft des Menschen waren für den Autor untrennbar miteinander verknüpft. Obwohl Karl Mays Botschaft transreligiös wirkt und er kein orthodoxer, konfessioneller Christ war, ist die christliche Liebesbotschaft der Bergpredigt der Dreh- und Angelpunkt seiner Spiritualität.

    Dieser innere Überzeugungskern des „geographischen Predigers der Liebe" (Peter Hofmann), der, wenn auch manchmal verpuppt, sein ganzes Werk durchzog, prägt vor allem Mays Spätwerk, das nach seiner Orientreise von 1899/1900 entstand. Das vorliegende Buch konzentriert sich deshalb auf diese späten Schriften und will bewusst nicht den ‚ganzen‘ Karl May präsentieren. Wer einen ersten Einblick in alle Facetten seines Schaffens erhalten will, sollte auf das im Karl-May-Verlag erschienene Karl-May-Lesebuch zurückgreifen. In den nachstehenden Texten geht es hingegen um einen – durchaus zentralen – Aspekt des Werks des großen Sachsen, seine religiös-philosophische Achse, die in seinen späten Werken ihren reifsten literarischen Ausdruck gefunden hat.

    Die in dieser Anthologie enthaltenen May-Texte folgen jeweils der ersten Druckfassung. Dabei erheben die Textfassungen keinen philologischen Anspruch. Soweit das äußere Bild der Erstdrucke für den Leser unserer Zeit ungewohnt angemutet hätte, erfolgte eine Modernisierung. Dies betrifft insbesondere extrem überholte Schreibweisen wie „Thor, „Nöthige, „compacte, „ächte. In diesem Sinne wurde auch die Verwendung von „ß und „ss" den aktuellen Rechtschreibregeln angepasst. Um die eigene ‚Atmosphäre‘ der Erstdrucke erlebbar zu machen, wurden jedoch manche Eigenheiten in Orthografie und Interpunktion belassen. Dies kann bis zu Abweichungen der Schreibweisen in den verschiedenen Texten führen, z. B. bei dem Begriff ‚Dschemma‘ bzw. ‚Dschemmah‘.

    Sollte dieses Buch Ihr Interesse an Karl Mays Leben und Werk geweckt haben, finden Sie weitere Informationen auf der Internet-Präsenz der literarischen Karl-May-Gesellschaft e.V.: www.karl-may-gesellschaft.de, und auf den Webseiten des Karl-May-Museums/Radebeul (www.karl-may-museum.de), des Karl-May-Hauses/Hohenstein-Ernstthal (www.karl-mayhaus.de) und des Karl-May-Verlags (www.karl-may.de).

    Das „Ross der Himmelsphantasie"

    Das war das Ross der Himmelsphantasie,

    Der treue Rappe mit der Funkenmähne,

    der keinen andern Menschen trug als seinen Herrn,

    den nach der fernen Heimat suchenden.

    Sobald sich dieser in den Sattel schwang,

    gab es für beide nur vereinten Willen.

    Die Hufe warfen Zeit und Raum zurück;

    Der dunkle Schweif strich die Vergangenheiten.

    Des Laufes Eile hob den Pfad nach oben.

    Dem harten Felsen gleich ward Wolke, Dunst und Nebel,

    und durch den Äther donnerte das Rennen

    hinauf, hinauf ins klare Sternenland.

    Dort flog die Mähne durch Kometenbahnen,

    und jedes Haar klang knisternd nach der Kraft,

    die von den höchsten aller Sonnen stammt

    und drum auch nur dem höchsten Können dient.

    Und taten sich die Tore wieder auf,

    die niederwärts zur Erdenstunde führen,

    so tranken Ross und Reiter von dem Bronnen,

    der aus der Tiefe jenes Lebens quillt,

    und kehrten dann im Schein der Sterne wieder.

    Der Reiter hüllte leicht sich in den Silbermantel,

    den ihm der Mond um Brust und Schultern warf,

    und seiner Locken Reichtum wallte ihm vom Haupte.

    Des Rosses düstre Mähne aber wehte,

    im Winde flatternd wie zerfetzte Strophen,

    schwarz auf des Mantels dämmerlichtem Grund.

    Und jene wunderbare Kraft von oben,

    die aus den höchsten aller Sonnen stammt,

    sprang in gedankenreichen Funkenschwärmen

    vom wallenden Behang des Wunderpferdes,

    hell leuchtend, auf des Dichters Locken über

    und knisterte versprühend in das All.

    Zum vorstehenden Text:

    Die poetische Schilderung eines Ritts auf dem „Ross der Himmelsphantasie" stammt aus Mays Roman Im Reiche des silbernen Löwen IV von 1903. Dort erscheint er in Prosa, ist aber in rhythmischen Jamben geschrieben. Die vorstehende Umsetzung in die äußere Form eines Gedichts wurde größtenteils von Dr. Martin Lowsky erstellt. Der Text steht exemplarisch für die Programmatik des Mayschen Spätwerks, dessen besondere Qualitäten in dieser Anthologie präsentiert werden sollen. Die künstlerische Phantasie führt den Dichter danach zur Transzendenz. Kunst hat für May immer einen spirituellen Anspruch. Ein Vorbild des „Rosses der Himmelsphantasie dürfte „der Musen Ross aus dem Gedicht Pegasus in der Dienstbarkeit des von May verehrten Friedrich Schiller sein.

    Quelle:

    Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Gesammelte Reiserzählungen Band XXIX. Freiburg 1903, S. 208f.

    Literaturauswahl:

    Karl May: Das versteinerte Gebet. Band 29 der Gesammelten Werke. Bamberg 2016 (326. Tsd.)

    Martin Lowsky: „Der Musen Roß aus dem „Blitze sprühn (Schiller), und „das Roß der Himmelsphantasie mit der „Funkenmähne (May). In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft 175. 2013, S. 29ff.

    Mit der Rikscha durch Colombo

    Die von den Eingeborenen bewohnten Stadtteile haben schmale Straßen; die Häuser und Häuschen stehen eng beisammen. Man sieht Laden an Laden, und wer sich vor gewissen Gerüchen scheut, der tut wohl, sich in eine der stets und überall vorhandenen Rikschas zu setzen und dorthin zu fahren, wo es nicht mehr riecht.

    Der Name dieser aus Japan eingeführten Fahrzeuge lautet eigentlich Jinrickschaw, doch pflegt jedermann kurz Rikscha zu sagen. Man denke sich eine sehr leichte und für die Zugkraft nicht eines Pferdes, sondern eines Menschen gebaute, zweiräderige Kalesche mit vorzuschlagendem Regendach und einer Doppeldeichsel, so weiß man ungefähr, wie eine Rikscha aussieht. Der Singhalese, welcher sie zieht, trägt die leichteste Kleidung, die auf der Straße erlaubt ist, oft nur eine Hose, welche vom Gürtel bis zur Hälfte der Oberschenkel reicht. Aber sein langes, seidenweiches Haar ist wohlfrisiert, zurückgekämmt und hinten in einen Knoten geschlungen, der von einem Kamme zusammengehalten wird. Das gibt dem Manne ein weiches, weibliches Aussehen. Dieser Kamm ist aber ein Zeichen der Männlichkeit; Frauen tragen ihn nicht und Knaben erst dann, wenn bei ihnen der Bart zu wachsen beginnt.

    Also außer mit diesem Kamme und der bescheidenen Hose ist der Rikschamann vollständig unbekleidet. Warum? Man steige ein! Sobald man sitzt und er erfahren hat, wohin man will, beginnt er zu laufen. Die Luft ist schwül; die Sonne brennt; er läuft! Es geht nicht im Schritt, nicht im Trab, nicht im Galopp, sondern er läuft, aber wie! Es hat den Anschein, als ob er wie ein Torpedobootjäger sechsundzwanzig Knoten in der Stunde machen müsse. Man hat ihn etwas zu fragen; er antwortet so kurz wie möglich, und er läuft! Die nackten Beine werden nicht müde, die nackte Brust scheint keine Lunge zu bergen; der Atem geht ruhig und regelmäßig, und doch würde ihn eine Droschke erster Güte nicht einholen, denn – – er läuft! Da, da – – man schaue hin! Es beginnt noch etwas zu laufen! Nämlich unter dem Zopfe quillt ein kleines, einziges Tröpflein hervor, bleibt, wie verschämt darüber, dass es sich so öffentlich zeigen muss, einige Augenblicke im Schatten des Kammes stehen und bewegt sich dann, erst langsam, hierauf sprungweise und hernach schneller und immer schneller über den Hals und den Rücken herab, bis es unter dem oberen Rande der Hose verschwindet. Ein zweiter Tropfen kommt. Dieselbe anfängliche Verschämtheit, dasselbe Zögern, dann dieselben Sprünge und dasselbe vorläufige Ziel. Ein dritter, fünfter, zehnter, zwanzigster, hundertster Tropfen erscheint. Sie folgen sich schneller und schneller, bis sie ein Bächlein bilden, welches von dem Zopfe nach der Hose strebt. Das Bächlein läuft ununterbrochen, aber – – der Mann läuft auch! Der Passagier sitzt hinter ihm, sieht beide laufen und weiß nicht, worüber er sich mehr wundern soll, ob über die Ausdauer seines unermüdlichen Zweibeiners oder darüber, dass aus dem Zopfe eine so unerhörte Menge von Wasser laufen kann. Aber auf der rechten Schulter bildet sich auch ein Tropfen, auf der linken ebenso, beide rinnen herab, dem Rückgrate zu, um sich dort mit dem Bache zu vereinigen. Sie bekommen Nachfolger. Es entsteht hüben und drüben ein zweiter und ein dritter Bach, nach deren Einmündung der mittlere zu einem Flüsschen wird. Bald treten auch an anderen Stellen Wasserperlen hervor, aus denen Bäche werden, an den Oberarmen, der Brust, den Seiten, und alle eilen der Hose zu, welche nass und immer nässer wird, bis sie die allgemeine Überschwemmung nicht mehr fassen kann und in Gestalt von zwei Missisippis an den beiden Beinen niederlaufen lässt. So läuft das Wasser endlich am ganzen Körper, und – – der Mann läuft auch! Der Fahrgast sieht das mit Staunen und wundert sich schließlich darüber, dass er so ruhig sitzen bleibt und nicht von der Rikscha herunterspringt, um – – – auch zu laufen! Es ist ein wahres Glück, dass man dem Kuli gesagt hat, wohin man fahren will, denn wenn man das vergessen hätte, so würde er laufen, laufen und immer weiter laufen und gewiss nicht eher aufhören, als bis er sich ganz in Wasser aufgelöst hätte und zwischen den Deichselarmen der nun stehen gebliebenen Rikscha nur noch die Hose und der Kamm zu sehen wären.

    Und wenn das Ziel erreicht ist und er sich mit der freigewordenen Hand über das badende Gesicht streicht, so geht sein Atem so ruhig wie im Augenblicke des Einsteigens; sein Auge blickt so sanft wie eine dunkelsammetne Pensee; er fordert nach deutschem Gelde nur eine Mark für die Stunde, und wenn man ihm noch einige Pfennige zu dem geliebten Siribissen extra gibt, so möchte er nun vor lauter Dankbarkeit so, wie vorher vor lauter Wasser, auseinanderfließen. Das ist die Rikscha und das ist der Rikschamann!

    Zum vorstehenden Text:

    Mays Miniatur über eine Fahrt mit einer Rikscha durch Colombo in Ceylon (heute: Sri Lanka) ist ein Auszug aus dem Roman Et in terra pax.

    Der pazifistische Roman entstand 1901 nach Karl Mays Orientreise von April 1899 bis Juli 1900, die ihn auch in – damals unter britischer und niederländischer Kolonialherrschaft stehende – Orte im heutigen Sri Lanka, Malaysia und Indonesien führte. Der Schilderung der Rikschafahrt dürfte, wie vielen Episoden des Romans, ein reales Reiseerlebnis zu Grunde liegen. May weilte vom 6. bis 28. Oktober 1899 in Colombo.

    Et in terra pax erschien in dem monumentalen Sammelband China. Schilderungen aus Leben und Geschichte, Krieg und Sieg. Ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik (1901) der – herausgegeben von dem berühmten Joseph Kürschner (1853–1902) – den deutschen Beitrag zum europäischen militärischen Eingreifen in China 1900 – 1901 verherrlichen sollte. Mays Roman, der sich für Liebe und Völkerverständigung einsetzt, läuft dieser Tendenz zuwider. Er selbst reflektiert dies in der erweiterten Fassung des Romans Und Friede auf Erden! (1904):

    „Ich hatte etwas geradezu Haarsträubendes geleistet, allerdings ganz ahnungslos: Das Werk war nämlich der ‚patriotischen‘ Verherrlichung des ‚Sieges‘ über China gewidmet, und während ganz Europa unter dem Donner der begeisterten Hipp, Hipp, Hurra und Vivat erzitterte, hatte ich mein armes, kleines, dünnes Stimmchen erhoben und voller Angst gebettelt: ‚Gebt Liebe nur, gebt Liebe nur allein!‘"

    In der fein ziselierten Schilderung des profanen Erlebnisses einer Fahrt in einer Rikscha drückt sich der liebevolle Blick des umfangreichen Romans auf das Menschliche in nuce aus.

    Quelle:

    Karl May: Et in terra pax. Erstdruck in: Joseph Kürschner (Hg.): China. Schilderungen aus Leben und Geschichte, Krieg und Sieg. Ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik. Leipzig 1901. Reprint der Karl-May-Gesellschaft 2001, S. 309ff.

    Literaturauswahl:

    Karl May: Und Friede auf Erden. Band 30 der Gesammelten Werke. Bamberg 2008 (280. Tsd.)

    Ders.: Briefwechsel mit Joseph Kürschner. Band 94 der Gesammelten Werke und Briefe. Bamberg 2013

    Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer (Hg.): Karl Mays „Und Friede auf Erden!" Oldenburg 2001

    Am Tode

    „Sihdi, wie denkst du über das Sterben?"

    Wir waren stundenlang schweigsam nebeneinander her geritten, und nun erklang diese Frage so plötzlich, so unerwartet, so unmotiviert, dass ich den Sprecher erstaunt ansah und keine Antwort gab. Das arabische Wort Sihdi bedeutet „Herr". So pflegte mich Halef noch immer zu nennen, obgleich wir schon längst nicht mehr Herr und Diener, sondern Freunde waren.

    „Sihdi, wie denkst du über das Sterben?", wiederholte er seine Frage, als ob er annehme, dass ich ihn nicht verstanden habe.

    „Du kennst ja meine Ansicht über den Tod, antwortete ich nun. „Er ist für mich nicht vorhanden.

    „Für mich auch nicht. Das weißt du wohl. Aber ich habe dich nicht nach dem Tode, sondern nach dem Sterben gefragt. Dieses ist da. Kein Mensch kann es wegleugnen!"

    „So sage mir zunächst, wie du zu dieser Frage kommst! Mein lieber, heiterer, stets lebensfroher Hadschi Halef spricht vom Sterben! Hast du etwa einen besonderen Grund zu dieser deiner Frage?"

    „Nein. Von meiner Seele, meinem Geiste, meinem Verstande wurde sie nicht ausgesprochen, sondern sie ist mir aus den Gliedern in den Mund gestiegen."

    Das klang wohl sonderbar; aber ich kannte meinen Halef. Er pflegte mit dergleichen, für den ersten Augenblick auffälligen Ausdrücken immer den Nagel auf den Kopf zu treffen. Darum wiederholte ich seine Worte:

    „Aus den Gliedern? Fühlst du dich vielleicht nicht wohl?

    „Es fehlt mir nichts, Sihdi. Ich bin so gesund und stark wie immer. Aber es ist etwas in mich hineingekrochen, was nicht hineingehört. Es ist etwas Fremdes, etwas Überflüssiges, was ich nicht in mir dulden darf. Es steckt in meinen Gliedern, in den Armen, in den Beinen, in jeder Gegend meines Körpers. Ich weiß nicht, wie es heißt und was es will. Und dieses unbekannte, lästige Ding ist es, welches dich über das Sterben gefragt hat."

    „So wird es wohl wieder verschwinden, wenn wir es gar nicht beachten, ihm gar keine Antwort geben."

    „Meinst du? Gut; wollen wir das versuchen!"

    Er kehrte nach diesen Worten in sein früheres Schweigen zurück.

    Sollte jemand fragen, wer dieser mein Hadschi Halef eigentlich war? Jeder meiner Leser hat ihn nicht nur kennengelernt, sondern auch von Herzen liebgewonnen. Früher mein Diener, jetzt der Scheik eines mächtigen Beduinenstammes. Früher ein strenger, zelotischer Muhammedaner, jetzt im Innern wahrer Christ und seelensguter Menschenfreund. Stolz, eigenwillig, ehrgeizig, dabei aber mir treu und opferwillig, zu jedem, selbst dem schwersten Dienst bereit. Es gab keinen Zweiten, der in Beziehung auf die orientalische, bilder- und blumenreiche Ausdrucksweise sich mit ihm messen konnte. Wenn er von etwas begeistert war, ging ihm das Maß verloren. Dann war es höchst ergötzlich, ihm zuzuhören. In solchen Augenblicken glaubte er so fest an seine eigenen Übertreibungen, dass es bei seinem heißblütigen Temperamente nicht geraten war, sich in Widerspruch mit ihm zu setzen.

    Der liebe, kleine, so gern lustige Hadschi war seit gestern oder wohl schon seit vorgestern ungewöhnlich ernst und in sich gekehrt gewesen, bei ihm eine Seltenheit. Ich hatte angenommen, dass ihn irgendein Gedanke innerlich beschäftige; nun aber wusste ich, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Es war eine körperliche Indisposition vorhanden, von der ich annahm, dass sie bald vorübergehen werde.

    Wir waren von Basra über Muhammera und Doraq an den um diese Zeit ziemlich wasserreichen Dscherrahi gekommen und hatten uns von ihm in die Berge des südlichen Luristan führen lassen. Nun war der Fluss längst verschwunden, und wir befanden uns in einem wasserarmen Gebiete, wo der Regen höchst selten und dann nur als kurzes, aber verheerendes Gewitter aufzutreten pflegt. Die Höhen ragten schroff und steil empor. Ihre Hänge waren kahl. Man sah keinen Baum, nur hier und da einen durstigen Strauch. Die Sonne brannte am Tage heiß hernieder; die Nächte hingegen waren empfindlich kalt, und wo es in den Schluchtentiefen mit Gras bewachsene Stellen gab, da hatte dieses Grün sein Dasein nur dem Tau der kalten, wunderbar sternenhellen Nächte zu verdanken.

    Wir glaubten, morgen den obersten Zufluss des Quran zu erreichen. Dort, wo es Wald und Wasser gab, wollten wir uns ausruhen und unseren Pferden einige Tage Zeit lassen, sich von der jetzigen Anstrengung zu erholen. Es waren edle Pferde, zwei Rappen. Assil Ben Rih hieß der meinige. Der Hengst Halefs hieß Barkh, was „Blitz" bedeutet. Über die Eigenschaften und den Wert dieser beiden Tiere habe ich bereits an anderer Stelle das Nötige gesagt.¹

    Jetzt war es Nachmittag. Wir strebten einem Höhenkamm zu, dessen Erklimmen die Kräfte unserer Pferde so in Anspruch nahm, dass wir, als wir endlich oben angekommen waren, für einige Zeit anhielten, um sie verschnaufen zu lassen. Tief unter uns sahen wir das leere, wild zerrissene Bett eines Regenbaches, dem wir zu folgen hatten, wenn wir den jenseitigen Gebirgszug erreichen wollten. Ich sprach die Hoffnung aus, dass sich dort ein zum Übernachten geeigneter Ort finden lassen werde. Aber Halef ging nicht, wie ich geglaubt hatte, auf diesen Gedanken ein, sondern er sagte:

    „Sihdi, ich habe es versucht, doch vergeblich. Die Frage kommt immer wieder. Wie denkst du über das Sterben? Antworte mir; ich bitte dich!"

    „Lieber Halef, meinst du nicht, dass es besser wäre, von etwas anderem zu sprechen?"

    „Besser oder nicht besser; ich kann jetzt an nichts anderes denken. Es ist, wie ich schon sagte, nicht der Tod, den ich meine. Den habe ich auch früher für etwas Wahres gehalten, jetzt aber weiß ich, dass er nichts als Täuschung ist. Wenn wir von ihm sprechen, so meinen wir eben das Sterben, welches doch kein Tod ist. Hast du schon darüber nachgedacht?"

    „Natürlich! Jeder ernste Mensch wird das tun. Warum fragst du denn nicht dich selbst? Du hast doch ebenso wie ich schon Menschen sterben sehen?"

    „Nein, noch keinen!"

    „Wieso? Ich habe doch mit dir vor Sterbenden gestanden!"

    „Allerdings. Aber sterben sehen habe ich trotzdem noch keinen Einzigen. Man legt sich hin; man schließt die Augen; man röchelt; man hört auf zu atmen; dann ist man gestorben. Aber was ist dabei geschehen? Hat etwas aufgehört? Hat etwas angefangen? Hat sich etwas fortgesetzt, nur in anderer als der bisherigen Weise? Kannst du mir das sagen?"

    „Nein, das kann ich nicht. Das kann überhaupt kein Lebender. Und wenn die Gestorbenen wiederkommen und zu uns sprechen könnten, wer weiß, ob sie es vermöchten, deine Frage zu beantworten. Sie würden vielleicht auch nichts weiter sagen können, als dass im Sterben die Seele von dem Leib geschieden wird."

    „Von ihm geschieden! Wo kam sie her? Wurde sie ihm gegeben? Ist sie in ihm entstanden? Was hat sie in ihm gewollt? Geht sie gern von ihm? Oder tut ihr das Scheiden von ihm weh?"

    „Lieber Halef, ich bitte dich, von diesem Gegenstande abzubrechen! Was Gott allein wissen darf, das soll der Mensch nicht wissen wollen!"

    „Woher weißt du, dass nur Allah es wissen darf? Das Sterben ist ein Scheiden. Ich darf ja wissen, wohin mich dieses Scheiden führen soll, nämlich in Allahs Himmel. Warum soll es mir verboten sein, zu erfahren, in welcher Weise dieser Abschied vor sich geht? Höre, Sihdi, während du in der vergangenen Nacht schliefest, habe ich darüber nachgedacht. Soll ich dir sagen, was mir da in den Sinn gekommen ist?"

    „Ja. Sprich!"

    „Ich bin der Scheik der Haddedihn, ein in der Dschesireh sehr reich gewordener Mann. Worin besteht mein Reichtum? In meinen Herden. Da sendet mir der Sultan einen Boten, durch welchen er mir sagen lässt, dass ich nach drei oder fünf Jahren in die Gegend von Edreneh ziehen soll, um Rosen zu züchten, welche mir den Duft ihres Öles zu geben haben. Was werde ich tun? Kann ich meine Herden mitnehmen? Nein. Ich werde sie nach und nach aufgeben, um mir an ihrer Stelle anzueignen, was mir dort in Edreneh von Nutzen ist. Und wenn ich das getan habe, so kann ich, wenn die Zeit gekommen ist, aus meinem bisherigen Lande scheiden, ohne mitnehmen zu müssen, was im neuen Lande mir nur hinderlich sein würde. So ist es auch beim Sterben. Ich wohne in diesen Leben, doch Allah hat mir seine Boten gesandt, welche mir sagen, dass ich für ein anderes bestimmt bin. Nun frage ich mich, was ich in jenem anderen Leben brauchen werde. Früher glaubte ich, es sei nichts weiter nötig als nur der Kuran und seine Gerechtigkeit. Aber ich lernte dich kennen und erfuhr, dass diese Gerechtigkeit bei Allah nicht einen Para Wert besitzt. Ich weiß jetzt, was ich hier hinzugeben und was ich mir dafür für dort einzutauschen habe. Ich will Liebe anstatt des Hasses, Güte anstatt der Unduldsamkeit, Menschenfreundlichkeit anstatt des Stolzes, Versöhnlichkeit anstatt der Rachgier, und so könnte ich dir noch vieles andere sagen. Weißt du, was das heißt, und was das bedeutet? Ich habe aufzuhören, zu sein, der ich war, und ich habe anzufangen, ein ganz anderer zu werden. Ich habe zu sterben, an jedem Tage und an jeder Stunde, und an jedem dieser Tage und jeder dieser Stunden wird dafür etwas Neues und Besseres in mir geboren werden. Und wenn der letzte Rest des Alten verschwunden ist, so bin ich völlig neu geworden; ich kann nach Edreneh, nach Allahs Himmel gehen, und das, was wir das Sterben nennen, wird grad das Gegenteil davon, nämlich das Aufhören des immerwährenden bisherigen Sterbens sein!"

    Nachdem er dies gesagt hatte, sah er mich erwartungsvoll an. Ich war nicht nur erstaunt, ich war sogar betroffen. War es denn möglich, dass mein Hadschi derartige Gedanken hegen und solche Worte sprechen konnte?!

    „Halef, sag mir aufrichtig: Bist du krank?", fragte ich ihn.

    „Krank?, lächelte er. „Du meinst im Kopfe? Ist das, was ich gesagt habe, so töricht gewesen?

    „Nein. Unklar zwar, aber so gut, so gut! Ich meine körperlich krank."

    „Ich sagte dir doch schon, dass ich gesund bin. Ein klein wenig matt bin ich seit gestern, und heut drückt etwas gegen meine Stirn. Die Sonne schien an diesen beiden Tagen gar so heiß. Das ist der Grund. Zu sagen hat es nichts."

    „Und anstatt zu schlafen, hast du deinen Gedanken nachgehangen. Wir werden heut eher als gewöhnlich Rast machen. Dir ist Ruhe nötig. Komm; reiten wir weiter!"

    Es ging nur langsam in das Tal hinab, und dann folgten wir dem Regenbette, dessen Windungen uns wieder aufwärts führten. An einer schmalen Stelle ritt ich voran, als hinter mir ein lautes, zitterndes „Huh u uh!" erklang.

    „Was war das?", fragte ich, indem ich mich umdrehte.

    „Mich fror ganz plötzlich." antwortete Halef.

    Ich sagte nichts, aber ich begann, besorgt um ihn zu werden. Der wackere Hadschi besaß eine fast ebenso eiserne Gesundheit wie ich selbst, doch war es sehr leicht möglich, dass er während unseres Aufenthaltes in dem höchst ungesunden Basra irgendeinen Ansteckungsstoff in sich aufgenommen hatte, der nun in ihm zu wirken begann.

    Als wir höher kamen, erhob sich ein scharfer Wind. Die Nacht versprach sehr kalt zu werden, und das Gesicht Halefs zeigte eine Entfärbung, die mir nicht gefiel. Ich wünschte sehr, baldigst an eine vom Zuge freie Stelle zu kommen, wo wir zur Nacht bleiben konnten. Dieses Verlangen wurde auch sehr bald erfüllt, wenn auch in anderer Weise, als ich erwartet hatte.

    Wir erreichten das Ende oder vielmehr den Anfang des Regenbaches. Zwei Bergeshänge stießen zusammen und bildeten ein Becken, dessen undurchlässiger Felsengrund das Wasser angesammelt hatte. Es gab in Folge der Feuchtigkeit da allerlei Gesträuch, mit Hilfe dessen man sich ein wärmendes Lagerfeuer gestatten konnte. Das war uns beiden natürlich sehr

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