Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Hallo Herr Doktor: Erinnerungen und Gedanken eines Hausarztes
Hallo Herr Doktor: Erinnerungen und Gedanken eines Hausarztes
Hallo Herr Doktor: Erinnerungen und Gedanken eines Hausarztes
eBook393 Seiten

Hallo Herr Doktor: Erinnerungen und Gedanken eines Hausarztes

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Autor berichtet von 100 Erlebnissen, die er zusammen mit seinen Patienten in seiner Zeit als Hausarzt in 25 Jahren erlebt hat. Es sind sehr menschliche Geschichten, die oft über den Rahmen der normalen somatischen Behandlung hinausgehen und zeigen, was alles in einer Arztpraxis im täglichen Alltag geschehen kann. Es sind lustige, spannende, traurige und berührende Erlebnisse. Die Geschichten spiegeln das Innenleben einer Praxis wider, in der stets der Mensch im Mittelpunkt steht.
Darüber hinaus setzt sich der Autor mit dem deutschen Gesundheitssystem kritisch auseinander und unterbreitet aufgrund seiner Erfahrungen viele Verbesserungsvorschläge.
Zur Auflockerung des Textes sind Fotos der Hansestadt Lübeck eingefügt, der zweiten Heimatstadt des Autors, der seit 1976 in dieser wunderschönen Stadt lebt.
SpracheDeutsch
HerausgeberKLECKS-VERLAG
Erscheinungsdatum31. Juli 2016
ISBN9783956833113
Hallo Herr Doktor: Erinnerungen und Gedanken eines Hausarztes
Autor

Dr. Jürgen Herhahn

Der Autor studierte Humanmedizin an der Freien Universität Berlin und der Medizinischen Hochschule Lübeck. Nach Erlangen der Approbation war er zehn Jahre an der Universitätsklinik Lübeck tätig. Hier promovierte er und erwarb die Anerkennung der Fachärzte für Innere Medizin, Nephrologie und Gastroenterologie. Danach hatte er oberärztliche Leitung der internistischen Intensivabteilung. Anschließend ließ er sich als Internist in Stockelsdorf nieder, um später eine hausärztlich-internistische Praxis zu eröffnen. Bisher veröffentlichte er medizinische Fachbücher und kann einige wissenschaftliche Publikationen, Kasuistiken und Übersichtsarbeiten sowie Editorials zu wichtigen Fragen des Medizinalltages aufweisen. 2014 ging er in den Ruhestand. Der Autor lebt in Lübeck, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Ähnlich wie Hallo Herr Doktor

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Hallo Herr Doktor

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Hallo Herr Doktor - Dr. Jürgen Herhahn

    Dr. Jürgen Herhahn

    Hallo Herr Doktor

    Erinnerungen und Gedanken

    eines Hausarztes

    Erzählungen

    ERINNERUNGEN

    1. Verdrängung

    Die Patientin, Ende 50, stellte sich erstmalig in Begleitung ihres Ehemannes, der schon länger in Behandlung in meiner Praxis war, wegen akuter Rückenbeschwerden vor. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich ein leichter Klopfschmerz über der Lendenwirbelsäule, die grobe Kraft war seitengleich unauffällig erhalten, der Reflexstatus unauffällig, die Ileosacralfugen frei. In der Vorstellung einer akuten Lumbago erfolgte die Behandlung mit einem NSAP Präparat mit der Auflage, sich bei Beschwerdepersistenz nach drei Tagen wieder zu melden.

    Bei Wiedervorstellung waren die Beschwerden nicht gebessert, es wurde daraufhin ein bildgebendes Verfahren in Form einer Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen durchgeführt. Bei der Untersuchung ergab sich der hochgradige Verdacht auf einen osteolytischen Prozess im Bereich der LWS.

    Der Patientin wurde der Befund mitgeteilt und die Notwendigkeit besprochen, nunmehr eine ausführliche und umfangreiche Untersuchung zur Klärung des Befundes zu beginnen. Sie war hierzu zunächst nicht bereit, mit etwas Beharrlichkeit stimmte sie dann einer Untersuchung zu und war auch bereit, sich hierfür zu entkleiden, sie behielt aber die Unterwäsche an. Es wurde dann eine Ganzkörperuntersuchung durchgeführt, dabei fiel auf, dass in der linken BH-Tasche Tempotaschentücher zur Abdeckung eines occulten Befundes platziert waren.

    Nach einem erneuten umfangreichen Gespräch war die Patientin dann auch bereit, den Büstenhalter abzulegen, hierbei zeigte sich ein ulzeröses, stinkig jauchend zerfallendes Mammakarzinom. Die Patientin bagatellisierte diesen Befund und sprach von einer traumatischen Verletzung der Brust vor einigen Wochen, dadurch sei es zu einem Bluterguss in der Brust gekommen, der sich nunmehr schon in einem deutlich gebesserten Zustand zeigen würde. Die laborchemischen Untersuchungen der Patientin waren bis auf eine AP-Erhöhung unauffällig, der sonografische Befund der Abdominalorgane zeigte keinen Hinweis für Metastasierung in diesem Bereich, es handelte sich also um ein ossär metastasiertes Mammakarzinom mit Osteolysen in der LWS und auch in weiteren Wirbelsäulenabschnitten, wie sich bei der szintigrafischen Untersuchung bestätigte.

    Die Patientin war nur bereit, sich in einem kleinen Ausmaß therapeutisch im Rahmen ihres Malignomleidens helfen zu lassen, sie ist nach einigen Monaten an dieser Krankheit verstorben.

    Wie groß muss die Angst der Patientin gewesen sein, dass sie ihre Krankheit so stark zu verdrängen versuchte, eigentlich sogar verleugnet hat? Wie fern muss sich ein Ehepaar sein, was doch so nah täglich im Ehebett nächtigt, der Ehemann aber nicht bemerkt und auch nicht riecht, welch große Probleme seine Ehefrau belasten?

    2. Adipositas per magna

    Der Patient kam mit Ende 50 in die Sprechstunde und wies ein Initialgewicht von 199 kg auf. Er war verheiratet mit einer ebenfalls stark adipösen Frau und hatte zwei Kinder, die ebenfalls ausgeprägt übergewichtig waren.

    Neben der schweren Adipositas litt der Patient an einer arteriellen Hypertonie, einem metabolischen Syndrom, einem Asthma bronchiale und an einer schweren venösen Insuffizienz mit Stauungsbeschwerden und massiven Ulcera cruris im Bereich beider Unterschenkel.

    Nach vielen langen Gesprächen konnte der Patient zu der Überzeugung gebracht werden, dass seine Übergewichtigkeit eine massive Bedrohung darstellt, Ursache der Folgeerkrankungen ist und dringend einer Therapie bedarf. Nach Ausschluss hormoneller oder metabolischer Störungen wurde ein Ernährungsplan erstellt und eine engmaschige Gewichtskontrolle durchgeführt, gleichzeitig wurde das Asthma bronchiale medikamentös behandelt, die arterielle Hypertonie normotensiv eingestellt und eine Kompressions- und Lokalbehandlung der Ulcera cruris eingeleitet.

    Mit viel Geduld und einem großen Zeitaufwand gelang es dem Patienten, auf ein Gewicht von 153 kg zu kommen.

    Trotz der großen Fürsorge und des erheblichen Zeitaufwandes war der Patient bei einer einmaligen Wartezeit infolge eines Praxisnotfalles verärgert und kam nicht wieder zur Vorstellung. Infolge eines deutlich verschlechterten Allgemeinzustandes suchte er 7 Monate später wieder die Sprechstunde auf und hatte in diesen Monaten wiederum über 40 kg an Gewicht zugenommen, ohne dass hierdurch ein Leidensdruck von ihm verspürt wurde oder die Einsicht vorhanden gewesen wäre, dass seine Indolenz und Toleranz der Gewichtszunahme mit einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung verbunden war. Die Situation der venösen Insuffizienz hat sich durch die erneute Gewichtszunahme und nicht durchgeführte regelmäßige Therapie massiv verschlechtert, sodass monströse Ulcera in beiden Unterschenkeln vorhanden waren, teilweise mit bakterieller Besiedelung und Erysipel Ausbildungen im Bereich der gesamten Unterschenkel. Auch zu diesem Zeitpunkt glaubt der Patient nicht, dass durch seine monströse Übergewichtigkeit, die auch zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, mit Hartz-IV-Anspruch, sein Leben ernsthaft gefährdet wäre. Auch die Familie tolerierte relativ widerspruchlos diesen Zustand.

    Aufgrund der zunehmenden Verschlechterung der venösen Situation war eine stationäre Behandlung in der dermatologischen Abteilung der Uniklinik erforderlich. Es kam dann zu einer reanimationspflichtigen Situation mit ausgeprägter Zyanose und respiratorischer Insuffizienz, die kurzfristig intensiv-medizinisch behandelt wurde. Im weiteren Verlauf kam es dann zu einer zunehmenden kardialen Insuffizienz mit Ausbildung eines allgemeinen Hydrops ohne Besserung durch eine kardiale medikamentöse Therapie, der Patient konnte das Haus nicht mehr verlassen, musste im Sessel schlafen und bedurfte einer Sauerstoffbehandlung. In den späten Abendstunden kam es dann erneut zu einer massiven Zyanose-Ausbildung und respiratorischen Insuffizienz, an der der Patient trotz notärztlicher Maßnahmen zu Hause verstarb.

    Es ist für Außenstehende und auch für Ärzte manchmal unfassbar, mit welcher Ignoranz und Gleichgültigkeit Menschen mit Übergewicht und dadurch bedingter Gesundheitsgefährdung umgehen, den Ernst dieser Gesundheitsstörung nicht erfassen können und sich ihrem Schicksal widerstandslos ergeben. Auch wenn vielleicht genetisch bedingt ein Leptinrezeptor-Defekt mit fehlendem Sättigungsgefühl vorgelegen haben könnte, so muss doch jedem Patienten mit gesundem Menschenverstand eigentlich klar sein, dass eine Gewichtszunahme von über 40 kg in gut 6 Monaten nicht gesund sein kann und es notwendig ist, auch ohne Sättigungsgefühl vom Kopf her eine Grenze zu setzen, an der die Nahrungsaufnahme beendet wird.

    3. Verleugnung

    Die Patientin, um die 40, war schon seit ihrer Jugend extrem übergewichtig, trug eine monströse abdominelle Fettschürze vor sich her und litt infolge des metabolischen Syndroms an einer arteriellen Hypertonie und einem Diabetes mellitus.

    Die Patientin kam akut in die Sprechstunde wegen Parästhesien im linken Bein in Höhe des Dermatoms S1 und klagte auch über radikuläre Schmerzen in diesem Bereich. Die grobe Kraft war in den Beinen erhalten, es zeigte sich eine Reflexabschwächung im Bereich des ASR linksseitig, eine sonographische Untersuchung der Abdominalorgane war wegen monströsen Adipositas nicht möglich.

    In der Vorstellung eines akuten Bandscheibenvorfalles mit Parästhesien und Reflexminderung erfolgte eine Krankenhauseinweisung, bei der stationären Behandlung zeigte sich als Ursache der Nervenschädigung im Sacralbereich eine Gravidität im zumindest 9. Monat, die durch mechanische Irritation des Plexus sacrales die geklagten Beschwerden verursachte. Kindliche Herztöne konnten in der Klinik nicht mehr festgestellt werden, die Patientin wurde anschließend von einer Todgeburt entbunden.

    Die Patientin hatte zuvor zu keinem Zeitpunkt sich eingestanden, schwanger zu sein, auch das Ausbleiben der Menstruation wurde unreflektiert akzeptiert, äußere Veränderungen waren aufgrund der Adipositas nicht bemerkt worden und selbst im Krankenhaus hat die Patientin ihre Gravidität vehement bestritten und nicht akzeptieren wollen.

    Die Frage, ob bei akzeptierter Schwangerschaft und regelmäßiger frauenärztlicher Überwachung das Kind hätte gesund zur Welt kommen können, muss offenbleiben. Wenn Patienten aus ungeklärten Motiven heraus körperliche Veränderungen ignorieren, gar verleugnen und auch medizinisch-technische Geräte, wie die Sonographie, an ihre Grenzen stoßen, ist auch ärztliche Hilfe nicht mehr möglich.

    4. Zeitlicher Zufall

    Der Patient, Anfang 70, kam in die Sprechstunde mit der Bitte, eine koloskopische Kontrolle durchzuführen, da er vor Jahren an einem Sigmakarzinom erkrankt war mit durchgeführter Hemikolektomie. Im Rahmen der Nachsorge wurde die Koloskopie komplikationslos durchgeführt und zeigte einen unauffälligen Schleimhautbefund ohne Hinweis für Zweitkarzinom oder Karzinomrezidiv.

    Zwei Wochen nach der Untersuchung kam der Patient in die Sprechstunde und gab an, seit der Koloskopie unter Fieber zu leiden und führt diese Tatsache auf die Untersuchung zurück. Abdominelle Schmerzen waren nicht vorhanden, das Abdomen war weich, die Peristaltik unauffällig, in einer sicherheitshalber durchgeführten radiologischen Untersuchung zeigte sich keine freie Luft im Abdomen als Hinweis auf eine mögliche durch die Koloskopie verursachte gedeckte Perforation des Colons.

    Die Ursache des Fiebers war zu diesem Zeitpunkt nicht ersichtlich, aufgrund der durchgeführten Untersuchungen war ein Zusammenhang mit der Koloskopie nicht erkennbar.

    Wenige Tage später klagte der Patient weiter über anhaltende Temperaturen, die er aufgrund des zeitlichen Zusammenhanges mit der koloskopischen Untersuchung in Verbindung brachte und den Vorwurf erhob, dass es bei dieser Untersuchung zu einer Komplikation gekommen sei. Bei der weiterführenden Diagnostik, einschließlich einer Sonographie des Abdomens, zeigten sich außer einer hochgradig beschleunigten BSG keinerlei auffällige Befunde, insbesondere kein Hinweis für eine bakterielle Entzündung bei auch unauffälligem CRP, der Patient beharrte weiterhin auf einen ursächlichen Zusammenhang mit der Koloskopie und forderte dringend, dass nunmehr die Komplikationen der Untersuchung in Ordnung gebracht werden müssten.

    Eine erneute ausgiebige Anamneseerhebung ergab den Hinweis, dass der Patient schon seit einigen Wochen nächtliche Schmerzen im Schulter- und Oberarmbereich bemerkt hatte, wodurch auch der Nachtschlaf in den frühen Morgenstunden erheblich gestört war.

    Nach weiterer Ausschlussdiagnostik wurde daher die Diagnose einer Polymyalgia rheumatika gestellt und die Indikation für eine Steroidbehandlung für erforderlich gehalten. Diese Therapie wurde von dem Patienten mit größter Skepsis akzeptiert, da er immer noch an einem Zusammenhang mit der Koloskopie festhielt.

    Nachdem sich unter laufender Steroidbehandlung die BSG normalisierte, die muskulären Beschwerden verschwanden und die Nachtruhe wieder gesichert war, konnte auch der Patient die Tatsache annehmen, dass es sich nur um einen zufälligen zeitlichen Zusammenhang gehandelt hatte und nicht um einen ursächlichen.

    Es ist für einen Arzt nicht immer leicht, insbesondere, wenn von Patienten Vorwürfe erfolgen, einen klaren Kopf zu behalten und auch bei zeitlich zufälligem Zusammentreffen von unterschiedlichen Ereignissen nicht die Übersicht zu verlieren.

    5. Misstrauen

    Der Patient, Anfang 70, kam in die Praxis mit der Bitte einer allgemeinen Gesundheitsuntersuchung. Nach einer gründlichen körperlichen Untersuchung, Blutabnahme, Urinuntersuchung und Ableitung eines Elektrokardiogramms wurde im Rahmen dieser Gesundheitsuntersuchung auch eine Sonographie der Abdominalorgane durchgeführt. Bei dieser Untersuchung ergab sich der hochgradige Verdacht auf ein linksseitiges Hypernephroides Karzinom der Niere mit dringender operativer Abklärungspflicht. Dem Patienten wurde schonend diese Zufallsdiagnose mitgeteilt, mit der Konsequenz, dass nunmehr eine Krankenhauseinweisung zur weiteren Behandlung zwingend erforderlich sei.

    Der Patient konnte diese Diagnose nicht akzeptieren und war davon überzeugt, dass er keinen Nierentumor hätte, eine OP daher auch nicht erforderlich sei, zudem glaubte er, dass ich aus anderen Gründen daran interessiert sei, an seine Niere zu kommen. Einen entsprechenden Fernsehbericht hätte er vor Kurzem gesehen und er wüsste, dass Ärzte aus finanziellen Gründen nach Nierenspendern suchen würden. Das Angebot, einen urologischen Kollegen im Hause aufzusuchen, um sich unabhängig von meiner Meinung eine Zweitmeinung einzuholen, lehnte er ebenfalls ab, da er davon überzeugt sei, dass die Ärzte alle unter einer Decke stecken würden.

    Der Patient verließ daraufhin die Praxis.

    Wenige Tage später erschien die Ehefrau des Patienten unter dem Bild eines akuten Abdomens, es konnte klinisch und aufgrund einer massiv erhöhten Leukozytenzahl die Diagnose einer akuten Appendizitis gestellt werden und es erfolgte eine sofortige Einweisung in die Chirurgie zur Appendektomie.

    Zwei Tage später erschien der Ehemann erneut in meiner Praxis und war psychisch in einem sehr angeschlagenen Zustand. Er gab an, ohne seine Ehefrau zu Hause nicht zurechtzukommen und er wüsste nicht, wie er ohne sie weiterleben könne. Ich habe ihm daraufhin den Vorschlag gemacht, ob er sich nicht für einige Tage ebenfalls in die Chirurgie aufnehmen lassen wolle, um in der Nähe seiner Frau wieder Ruhe zu finden und seine Einsamkeit dadurch abzustellen. Diesen Vorschlag nahm er dankend an, es erfolgte dann eine entsprechende Einweisung, und die Kollegen konnten nach entsprechendem telefonischen Hinweis sich um die notwendige Nephrektomie kümmern, die auch durchgeführt wurde und den Befund eines Hypernephroiden Karzinoms bestätigte.

    6. Tod in der Praxis

    Wenige Wochen nach Praxiseröffnung rief ein niedergelassener Allgemeinmediziner in meiner Sprechstunde an, mit der Bitte, dass ich mich um einen Patienten kümmern möge, der sich mit thorakalen Beschwerden und einem unklaren EKG-Befund in seiner Sprechstunde vorgestellt hätte. Der Patient kam zu Fuß in meine Sprechstunde, das sofort abgeleitete Elektrokardiogramm zeigte einen eindeutigen frischen Myokardinfarkt, es wurde daraufhin ein venöser Zugang gelegt, ein Heparin-Bolus verabreicht, Acetylsalicylsäure appliziert, eine Volumengabe zum Offenhalten der Braunüle begonnen und eine sublinguale Nitroapplikation getätigt. Gleichzeitig wurde telefonisch der Notarzt in die Praxis bestellt zur sofortigen Klinikeinweisung mit ärztlicher Begleitung.

    Wenige Minuten später, vor Eintreffen des Notarztes bekam der Patient im Rahmen der kardialen Ischämie Kammerflimmern und musste reanimiert werden, einschließlich Defibrillation und Intubation mit Beatmung. Der Patient blieb elektrisch instabil mit wiederholter Reanimationspflichtigkeit, auch nach Eintreffen des Notarztes gelang es nicht, den Patienten transportfähig zu machen und zu stabilisieren, es trat dann im Rahmen einer elektromechanischen Entkopplung der Tod des Patienten ein.

    Tote Patienten dürfen nach der geltenden Rechtslage nicht mehr vom Rettungsdienst transportiert werden, es war somit die Bestellung eines Bestatters erforderlich, der den Leichnam aus der Praxis abholte. Die Ehefrau, die ihren Mann in die Praxis begleitet hatte, hatte den Vorgang und alle Bemühungen mit verfolgt, nahm den Tod ihres Mannes traurig, aber gefasst auf und verließ die Praxis.

    Es ist, glaube ich, der Alptraum eines jeden Kollegen, wenige Wochen nach Praxiseröffnung einen Leichenwagen bestellen zu müssen, um einen Patienten tot aus der Praxis abholen zu lassen. Fachlich wurde der Patient sicherlich richtig und maximal versorgt, das Infarktgeschehen führte aber zum Tod wegen nicht beeinflussbarer elektromechanischer Entkopplung.

    Neben der Traurigkeit über den Verlust des Patienten, trotz intensiven Bemühens, befürchtete ich, dass die äußere Wahrnehmung des Abtransportes eines Leichnams aus meinen Praxisräumen, die weitere Tätigkeit als Arzt am Ort sehr schwierig machen könnte.

    Zwei Tage später suchte mich die Ehefrau des Patienten in der Praxis auf und wollte sich bei mir für meine ärztlichen Bemühungen bedanken und fragte gleichzeitig, ob ich bereit sei, sie als neue Patientin in meiner Praxis aufzunehmen. Alle meine Befürchtungen für den Ruf der Praxis hatten sich in meiner Seele aufgelöst und ich hatte eine neue Patientin gewonnen, die viele Jahre in meiner Obhut blieb.

    7. Wettlauf mit der Zeit

    Der Patient rief mich an einem Samstagvormittag zu Hause privat an, um mir mitzuteilen, dass er keinen Sinn in seinem Leben mehr sehen würde und sich nunmehr entschlossen hätte, sich umzubringen, er wolle sich mit diesem Telefonat von mir verabschieden. Im weiteren Verlauf dieses Telefonates konnte ich etwas Zugang zum Patienten finden und bot an, unverzüglich zu ihm zu kommen, um die Lebenssituation erneut in Ruhe zu besprechen, um zu klären, ob es nicht doch noch Hilfsmöglichkeiten gäbe. Bevor ich nach der Adresse fragen konnte, legte der Patient aber auf.

    Ich machte mich sofort auf den Weg von meinem Haus in Lübeck zunächst zu meiner Praxis in Stockelsdorf, um dort nach der Adresse zu schauen, da ich im Telefonbuch keine diesbezügliche Angabe fand.

    Nachdem ich die Adresse im Praxiscomputer nachgeschaut hatte, versuchte ich, die entsprechende Straße im Stadtplan von Stockelsdorf zu finden, erfolglos, da es sich um eine neu angelegte Straße handelte.

    Versuche, unter großem Zeitdruck und innerer Anspannung, beim Bäcker oder an der Tankstelle Hinweise zu erhalten, wo ich die Straße finden könne, waren frustran. Ich fuhr dann zum Polizeirevier von Stockelsdorf, das am Samstagvormittag aber geschlossen hatte, sodass ich auch dort keinen Hinweis zur Adresse erhalten konnte. Erst durch einen Passanten auf der Straße wurde mir der entscheidende Hinweis gegeben, wo die Straße liegt, und mit klopfendem Herzen wartete ich nach dem Klingeln, ob mir die Tür geöffnet werden würde. Nach einigen Minuten ging diese dann auch auf, der Patient war noch am Leben und bat mich ins Haus mit den Worten, dass es ihm jetzt schon wieder bessergehen würde. Die Lebenskrise des Patienten konnte dann relativ zügig stabilisiert werden und er blieb bei stabiler Gesundheit bis zum Schluss meiner Praxistätigkeit in meiner Behandlung.

    8. Der angekündigte Tod

    Der Patient, Anfang 70, litt seit vielen Jahren an einem metastasierten Prostatakarzinom mit ausgeprägten ossären Schmerzen.

    Nach dem Tod seiner Ehefrau infolge eines Karzinomleidens, die ich auch lange zu Hause betreut hatte, lebte der Patient in einer wunderschönen neuen Eigentumswohnung mit Blick auf den Stadtpark von Bad Schwartau und führte trotz seines Krebsleidens ein erfülltes Leben mit vielerlei Interessen und klaren Vorstellungen seiner Lebensgestaltung.

    Er war persönlich gut befreundet mit einem niedergelassenen Orthopäden, der ihn auch wegen der ossären Metastasierung mit behandelte.

    Eines Tages kam er in meine Sprechstunde und bat mich zu einem vertraulichen Gespräch. In diesem teilte er mir mit, dass er sich entschlossen habe, seine Krankheit zu akzeptieren und auch bereit sei, die Schmerzen zu ertragen, solange diese in ihrem Ausmaß für ihn erträglich blieben. Er habe sich aber entschlossen, dass wenn die Schmerzen trotz aller therapeutischen Bemühungen für ihn einen Schwellenwert überschreiten würden, der mit seiner Lebensvorstellung nicht mehr vereinbar wäre, sein Leben durch Einnahme von Schlaftabletten ein Ende zu setzen und er möchte mich bitten, diese Vorgehensweise zu akzeptieren. Er möchte mich durch dieses Gespräch darauf vorbereiten, dass ich davon ausgehen müsste, eines Tages angerufen zu werden, weil man ihn tot in seiner Wohnung gefunden hätte. Er wäre mir dankbar, wenn ich dann die Todesbescheinigung ausstellen würde und dadurch das beauftragte Beerdigungsinstitut in seinem Sinne tätig werden könnte.

    Der Patient war zu diesem Zeitpunkt im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, es handelte sich um einen intelligenten, differenzierten Menschen, der genau wusste, was er tat. Um zu überprüfen, ob dem Patienten in irgendeiner Weise geholfen werden könnte und ob seine Einstellung sich noch beeinflussen ließe, fanden wiederholte Gespräche statt. Auch Gespräche mit dem mitbehandelnden Kollegen ließen keinen Zweifel daran, dass es der feste Wille und die tiefe Überzeugung des

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1