Estrichgeschichte: Estrich im Wandel der Zeiten
Von Walter Böhl
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Estrichgeschichte - Walter Böhl
Walter Böhl
Estrichgeschichte
Estrich im Wandel der Zeiten
Für Brigitte
1. Auflage 2017
© 2017 by Holzmann Medien GmbH & Co. KG, 86825 Bad Wörishofen
Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, fotomechanischen Wiedergabe und Übersetzung nur mit Genehmigung durch Holzmann Medien.
Das Werk darf weder ganz noch teilweise ohne schriftliche Genehmigung des Verlags in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm, elektronische Medien oder ähnliches Verfahren) gespeichert, reproduziert oder sonst wie veröffentlicht werden.
Diese Publikation wurde mit äußerster Sorgfalt bearbeitet, Verfasser und Verlag können für den Inhalt jedoch keine Gewähr übernehmen.
Lektorat: Achim Sacher, Holzmann Medien | Buchverlag
Layout und Satz: Markus Kratofil, Holzmann Medien | Buchverlag
E-Book
-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
ISBN (Print): 978-3-7783-1218-6 | Artikel-Nr. 1523.01
ISBN (
E-Book
): 978-3-7783-1219-3 | Artikel-Nr. 1523.99
Vorwort des Autors
Estriche waren schon zu allen Zeiten materialtechnologisch und handwerklich komplexe Konstruktionen. Die Geschichte des Estrichs geht bis an den Anfang der Baugeschichte zurück – vielleicht war es sogar der Beginn des Bauens überhaupt.
Heute denkt man bei Estrich meist an den erst in der Nachkriegszeit entstandenen schwimmenden Estrich, der nur noch eine technische Funktion hat und ansonsten ein unsichtbares und unbeachtetes Dasein unter Bodenbelägen fristet.
Das vorliegende Werk soll die faszinierende Geschichte des Estrichs aufzeigen und dazu beitragen, diesem Bauteil den Stellenwert einzuräumen, den schon Vitruv im ersten Jahrhundert vor Christus erkannt hat. In seinen „Zehn Büchern über die Architektur", dem ersten umfassenden Werk über Architektur überhaupt, lautet die Beschreibung des Estrichs wie folgt:
„Und zuerst will ich mit dem Estrich beginnen, der die erste Stelle der Innenausstattung einnimmt, sodass man seiner Haltbarkeit sorgfältig und mit großer Vorsicht Rechnung tragen soll."
Mit Gips- und Kalkestrichen entstanden schon vor Jahrtausenden Fußböden, die man als Kunstwerke einstufen muss. Die Ausführung erfolgte mit hoher handwerklicher Fertigkeit. Bis in die 50er-Jahre war es selbstverständlich, Estriche als wohnfertigen Fußboden herzustellen. Dann verschwand der Estrich unter Bodenbelägen und führt seitdem ein Dasein im Verborgenen. Dem entspricht leider auch die öffentliche Wahrnehmung dieses sehr komplexen Bauteils und seines Handwerks.
Es ist deshalb an der Zeit, sich mit der Historie dieses Bauteils zu befassen. Man wird faszinierende Facetten erkennen.
Waiblingen, im Mai 2017
Walter Böhl
Geleitworte
Es war wirklich an der Zeit, die Geschichte des Estrichs darzustellen und damit aufzuzeigen, dass die Ausführung von Estrichen schon seit Jahrtausenden ein wesentlicher Bestandteil der Baugeschichte ist. Insbesondere die Darstellung der Entwicklungen in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind schon fast in Vergessenheit geraten.
Möge dieses Buch ins Bewusstsein rufen, dass Estrich mehr ist als nur der unsichtbare und meist unterschätzte Bauteil unter irgendwelchen Belägen.
Michael Schlag
Vorsitzender des Bundesverbands Estrich und Belag e. V.
Diese Geschichte des Estrichs ist nicht nur spannend, sie rückt auch die Komplexität dieses Bauteils und seine Bedeutung im Baugeschehen ins rechte Licht. Jeder, der sich heute mit Estrich beschäftigt, sei es als ausführender Estrichleger, Planer oder Bauherr, sollte auch dessen Geschichte kennen und sich der Komplexität bewusst sein. Vielleicht bringt er diesem traditionsreichen Gewerk dann wieder mehr Wertschätzung entgegen.
Simon Thanner
Vorsitzender der Bundesfachgruppe Estrich und Belag im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes
Herr Walter Böhl hat mit diesem Buch „Estrichgeschichte" vieles niedergeschrieben, was etliche von uns in diesem Umfang nicht gewusst oder gar nicht geahnt haben.
Wenn man die Geschichte des Estrichs liest, wird einem aufmerksamen Leser nicht entgehen, dass die einzelnen Perioden einer Entwicklung oder Technik sich rasant verkürzen und verändern. Das Paradoxon an diesem Zustand ist, dass gerade die kurzlebigen Dinge einen immer größeren Stellenwert und höhere Wertigkeit in unserer Gesellschaft einnehmen. Alles Neue ist toll. Das Alte, Bekannte, Erfahrene und Erlernte wird oftmals zu Unrecht missachtet und nicht wertgeschätzt. Dieses Buch lässt den einen oder anderen Leser sicher die wahren, wichtigen und wertvollen Dinge unseres Handwerks erkennen.
Ich glaube, dieses Buch hilft vielen, ein ausgewogenes Maß aus Erfahrungen der Vergangenheit, dem Erleben der Gegenwart und den Visionen der Zukunft zu finden.
Michael Ruhland
Vorsitzender der Bundesfachschule Estrich und Belag e. V.
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Vorwort des Autors
Geleitworte
I. Was ist Estrich überhaupt?
II. Zeitliche Einordnung
III. Verschiedene Arten von Estrich
1. Lehmestrich
2. Gipsestrich
3. Kalkestrich
4. Vitruv
5. Zementestrich
6. Magnesiaestrich
7. Verbände
8. Steinholzestriche
9. Der schwimmende Estrich
10. Fördertechnik
11. Heizestrich
IV. Estrichnormung
Quellenverzeichnis
Bildnachweis
Der Autor
I. Was ist Estrich überhaupt?
Erstmals ist der Begriff „Estrich in der DIN EN 13318 „Estrichmörtel und Estriche – Begriffe
im Jahre 2000 normativ definiert worden. Das sind mindestens 30.000 Jahre, nachdem zum ersten Mal ein Estrich verlegt wurde. [1] In der DIN EN 13318 heißt es im Abschnitt 2.2 in schönstem Normendeutsch:
„Estrich ist eine Schicht oder Schichten aus Estrichmörtel, die auf der
Baustelle direkt auf den Untergrund, mit oder ohne Verbund, oder auf einer zwischenliegenden Trenn- oder Dämmschicht verlegt wird, um eine oder mehrere der nachstehenden Funktionen zu erfüllen:
eine vorgegebene Höhenlage zu erreichen;
einen Bodenbelag aufzunehmen;
unmittelbar genutzt zu werden."
Diese Definition ist sehr weit gefasst. Demgemäß ist sowohl eine dünne Spachtelmasse als auch ein
25
cm
dicker Betonboden in einer Industriehalle ein Estrich.
Heute werden in der DIN 18560 Estriche im Bauwesen [2] folgende Estriche genannt: Zementestrich, Calciumsulfatestrich, Magnesiaestrich, Gussasphaltestrich, Kunstharzestrich.
Bei dieser Betrachtung muss man noch den Lehmestrich und den Kalkestrich dazunehmen. Gussasphalt und Kunstharzestrich werden dafür weggelassen, das würde ansonsten zu umfangreich werden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich deshalb auf die mineralischen Baustoffe.
II. Zeitliche Einordnung
Die nachfolgende Abbildung zeigt die genannten Estriche auf einem Zeitstrahl bis 30.000 v. Chr. Dabei fällt auf, dass es vom Lehmestrich erst ab ca. 5000 v. Chr. eindeutige Nachweise gibt. Es ist aber durchaus plausibel, dass der Lehmestrich, dessen Material von der Natur ja praktisch gebrauchsfertig geliefert wird, schon viel früher ausgeführt wurde. Man muss nur daran denken, dass sich die Menschen vor 35.000 bis 40.000 Jahren bereits mit Musik und bildender Kunst beschäftigt haben, wie die Funde des Löwenmenschen von Asselfingen, der Venus von Schelklingen und der Flöte vom Gaisenklösterle zeigen. Alle diese Funde wurden auf die Jahre um 35.000 bis 40.000 v. Chr. datiert. Es ist deshalb naheliegend, dass unsere Vorfahren auch schon den Boden ihrer Behausung am Eingang einer Höhle eingeebnet oder hergerichtet haben, auch wenn diese Behausung nur temporär benutzt wurde.
Versuch der zeitlichen Einordnung der Estricharten auf einem Zeitstrahl von 30.000 v. Chr. bis heute.
Herbert Pothorn bringt das in seinem Buch „Baustile" [3] sehr schön zum Ausdruck. Er umschreibt dies wie folgt:
„Die vorgefundene Höhle war dem Menschen bald nicht gut genug. Das Erste, was er zu ihrer Verbesserung getan haben mag, war, den Boden zu ebnen, zu graben, plattenförmige Steine zu legen, Sand und Lehm aufzuschütten und festzustampfen. Das war der Anfang des Bauens."
Sicher gab es schon viel früher einfache Asthütten oder zeltartige Konstruktionen, die einen leidlichen Witterungsschutz boten. Wenn man aber vom massiven Bauen ausgeht, muss man Pothorn zustimmen. Fußbodenbau war der Anfang des Bauens!
Von den Lehm-Estricharbeiten unserer Vorfahren sind zwar keine wissenschaftlich haltbaren Beweise übriggeblieben. Das ist jedoch für den Baustoff Lehm typisch. Es bildeten sich neue Schichten durch Ablagerungen oder durch menschliche Tätigkeit. Lehm „verschmolz" mit diesen neuen Schichten. Deshalb sind die Spuren einer einfachen Bearbeitung, wie z. B. einer Einebnung oder Pflasterung mit Steinen, nicht mehr nachweisbar. Trotzdem kann man bei aller Unsicherheit annehmen, dass der Lehmestrich spätestens ab 35.000 v. Chr. plausibel ist.
III. Verschiedene Arten von Estrich
1. Lehmestrich
1.1 Erste Nachweise von Lehmestrich
Erste wissenschaftlich haltbare Beweise von Lehmestrich finden sich erst relativ spät, ab ca. 5000 v. Chr. im Nahen Osten und in Europa ab ca. 4500 v. Chr. (frühe Bandkeramikkultur) in sogenannten Langhäusern. [4] Diese Befunde schließen allerdings viel frühere Ausführungen nicht aus. Die verhältnismäßig spät datierten Funde sind deshalb wissenschaftlich eindeutig, da sich unter der Lehmestrichschicht Vorlageschichten aus Steinen, teilweise auch aus Ästen nachweisen ließen.
Ab 5000 v. Chr. finden sich auch in Hünengräbern (Megalithkultur) Fußbodenaufbauten, die aus einer Unterschicht aus Rollsteinen und darauf einem Lehmestrich bestehen. [5] Diese Konstruktion nennt man „Diele". Der Begriff hat sich bis heute gehalten. Teilweise wurden auch Lehmplatten verwendet, die an anderer Stelle hergestellt wurden. [6] Wenn man so will, kann man das als ersten Fertigteilestrich bezeichnen.
Lehmestrich war im ländlichen Bereich bis in die neuere Neuzeit weit verbreitet. Und zwar nicht nur in Tennen und Scheunen, sondern auch in Wohnräumen. Er wurde sowohl auf ebener Erde als auch auf Holzbalkendecken ausgeführt, was einen guten Brandschutz und eine Schalldämmung ergab. Bis fast in unsere Zeit unterhielt jedes Gehöft eine eigene Lehmgrube, um die verschiedensten Arbeiten und Ausbesserungen an den Gebäuden vornehmen zu können. [7]
Lehmestrich in der „Pesel, der „guten Stube
, im Ostenfelder Bauernhaus in Husum (Bild: Museumsverbund Nordfriesland).
1.2 Baustoff Lehm
Ton ist eine staubförmige Gesteinsverwitterung, die durch Wind oder Wasser verlagert wird. Lehm ist eine mit Ton vermischte Gesteinskörnung. Zwischen Lehm und Ton gibt es keine scharfe Trennung. Der Zusammenhalt erfolgt ohne chemische Reaktion durch die sehr feinen Teilchen des Tons (Teilchengröße <
0,001
mm
) durch Van-der-Waals-Kräfte (Van-der-Waals-Wechselwirkung). Diese sind zwar relativ klein, reichen aber aus, um ausreichende Festigkeiten für verschiedene Anwendungsgebiete zu gewährleisten.
Materialdaten von Lehmmörtel
Nachstehende Prüfwerte von Lehmmörtel wurden an der TU Berlin [8] beim Bau der Versöhnungskirche in Berlin, die ganz aus Lehm gebaut wurde, ermittelt. Die Prüfwerte können sich durch die Zusammensetzung des Lehmmörtels erheblich ändern:
Druckfestigkeit: 2,4 N/mm²
Biegezugfestigkeit: 0,52 N/mm²
Scherfestigkeit: 0,62 N/mm²
Schwindmaß: 0,25%
Kriechmaß: 0,2%
Wärmedehnung:
0,005
mm
/mK
Wärmeleitfähigkeit: 0,6 bis 0,9 W/mK
Versöhnungskirche Berlin. Tragende Wände und Fußboden aus Stampflehm (Bild: Bruno Klamfar, Architektur Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth, Ausführung Lehm Ton Erde Baukunst GmbH).
1.3 Handwerkliche Ausführung von Lehmestrich
In der handwerklichen Ausführung von Lehmestrich unterscheidet man die nasse und die trockene Methode.
Verarbeitungsfertige Konsistenz bei der nassen Methode. Hier sind Strohhäcksel als „Faserbewehrung" eingemischt (Bild: Gideon Weinrich).
Verarbeitungsfertige Konsistenz bei der trockenen Methode (Bild: Walter Böhl).
Die nasse Methode
Bei der nassen Methode wird der Lehm durch Mischen mit Wasser in eine weichbreiige Konsistenz gebracht. In Ermangelung von Mischmaschinen hat man Wasser und Lehm in Gruben geschüttet und barfuß durch Treten vermischt. Hilfsweise hat man auch ein Tier, z. B. ein Rind, in