Darauf vertraue ich: Grundworte des christlichen Glauben
Von Wolfgang Huber
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Über dieses E-Book
Wolfgang Huber
Wolfgang Huber, Dr. theol., geb. 1942, seit 1980 Theologieprofessor in Marburg (Sozialethik) und Heidelberg (Systematische Theologie); 1983-85 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Von 1994-2009 Bischof von Berlin-Brandenburg, von 2003-2009 Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zahlreiche Veröffentlichungen.
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Buchvorschau
Darauf vertraue ich - Wolfgang Huber
Wolfgang Huber
Darauf vertraue ich
Grundworte des christlichen Glaubens
Impressum
© KREUZ VERLAG
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de
Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
ISBN (Buch): 978 - 3 - 451 - 61060 - 8
ISBN (
E-Book
): 978 - 3 - 451 - 33799 - 4
Inhaltsübersicht
Zum Beginn
1. Glaube ist Vertrauenssache
Der 23. Psalm
2. Geschenktes Leben
Der erste Glaubensartikel und Martin Luthers Erläuterung
3. Rivalität und Respekt
Kain und Abel
4. Legende und Wahrheit
Die Weihnachtsgeschichte
5. Barmherzigkeit erfahren
Das Gleichnis vom wiedergefundenen Sohn
6. Herausfordernd für den Einzelnen und die Gesellschaft
Die Bergpredigt
7. Im Zentrum das Kreuz
Der zweite Glaubensartikel und das Friedensgebet des Franz von Assisi
8. Melodien des Glaubens
Joachim Neanders Lobgesang und Dieter Trautweins Segenslied
9. Freiheit und Verantwortung
Martin Luthers Freiheitsschrift und das Bekenntnis von Barmen
10. Wegweiser der Freiheit
Die Zehn Gebote
11. Kultur des Helfens
Das Doppelgebot der Liebe und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter
12. Gemeinschaft der Hoffnung
Der dritte Glaubensartikel und der Traum von Martin Luther King
13. Gott und der Welt zugewandt
Dietrich Bonhoeffers Vision der Kirche von morgen
14. Die sieben Werke der Barmherzigkeit
Jesu Rede vom Weltgericht
15. Geborgen in Gott
Das Vaterunser
Schluss: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei
Quellennachweis
Die Bibeltexte sind entnommen aus: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
S. 85: Dieter Trautwein: Komm, Herr, segne uns, © Strube Verlag München – Berlin
S. 122 in: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, © 1998, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
S. 159 in: Helmuth James und Freya von Moltke, Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel September 1944 – Januar 1945, © 2011 C.H. Beck, München, S. 480 – 482
Zum Beginn
Wer bin ich?
Wie gehe ich mit anderen um?
Was gibt mir Gewissheit?
Diese drei Fragen stellen sich jedem Menschen. Wir alle suchen nach Antworten.
Wer bin ich? Die Frage begleitet mich ein Leben lang. Sie lässt sich nicht in einem Satz beantworten. Meine Identität hat viele Aspekte. Nicht alles, was mir wichtig ist, lässt sich sehen oder herzeigen. Als Menschen fragen wir über uns hinaus. Nur so verstehen wir, wer wir sind. Wir halten Ausschau nach einem Halt, den wir uns nicht selbst geben können. Damit wir die Endlichkeit unseres Lebens annehmen und bejahen können, muss unsere Hoffnung weiter reichen als bis zum Ende unseres Lebens. Wir brauchen einen klaren Kompass dafür, unserem Egoismus oder unserer Abneigung gegen andere nicht das Feld zu überlassen.
Wie gehe ich mit anderen um? Keiner lebt allein. Ohne Mutter kommt niemand zur Welt. Wir alle leben mit anderen Menschen zusammen. Ihnen offen zu begegnen, tragfähige Beziehungen zu entwickeln, Schuld zu vergeben und Missverständnisse auszuräumen – all das will gelernt sein.
Unsere Lebenswelt wird bunter. Unsere Gesellschaft ist durch eine Vielfalt, ja einen Widerstreit von Einstellungen und Verhaltensweisen gekennzeichnet. Wir leben mit sehr unterschiedlichen Menschen zusammen. Sie zu ignorieren oder ihnen mit feindseliger Abwehr zu begegnen ist keine Lösung. Sie zu akzeptieren, ohne uns selbst zu verbiegen, ist manchmal nicht leicht. Wir brauchen beides: Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen, aber zugleich eine klare Position, eine verlässliche Orientierung.
Was gibt mir Gewissheit? Wir suchen einen eigenen Ort im Stimmengewirr der Religionen und Weltanschauungen. In Europa, ganz besonders in Deutschland, hat sich ein erhebliches Maß von religiöser Gleichgültigkeit ausgebreitet. Doch in der Auseinandersetzung zwischen säkularen Einstellungen, einem erstarkenden Islam und einem oft diffusen Christentum merken viele, dass sie für sich selbst Klarheit brauchen. Manche fordern eine »christliche Leitkultur«; andere entdecken das »christliche Abendland« wieder, obwohl schon vor hundert Jahren von dessen Untergang die Rede war.
Solche Formeln klingen so, als sollte eine gute alte Zeit beschworen werden. Doch der christliche Glaube ist mehr als ein kulturelles Erbe. Lebendig ist er nur, wenn er zur Lebenskraft wird und die persönliche Haltung prägt. Aber Hand aufs Herz: Vielen ist gar nicht mehr klar, was den christlichen Glauben von anderen Religionen oder säkularen Einstellungen unterscheidet. Klarheit entsteht, wenn man sich über die Kernaussagen des christlichen Glaubens verständigt.
Die meisten Menschen verdanken der frühesten Kindheit die entscheidenden Prägungen für ihr ganzes Leben. Zwar haben wir keine eigenen Erinnerungen an die ersten Lebensjahre; aber in dieser Zeit bildet sich ein Überzeugungswissen, das wir von da an als selbstverständlichen Besitz in uns tragen. Deshalb kommen die meisten gar nicht auf die Idee, ihre tragenden Überzeugungen jemals in Frage zu stellen. Entsprechend schwer ist es, sie zu ändern. Wir leben aus einem Urvertrauen und zehren ein Leben lang davon. Manchmal fragen uns andere danach. Wir sollten ihnen Auskunft geben können, denn viele tragen eine solche Gewissheit nicht in sich. Wichtige Fragen sind für sie ungeklärt. Was ihnen in früher Jugend nahegebracht wurde, hat für sie keinen Bestand mehr. Sie sind auf der Suche; sie sind bereit, sich neu zu orientieren. Kann der christliche Glaube für sie eine Hilfe sein? Wie kann er Überzeugungskraft gewinnen?
Gewiss zuallererst durch Menschen, die diesen Glauben leben, durch Vorbilder, an denen man sich orientieren kann. Wer solchen Menschen begegnet oder von solchen Vorbildern beeindruckt ist, fragt weiter. Er fragt nach Inhalten. Er möchte die Sprache des Glaubens lernen. Er will die wichtigen Symbole des Glaubens verstehen und sich mit dessen zentralen Aussagen auseinandersetzen. Ich bin davon überzeugt, dass sich viele Menschen heute nicht mit allgemeinen religiösen Sätzen, generellen Richtigkeiten oder banalen Selbstverständlichkeiten zufriedengeben. Sie suchen vielmehr geistliche Tiefe, spirituellen Gehalt, Klarheit in Glaubensfragen.
Aus solchen Gründen fragen wir heute neu nach Schlüsseltexten des christlichen Glaubens. Auf welche Grundworte kommt es an? Niemand kann zu der Vielzahl biblischer Zeugnisse sowie zu der Fülle christlicher Zeugnisse aus zwei Jahrtausenden ein gleichmäßig intensives Verhältnis entwickeln. Wir alle wählen aus. Bei manchen ist der Vorrat an Bibelworten, Liedversen und Gebeten, die sie kennen, knapp; bei anderen ist er reichlicher. Doch wir alle brauchen Quellen für die eigene Spiritualität, für das Wachsen im Glauben und das Standhalten im Zweifel.
Nur durch den Mut zur Auswahl kann man sich solchen Quellen nähern. Jede Auswahl ist subjektiv; doch ist sie damit nicht zufällig. Jede Auswahl verzichtet auf Wichtiges; das macht aber das Ausgewählte nicht unwichtig. Auch ich hätte den von mir ausgewählten Texten gern noch viele andere hinzugefügt; aber auf keinen von ihnen wollte ich verzichten. Ich mache in diesem schmalen Buch auf Schlüsseltexte der Bibel und der christlichen Überlieferung aufmerksam, die zum Glauben im 21. Jahrhundert helfen können. Jeder dieser Texte ist für mein eigenes Leben und für meinen Glauben wichtig. Aus dieser Erfahrung schöpfe ich die Hoffnung, dass diese Texte auch anderen weiterhelfen. Was mir diese Texte bedeuten und welchen Zusammenhang sie für mich erschließen, stelle ich in den folgenden fünfzehn Kapiteln dar. Aus diesen Elementen entsteht vor den Augen der Leserin und des Lesers ein Bild des christlichen Glaubens.
Meine Sichtweise ist bewusst ökumenisch; der Glaube an Jesus Christus ist nicht evangelischer oder katholischer, auch nicht orthodoxer oder freikirchlicher, sondern christlicher Glaube. Meine Sichtweise ist aber zugleich bewusst evangelisch; ich bin davon überzeugt, dass wir nicht im luftleeren Raum, sondern in einer konkreten Gemeinschaft glauben lernen und beim Glauben bleiben. Neben biblischen Quellen und Texten aus der Frühzeit des Christentums kommen deshalb Impulse der Reformation ebenso zur Geltung wie Stimmen evangelischer Christen bis in unsere Gegenwart hinein.
In diesem Buch beschreibe ich, worauf ich vertraue und wovon ich hoffe, dass es auch für andere vertrauenswürdig ist. Jedes Kapitel beginnt mit einem oder zwei Texten aus der Bibel, dem Gesangbuch oder der Tradition christlichen Denkens. Die biblischen Texte werden in der Übersetzung Martin Luthers wiedergegeben. Meine Erläuterungen schlagen die Brücke zu den Fragen unserer Zeit. Sie sind eine Einladung zur eigenen Antwort und zum Gespräch zwischen Menschen, die miteinander auf der Suche sind.
1
Glaube ist Vertrauenssache
Der 23. Psalm
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen
mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Geborgen in der Sprache der Psalmen
Den 23. Psalm kenne ich, seit ich denken kann. Wenn ich Worte für das Vertrauen suche, das mich trägt, dann verwende ich sehr oft Worte dieses Psalms. Als meine Mutter im Sterben lag, betete ich für sie den 23. Psalm. Das Sprechen fiel ihr schwer, aber sie sprach ihn mit. Als ich mit meiner Frau am Sterbebett ihrer Mutter stand, beteten wir diese Worte für sie; wir waren davon überzeugt, dass die Gewissheit des Psalms sie erreichte. Es geht um ein Vertrauen, das an den Grenzen des Lebens Bestand behält.
Solche Grenzen erfahren wir nicht nur im persönlichen Umkreis. Sie kommen uns auch im gesellschaftlichen und politischen Zusammenleben nahe. Am 11. September 2001 breitete sich ein Schock mit der Gewalt einer plötzlichen Druckwelle aus. Zwei Flugzeuge waren in die Twin Towers des World Trade Center in New York gerast und hatten Tausende von Menschen in den Tod gerissen. Eine große Menschenmenge versammelte sich am Abend im Berliner Dom; viele fanden keinen Einlass mehr und warteten geduldig vor den Toren der Kirche. Aus der Erschütterung des Augenblicks mussten wir Worte finden; den jetzt nötigen Halt konnten nicht die eigenen Worte gewähren. Wir nahmen Zuflucht zur Sprache der Bibel. Vor allem zum 23. Psalm, dem Vertrauenspsalm. Und viele beteten mit.
Die Psalmen gehören zum Alten Testament, zur Heiligen Schrift des Judentums. Aber auch in der christlichen Bibel haben sie einen wichtigen Platz. Die erste Ausgabe des Neuen Testaments, an die ich mich erinnern kann, enthielt zusätzlich auch den Psalter. Denn die Psalmen sind das Gebetbuch der Bibel. In geistlichen Gemeinschaften, deren Tageslauf durch Gebetszeiten geprägt ist, gehört zum Gebet am Morgen, Mittag und Abend jeweils ein im Wechsel gesprochener oder gesungener Psalm. Ebenso bildet das Beten des Wochenpsalms einen festen Bestandteil im sonntäglichen Gottesdienst.
Die Psalmen umfassen unterschiedliche Situationen des menschlichen Lebens. Lob und Klage, Dank und Trost kommen in ihnen zur Sprache. Über die Jahrtausende hinweg benutzen Menschen die Worte des Psalters, um ihr Befinden und ihr Empfinden vor Gott zu bringen. Viele Psalmen verleihen der Erfahrung von Menschen Sprache, die Gottes Führung in schwerster Gefahr erlebt haben. In ihnen äußert sich Gottvertrauen.
Gottvertrauen
Vertrauen ist nicht das Gegenteil von Anfechtung; es gewinnt gerade in der Anfechtung seine Kraft. Es bewährt diese Kraft, wenn neue Fragen auftauchen. Vertrauen zeigt sich nicht darin, dass jemand auf die theoretische Frage, woher das Böse kommt, eine Antwort weiß. Es zeigt sich darin, dass er auch angesichts des Bösen nicht kapituliert.
Die Sprache der Psalmen hilft uns, die Endlichkeit unseres Lebens zu akzeptieren. Diese Endlichkeit zeigt sich nicht erst am Lebensende, sondern von allem Anfang an.
Keiner von uns weiß, warum er gerade jetzt lebt. Keiner verfügt über Zeit und Stunde seiner Geburt; dass die Eltern sich darüber Gedanken gemacht haben, wann sie sich ein Kind wünschten, ändert daran nichts. Keiner verfügt über Zeit und Stunde seines Todes; dass heute manche ihr Leben verkürzen oder den Beistand des Arztes beim Sterben erhoffen – auch das ändert daran nichts.
Die Endlichkeit unseres Lebens spüren wir nicht nur, wenn es um Anfang und Ende des Lebens geht. Auch in der Mitte des Lebens verfügen wir nur über begrenzte Möglichkeiten. Unsere Kräfte sind beschränkt; wir können nur zwischen bestimmten Optionen wählen; was richtig gewesen wäre, begreifen wir oft erst im Nachhinein.
Manchmal sehnen wir uns nach einer Freiheit, die grenzenlos ist; doch im Grunde wissen wir, dass es ohne Begrenztheit weder Freiheit noch Glück gibt. Wir versprechen uns einem bestimmten Menschen; dass wir ihn kennen lernten, war nicht vorauszusehen. Wir erleben in der Treue zueinander eine Erfüllung ohnegleichen; aber wir