Rosa Luxemburg zur Einführung
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Ossip K. Flechtheim skizziert in diesem Band u.a. ihre Ausnahmestellung in der deutschen Sozialdemokratie, ihre Kritik an Lenin und den Bolschewiki, ihren Kampf für den Sieg der Arbeiterbewegung über Kapitalismus, Militarismus und politische Unterdrückung. Er macht verständlich, warum Rosa Luxemburg bis heute ein Vorbild für alle geblieben ist, die eine sozialistische Perspektive jenseits von reformistischer Anpassung und diktatorischer Bevormundung suchen.
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Buchvorschau
Rosa Luxemburg zur Einführung - Ossip K. Flechtheim
publiziert.
Lebenslauf
Rosa Luxemburg wurde am 5. März 1871 (dem Geburtsjahr Karl Liebknechts) in Zamosc in Russisch-Polen als Tochter eines emanzipierten jüdischen Kaufmanns geboren.¹ Bereits in ihren letzten Schuljahren arbeitete sie in einem illegalen revolutionären Zirkel mit und floh – noch nicht achtzehnjährig – über die Grenze. Während ihres Studiums in Zürich, das sie mit einer – nach dem Urteil ihres Lehrers Julius Wolf – »trefflichen Arbeit über die industrielle Entwicklung Polens« abschloß, blieb sie der polnischen Arbeiterbewegung verbunden.
Nach dem Abschluß ihres Studiums lebte sie seit 1896 in Deutschland – vor der Ausweisung geschützt durch die mittels einer Scheinehe mit Gustav Lübeck erworbene deutsche Staatsangehörigkeit. Mit ihrer ganzen Kraft stürzte sie sich alsbald in die Arbeit der deutschen Sozialdemokratie. Auch als theoretische Wortführerin der deutschen Marxisten blieb sie zugleich Internationalistin und Weltbürgerin. Nach dem Ausbruch der ersten russischen Revolution 1905 ging sie illegal nach Warschau, wo sie 1906 zusammen mit ihrem Lebensgefährten Leo Jogiches verhaftet wurde. Nach Stellung einer Kaution freigekommen, kehrte sie nach Deutschland zurück. Seit 1907 wirkte sie als Dozentin an der zentralen Parteischule der SPD. Aus dieser Arbeit erwuchs die erst nach ihrem Tode veröffentlichte Einführung in die Nationalökonomie sowie ihr theoretisches Hauptwerk Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus (1913).
Für die Humanistin und Kriegsgegnerin, die schon 1900 auf dem Pariser Kongreß der II. Internationale vorhergesagt hatte, der Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung werde »durch eine durch die Weltpolitik herbeigeführte Krisis erfolgen«, und die auf den Kongressen der Internationale 1907 in Stuttgart und 1912 in Basel den Kampf gegen Krieg und Militarismus zu steigern versucht hatte, wirkten der Ausbruch des Weltkrieges und die Kriegspolitik der SPD als furchtbare persönliche Schicksalsschläge. Zusammen mit Karl Liebknecht suchte sie mühselig das kleine Häuflein kompromißloser Kriegsgegner in der SPD zu sammeln und zu organisieren – erst in der Gruppe Internationale, dann im Spartakusbund. Doch schon am 18. Februar 1915 wurde sie zur Abbüßung einer einjährigen Gefängnisstrafe festgesetzt. Am 18. Februar 1916 war sie wieder frei – doch schon am 10. Juli 1916 wurde die »Schutzhaft« über sie verhängt. Erst am 9. November 1918 öffneten sich die Gefängnistore auch für Rosa Luxemburg. Sie verzehrte sich nun im Kampf gegen die neue Ebert-Scheidemann-Regierung für die Weiterführung der Revolution, der auch die Gründung der KPD (Spartakusbund) dienen sollte. Nachdem ein Aufstand, den Rosa abgelehnt hatte, fehlgeschlagen war, wurde sie am 15. Januar 1919 zusammen mit Karl Liebknecht von Regierungstruppen festgenommen und brutal ermordet. Ihre Leiche wurde erst nach Monaten aus dem Landwehrkanal geborgen. Die Mörder wurden freigesprochen – der damalige Hauptmann Pabst lebte noch lange bei bester Gesundheit in der BRD.
¹ Zweifel hinsichtlich ihres Geburtsjahres sind von Peter Nettl in seiner monumentalen Biographie: Rosa Luxemburg, Köln/Berlin 1967, S. 62, geklärt worden. Erstaunlicherweise ist Nettl ein Irrtum unterlaufen: er schreibt auf S. 614, Rosa Luxemburg sei am 22. Januar 1916 aus der Schutzhaft entlassen worden. Das korrekte Datum ist aber der 18. Februar – genau ein Jahr nach ihrer Einlieferung.
Die Sozialdemokratie
Um das ambivalente Verhältnis Rosa Luxemburgs zur deutschen Sozialdemokratie besser zu verstehen, muß man sich deren Entwicklung im 20. Jahrhundert vergegenwärtigen, ja darüber hinaus auch die Problematik der modernen deutschen Geschichte andeuten.
Die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts steht im Zeichen einer eigenartigen Tragik. Bei den großen Völkern des Westens war die nationale Frage schon relativ früh in einer Synthese von nationaler Einheit und bürgerlicher Freiheit gelöst worden. In Deutschland wurde die Nation erst spät – zu spät? – mit Hilfe von »Blut und Eisen« geeint. Der aus Bismarcks »Revolution von oben« resultierende typisch deutsche Konstitutionalismus begründete ein Herrschaftssystem, das vor allem auf Kosten der politischen Freiheit, die nur eine Scheinexistenz führte, funktionierte. Auch nach 1871 hatte der imperialistische Kampf gegen die »feindliche« Umwelt – ein Kampf unter autoritärer Führung und im reaktionären Geiste – das Primat. Der Schwäche der freiheitlich-revolutionärdemokratischen Kräfte entsprach die außerordentliche Stärke autoritär-reaktionär-bürokratischer Institutionen, Kräfte und Verhaltensweisen.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein überdauerte der Militär- und Polizeistaat; ihm entsprach eine Obrigkeitsgesellschaft und eine Untertanen-Mentalität. War dieser Staat auch kein totalitärer Staat, so war er doch ein »Überstaat«, der mit seinen Eingriffen ordnend, schützend oder unterdrückend weit in die verschiedenen Lebensbereiche der Gesellschaft hineinreichte. Heinrich Manns Der Untertan wie auch der Hauptmann von Köpenick sagen über diese Seite der deutschen Wirklichkeit mehr aus als alle gelehrten Abhandlungen.
Diesem historisch-sozialen Milieu ist auch die Sozialdemokratie stets verhaftet geblieben, die ja erst nach der schweren Niederlage der achtundvierziger Demokratie, also in einer restaurativen Epoche, entstanden ist.¹ Zwar berief sie sich lange Zeit mit Stolz nicht nur auf Lassalle, sondern auch auf Marx und Engels. Sowohl die Einstellung der Mehrheit ihrer Anhänger wie auch die von ihr schon vor 1914 wirklich verfolgte Politik waren jedoch nicht die einer marxistischen Arbeiterpartei.
Der Aufstieg der Arbeiterbewegung fiel in eine Epoche des wirtschaftlichen Aufschwungs, der im neuen Reich besonders zu spüren war.² So läßt sich eine, wenn auch noch so bescheidene, wirtschaftliche Verbesserung der Lage eines nicht unbeträchtlichen Teils der Arbeiterschaft kaum bestreiten. Vom Beginn der sechziger Jahre bis zur Jahrhundertwende waren, natürlich zum Teil auch als Folge der gewerkschaftlichen Kämpfe, die Reallöhne um nahezu ein Drittel gestiegen; danach waren sie allerdings, infolge des Ansteigens der Lebenshaltungskosten, stabil geblieben. Nicht ohne Wirkung waren auch die Verkürzung des Arbeitstages vom