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Begegnung mit Bayer: Historische Facetten eines innovativen Unternehmens
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eBook433 Seiten4 Stunden

Begegnung mit Bayer: Historische Facetten eines innovativen Unternehmens

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Über dieses E-Book

Der Weltkonzern aus Leverkusen – aus nächster Nähe

Bayer ist das Paradebeispiel eines modernen Industriekonzerns: groß, vielfältig, global. Einerseits traditionell und vertraut, gleichzeitig für den Außenstehenden aber sehr komplex. Dabei ist der Konzern auf vielfältige Weise mit der Gesellschaft verwoben. Ob als Arbeitgeber, Innovationsschmiede oder Börsenschwergewicht: Was in den Büros, Labors und Produktionsanlagen von Bayer geschieht, beeinflusst tagtäglich das Leben
ungezählter Menschen weltweit.

Gestützt auf geschichtswissenschaftliche Expertisen vermittelt der Autor die wesentlichen Entwicklungen des Chemie- und Pharmakonzerns seit der Neugründung im Jahr 1951 in einer Mischung aus faktischer Information und Erklärung. Dabei orientiert sich die Struktur des Buches nicht in erster Linie an der Chronologie, sondern an den Beziehungsebenen des Unternehmens mit seinem gesellschaftlichen Umfeld – von Forschung und Umweltschutz über die Bedeutung für den Finanzmarkt bis hin zu den Unternehmensaktivitäten im sozialen Bereich.

Bayer-Innovationen seit 150 Jahren – zum Jubiläum schreibt ein Insider informativ und lehrreich über Aspekte der Unternehmensgeschichte seit 1951. Für alle, die erfahren wollen, wie sich das Traditionsunternehmen seit der Neugründung entwickelt hat.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Sept. 2013
ISBN9783956010408
Begegnung mit Bayer: Historische Facetten eines innovativen Unternehmens

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    Buchvorschau

    Begegnung mit Bayer - Thomas Reinert

    Wert

    Geleitwort

    Erfolg in den Genen

    Bayer feiert sein 150-jähriges Jubiläum. Es ist eine enorme Leistung, wenn ein Unternehmen über einen solch langen Zeitraum erfolgreich ist. Doch Bayer ist nicht nur wirtschaftlich erfolgreich. Wir haben maßgeblich dazu beigetragen, das Leben der Menschen zu verbessern – ganz im Sinne unserer Mission: „Science For A Better Life".

    Im Laufe seiner Geschichte hat Bayer Produkte entwickelt, um Milliarden Menschen bei Krankheit zu helfen, sie vor Hunger zu bewahren oder ihnen das Leben angenehmer zu machen. Deshalb feiern wir dieses Jubiläum mit Freude und Stolz.

    Am 1. August 1863 von dem Kaufmann Friedrich Bayer und dem Färber Johann Friedrich Weskott gegründet, ist Bayer heute ein Innovationsunternehmen von Weltrang – mit mehr als 110.000 Mitarbeitern, rund 40 Milliarden Euro Umsatz und einem Forschungsbudget von mehr als 3 Milliarden Euro. Der Konzern unterhält Niederlassungen, Produktionsanlagen und Forschungseinrichtungen in aller Welt – und verfügt über eine Marke, die überall bekannt ist.

    Es waren vor allem drei Eigenschaften, die dafür sorgten, dass Bayer immer weiter expandieren konnte. Zum einen seine Innovationskraft: Bayer war immer ein Erfinderunternehmen, dessen Erfolg darauf beruhte, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen neue Produkte zu machen, die unsere Kunden und die Gesellschaft auch wirklich brauchen. Heute können wir sagen: Innovation steckt in der „DNA" des Unternehmens. Mit der Herstellung synthetischer Farben fing es an. Aber schon bald wurde klar, dass die Chemie viel mehr konnte. Und so wurde die Geschichte von Bayer eine Geschichte bahnbrechender Innovationen auf den verschiedensten Gebieten – Gesundheit, Agrarwirtschaft, Materialien. Immer wieder neue Moleküle zu schaffen und daraus neue Produkte zu entwickeln, die die Menschen weltweit benötigen – das war und ist die Unternehmensphilosophie.

    Der zweite Erfolgsfaktor von Bayer ist die Internationalisierung. Als etwa ab Mitte der achtziger Jahre die „Globalisierung" zum alles beherrschenden Thema wurde, war das für Bayer nichts Neues. Das Unternehmen war von Anfang an auf dem Weltmarkt präsent.

    Drittens schließlich zeichnet sich Bayer durch seine Fähigkeit aus, sich fortwährend an veränderte Bedingungen anzupassen. Wandel als Normalzustand, auch das gehört bei Bayer zur „Unternehmens-DNA": Das Erfinderunternehmen erfindet sich immer wieder selbst neu. Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind dabei unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Wandel über Generationen hinweg erfolgreich gestaltet haben. Daher stehen sie auch im Mittelpunkt der Feierlichkeiten in unserem Jubiläumsjahr.

    Innovation, Internationalisierung und ständiger Wandel – damit ist das Unternehmen 150 Jahre alt geworden und blickt in eine vielversprechende Zukunft. Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre dieses Buches, das verschiedene Aspekte der Unternehmensgeschichte seit der Neugründung der Bayer AG im Jahr 1951 behandelt, viel Vergnügen.

    Dr. Marijn Dekkers, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG

    Vorwort

    Ein Großkonzern mit Persönlichkeit

    Vor 25 Jahren, zum 125-jährigen Jubiläum im Jahr 1988, veröffentlichte Bayer die „Meilensteine". Ich kann mich noch gut daran erinnern. Meine damaligen Chefs, Wolfgang Schmidt und Heiner Springer, hatten mir dafür die Projektleitung anvertraut. Das Konzept: 125 Jahre erzählt in 125 Geschichten, Weltkriege und I.G. Farben eingeschlossen. Der Autor Erik Verg brachte nicht nur Erfahrung, sondern auch Durchhaltevermögen mit. Die Koautoren Gottfried Plumpe und Heinz Schultheis trugen ihr geschichts- und naturwissenschaftliches Fachwissen dazu bei.

    Es wäre möglich gewesen, die Meilensteine fortzuschreiben. Doch die Idee, die im Vorfeld des 150-jährigen Jubiläums in der Konzernzentrale reifte, war eine andere. Keine Chronologie sollte es werden, keine nüchterne Zusammenfassung der wichtigsten Fakten und Nachrichten. Vielmehr sollte die Vielschichtigkeit des Unternehmens durch Annäherungen aus verschiedenen Blickwinkeln, durch Begegnungen auf unterschiedlichen Ebenen beleuchtet werden. Der Schwerpunkt sollte dabei auf der jüngeren Geschichte von Bayer liegen, der Zeit seit Gründung der Aktiengesellschaft im Jahr 1951 bis in die Gegenwart. Die Zielgruppe: Zeitzeugen und Wegbegleiter, die das Unternehmen kennen oder näher kennenlernen wollen – Kunden und Partner, Nachbarn und Mitarbeiter, Fachleute und interessierte Laien.

    Natürlich bildet ein Gerüst aus Fakten und Nachrichten das Fundament. Aber dieses kann weder vollständig noch ausgewogen sein, nicht bei 150 Jahren eines Weltunternehmens, selbst nicht für den überschaubareren Zeitraum der Nachkriegszeit und damit der Geschichte der heutigen Aktiengesellschaft. Ich will nicht übertreiben, aber bei Bayer passiert allein in einem Jahr oft mehr, als zwischen zwei Buchdeckeln Platz hätte.

    So wurden die Begegnungsebenen verdichtet und Schwerpunkte definiert. Struktur und Organisation gehören dazu, aber auch Kultur als Annäherung an das, was Bayer ausmacht. Ein zentrales Thema ist der Kontext von Anteilseignern und Investoren, in dem das Unternehmen agiert, parallel aber auch der Aspekt der Ökologie, das Konzept der Nachhaltigkeit, die Entwicklung der Aktie. Hier die industriellen Beziehungen und die gestalterische Rolle von Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaften – dort der Globus, die Internationalität. Und dann das Wichtigste überhaupt: die Forscher und ungezählten Mitarbeiter, die Ideen entwickeln und zu Lösungen reifen lassen, sprich der Faktor Innovation.

    Der Auftrag, die jüngere Entwicklung von Bayer aus acht unterschiedlichen Blickwinkeln zu recherchieren, ging an ausgesuchte Fachautoren: Dr. Christian Kleinschmidt, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Philipps-Universität Marburg, Dr. Paul Erker, apl. Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sowie Esther Helena Arens, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln. Die Historiker griffen auf ihr Fachwissen und auf eigene Arbeiten zurück, verbrachten Tage im Archiv und fügten die Fakten zu themenspezifischen Expertisen zusammen. Michael Pohlenz und Hans-Hermann Pogarell machten als Bayer-Archivare die wichtigsten Quellen zugänglich und lieferten wesentliche inhaltliche Impulse.

    Vieles von dem, was in den Expertisen steht, ist mir aus dreißigjähriger Praxis in verschiedenen Bereichen der Bayer-Kommunikation bekannt. Deshalb habe ich den Auftrag gerne angenommen, die Entwicklung des Unternehmens auf der Grundlage dieser Expertisen nachzuzeichnen – aus dem Blickwinkel eines Insiders, der den Stallgeruch kennt, aber nach mehrjähriger Distanz auch eine gewisse Neutralität wahren kann. Michael Schade, Nachfolger von Schmidt und Springer in der Leitung der Unternehmenskommunikation, war überzeugt, dass mir der Spagat zwischen sympathisierender Nähe und kritischer Distanz gelingen würde. Für sein Vertrauen bin ich ihm besonders dankbar. Mein Dank gilt auch den vielen Mitarbeitern bei Bayer und beim F.A.Z.-Institut, die mich mit ihrem Wissen und mit freundlicher Geduld unterstützt haben.

    Thomas Reinert

    Begegnung mit einer Unternehmenspersönlichkeit

    Tradition spiegelt sich in der Architektur

    Bei Bayer stehen sich Vergangenheit und Gegenwart architektonisch exakt gegenüber: Auf der einen Seite der Kaiser-Wilhelm-Allee am Rande Leverkusens befindet sich die heutige, gläserne Firmenzentrale von Bayer, auf der anderen die ehemalige, neobarocke Firmenzentrale Q 26. Was Fremden als abstrakte Chiffre erscheint, signalisiert den Bayer-Menschen seit über 100 Jahren Autorität und den Gästen Selbstbewusstsein. Aus der kleinen, 1863 gegründeten Farbstofffabrikation aus Barmen war innerhalb von 50 Jahren ein erfolgreiches, weltweit tätiges Unternehmen geworden – und das sollte der Architekt auch ausdrücken. Die 1912 eröffnete, 150 Meter breite ehemalige Hauptverwaltung Q 26 beeindruckt schon von außen mit hohen Geschossen und einem stolzen Mittelbau. Sieben Stufen geht es hinauf bis zum ersten Portal, innen weitere zehn Stufen, bevor der Gast die Pförtnerloge erreicht. Heute öffnet sich die drei Meter hohe, in Bronze gefasste Glastür mit einem dezenten Sirren und gibt wie damals den Weg frei in eine eigene Welt.

    Eher liebenswürdig präsentiert sich nur wenige Schritte entfernt das Kasino. Weiche Formen, große Fenster, luftige Säle, dezente Nebenräume: hier strömen die Mitarbeiter seit 1913 zum Mittagessen zusammen, hier bewirtet das Unternehmen auch heute noch seine Gäste. Ungezählt sind die Feierlichkeiten und Veranstaltungen, die hier mit der unternehmenseigenen höflichen Präzision ausgerichtet wurden; ungeahnt die Weichen, die hier im kleinen Kreis zu später Stunde gestellt wurden.

    Freundlicher Empfang bei Bayer HealthCare

    Doch die Architektur von Bayer kann auch streng sein. Die Adresse Q 30 am Kopf der Kaiser-Wilhelm-Allee signalisiert dem Insider Pharma. Es ist die Hauptverwaltung von Bayer HealthCare und steht für das, was der Volksmund gerne den Pharmariesen nennt. Hinter der nüchternen Fassade – dreißiger Jahre, repräsentativ, dabei schlicht, eckig und funktional – begrüßt den Gast eine helle und freundliche Eingangshalle, bevor er die Büros erreicht.

    Bei Bayer hat vieles die Zeit überdauert, einiges aber auch nicht. Zum Beispiel das ehemalige Wohnhaus des früheren Generaldirektors Carl Duisberg von 1912, die sogenannte Duisberg-Villa. Sie stand ungefähr dort, wo jetzt die gläserne Zentrale steht. Seinen Nachfolgern war sie vielleicht etwas zu personengebunden gewesen. Aber dass das 1963 bezogene Bayer-Hochhaus, im Firmenjargon W1 genannt, heute nicht mehr steht, ist in erster Linie den gestiegenen Anforderungen des Brandschutzes geschuldet. 31 Stockwerke hoch, weiß, schlank: die zweite Firmenzentrale war ein architektonisches Statement, signalisierte Selbstbewusstsein, Internationalität und die Modernität der sechziger Jahre.

    Offen und umweltbewusst: BayKomm

    Und dann kamen die Siebziger und brachten Deutschland eine intensive Auseinandersetzung über die Definition von Technik und Fortschritt, von Umwelt und Sicherheit, von Wohlstand und Lebensqualität. Dafür steht das Bayer-Kommunikationszentrum „BayKomm", das anlässlich des 125-jährigen Firmenjubiläums 1988 im Schatten von W1 erbaut wurde. Es liegt unmittelbar neben dem Japanischen Garten und ist so homogen in die Landschaft eingebettet, dass Erstbesucher mitunter Mühe haben, es zu finden. Hier werden Annäherung und Einklang gesucht: in einer architektonischen Mischung aus Zweckmäßigkeit, Transparenz, Eleganz und umweltschutztechnischer Vorbildlichkeit, in einer permanenten Ausstellung hinter gläserner Fassade und in täglichen Führungen und Veranstaltungen.

    Damit schließt sich der Kreis zur heutigen Firmenzentrale: gläsern und offen, nach neuesten ökologischen Gesichtspunkten konzipiert und geschmeidig geformt – elegant und doch dezent. Markant ist die geradezu kompromisslose Öffnung nach außen, die von einigen Mitarbeitern anfangs als gewöhnungsbedürftig, bald aber auch als durchaus erfrischend empfunden wurde. Heute ist sie schon fast selbstverständlich.

    Allgegenwärtige Vergangenheit

    Unternehmen mit Charakter

    Es hat symbolische Kraft, dass die Portale der heutigen Firmenzentrale W11 und der Vor-Vorgängerin Q 26 exakt gegenüberliegen. Denn die eigene Vergangenheit, die vielfältige Geschichte mit ihren Helden und Erfolgen, mit ihren Phasen scheinbarer Beschaulichkeit, aber auch mit Auseinandersetzungen und Krisen, ist bei Bayer allgegenwärtig. Vor einigen Jahren arbeiteten viele noch einfach „beim" Bayer – was keineswegs als späte Hommage an den Firmengründer zu verstehen war. Für Außenseiter mag dieses Unternehmen ein Chemie- und Pharmakonzern sein, ein geschätzter Lieferant, ein interessanter Kunde oder einfach nur ein attraktives Anlageobjekt. Für die Mitarbeiter dagegen ist Bayer eine Persönlichkeit, mit Ecken und Kanten, so wohltuend in der Kontinuität wie schillernd im ständigen Wandel.

    Mit dem Hinweis, etwas sei „historisch begründet", blickt man bei Bayer gelegentlich über jene kleinen Anachronismen hinweg, die dem Unternehmensalltag Charakter und Farbe verleihen. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass Bayer bis in die jüngste Vergangenheit im Werk Leverkusen eine eigene Fahrradwerkstatt unterhielt.

    Wurzeln in Wuppertal-Barmen

    Die Wurzeln von Bayer liegen im heutigen Wuppertal, wo den Menschen Bodenständigkeit und Fleiß zugeschrieben werden. Hier, in einer Tallage, wie sie enger kaum sein kann, entwickelt sich das Unternehmen in nur wenigen Jahren vom Produzenten am heimischen Herd¹ in der damals noch selbständigen Stadt Barmen zu einem weltweit agierenden Farbstoff- und Pharmakonzern in der Stadt Elberfeld, heute beides Ortsteile von Wuppertal.

    Die Welt bekommt mehr Farbe

    Auch seinerzeit galt es, die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu haben. Die neuen Möglichkeiten, leuchtende Textilfarben zu erschwinglichen Preisen herzustellen, lösten Mitte des 19. Jahrhunderts Begeisterung in der Bekleidungsbranche und bei den Kunden aus. Für die Modewelt signalisierten sie einen Quantensprung und brachten wortwörtlich Farbe in den Alltag von Reich und Arm, Jung und Alt.

    Gleichzeitig brachte die Farbstoffherstellung von Bayer industrielle Produktion mitten in die Stadt. Ein Schraubenhersteller draußen vor den Toren mag ein unauffälliges Produzentenleben führen. Eine chemische Fabrik mitten im Wohngebiet ist nicht nur optisch auffällig, sondern macht auch gelegentlich durch strengen Geruch oder im schlimmsten Fall durch unkontrollierte chemische Reaktionen auf sich aufmerksam. Im Winter erlaubten die Fußspuren der Arbeiter im Wuppertaler Schnee Rückschlüsse darüber, welcher Farbton gerade „beim Bayer" produziert wurde.²

    Was hinter den Mauern und Zäunen passiert, wurde und wird noch am selben Abend an den Stammtischen diskutiert. Was da aber genau gemacht wird und vor allem wie – das war den meisten Mitbürgern außerhalb der Werke schon damals ein Rätsel. Die Mitarbeiter wissen, dass in diesen Räumen und Hallen, in Rohren und Kesseln nichts Mysteriöses ist. Es ist hier aber auch nichts selbstverständlich, und selbst kleine Fortschritte werden mühsam erkämpft. Die Chemie ist zwar eine faszinierende Wissenschaft, aber auch eine anspruchsvolle und mitunter kapriziöse Geliebte. Diese Janusköpfigkeit ihres Arbeitsgebiets, die Zwiespältigkeit der Möglichkeiten und Risiken, verlangte den Mitarbeitern der chemischen Industrie schon immer ein gewisses Selbstbewusstsein ab.

    Umgeben von Wiesen und Weiden

    Auf der grünen Wiese entsteht eine neue Stadt

    Leverkusen: Damit verbindet man heute vielerlei, zumindest ein Autobahnkreuz, einen Fußballverein und einen großen Pharma- und Chemiekonzern. Um 1900 gab es in der Keimzelle Leverkusens – zwischen Köln im Süden und Düsseldorf im Norden – neben der Gemeinde Wiesdorf ein paar idyllische Fischerdörfer und letztlich viele Wiesen und Weiden. Da stand am Rhein aber auch eine kleine Farbenfabrik, Dr. Carl Leverkus & Söhne, und darum herum war jede Menge Platz. Hier, direkt am Rheinufer, fand Bayer 1891 das ideale Gelände für die Ausweitung der Produktion und kaufte die kleine Fabrik.

    Allerdings gab es dort einen ernstzunehmenden Mangel: an Wohnraum, Einkaufsmöglichkeiten, Sport- oder Freizeitangebot. Die nächstgelegenen Dörfer Wiesdorf und Bürrig hatten damals zusammen 3.396 Einwohner, und der Weg nach Köln oder Düsseldorf war eine kleine Reise. Öffentliche Verkehrsmittel gab es nicht. Die ersten Bayer-Mitarbeiter am Standort Leverkusen – 1900 waren es bereits mehr als 4.000³ – hatten es wahrlich nicht leicht, und die Wuppertaler Kollegen hatten gut lästern: „Kann er einen nicht verknusen, schickt er ihn nach Leverkusen. Und an diesem End’ der Welt, ist man auf ewig kaltgestellt."⁴ Es sollte allerdings nicht lange dauern, bis sich das Kräfteverhältnis komplett veränderte.

    Mit dem Werk entsteht die Infrastruktur

    Normalerweise gibt es zunächst eine Stadt und dann ein Werk – in Leverkusen war es umgekehrt. Bayer baute für seine Mitarbeiter Häuser und Wohnungen, Kaufhäuser und Kindertagesstätten. Ob Arbeiter oder Angestellter: mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war der Nachbar damals ein naher oder entfernter Kollege, und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist das auch heute noch so. Zwar hat das Unternehmen den Großteil seines Bestands an Privatwohnraum Anfang 2000 an eine externe Verwaltungsgesellschaft verkauft.⁵ Doch auch heute noch sind ganze Wohngegenden fest in Bayer-Hand, und die roten Bayer-Fahrräder sind nach wie vor im Stadtbild präsent.

    Das rote Fahrrad – ein unverzichtbares Verkehrsmittel

    In dem anfangs rund 1,5, heute 3,49 Quadratkilometer großen Werk Leverkusen sind die Wege lang und Fahrräder unverzichtbare Fortbewegungs- und Transportmittel. Ende der vierziger Jahre gab es hier noch mehr als 1.000 der roten Werksfahrräder. Obwohl die Militärregierung die Fahrraderlaubnisscheine kontrollierte, wurden viele Werksräder gestohlen, wahrscheinlich auch, weil sie in den Hungerjahren nach 1945 „Hamsterfahrten" aufs Land ermöglichten. 1953 passierten täglich 10.000 Privatfahrräder, 1.200 rote Diensträder, 800 Motorräder und 200 Autos die Pförtner. Im gleichen Jahr wurden die Privaträder vom Werksgelände verbannt, 20 Jahre später aber wieder Schritt für Schritt zumindest in Ausnahmefällen erlaubt. 1980 war die Zahl der Werksfahrräder auf mehr als 7.000 gestiegen, wovon 4.700 eine gelbe Stange hatten und damit auch außerhalb des Bayer-Geländes genutzt werden durften. Die Bruchlast der Kette war bei den Werksfahrrädern höher als bei normalen Rädern, ebenso die Belastungsmöglichkeit von Rahmen und Rädern; eine eigene Werkstatt kümmerte sich um die Reparaturen. Die Räder hatten eine durchschnittliche Lebensdauer von 25 Jahren.

    Arbeits- und Privatwelt liegen nah beieinander

    Normalerweise verlässt ein Mitarbeiter am Ende des Tages mit dem Arbeitsplatz auch die Firma. Bei den Farbenfabriken Bayer im engen Tal der Wupper war der Abstand zwischen Arbeits- und Privatwelt sehr gering. Im Leverkusen des frühen 20. Jahrhunderts konnte dann von Abstand kaum mehr die Rede sein. Das, was sich in der Freizeit an Spannung und Entspannung, an Sport und Erbauung bot, haben zum allergrößten Teil Gruppen von Mitarbeitern initiiert und mit Hilfe des Unternehmens aufgebaut.

    Noch heute gibt es in Leverkusen 29, in Wuppertal 5, in Dormagen 14 und in Uerdingen weitere 15 sogenannte Werksvereine, nicht nur für jede erdenkliche Sportart und verschiedene Formen des gemeinsamen Musizierens, sondern auch für Briefmarkensammler und Aquarienfreunde, Mineraliensammler und Kanarienvogelzüchter: geboren aus konkreten Bedürfnissen und einem Mangel an Angebot, getragen vom Engagement der Beteiligten, vom Unternehmen wohlwollend unterstützt und teilweise aktiv gefördert.

    Emotionale Bindung an den Arbeitgeber

    Die enge Beziehung der Mitarbeiter zu ihrem Unternehmen drückt sich auch darin aus, dass viele von ihnen zu Bayer-Aktionären wurden. Mitte der achtziger Jahre warben Plakate und Broschüren für ein solches Engagement folgerichtig mit dem Satz „Uns gehört ein Stück von Bayer". Bis heute geht die Verbundenheit weit über die sachliche Arbeitsebene hinaus. Das Resultat ist eine Beziehung mit emotionaler Tiefe. Die Identifikationsbereitschaft und Loyalität der Mitarbeiter stellen einen unschätzbaren Wert dar.

    Das Bayer-Kreuz: Marke, Versprechen, Verpflichtung

    Wuppertaler Herkunft und Leverkusener Diaspora, die Faszination einer jungen Wissenschaft und die Chancen und Risiken der Produktion, die rasche Expansion im Inland und der zügige Ausbau der Aktivitäten im Ausland – viele Faktoren prägten den Charakter dieses Unternehmens. Aber über allem steht ein Symbol: die Marke Bayer, das Bayer-Kreuz.

    In den Anfängen zierten bergischer Löwe und Rost das Firmenwappen und betonten die Verbundenheit mit der Heimatstadt Wuppertal. Ab 1904 setzte man zunächst auf Pharmaprodukten ein einfacheres Markenzeichen ein: Der Name Bayer als Kreuz, umschlossen von einem Kreis und dem Absender „Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elberfeld". Im Export entfiel bald der umlaufende Schriftzug, und ab 1929 hat das Bayer-Kreuz seine heutige Form.

    Apotheken tragen die Botschaft ins Land

    Mit seiner schlichten, eingängigen Form und dem Firmennamen als Kern ist das Bayer-Kreuz eines der weltweit markantesten und bekanntesten Firmenzeichen. Hierzu hat in Deutschland eine besondere Art der Beschilderung beigetragen. In deutschen Dörfern und Städten vermitteln mehr als 2.200 Schilder mit dem Bayer-Kreuz die klare Botschaft: Hier ist eine Apotheke, hier wird Ihnen geholfen. Über die Produkte des Unternehmens verbreitete sich das Symbol bis in die entlegensten Gegenden der Welt – auf Pflanzenschutzmitteln, Kunststoffen und vor allem auf Medikamenten, allen voran auf dem bekanntesten Schmerzmittel der Welt: Aspirin.

    Extern steht das Bayer-Kreuz für Qualität und Sachverstand, Zuverlässigkeit und Beständigkeit – und für ein einfaches Versprechen: Wenn es von Bayer kommt, ist es gut. Imageuntersuchungen bescheinigen Bayer regelmäßig einen Ruf als begehrtem Arbeitgeber und zuverlässiger Firma mit hochwertigen Produkten und starkem Innovationspotential.⁸ Intern bündeln sich in diesem Qualitätssiegel Fähigkeiten und Verpflichtungen, Erfolge und Werte und ein gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein.

    Gemeinsame Klammer für Qualität

    Auf der Arbeitskleidung in Labor und Betrieb, auf jedem internen und externen Dokument, auf praktisch allen Produkten und unzähligen Alltagsgegenständen begleitet dieses Gütesiegel den Berufsalltag eines jeden Mitarbeiters. Und das sind mitunter Menschen und Gruppen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Da sind die einen, die im weißen Kittel einen medizinischen Wirkstoff erforschen, der später in winzigen Mengen Leben retten wird, während für andere in der Kunststoffherstellung die Dinge im Tonnenmaßstab erst richtig interessant werden. Die einen arbeiten im hochsterilen Raum, während die anderen für ihren nächsten Besuch auf dem Bauernhof die Gummistiefel im Kofferraum haben. Für sie alle bildet das Bayer-Kreuz eine Klammer, die ohne Worte definiert, „wie die Dinge hier bei uns zu sein haben".

    Die Mannschaft an der Spitze

    Im Zeitraffer betrachtet, löst sich das Unternehmen mit größter Ernsthaftigkeit aus den Verwirrungen und Verstrickungen von Nationalsozialismus und Weltkrieg und repariert mit viel Geduld und Umsicht ein schwer beschädigtes weltweites Beziehungsnetz. Bis in die siebziger Jahre dominieren Wiederaufbau, Nachholbedarf und Wirtschaftswachstum. Natur- und Ingenieurwissenschaften liefern neuartige, faszinierende und lange gesuchte Möglichkeiten, die das forschungsgetriebene Unternehmen zielstrebig und konsequent erschließt und umsetzt: Antibiotika, Tropenmedizin, Diagnostika, Pflanzenschutz, Polyurethanchemie.

    Als die „Grenzen des Wachstums erkannt scheinen und sich die gesellschaftlichen Bedürfnisse und Werte von der materiellen zur emotionalen und ideellen Ebene weiterentwickeln, folgt dem ungestümen Wiederauf- und Ausbau draußen wie drinnen ein längerer und grundlegender Umdenkprozess. „Die Grünen etablieren sich als parlamentarische Kraft, und schwere Industrieunfälle unter anderem in Bhopal und Seveso rücken die Risiken der Chemie in den Mittelpunkt der Betrachtungen.

    Neuausrichtung auf Ökonomie und Ökologie

    Im Unternehmen festigt sich immer mehr die Überzeugung, dass die unstrittige wissenschaftliche Kompetenz einhergehen muss mit einer nachweislichen und verlässlichen Verantwortung im Umgang mit Fähigkeiten und Ressourcen. An der Spitze folgt auf den Chemiker Prof. Dr. Herbert Grünewald der Kaufmann Hermann J. Strenger, für viele Naturwissenschaftler im Unternehmen unerwartet und „sicherlich eine vorübergehende Erscheinung". Die Faszination des technisch Machbaren muss breiter gefassten Wertmaßstäben weichen – nicht nur kaufmännischen, aber auch.

    In geradezu zwangsläufiger Weiterentwicklung konzentriert sich die Aufmerksamkeit unter dem nächsten Vorstandsvorsitzenden Dr. Manfred Schneider noch mehr auf Wertorientierung und den sorgsamen Umgang des Unternehmens mit den ihm anvertrauten Ressourcen. Der Blick auf das Portfolio wird genauer, der Anspruch an die Wertschöpfung fordernder. Während die Finanzwelt und die Analysten für ihre Prognosen möglichst klare Verhältnisse wünschen, bekennt sich Bayer weiter zu den Vorteilen eines integrierten Konzerns, in dem der Begriff „Pharma bald den Vorrang vor „Chemie hat. Zum Leidwesen vieler Mitarbeiter trennt sich Bayer nun vermehrt von erfolgreichen Aktivitäten, die mittelfristig nicht ins Portfolio passen, oder bringt Aktivitäten in Joint-Venture-Unternehmen ein: die Farbstoffe, Zitronensäure, Titandioxid und die Silikonchemie, Agfa, Haarmann & Reimer, Wolff Walsrode und H.C. Starck.

    Radikaler Umbau zur Holding

    Wie jeder Vorstandsvorsitzende zuvor hinterlässt Schneider seinem Nachfolger ein gut aufgestelltes Unternehmen, das sich auch in konjunkturellen Krisenzeiten zu behaupten weiß. Aber eine veränderte Finanz- und Wirtschaftswelt fordert von Bayer tiefgreifende Veränderungen. Werner Wenning baut den Konzern grundlegend um, schafft mehr Transparenz in Werteflüssen und im internen Berichtswesen, fördert die Differenzierung in der strategischen Ausrichtung der Teilkonzerne, delegiert Verantwortlichkeiten und stärkt die Selbständigkeit in der Umsetzung. Nach der Abspaltung des Chemiegeschäfts und von weiten Teilen des Polymergeschäfts in die Lanxess AG konzentrieren sich insgesamt drei operative Firmen auf ihr jeweiliges Geschäft am Markt, die Holding darüber auf die Gesamtstrategie und Ressourcenverteilung, und drei Servicegesellschaften arbeiten allen zu. Mehr als je zuvor müssen die operativen Bereiche ihre Zukunft planen und für ihren Erfolg geradestehen. Die Servicebereiche müssen ihre Leistungen zu marktadäquaten Preisen anbieten. Die Messlatte sind externe Vorgaben – auf globaler Ebene. Für die Zukunft entscheidend ist nicht die liebgewonnene Gewohnheit, sondern der Erfolg.

    Wertekanon wird festgelegt

    Mit steigender innerbetrieblicher Komplexität im Zeitalter von Globalisierung, Rationalisierung, Digitalisierung und Informationsüberflutung wächst der Wunsch nach Orientierung. 2004 veröffentlicht Bayer offizielle Führungsgrundsätze, einen Kanon von Verhaltensregeln und Wertvorstellungen, der Bewährtes bestätigen und einer Verunsicherung durch fortlaufende Veränderungen entgegenwirken soll. „Viele Details lassen sich nicht festlegen, viele Dinge sind ständig im Fluss, heißt es dort. „Gemeinsame Werte jedoch sind von Dauer und bieten eine Leitlinie für das Handeln in verschiedenen Situationen. (…) Ein gemeinsames Verständnis und das Leben unserer Werte im beruflichen Alltag sind eine Voraussetzung für unseren gemeinsamen Erfolg.

    Doch auch hier gilt: Des Menschen Aufnahmefähigkeit ist begrenzt, und was er nicht verinnerlicht hat, kann er schlecht umsetzen. Der neue Vorstandsvorsitzende Dr. Marijn Dekkers

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