Brief einer Unbekannten
Von Stefan Zweig
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Über dieses E-Book
Aus dem Buch:
"Als der bekannte Romanschriftsteller R. frühmorgens von dreitägigem erfrischendem Ausflug ins Gebirge wieder nach Wien zurückkehrte und am Bahnhof eine Zeitung kaufte, wurde er, kaum daß er das Datum überflog, erinnernd gewahr, daß heute sein Geburtstag sei. Der ein-undvierzigste, besann er sich rasch, und diese Feststellung tat ihm nicht wohl und nicht weh. Flüchtig überblätterte er die knisternden Seiten der Zeitung und fuhr mit einem Mietautomobil in seine Wohnung. Abwesenheit zwei Besuche sowie einige Telephonanrufe und überbrachte auf einem Tablett die angesammelte Post. Lässig sah er den Einlauf an, riß ein paar Kuverts auf, die ihn durch ihre Absender interessierten; einen Brief, der fremde Schriftzüge trug und zu umfangreich schien, schob er zunächst beiseite. Inzwischen war der Tee aufgetragen worden, bequem lehnte er sich in den Fauteuil, durchblätterte noch einmal die Zeitung und einige Drucksachen; dann zündete er sich eine Zigarre an und griff nun nach dem zurückgelegten Briefe.
Es waren etwa zwei Dutzend hastig beschriebene Seiten in fremder, unruhiger Frauenschrift, ein Manuskript eher als ein Brief. Unwillkürlich betastete er noch einmal das Kuvert, ob nicht darin ein Begleitschreiben vergessen geblieben wäre. Aber der Umschlag war leer und trug so wenig wie die Blätter selbst eine Absenderadresse oder eine Unterschrift. Seltsam, dachte er, und nahm das Schreiben wieder zur Hand. "Dir, der Du mich nie gekannt", stand oben als Anruf, als Überschrift. Verwundert hielt er inne: galt das ihm, galt das einem erträumten Menschen?
Stefan Zweig
Stefan Zweig (1881-1942) war ein österreichischer Schriftsteller, dessen Werke für ihre psychologische Raffinesse, emotionale Tiefe und stilistische Brillanz bekannt sind. Er wurde 1881 in Wien in eine jüdische Familie geboren. Seine Kindheit verbrachte er in einem intellektuellen Umfeld, das seine spätere Karriere als Schriftsteller prägte. Zweig zeigte früh eine Begabung für Literatur und begann zu schreiben. Nach seinem Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik an der Universität Wien begann er seine Karriere als Schriftsteller und Journalist. Er reiste durch Europa und pflegte Kontakte zu prominenten zeitgenössischen Schriftstellern und Intellektuellen wie Rainer Maria Rilke, Sigmund Freud, Thomas Mann und James Joyce. Zweigs literarisches Schaffen umfasst Romane, Novellen, Essays, Dramen und Biografien. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Die Welt von Gestern", eine autobiografische Darstellung seiner eigenen Lebensgeschichte und der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sowie die "Schachnovelle", die die psychologischen Abgründe des menschlichen Geistes beschreibt. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland wurde Zweig aufgrund seiner Herkunft und seiner liberalen Ansichten zunehmend zur Zielscheibe der Nazis. Er verließ Österreich im Jahr 1934 und lebte in verschiedenen europäischen Ländern, bevor er schließlich ins Exil nach Brasilien emigrierte. Trotz seines Erfolgs und seiner weltweiten Anerkennung litt Zweig unter dem Verlust seiner Heimat und der Zerstörung der europäischen Kultur. 1942 nahm er sich gemeinsam mit seiner Frau Lotte das Leben in Petrópolis, Brasilien. Zweigs literarisches Erbe lebt weiter und sein Werk wird auch heute noch von Lesern auf der ganzen Welt geschätzt und bewundert.
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Rezensionen für Brief einer Unbekannten
186 Bewertungen3 Rezensionen
- Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Letter from an unknown woman (1922) is a novella written in the form of a long letter. Purport of the letter is the sickly adoration of a young woman for a successful novelist. In the letter, the woman claims to have grown up in the house where the novelist lives, and proclaims that she has loved him from the first day she had known him. The long letter describes her life-long stalking of the novelist, who was however, unaware of her existence. The woman also claims to have slept with him, as a prostitute, like the many, many women in his life, whom she had seen passing on the stairs.The woman also claims to have borne the author a child, a son, who died in the 1918 Flu Pandemic, to which the woman is about to succumb.In her letter, the woman repeatedly writes that she has remained in obscurity because she does not want to trouble the novelist, but obviously she does. The letter is not moving. Rather, as the woman's claims become more bold, even suggesting that the novelist's servant had recognized her, the reader starts wondering whether she might be insane. The way she is pressing herself upon him, anonymously, leaves the author impotent to fend for himself, unable to refute or deny.The novella does not give the reader even a glimpse of the style of writing of the novelist character; it merely describes his hedonist lifestyle. The letter, whether truthful or not shows the power of the written word, the power of fabulation, to penetrate his privacy. It demonstrates the weakness of women, but, ultimately also their power, which is a useless power, however.
- Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5A famous author receives long a letter from a woman, in which she proceeds to describe the love and full extent of the passion she has felt for him ever since she was a young girl. The woman claims she has lost her only child moments before picking up her pen, and that these are her final words before dying. The deep pathos of the situation is impossible to resist, as is the narrative, in which the woman describes how her obsession for this man has shaped her life. Very moving.
- Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5A short story full of passion, deception and misery.Such a great glimpse of any woman's heart told smartly and with such delicacy that it's impossible not to feel moved.