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Check das!: Jugend im Rhein-Neckar-Kreis
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eBook424 Seiten3 Stunden

Check das!: Jugend im Rhein-Neckar-Kreis

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Über dieses E-Book

"Das Berliner Archiv der Jugendkulturen entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Postillion e. V. ein Organisationsentwicklungsmodellprojekt inklusive einer regionalen Jugendstudie, auf deren Basis gezieltes und nachhaltiges politisches und pädagogisches Handeln möglich ist. Mehr als 2.400 Jugendliche der Region wurden befragt, über 100 Jugendliche nahmen an parallel stattfindenden Kreativworkshops teil und entwickelten dabei eigene Ideen, Wünsche und Positionen. Sie erkannten dabei, dass die Erwachsenenwelt sich für ihre Perspektive interessiert und ihre Partizipation ausdrücklich erwünscht ist. Denn nachhaltige Veränderungen lassen sich heute nur noch erzielen, wenn die Zielgruppe bei der Entwicklung selbst beteiligt wird. Das gilt nicht nur für Großbauprojekte, sondern auch für die kleinteilige Beziehungsarbeit mit Jugendlichen vor Ort. Identifikation – mit der Schule, dem Jugendhaus, der Gemeinde – entsteht letztlich nur durch Teilhabe und die Erfahrung von Respekt.

Die Arbeit des Postillion e. V. und das in diesem Buch dokumentierte zukunftsweisende Modellprojekt zeigen, wie eine engagierte Jugendarbeit gemeinsam mit den kommunal Verantwortlichen etwas für Jugendliche bewegen kann. Die im Rhein-Neckar-Kreis erhobenen Daten lassen sich auf viele andere Landgemeinden in Deutschland übertragen. Aber vor allem das Beispiel dieses Projektes kann und soll andere für die Jugend Engagierte anregen, es auch einmal zu versuchen. So wie "die Jugend" selbst, so erregt auch die Jugendarbeit meist nur dann öffentliche Aufmerksamkeit, wenn etwas mächtig danebengegangen ist, wenn Gewalt, Extremismus, exzessiver Rauschmittelkonsum oder ähnliches ins Spiel kommen. Viel zu selten erfahren wir von positiven Beispielen einer gelungenen Jugendarbeit. Hier ist eine Erfolgsgeschichte."
Aus dem Vorwort von Klaus Farin
SpracheDeutsch
HerausgeberHirnkost
Erscheinungsdatum1. Juni 2017
ISBN9783945398326
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    Buchvorschau

    Check das! - Hirnkost

    Inhalt

    Vorwort

    Im Dorf ist die Welt noch in Ordnung?

    Auf zu neuen Ufern!

    Die Offene Jugendarbeit wird sich verändern

    Herausforderungen für die Jugendarbeit von Trägern und Kommunen in der Zukunft

    Jugend im Rhein-Neckar-Kreis

    Jugendarbeit beim Postillion e. V.

    Jugendarbeit im Landkreis

    Warum das Projekt?

    Aufbau des Buches

    Postillion – wer ist das?

    Kennst du das Gefühl …

    Die Studie: Lokale Jugendberichterstattung Rhein-Neckar-Kreis

    1 Ziele und Anlage der Jugendstudie

    1.1 Untersuchungsziele

    1.2 Jugendliche Lebenswelten im Spiegel des Jugendsurveys

    1.3 Jugendarbeit in der Wahrnehmung von Expert_innen

    2 Jugend im Rhein-Neckar-Kreis: vielfältig, bildungsorientiert, optimistisch

    2.1 Hohe Berufseinbindung der Eltern und hoher Migrationsanteil

    2.2 Hohe Bildungsziele und soziale Selektivität

    2.3 Wertvorstellungen Jugendlicher: optimistisch und politikdistanziert

    3 Jugendliche Freizeiträume: sozial, medial & institutionalisiert

    3.1 Freizeit: Freund_innen, Medien & Jugendkulturen im Vordergrund

    3.2 Vereine sind wichtige Freizeiträume

    3.3 Schule strukturiert jugendliche Freizeit

    3.4 Jugendarbeit als Frei(zeit)raum

    4 Jugendliche Perspektiven auf die Region

    4.1 Wohnorte im Blick: Gemeinschaften ohne Sinn für Jugend

    4.2 Die Region: Die Angst vor soziokulturellen Problemlagen

    4.3 Unzufriedenheit hängt mit Teilhabechancen zusammen

    4.4 Anforderungen junger Menschen an ihre Kommunen

    5 Jugendbilder im Rhein-Neckar-Kreis: Zwischen Moratorium, Partner­schaft und Störung

    5.1 Jugend als Moratorium

    5.2 Jugendliche als kompetente Partner_innen und jugendliches Engagement

    5.3 Jugend als Gefährdung der öffentlichen Ordnung

    5.4 Jugendbilder in ihrer Bedeutung für Jugendarbeit

    6 Jugendarbeit zwischen Ermöglichung und Begrenzung jugendlichen Handelns

    6.1 Jugendarbeit: marginalisiert in verschiedener Hinsicht

    6.2 Was heißt hier Jugendarbeit?

    6.3 Wer wird erreicht und wer nicht?

    6.4 Pädagogische Orientierungen von Professionellen in der Offenen Jugendarbeit

    6.5 Beteiligung in der Offenen Jugendarbeit

    6.6 Netzwerke der lokalen und regionalen Jugendarbeit

    6.7 Perspektiven der Jugendarbeit in der Region

    7 Zusammenfassung: Jugendbeteiligung als Perspektive der Durchsetzung von Interessen junger Menschen

    Check das

    Regionale Jugendberichte in den einzelnen Kommunen

    Brühl

    Eberbach

    Eppelheim

    Ketsch

    Plankstadt

    Rauenberg

    Reilingen

    Schönau

    Spechbach

    Konzeption der Mobilen Jugendarbeit

    Grundprinzipien Mobiler Jugendarbeit

    Bedarfsorientierung

    Partizipation und Engagement

    Schaffung von Räumen

    Weitere Grundprinzipien

    Arbeitsformen Mobiler Jugendarbeit

    Aufsuchende Arbeit

    Gruppen-/Cliquenarbeit

    Einzelfallarbeit

    Gemeinwesenarbeit

    Erkenntnisse: Welche Konsequenzen hat das Modellprojekt für die künftige Arbeit?

    Raumsituation

    Abgrenzung zum Ordnungsdienst

    Erkennen von Bedarfen – Schaffung von Strukturen

    Bedarf in Alltagssituationen erkennen

    Jährlich stattfindende strukturierte Maßnahmen

    Videogestützte Bedarfsanalyse

    Gruppendiskussionen

    Laufende strukturiert stattfindende Beteiligung von Jugendlichen

    Jugendarbeit lebt von Reflexion und Personen

    Fliegen

    Fliegen #2

    Danksagung

    Anhang

    Originalausgabe

    © 2017 Hirnkost KG, vormals Archiv der Jugendkulturen Verlag

    Lahnstraße 25

    12055 Berlin

    prverlag@jugendkulturen.de

    www.jugendkulturen-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage Mai 2017

    Vertrieb für den Buchhandel:

    Bugrim (www.bugrim.de)

    Auslieferung Schweiz:

    Kaktus (www.kaktus.net)

    E-Books, Privatkunden und Mailorder:

    shop.jugendkulturen.de

    Layout: Linda Kutzki

    Lektorat: Gabriele Vogel

    ISBN:

    PRINT: 978-3-945398-30-2

    PDF: 978-3-945398-31-9

    EPUB: 978-3-945398-32-6

    Dieses Buch gibt es auch als E-Book – bei allen Anbietern und für alle Formate.

    Unsere Bücher kann man auch abonnieren: shop.jugendkulturen.de

    Diese Publikation und das Gesamtprojekt wurden gefördert von Aktion Mensch

    Vorwort

    Klaus Farin

    Für uns Großstädter_innen reimt sich auf Land sehr schnell Flucht. Land – Provinz – Kleinstadt ist das, wo man weg will, dahin, wo das wilde Leben pulsiert, in die Großstadt. Wo Punk, Techno, HipHop, Hardcore, Ultras, Skinheads, Cosplay und andere lebendige Szenen, Kulturen und Subkulturen blühen – je nach Geschmack, Style, politischer, sportlicher und musikalischer Orientierung für jeden etwas. Land bedeutet Saufen, Trachtenkapellen, Schützen- und Karnevalsvereine. Und Fußball, den gibt’s überall. Aber richtige Szenen? Aus zwei Punks im Dorf wird bestenfalls eine Skatrunde, wenn sie noch einen dritten Verrückten finden, aber niemals eine wirkliche Szene.

    Land in homöopathischer Dosierung genossen ist natürlich okay – frische Luft ziehen auch Großstädter_innen gerne mal durch die Nase, und so ab und an vermisst man ja doch ein wenig Natur, vor allem, wenn man, wie ein Großteil der heutigen jungen Großstädter_innen, selbst vom Land kommt. Aber wirklich dort leben? Land ist das, wo man unverschuldet herkam, bevor das eigentliche Leben begann. Land bedeutet: Ich will hier raus!

    Die Landflucht der Jungen hat oft ganz prosaische Gründe: Universitäten findet man in ländlichen Regionen eher selten. Überhaupt die beruflichen Perspektiven, geschweige denn, einen Beruf zu finden, den man wirklich Jahrzehnte ausüben möchte, sind auf dem Land eher dünn gesät. Und sich vielleicht mal eine Weile selbstständig zu machen, von Projekt zu Projekt durchzuhangeln, um herauszufinden, wo man eigentlich hin will, oder gar zu versuchen, aus seiner Leidenschaft – etwa Musik oder Mode – einen Lebensunterhalt zu machen wie die zu den Techno-Hochzeiten der 1990er Jahre rund 20.000 Menschen, die allein in Berlin mehr oder weniger von Techno lebten – das klappt auf dem Land nun einmal nicht.

    Die große Mehrheit – 87 Prozent – der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Rhein-Neckar-Region lebt gerne dort. Doch drei Viertel der Befragten stellen auch fest, dass in ihrer Gemeinde „nichts los sei, fast jede_r Zweite ist mit den Freizeitangeboten unzufrieden. Vor allem die Jüngeren klagen über fehlende Räume für sie, in denen sie sich frei und unkontrolliert aufhalten dürfen, mit ihren Freund_innen treffen können. Besonders in den kalten Jahreszeiten wissen sie oft nicht wohin. Und nicht wenige Jugendliche fühlen sich „unerwünscht in ihrer Gemeinde, haben das Gefühl, ständig irgendwo vertrieben und misstrauisch beobachtet zu werden, als gehörten sie allesamt gewalttätigen Gangs an – dabei ist die große Mehrheit der Jungen so brav, integrationswillig und leistungsorientiert wie schon lange keine Generation zuvor. „Die befragten Jugendlichen sind bildungsorientiert, zukunftsoptimistisch, zufrieden, eingebunden in lokale Strukturen und verwurzelt mit ihrer Region", fasst Nicolle Pfaff das Ergebnis ihrer Studie zusammen.

    Trotzdem wandern nicht alle Jungen ab – obwohl fast jede_r Zweite sich das durchaus vorstellen kann, vor allem junge Frauen und Höherqualifizierte. Viele bleiben dann doch, weil sie es sich schlicht nicht anders leisten können, weil sie nicht zu der von Hause aus gut bestückten Bildungs- und Kulturelite ihrer Re­gion gehören, andere, weil sie gar nicht weg wollen. Es ist ja auch nicht so, dass alle darunter leiden, dass jede_r im Dorf sie kennt und jeden ihrer Schritte begleitet. Dass Rollenveränderungen eigentlich nicht vorgesehen sind. Für viele übersetzt sich die engmaschige soziale Kontrolle in Landgemeinden mit sozialer Wärme, füreinander da sein, familiale Intimität statt gesichtsloser Anonymität. Und, durchaus nicht unwichtig: Natur. Anders als etwa noch in den Jugendszenen der 1980er Jahre wird ein Leben in der Natur von den Jungen wieder als positives Qualitätsmerkmal geschätzt. Dafür nimmt man eben manches in Kauf. „Ruhe", die immer wieder genannte Assozia­tion zum Dorfleben, ist Chance und Dilemma zugleich.

    Wir erleben generell in Europa gerade eine Renaissance des Regionalpatriotismus, auch unter Jugendlichen. „Heimatliebe zu zeigen und auszuleben ist auch für viele Junge außerhalb von Bayern heute nicht mehr peinlich, nicht mehr per sé „rechts und „nationalistisch, sondern Teil ihrer Alltagskultur und Identitätssuche. Nicht Nationalismus, sondern Regionalismus steht auf ihren Agenden – und der Wunsch nach einer Entschleunigung und Wiederüberschaubarkeit ihrer Lebensumwelt: das Dorf als Hort der Sicherheit, als Ruhepol inmitten einer sich global immer schneller und unbeeinflussbarer verändernden Welt. „Hier ist die Welt noch in Ordnung.

    Im Dorf ist die Welt noch in Ordnung?

    Ist sie das wirklich? Gelingt es Dörfern und Landgemeinden wirklich noch, die Welt draußen zu halten? Wollen sie das überhaupt, vor allem die Jungen, auch die, die gerne in ihrem Dorf und in ihrer Landgemeinde leben?

    Aktuelle Beobachtungen zeigen eher, dass Veränderungen, die „die Jugend" in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, zwar in den Städten sichtbarer zutage treten, aber auch auf dem Land stattfanden und weiter stattfinden. Freiwillige Feuerwehren, kirchliche und andere Jugendgruppen und -verbände, sogar Karnevals- und Schützenvereine klagen vielerorts über Nachwuchsmangel. Traditionen erodieren. Auch Jugendliche, die gerne in Landgemeinden leben, schließen sich nicht mehr automatisch den Jugendgruppen und Vereinen ihrer Eltern und Großeltern an. Sondern sie prüfen kritisch: Was bringt MIR das, wenn ich mich dort engagiere? Sinn und Spaß, nicht Pflichtbewusstsein motivieren Jugendliche zu Engagement. Auf dem Land nicht anders als in der Stadt. Werde ich dort, wo ich mich einbringe, akzeptiert, so wie ich bin? Werde ich auch in meiner Andersartigkeit als Jugendliche_r, was Sprache, Mode, Musik und andere Elemente meines Stils angeht, ernst genommen und respektvoll behandelt, nicht von oben herab? Kann ich von Anfang an nicht nur mitarbeiten, sondern auch mitbestimmen? Ist das Ziel unverrückbar festgeschrieben oder habe ich noch Einfluss darauf? Ist das Ziel überhaupt erreichbar, in einem absehbaren Zeitraum, nicht erst nach der Revolution oder für die nächste Generation? Ist der Weg zum Ziel spannend, aufregend, eine He­rausforderung für mich? Wird dort nur geredet, geredet, geredet oder auch gehandelt? Sind die Menschen, mit denen ich mich engagiere, nett, cool, interessant? Kann ich mir vorstellen, mit ihnen nicht nur im Verein etc. zusammenzukommen, sondern auch ganz privat eine Party zu feiern und mehr? Finde ich bei meinem Engagement vielleicht sogar nicht nur neue Freund_innen, sondern auch eine feste Beziehung?

    Spaß und Sinn müssen eine Einheit bilden, will man Jugendliche motivieren, sich zu engagieren, sich an eine Gruppe zu binden, sei es auch nur auf Zeit. Das bedeutet: wirkliche Partizipation, Eigenverantwortlichkeit, die Möglichkeit eines Engagements auf Zeit, Ganzheitlichkeit (Kopf und Körper werden beansprucht), möglichst flache Hierarchien, kreative Herausforderungen, Respekt. Mit anderen Worten: Im Vergleich zwischen traditionellen Vereinen, Jugendverbänden und anderen Großorganisationen wie Kirchen oder Parteien – mit ihren oft patriarchalen, jugendfeindlichen Strukturen, nicht zu hinterfragenden Autoritäten und sinnentleerten Alte-Männer-Ritualen – und den informellen jugendkulturellen Szenen ergibt das einen eindeutigen Punktsieg für Letztere. In den Jugendkulturen fanden sich schon immer überwiegend jene zusammen, die mit den engmaschig normierten Strukturen und nicht hinterfragbaren Regeln der formellen Engagementangebote nicht klarkamen, die selbst jederzeit die Entscheidungsfreiheit behalten wollten, ob, wann, wie und mit welchen Menschen sie sich in ihrer Freizeit amüsieren und engagieren wollten. Sicher hat auch die Punk-, Gothic- oder Ultra-Szene „Gesetze", doch die sind nirgendwo schriftlich fixiert, jede einzelne Punk-, Gothic- oder Ultra-Clique und jede_r einzelne ihrer Angehörigen entscheidet selbst, welche Regeln er oder sie befolgen möchte und welche eben nicht. Sicher gibt es auch dort wie überall im Leben Menschen, deren Meinung mehr Gewicht hat als die anderer, aber die haben es sich durch langjährige Zugehörigkeit, Witz, verbale und nonverbale Schlagfertigkeit und vor allem durch eigenes kreatives Engagement verdient und nicht, weil sie formal gewählt oder von oben ernannt wurden (was nicht bedeutet, dass unter den Gewählten oder von oben ernannten Repräsentant_innen formaler Organisationen nicht auch Engagierte und Kreative sein können).

    Selbstverständlich prägen die (großstädtischen) Jugendkulturen auch Jugendliche auf dem Land. Wie sollte es auch anders sein, ist doch das world wide web längst die wichtigste Quelle und das größte Transportmittel zur Verbreitung von Jugendkulturen. Was für (eher) großstädtische Jugendkulturen schon immer galt, überträgt sich nun auf die Vereine und Organisationen auch in den Landgemeinden. Die Jugendlichen dort fordern dies explizit eher selten – sie stimmen mit den Füßen ab und bleiben den Angeboten, die sich ihnen nicht zumindest ein wenig anpassen, einfach fern. Landgemeinden und dort beheimatete Organisationen werden sich gegenüber den Bedürfnissen der jugendkulturell geprägten Jugendlichen öffnen müssen, wollen sie nicht zur jugendfreien Zone werden.

    Das bedeutet neue Herausforderungen auch für die Jugendarbeit auf dem Lande – nicht zuletzt, damit aus dem „Ich bin dann mal weg vieler Jugendlicher vielleicht ein „Ich bleib erst mal hier wird.

    Und das bedeutet zunächst, die Bedürfnisse der Jungen auch zu kennen. Das Archiv der Jugendkulturen entwickelte deshalb in Zusammenarbeit mit dem Postillion e. V. ein Organisationsentwicklungsmodellprojekt inklusive einer regionalen Jugendstudie, auf deren Basis gezieltes und nachhaltiges politisches und pädagogisches Handeln möglich ist. Die Besonderheit der Studie liegt darin, dass die Jugendlichen selbst aktiv eingebunden wurden: Sie wurden nicht nur befragt, sondern entwickelten in verschiedenen Settings eigene Ideen, Wünsche und Positionen. Sie erkannten dabei, dass die Erwachsenenwelt sich für ihre Perspektive interessiert und ihre Partizipation ausdrücklich erwünscht ist. Denn nachhaltige Veränderungen lassen sich heute nur noch erzielen, wenn die Zielgruppe bei der Entwicklung und Implementierung neuer Methoden selbst aktiv mitwirkt. Das gilt nicht nur für Großbauprojekte, sondern auch für die kleinteilige Beziehungsarbeit mit Jugendlichen vor Ort. Identifikation – mit der Schule, dem Jugendhaus, der Gemeinde – entsteht letztlich nur durch Teilhabe und die Erfahrung von Respekt.

    Nach einem ersten Durchlauf in Waldshut-Tiengen 2013 wurde das Projekt von 2014 bis 2017 in zehn Städten und Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis um­gesetzt.

    Auf zu neuen Ufern!

    Die Offene Jugendarbeit des einst als Verein ehrenamtlich Engagierter gegründeten Postillion e. V. bot früher vor allem eine sogenannte Komm-Struktur an, d. h., Jugendliche mussten den Weg zu den Angeboten der Jugendarbeit größtenteils selbst finden, auch wenn die Postillion-Mitarbeiter_innen durchaus im Gemeinwesen präsent waren. So konnte „oft nur der dominante Teil der Jugendszene(n) aufgefangen werden und gerade diejenigen Jugendlichen fielen durch das Raster der sozialpädagogischen Fachkräfte, die Hilfe und Unterstützung am meisten benötigten (siehe den Postillion-Beitrag in diesem Buch). Gleichzeitig machten von Postillion e. V. und anderen durchgeführte Sozialraumstudien deutlich, dass Jugendliche sich oftmals von der Erwachsenenwelt ausgegrenzt oder diskriminiert fühlten. Hinzu kam, dass die Kommunalpolitik noch traditionell stark darauf fixiert war, die Jugendlichen mit Hilfe der Jugendarbeiter_innen von den Straßen weg in die Jugendhäuser zu bringen. So wurde die Offene und Mobile Jugendarbeit als „Instanz der Lösung von Generationenkonflikten eingesetzt, analysiert Nicolle Pfaff in ihrer Studie. „Der Offenen Jugendarbeit wird die Funktion der Betreuung und kommunalen Integration Jugendlicher wie auch deren räumliche ‚Verwahrung‘ zugeschrieben, wobei diese geografisch wie infrastrukturell marginalisiert werden. Mobile Jugendarbeit wird als Instanz der ‚Krisenintervention‘, Kontrolle und Disziplinierung junger Menschen gefasst. „Der Wunsch der Kommunen war immer, Ruhe im Gemeinwesen herzustellen, berichtet auch Stefan Lenz. „Das bedeutet, die Plätze und Straßen jugendfrei zu machen, als Erfolg der Mobilen Jugendarbeit zu werten."

    Infolge dieser Beobachtungen bzw. Probleme in der Offenen Jugendarbeit hatte der Postillion e. V. schon ab 2009 sein System auf Mobile Jugendarbeit umgestellt. So konnten die Mitarbeiter_innen der Jugendarbeit sehr viel flexibler auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingehen und auf der einen Seite im Jugendhaus Angebote machen, gleichzeitig aber auch verstärkt auf der Straße präsent sein. Dennoch fehlte es bislang an geeigneten Methoden, die Beteiligung von Jugendlichen in der Jugendarbeit nicht nur als einmaliges Event, sondern dauerhaft in den Kommunen zu etablieren. Neben Methoden brauchte es auch eine neue Haltung der Fachkräfte – und der sie finanzierenden Gemeindeverwaltungen und Kommunalpolitiker_innen.

    Aktion Mensch erklärte sich bereit, das Modellprojekt zur Entwicklung und Implementierung einer bedarfsorientierten Jugendarbeit drei Jahre lang zu fördern. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Archiv der Jugendkulturen e. V. und der Universität Essen-Duisburg und fachplanerisch unterstützt vom Jugendamt des Rhein-Neckar-Kreis startete das Projekt mit einem groß angelegten Jugendsurvey zu den Bedarfen der ansässigen Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren. Mehr als 2.400 Jugendliche der Region wurden dabei befragt. Weit über 100 Jugendliche nahmen an parallel stattfindenden Kreativworkshops teil. Diese Bedarfsabfrage war einmalig und diente der Diskussion mit den Kommunen. Mit Fortbildungen und Exkursionen der Postillion-Mitarbeiter_innen wurden Veränderungen der Arbeit angestrebt. Im abschließenden Sachbeitrag dieses Buches von Stefan Lenz werden einzelne (methodische) Verfahrensweisen, auf die die Offene und Mobile Jugendarbeit in der Praxis bisher zurückgreift oder zukünftig zurückgreifen kann, in ihren Potentialen und Schwierigkeiten genauer erläutert.

    Die Offene Jugendarbeit wird sich verändern

    Die Offene Jugendarbeit wird sich verändern. Nicht nur, weil die Jugendlichen sich verändern, sondern auch, weil in Zeiten knapper werdender Ressourcen und einer immer älter werdenden Gesellschaft, in der „Jugend unfreiwillig in eine aussichtslose Konkurrenz zu ihren Großeltern gerät, der Druck auf sie wächst. Aus Sicht vieler kommunalpolitisch Verantwortlicher – auch das hat diese Studie ergeben – hat die Jugendarbeit ohnehin zuvorderst eine ordnungspolitische Funktion: Sie soll Störungen im öffentlichen Raum durch Jugendliche mit ihrer überbordenden Energie beseitigen oder präventiv verhindern. Tendenziell besteht hier also ein latenter Interessenkonflikt für die Jugendarbeit, deren tragende Säulen kreatives Engagement und Partizipation der Jugendlichen sind, die sich häufig jener annimmt, die viele Probleme haben und viele(n) Probleme machen, aber aus der Perspektive der Politik – derjenigen, die entscheiden, ob überhaupt professionelle Jugendarbeit sein darf und für wen und unter welchen Rahmenbedingungen – primär jugendliche Ruhestörer_innen ruhigstellen und damit erwachsene Wähler_innen beruhigen soll. Die Jugendarbeit will Jugendliche fördern, unterstützen, auf ihrem bisweilen schwierigen Weg zu selbst denkenden, selbstbewussten und selbstständigen Menschen begleiten, stellt nicht ihre Defizite in den Mittelpunkt, wie sie es ohnehin tagtäglich, zum Beispiel in der Schule, erleben – „Du kannst nichts, du bist nichts, aus dir wird nichts! –, sondern ihre Talente, ihr Potential. Diese Lobbyarbeit für Jugendliche zu betreiben ist schwierig in Zeiten, in denen diese – völlig losgelöst von der Realität – in erster Linie als Bedrohung wahrgenommen werden. Bundesweit lässt sich die Tendenz beobachten, dass die Jugendarbeit immer stärker in die Pflicht genommen wird, die bürgerliche Gesellschaft vor ihrer Jugend zu schützen; die Einrichtung von Stellen und die Vergabe von Projekt- und anderen Fördermitteln werden immer stärker an negativ stigmatisierende Jugendbeschreibungen und repressive Vorgaben und Ziele geknüpft. Pädagogisch und „jugendschützerisch verbrämt werden jugendliche Freiräume immer weiter eingeschränkt. Die Jugend ist heute von einem „pädagogischen System fürsorglicher Belagerung umstellt, „das ausufernde Präventionsdenken in unserer Gesellschaft stattet sich mit immer rigideren Kontrollwünschen aus, welches ganz besonders Jugendliche betrifft, stellt Werner Lindner, Professor für Sozialwesen in Jena, fest. Sein Fazit lautet, dass es „öffentliche, frei zugängliche und unverzweckte Räume, also Räume ohne vorab festgelegte Funktionserwartungen, kaum mehr gibt. Die Alltags- und Lebenswelten von Jugendlichen – insbesondere in den Städten – werden zusehends funktionalisiert, verdichtet, kommerzialisiert und der öffentlichen Überwachung und Kontrolle unterworfen. (Lindner 2011, S. 106; 110)

    Immer häufiger muss sich die Offene Jugendarbeit dafür rechtfertigen, dass sie meist nur für bestimmte Jugendliche arbeitet und nicht alle erreicht. Doch aus Sicht der Jugendarbeit, die sich stets als Lobby für und nicht gegen Jugendliche identifiziert, zeigt sich die Qualität der Jugendarbeit und -förderung nicht in den „Leuchttürmen", den Festivals und anderen affirmativen Großevents, die der Gemeinde durch bunte Jugendprojekte ein junges Image schenken, sondern darin, wie die erwachsene Mehrheitsgesellschaft mit dem umgeht, was die Bürgerkultur eigentlich nicht mag – etwa mit der nicht autorisierten Wiederaneignung des öffentlichen Raums durch Punk, Graffiti, Street Art, Parcours oder andere Straßencliquen.

    Die Offene Jugendarbeit erreicht immer nur Minderheiten, und das ist gut so! „Aus bundesweiten Studien ist bekannt, dass im Alter zwischen 12 und 21 Jahren etwa 8–10 % regelmäßig und weitere 20 % gelegentlich Angebote der Offenen Jugendarbeit nutzen", fasst Nicolle Pfaff die Ergebnisse der Forschung zusammen. Besucher_innen der Offenen Jugendarbeit sind:

    überproportional aus bildungsfernen, sozial belasteten Milieus

    überproportional Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund

    überproportional männlich

    vorwiegend Stammbesucher_innen, die die Einrichtung bereits seit mehreren Jahren mehrmals wöchentlich besuchen (vgl. dazu auch Pothmann/Schmidt 2013, S. 543).

    Das bedeutet: Für mindestens jede_n zehnte_n Jugendliche_n in Deutschland sind die Angebote der Offenen Jugendarbeit bedeutende und nachhaltig wirkende Momente ihrer Freizeitgestaltung und die Mitarbeiter_ innen oft erste Ansprechpartner_innen, wenn Beratungsbedarf entsteht. Und ein Großteil dieser Jugendlichen hat keine Alternativen: Die kommerziellen An­gebote können sie sich finanziell nicht leisten oder sie werden dort aus rassistischen Gründen ausgegrenzt oder schon die Programmpalette macht deutlich: Ihr seid hier nicht erwünscht! Die Offene Jugendarbeit ist für diese Jugendlichen oft die einzige Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Peers am aktuellen jugendkulturellen Geschehen aktiv teilzuhaben, sich durch eigenes kreatives Engagement Respekt und Anerkennung zu erwerben.

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